während ein Teil der Redaktion die Asien-Pazifik-Konferenz in Neu-Delhi begleitet hat, war Table-Redakteur Marcel Grzanna in Sarajevo. Dort tagte der Weltkongress der Uiguren (WUC) und wählte einen neuen Präsidenten: Turgunjan Alawdun. Im Interview mit Grzanna erklärt Alawdun, welche Konsequenzen sein Engagement für ihn selbst und seine Familie hat und wo er Handlungsbedarf bei der Bundesregierung sieht. Aber auch die Vorwürfe gegen Ex-WUC-Präsident Dolkun Isa und wie diese aufgearbeitet werden sollen, kommen zur Sprache.
In unserer Analyse geht es um grenzenlose und günstige Energie: Kernfusion lautet das Stichwort. Besonders viel Aufmerksamkeit bekommt derzeit das Start-up Energy Singularity aus Shanghai, über das Jörn Petring berichtet. Das Start-up hat nach eigenen Angaben in nur zwei Jahren den Versuchsreaktor “Honghuang 70” gebaut – und will damit die Aufholjagd um die Kernfusion-Expertise mit den USA mehr Dynamik verleihen.
Für China gilt weiterhin: Mao forever. Eine neue Chronik des Staatsgründers enthält Hunderte, öffentlich oft noch unbekannter Anekdoten und rekordverdächtige 4.300 Anmerkungen von Parteihistorikern. Eine Fundgrube für China-Forscher jedweder Couleur. Johnny Erling hat die mehr als 5.000 Seiten durchgeblättert.
Wir wünschen Ihnen einen guten Start in die neue Woche!
Herr Alawdun, als Präsident des Weltkongresses der Uiguren (WUC) setzen Sie sich Verleumdungen und Drohungen aus. Warum haben Sie sich trotzdem zur Wahl gestellt?
Ich bin Gründungsmitglied des Weltkongresses und setze mich noch länger für die Belange der Uiguren ein. Ich bin transnationale Repression durch China gewöhnt. Außerdem bin ich deutscher Staatsbürger, ich lebe auf dem Boden einer freiheitlichen Grundordnung. Und ich vertraue auf die Unterstützung durch die uigurischen Verbündeten weltweit. Allerdings hat die Intensität der Repression seit meiner Kandidatur zugenommen.
Ihre Familienmitglieder in Xinjiang werden wortwörtlich in Sippenhaft genommen.
Meine Geschwister werden benutzt, um Druck auf mich auszuüben. Ein Bruder und eine Schwester in Xinjiang haben schon Besuch von der Polizei bekommen. Über meine Schwester in Norwegen und meinen Bruder in der Türkei wurden mir lukrative Angebote gemacht, gegen viel Geld auf meine Wahl zu verzichten. Andernfalls hat man mir Konsequenzen angedroht.
Bei der jüngsten UN-Generalversammlung forderten 15 demokratische Staaten – darunter auch Deutschland – die Freilassung von willkürlich inhaftierten Tibetern und Uiguren. Ist das die Unterstützung durch Ihre Verbündeten weltweit, von der sie sprachen?
Es ist ein wichtiger Aspekt. Gesetze oder Sanktionen gegen China sind andere effektive Maßnahmen. Gerade in einer Zeit, in der Chinas Einfluss auf westliche Staaten sehr gestiegen ist. Wir wissen das zu schätzen.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat angekündigt, das deutsche Lieferkettengesetz bis Weihnachten abschaffen zu wollen. Das sieht nicht nach Unterstützung aus.
Das ist ein sehr schlechtes Signal, das in die völlig falsche Richtung geht und im Gegensatz zur kritischen China-Strategie der Bundesregierung steht. Es steigert die deutsche Abhängigkeit von China. Peking macht sich lustig darüber, dass es Deutschland am Nasenring durch die Manege führen kann, wenn es nur ein bisschen mit seinen wirtschaftlichen Muskeln spielt. Insofern schränkt die Entscheidung die deutsche Handlungsfähigkeit ein. Das ist verheerend für die deutschen Interessen.
Finden Sie es nicht nachvollziehbar, dass ein Land seine nationalen Interessen eben nicht bedingungslos für das Wohlbefinden für ein paar Millionen Uiguren aufs Spiel setzt?
Es ist nicht überraschend, dass Staaten von Eigeninteressen getrieben sind. Aber hier geht es ja nicht nur um ein bisschen Moral und Ethik. Wer China im Umgang mit den Uiguren oder anderen Minderheiten die Stirn bietet, vertritt auch seine eigenen Interessen. Was die Welt sieht, ist Chinas wahres Gesicht. Und es wird dieses Gesicht immer dann zeigen, wenn es davon profitiert. Nicht nur im eigenen Land, sondern überall auf der Welt. Wer hier nicht frühzeitig einen Riegel vorschiebt, handelt grob fahrlässig. Denn China wird seine Politik der Unterdrückung auch ins Ausland exportieren.
Viele muslimische Staaten sind nicht automatisch Unterstützer der uigurischen Sache.
Wir bedauern das sehr. Da haben wir viel Arbeit vor uns.
Sie haben einst in Kairo Jura und Islam-Wissenschaften studiert und sind berechtigt, als Imam vor gläubigen Muslimen zu predigen. Dieses Profil könnte Ihnen hilfreich sein. In welchen muslimischen Staaten sehen Sie Potenzial, mehr Unterstützung zu generieren?
Wir denken in Südostasien vor allem an Malaysia und Indonesien, wo viele Muslime leben. Auch einige Golfstaaten sind nicht so abhängig von China, dass sie kategorisch den Mund halten müssten. Und es gibt Möglichkeiten in einigen afrikanischen Staaten wie Gambia oder dem Senegal.
Auch die Unterstützung von internationalen Wissenschaftlern ist hilfreich. Einige Wohlgesonnene hat der Weltkongress vergrault, weil er die Vorwürfe sexueller Belästigung durch Ex-Präsident Dolkun Isa nicht angemessen aufgearbeitet hat.
In diesem Fall haben wir in der Tat kein gutes Bild abgegeben. Wir haben schlecht kommuniziert und den Eindruck erweckt, der WUC würde sexuelle Belästigung einfach hinnehmen.
Und das tut er nicht?
Nein, im Gegenteil, wir werden das aufarbeiten. Wir haben eine unabhängige Untersuchung eingeleitet, die noch nicht abgeschlossen ist. Solange gilt die Unschuldsvermutung. Wir entwickeln zudem einen Verhaltenskodex und klären besser auf, an welchem Punkt sexuelle Belästigung beginnt. Als Organisation sind wir in dieser Angelegenheit bislang völlig unerfahren. Aber wir haben verstanden, dass wir auch in dieser Hinsicht professioneller sein müssen.
Der Schaden ist angerichtet.
Die personelle Neubesetzung vieler Posten des WUC bedeutet einerseits eine Verjüngung unserer Organisation, durch die ein schärferes Bewusstsein für die Problematik Einzug erhält. Andererseits drückt der Wandel auch unseren aufrichtigen Verbesserungswillen aus. Wir nehmen die Schuld auf uns, aber wir lassen nicht zu, dass unsere Arbeit zum Wohl der Uiguren von Leuten diskreditiert wird, die sich chinesischer Narrative bedienen.
Welche Narrative sollen das sein?
Dass wir eine Organisation sind, die amerikanische Interessen vertritt und nicht für die Interessen der Uiguren steht.
Sie bekommen auch den Vorwurf, der WUC sei gar nicht legitimiert, für die Uiguren zu sprechen.
Wir geben allen Exil-Uiguren eine Chance und laden dazu ein, dass sie Teil des WUC werden. Wir haben in den vergangenen Jahren auch unsere Strukturen demokratisiert. Es gibt innerhalb der Organisation inzwischen Komitees für verschiedene Interessengruppen wie Jugend und Frauen, wo die jeweiligen Interessen generiert werden und dann in der Exekutive auf den Tisch kommen. Schauen Sie sich bei Generalversammlung doch einmal um. Hier sind rund 180 Delegierte aus 27 Ländern. Die Zahlen sprechen für sich.
Turgunjan Alawdun ist der neu gewählte Präsident des Weltkongresses der Uiguren (WUC). Der WUC ist eine Organisation von Exil-Uiguren mit Sitz in München. Der Verein fungiert als Dachorganisation zahlreicher international tätigen Lobby- und Menschenrechtsgruppen uigurischer Interessen.
Im globalen Rennen um die Entwicklung der Kernfusion macht ein kleines Start-up aus Shanghai beachtliche Fortschritte. Experten weltweit sind beeindruckt vom Versuchsreaktor “Honghuang 70” (HH70), den das Unternehmen Energy Singularity nach eigenen Angaben in nur zwei Jahren gebaut und im Sommer in Betrieb genommen hat. Das Besondere: Es ist der erste vollständig supraleitende Hochtemperatur-Tokamak, der erfolgreich Plasma erzeugt hat.
Schon lange wird in den USA, Europa und China an der Kernfusion geforscht, um eine unerschöpfliche Energiequelle zu erschließen. Bei der Kernfusion verschmelzen Atomkerne leichter Elemente (meistens Wasserstoffisotope) unter extrem hohen Temperaturen. Dabei entsteht ein neuer Kern und eine immense Menge Energie wird freigesetzt – ein Prozess, der auch Sterne wie die Sonne antreibt.
Das Hauptproblem herkömmlicher Fusionsreaktoren, auch Tokamaks genannt, liegt darin, dass sie extrem starke Magnetfelder benötigen, um das Plasma zu kontrollieren. Diese Magnetfelder werden durch supraleitende Magnete erzeugt, die jedoch auf sehr niedrige Temperaturen gekühlt werden müssen. Die hohen Kühlkosten gelten als eine der größten Hürden auf dem Weg zur kommerziellen Nutzung. Energy Singularity setzt auf sogenannte Hochtemperatur-Supraleiter (HTS). Diese Materialien können bei wesentlich höheren Temperaturen arbeiten, was bedeutet, dass die Kühlsysteme weniger aufwändig und teuer sind.
Die Shanghaier sind nicht die ersten Forscher mit dieser Idee. Weltweit gibt es Dutzende Start-ups und staatliche Projekte, die sich mit der Kernfusion befassen. Energy Singularity erklärte so ganz offen gegenüber der Financial Times, dass ihr Ansatz von der US-Firma Commonwealth Fusion Systems (CFS) “inspiriert” sei.
CFS plant, bis 2025 einen Nettoenergiegewinn zu erzielen. Ihr SPARC-Projekt soll damit der erste Fusionsreaktor sein, der mehr Energie erzeugt, als er verbraucht. Erst dann wird die kommerzielle Nutzung denkbar. Auch CFS setzt auf HTS-Magnete und fortschrittliche Plasmatechnologie. Das Ziel gilt als äußerst ambitioniert. Zum Vergleich: Der noch im Bau befindliche International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER) in Frankreich, der ebenfalls diesen Durchbruch anstrebt, soll erst in den 2030er-Jahren erste Tests durchführen.
Immer mehr Experten sind inzwischen überzeugt, dass das Rennen um die Kernfusion hauptsächlich zwischen den USA und China entschieden wird, wobei einige China bereits im Vorteil sehen. In der US-Industrie wächst die Besorgnis, dass China sie im eigenen Spiel überholt, warnte kürzlich Andrew Holland, CEO der in Washington D.C. ansässigen Fusion Industry Association, gegenüber CNN. Laut Holland seien einige der Tokamaks der nächsten Generation, die China gebaut habe oder plane, im Wesentlichen “Kopien” von US-Designs und verwendeten ähnliche Komponenten wie die amerikanischen.
Während in den USA die Tokamaks altern, baue China weiter aus. Ein weiteres Beispiel sei der staatlich finanzierte chinesische BEST-Tokamak, der laut Holland ebenfalls eine Kopie des von CFS entworfenen Tokamaks sei. Zudem verweist Holland auf den Bau eines 570 Millionen Dollar teuren Fusionsforschungsparks im Osten Chinas, der voraussichtlich im nächsten Jahr fertiggestellt werde. “Wir haben nichts Vergleichbares”, betont Holland. Es gebe “eine lange Geschichte” von China, amerikanische Technologien zu kopieren. “Sie sind schnelle Nachahmer und übernehmen dann die Führung.”
Tatsächlich haben beide Großmächte starke Argumente auf ihrer Seite. Laut Ye Yuming, Chef und Mitbegründer von Energy Singularity, profitieren US-Firmen von einem “deutlich günstigeren” Finanzierungsumfeld. Doch in China habe Energy Singularity den Vorteil, auf starke Lieferketten für wichtige Rohstoffe zugreifen zu können. Etwa 95 Prozent der Materialien für ihren ersten Reaktor stammen aus inländischen Quellen, darunter auch seltene Erden, in deren Produktion China führend ist.
Laut Financial Times beschäftigt Energy Singularity derzeit etwa 135 Mitarbeiter und plant, in zukünftigen Finanzierungsrunden weitere 500 Millionen Dollar einzuwerben. Dieses Kapital soll die Entwicklung des nächsten Fusionsreaktors der neuen Generation, des HH170, unterstützen, der bis 2027 fertiggestellt werden soll. Das HH170-Projekt zielt darauf ab, einen Nettoenergiegewinn zu erreichen. Man will das CFS-Projekt der Amerikaner also einholen.
Peking hat auf den Verkauf eines zwei Milliarden US-Dollar schweren Waffenpakets der Vereinigten Staaten an Taiwan reagiert. Chinesische Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe haben eine weitere “Kampfpatrouille” in der Nähe der Insel durchgeführt, teilte Taiwans Verteidigungsministerium am Sonntag mit.
Das Pentagon hatte am Freitag mitgeteilt, dass es den Verkauf eines Waffenpakets an Taiwan genehmigt habe, das drei National Advanced Surface-to-Air Missile Systems (NASAMS) im Wert von 1,16 Milliarden US-Dollar beinhaltet. Das NASAMS wurde in der Ukraine kampferprobt. Es wäre das erste Mal, dass das fortschrittliche Luftabwehrraketensystem, das die Ukraine eingesetzt hat, an Taiwan geliefert wird. Taiwans Regierung begrüßte den 17. Waffenverkauf an die Insel unter der Regierung von US-Präsident Joe Biden. Am Samstag drohte Peking mit “Gegenmaßnahmen”. In einer Erklärung am späten Samstag teilte das chinesische Außenministerium mit, dass es die jüngsten US-Waffenverkäufe aufs Schärfste verurteile und in Washington “ernsthafte Proteste” eingelegt habe: “Die Verkäufe untergraben ernsthaft die Souveränität und die Sicherheitsinteressen Chinas”, hieß es weiter.
Das taiwanesische Verteidigungsministerium teilte am Sonntag mit, es habe 19 chinesische Militärflugzeuge, darunter Su-30-Kampfjets, entdeckt, die seit Sonntagmorgen zusammen mit chinesischen Kriegsschiffen eine “gemeinsame Patrouille der Kampfbereitschaft” rund um Taiwan durchführten. Die chinesischen Flugzeuge seien im Luftraum nördlich, zentral, südwestlich und östlich von Taiwan geflogen, und taiwanesische Streitkräfte seien zur Überwachung entsandt worden. Das chinesische Verteidigungsministerium reagierte nicht auf Anfragen von Reuters. rtr/mcl
Die Gewinne der chinesischen Industrie sind im September erneut eingebrochen. Wie aus offiziellen Daten des Nationalen Statistikamtes vom Sonntag hervorgeht, fielen die Gewinne im Vergleich zum Vorjahresmonat um 27,1 Prozent, der bislang stärkste Rückgang in diesem Jahr. Im Zeitraum von Januar bis September gingen die Gewinne der chinesischen Industrieunternehmen um 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurück. Damit wuchs Chinas Wirtschaft trotz aller Bemühungen, das Wachstum wieder in Schwung zu bekommen, im dritten Quartal so langsam wie seit Anfang 2023 nicht mehr. Jüngste Daten deuteten auch auf einen erhöhten Deflationsdruck, ein schwächeres Exportwachstum und eine gedämpfte Kreditnachfrage hin. Das stelle die Konjunkturerholung infrage und unterstreicht die Notwendigkeit fiskalischer Anreize zur Wachstumsankurbelung.
Von Januar bis September sahen die Gewinne und Verluste wichtiger Industriezweige gegenüber dem Vorjahr wie folgt aus:
Ende September hatte die Zentralbank massive Unterstützung zur Wiederbelebung der Wirtschaft angekündigt. Die Zahlen für den industriellen Gewinn beziehen sich auf Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mindestens 20 Millionen Yuan aus dem Hauptgeschäft, umgerechnet etwa 2,8 Millionen Dollar. rtr/mcl
Wenige Tage vor Ablauf der Frist für die EU-Zusatzzölle auf chinesische E-Fahrzeuge zeigt sich die chinesische Seite unzufrieden mit den Verhandlungen. “Die europäische Seite hat während des Verhandlungsprozesses ‘Yin-Yang-Taktiken‘ angewandt und versucht, die chinesische Regierung zu umgehen und separat mit einzelnen Unternehmen zu verhandeln”, wird ein nicht näher genannter Experte bei Yuyuan Tantian zitiert. Der Social-Media-Kanal steht dem chinesischen Staatssender CCTV nahe. Die chinesische Handelskammer bei der EU hatte den Artikel am Sonntag unter Journalisten gestreut.
Im Fokus der noch laufenden Verhandlungen stehen demnach Preisverpflichtungen für die chinesischen Hersteller. Mit einer “überraschenden Kehrtwende aus Brüssel” werde nicht gerechnet. Dabei seien unterschiedliche Ansichten darüber, wie eine Preisverpflichtung funktionieren würde, das größte Hindernis: “Das europäische technische Team verlangt von China, einen Mindestpreis für jede Marke und jedes Modell von Elektrofahrzeugen festzulegen, die nach Europa exportiert werden”, heißt es in dem Bericht. Außerdem würden separate Mindestpreise für Fahrzeuge derselben Marke für verschiedene EU-Länder und Regionen Europas gewollt. Brüssel hatte sich bisher zu Details der Verhandlungen nicht geäußert.
Am Freitag hatte EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis mit Chinas Handelsminister Wang Wentao gesprochen. Am Mittwoch, 30. Oktober, läuft die Frist für eine Entscheidung über die Zusatzzölle ab. Die EU-Kommission hatte allerdings schon über mehrere Kanäle zu verstehen gegeben, dass die Verhandlungen auch danach noch weitergehen können. ari
Die Zahl Neun 九 galt im kaiserlichen China als Symbolziffer. Zu ihr passt das lautgleiche Schriftzeichen 久 mit der Bedeutung “Auf ewig”. Auch für die Volksrepublik und deren Staatengründer Mao Zedong spielt die Neun eine wichtige Rolle. Seine von der Partei in Auftrag gegebene, neue Biografie ist eine neun Kilo schwere Mammut-Chronik in neun Bänden. “毛泽东年谱 1893-1976”. Band 1 beginnt mit Maos Geburt am 23. Dezember 1893 und der erstaunlich saloppe Beschreibung seines Vaters, der sich “aufs Geschäfte machen” verstand (善于经营) und es vom “armen, wohlhabenderen bis zum reichen Bauern” brachte. Band 9 schließt knapp: “9.9.1976: Zehn Minuten nach Mitternacht. Mao stirbt in Peking im 83. Lebensjahr.”
Doch dazwischen wird es schwerere Kost. Mehr als zehn Jahre arbeiteten KP-Forscher und Archivare an Chinas jüngster Version von Maos Lebensgeschichte. In ihr flossen die 1993er dreibändige Mao-Biographie 1893 bis 1949 und die sechs 2013 erschienenen Folgebände 1949 bis 1976 ein. Anlass für die Neuedition war Maos 130ster Geburtstag vergangenen Dezember. Parteichef Xi Jinping sagte in seiner Festrede, dass es mit ihm kein Abrücken von Mao geben wird. Denn Mao ließ China auferstehen, Deng Xiaoping machte es reich, und er mache es stark.
Für die Volksrepublik gilt weiterhin: Mao forever. Die Parteibiografen deuten in einer Nachbetrachtung vorsichtig an, dass ihre Mao-Darstellung ein Spagat sei, zwischen den ideologischen Forderungen Pekings gegen “historischen Nihilismus zu kämpfen und historische Zuversicht zu verbreiten” und ihrem Anspruch als Historiker, ein Werk zu schaffen, das “vor der Geschichte bestehen kann”.
Aufgabe der voluminösen Biografie, die mit einer auf 20 Bände erweiterten Neuausgabe der meisten Manuskripte erschien, (Umfang sieben Millionen Schriftzeichen) ist Mao zu verewigen, seine Massenopfer fordernden Kampagnen und fürchterlichen Untaten entweder zu verschweigen, zu relativieren oder zu verharmlosen. Von früheren Versuchen zur kritischen Aufarbeitung hat sich Peking inzwischen immer weiter entfernt. Dennoch hilft die Chronik mit ihren Fakten und 4.300 Anmerkungen, so manches Rätsel zu lösen.
Am 30. April 1976, als der körperlich hinfällige, kaum zu verstehende, aber weiter klar denkende Mao noch 18 Wochen zu leben hatte, wollte er plötzlich Neuseelands Premier Robert Maldoon sehen, der auf Besuch in Peking war. Maldoon eilte mitsamt seinem chinesischen Gastgeber und Vizepremier Hua Guofeng, der nach schweren innerchinesischen Wirren gerade als neuer Interimspräsident von Mao eingesetzt worden war, zum Wohnsitz des “Großen Vorsitzenden”. Sie trafen gegen 20 Uhr ein. Maldoon ging wieder nach symbolischer Kurzvisite. Hua aber musste bleiben und Mao über die aktuelle Lage briefen.
Die Chronik zitiert: “Hua sagte: Die Lage im Inland verbessert sich gerade. Aber international treten Probleme auf. Mir fehlt es an Erfahrungen, und ich tausche mich mit den Genossen im Politbüro dazu aus. Welchen Rat hat der Vorsitzende für mich? Mao sagte darauf: International steht die Richtung im Großem und Ganzen fest, sind die Probleme nicht so groß. Doch nach innen musst Du achtgeben.” Auf Zettel kritzelte er, was er sagen wollte: “Überstürze nichts. Geh behutsam vor”, “Handele so wie früher festgelegt”, und “Ich bin beruhigt, wenn Du Dich der Sache annimmst!” (你办事,我放心).
Das wäre belangloses Geplauder, wenn sich Hua nicht Maos Schmierzettel eingesteckt hätte. So aber holte er sie wenige Wochen später nach Maos Tod im Machtkampf um dessen Nachfolge als politisches Vermächtnis Maos an ihn hervor. Das war besonders wichtig, als er in einem Palastputsch am 6. Oktober 1976 Maos linksradikale Gefolgsleute um dessen Witwe Jiang Qing verhaften ließ.
Hunderte solcher, öffentlich oft noch unbekannter Anekdoten füllen die Biografie. Um es vorwegzunehmen: Die Geschichte des Diktator Mao, dessen meterhohes Porträt bis heute als Galionsfigur der Volksrepublik am Tiananmen-Tor hängt, dessen Gesicht auf allen Geldscheinen aufgedruckt ist, muss nicht umgeschrieben werden. Aber sie liefern autoritative Bausteine für das Puzzle, wie Maos totalitäres Machtsystem, seine Willkür und Personenkult funktionierten, eine Fundgrube für China-Forscher jedweder Couleur.
Das ist wichtig, weil der Zugang zu Chinas Archiven, der sich in Pekings Reformjahren zu öffnen begann, unter Xi wieder geschlossen wurde. Die 2013 erschienene, sechsbändige Vorläuferausgabe der Mao Chronik (1949 bis 1976) konnte viel Neues berichten. Sie enthüllte etwa, was Mao mit seinem zeitlebens mehr als 700 Besuchern aus aller Welt besprach. Darunter war etwa seine groteske Begegnung am 16. Januar 1975 in Changsha mit CSU-Chef Franz Josef Strauß, den er wegen seiner antisowjetischen Haltung besonders schätzte.
Die frühere Chronik dokumentierte erstmals auch, wo und wie Mao größenwahnsinnige Fehlentscheidungen parteiintern revidieren und zurücknehmen ließ. Allerdings tat er das – was die Chronik natürlich nicht schreibt. Immer nur im Nachhinein und unter Zwang, nachdem die von ihm angerichteten Katastrophen eingetreten waren. Zur Verantwortung dafür wurde Mao bis heute nie gezogen. Das Gleiche gilt für seine Vergötzung und seinen wahnwitzigen Personenkult, den heute auch Xi um sich entfachen lässt. Nach Angaben der Chronik hätte Mao den Kult um ihn allein in den ersten fünf Jahren seiner Kulturrevolution 15-mal kritisiert. Danach aber ließ es sich weiter verherrlichen.
Die dennoch informative 2013er-Chronik wurde mit 130.000 verkauften Exemplaren zum Bestseller. Viele chinesische Mao-Fans erhofften sich daher von der aktuellen neunbändigen Ausgabe noch mehr Enthüllungen. Sie wurden enttäuscht und fühlten sich betrogen. Blogger schrieben: “Ich war geschockt, als ich entdeckte, dass die neue Chronik nur eine einfache Kopie und Zusammensetzung der beiden früheren Chroniken war.”
Tatsächlich aber verbergen sich viele Neuerungen nicht im eigentlichen Text der Biografie. Statt zwischen den Zeilen muss man unter ihren Zeilen lesen. Die Parteiautoren haben ihre Chronik mit mehr als 4.300 Anmerkungen im Umfang von 300.000 Wörtern versehen. Xiong Huayuan, einer der Mitherausgeber erklärt warum: “Viele unserer Anmerkungen beziehen sich auf Dinge, die im Haupttext nicht erklärt werden … So können wir auch auf Gerüchte, Unwahrheiten und Zweifel eingehen.”
Ein Beispiel sind die bis heute unaufgeklärten Ereignisse, die zu Maos schwerster Krise führten. Am 13. September 1971 versuchte sein designierter Nachfolger und Kronprinz Lin Biao mit Frau und Sohn während der Kulturrevolution zu fliehen. Im Flug mit seinem Trident-Flugzeug Richtung Sowjetunion sterben sie bei einer Bruchlandung in der Mongolei.
Ausführlich schildert die Chronik aufgrund von Archivmaterial den Vorlauf zur Krise, enthüllt die Schachzüge, die ein bereits Lin misstrauender Mao zur Isolierung seines Nachfolgers unternimmt. Doch Lin überrascht Mao mit der unerwarteten Flucht. Zwei Tage verbringt Mao, zu seiner Sicherheit in die Große Halle des Volkes untergebracht, in Unruhe und Konfusion, wirkt paralysiert und entscheidungsunfähig. Bis er und Premier Zhou Enlai, der damalige Hauptvertraute Maos, am 14. September die Gewissheit erhalten, dass Lin Biaos Flieger abgestürzt und alle Insassen gestorben sind. Mao zieht sich darauf vom 15. bis 17. September wieder in seine Wohnresidenz zurück, trifft sich dort nur mit Zhou Enlai. Worüber sie in den zwei Tagen reden, wird nicht berichtet, können oder dürfen die Parteihistoriker nicht enthüllen.
Die Lin-Biao-Affäre konnte bis heute nicht wirklich aufgeklärt werden. In einer langen Anmerkung versuchen die Autoren der Chronik wenigstens anhaltende Gerüchte zu zerstreuen, dass Lins Flieger abgeschossen wurde, oder aufgrund von Feuer und Explosion an Bord abstürzte. Sie veröffentlichen dazu Informationen aus einem frühen Pekinger Untersuchungsbericht, der rekonstruiert, wie die Maschine bruchlandete, zuerst am Boden zerschellte und dann ausbrannte.
Mit der Methode detaillierter Anmerkungen versuchen die Autoren immer wieder, neue Infos und Antworten auf die vielen offenen Fragen in ihrer ultimativen Biografie zu geben. Denn fast ein halbes Jahrhundert nach dem Tod des “Großen Vorsitzenden” erlaubt Chinas Führung nicht, Mao als historische Figur zu begreifen und schon gar nicht seinen Werdegang und sein Tun und Trachten kritisch aufzuarbeiten. Die Partei ist auf Mao angewiesen. Warum das so ist, bringt eine neue dreiteilige Mao-Videodokumentation, die derzeit bei Arte läuft, in ihren Schluss-Sätzen besser auf den Punkt, als es die neunbändige Mammut-Chronik kann: “Wer China verstehen will, muss Mao verstehen … Er war weitaus komplexer als nur ein Monster. Aber selbst wenn: Das System trägt eine Mitschuld. Es erschuf das Monster und konnte es dann nicht mehr stoppen, Maos Schatten reicht bis in die Gegenwart, sein Erbe prägt China und lebt in Xi fort.”
Yao Zhou ist seit September General Managerin für die Region China bei der Hima Group. Zhou arbeitet seit 2016 für den Brühler Anbieter sicherheitsgerichteter Automatisierungslösungen für die Prozess- und Bahnindustrie. Zuletzt verantwortete sie die Bereiche Finanzen und Verwaltung, bevor sie im Januar 2024 zur Interim-Geschäftsführerin ernannt wurde.
Jonathan Czin hat im Oktober den Michael H. Armacost-Lehrstuhl für außenpolitische Studien am Brookings Institute übernommen. Als einer der führenden China-Experten bei der CIA war Czin von 2021 bis 2023 Direktor für China im Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses von Präsident Joe Biden und koordinierte die China-Politik der US-Regierung.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
Hungrig, doch zu faul, den Kochlöffel zu schwingen? Keine Lust, schon wieder beim Lieferservice zu bestellen (点外卖 diǎn wàimài)? Genug von öden Instantnudeln (方便面 fāngbiànmiàn) und nervigem Abwasch (不想洗碗 bù xiǎng xǐwǎn)?
Für alle Faulpelze (懒鬼 lǎnguǐ) und Stubenhocker (宅人 zháirén) gibt es gute Nachrichten: In China kann man Gerichte kaufen, die sich quasi von selbst zubereiten! Alles, was man dafür braucht, ist schnödes, raumtemperiertes Mineral- oder Leitungswasser.自热食品 zìrè shípǐn, auf Deutsch “selbsterhitzende Gerichte”, nennt man dieses Highlight im Supermarktregal. Es gibt Varianten mit Reis oder Nudeln, ja sogar brodelnden Feuertopf.
Wie funktioniert’s? Ganz einfach: Den Gerichten ist eine kleine “Hitzepackung” (加热袋 jiārèdài oder 发热包 fārèbāo) beigelegt, in der sich Branntkalk bzw. Calciumoxid befindet. Diese weiße, kristalline Substanz hat die Eigenschaft, bei der Reaktion mit Wasser über mehrere Minuten große Hitze freizusetzen – perfekt für das Garen von Fertiggerichten.
In den Regalen chinesischer Supermärkte und Mini-Marts tummeln sich Klassiker wie “Fischduftende Schweinefleischstreifen” (鱼香肉丝 yúxiāng-ròusī), Curry-Hähnchenwürfel (咖喱鸡丁 gālí jīdīng) oder “Tofu nach Hausmacherart” (家常豆腐 jiācháng dòufu) als selbsterhitzende Reisgerichte. Aber auch gebratenen Reis (自热炒饭 zìrè chǎofàn) und Reisnudeln (自热米线 zìrè mǐxiàn) gibt es in einer selbsterhitzenden Variante.
Ein besonders attraktiver Fang für faule Feinschmecker ist ohne Frage der selbsterhitzende Feuertopf (自热火锅 zìrè huǒguō). Neben einer Fertigmischung für die charakteristische Würzbrühe (火锅底料 huǒguō dǐliào) finden sich zum Beispiel Päckchen mit Lotuswurzelscheiben (藕片 ǒupiàn), Kartoffelstückchen (土豆片 tǔdòupiàn), Seetang (海带 hǎidài) und Bambusstreifen (笋片 sǔnpiàn) in der Packung. Verfeinert wird das Ganze mit Schinkenwürstchen (火腿肠 huǒtuǐcháng), Wachteleiern (鹌鹑蛋 ānchúndàn) und Glasnudeln (粉条 fěntiáo). Was will das Hotpot-Herz mehr?
Haltbar ist so ein Faulenz-Feuertopf übrigens etwa sechs bis zehn Monate. Man kann sich also getrost einen Vorrat für Schlechtwetterzeiten zuhause anlegen. Und auch auf Reisen, beispielsweise für Camping-Ausflüge und lange Zugfahrten ins Landesinnere oder zur innermongolischen Steppe, sind die Selbsterhitzer eine echte Alternative zum Aufbrühen von althergebrachten Fertignudeln (泡面 pàomiàn).
Doch man sollte es mit der Instant-Wut auch nicht übertreiben. Denn alle Zutaten der Gerichte sind einzeln feinsäuberlich in Plastik eingeschweißt. Und so bleibt am Schluss nicht nur ein voller Bauch, sondern auch ein voller Mülleimer zurück. Dennoch: Für den einen oder anderen Winter- oder Couch-Potato-Tag lohnt es sich durchaus, diese trendige Fertiggericht-Wunderwaffe in der Speisekammer zu bunkern. Vielleicht ja auch etwas gegen den Winterblues in Deutschland? Viele Asiamärkte in Europa jedenfalls haben die hippen Hotpots und Co. längst im Sortiment.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.
während ein Teil der Redaktion die Asien-Pazifik-Konferenz in Neu-Delhi begleitet hat, war Table-Redakteur Marcel Grzanna in Sarajevo. Dort tagte der Weltkongress der Uiguren (WUC) und wählte einen neuen Präsidenten: Turgunjan Alawdun. Im Interview mit Grzanna erklärt Alawdun, welche Konsequenzen sein Engagement für ihn selbst und seine Familie hat und wo er Handlungsbedarf bei der Bundesregierung sieht. Aber auch die Vorwürfe gegen Ex-WUC-Präsident Dolkun Isa und wie diese aufgearbeitet werden sollen, kommen zur Sprache.
In unserer Analyse geht es um grenzenlose und günstige Energie: Kernfusion lautet das Stichwort. Besonders viel Aufmerksamkeit bekommt derzeit das Start-up Energy Singularity aus Shanghai, über das Jörn Petring berichtet. Das Start-up hat nach eigenen Angaben in nur zwei Jahren den Versuchsreaktor “Honghuang 70” gebaut – und will damit die Aufholjagd um die Kernfusion-Expertise mit den USA mehr Dynamik verleihen.
Für China gilt weiterhin: Mao forever. Eine neue Chronik des Staatsgründers enthält Hunderte, öffentlich oft noch unbekannter Anekdoten und rekordverdächtige 4.300 Anmerkungen von Parteihistorikern. Eine Fundgrube für China-Forscher jedweder Couleur. Johnny Erling hat die mehr als 5.000 Seiten durchgeblättert.
Wir wünschen Ihnen einen guten Start in die neue Woche!
Herr Alawdun, als Präsident des Weltkongresses der Uiguren (WUC) setzen Sie sich Verleumdungen und Drohungen aus. Warum haben Sie sich trotzdem zur Wahl gestellt?
Ich bin Gründungsmitglied des Weltkongresses und setze mich noch länger für die Belange der Uiguren ein. Ich bin transnationale Repression durch China gewöhnt. Außerdem bin ich deutscher Staatsbürger, ich lebe auf dem Boden einer freiheitlichen Grundordnung. Und ich vertraue auf die Unterstützung durch die uigurischen Verbündeten weltweit. Allerdings hat die Intensität der Repression seit meiner Kandidatur zugenommen.
Ihre Familienmitglieder in Xinjiang werden wortwörtlich in Sippenhaft genommen.
Meine Geschwister werden benutzt, um Druck auf mich auszuüben. Ein Bruder und eine Schwester in Xinjiang haben schon Besuch von der Polizei bekommen. Über meine Schwester in Norwegen und meinen Bruder in der Türkei wurden mir lukrative Angebote gemacht, gegen viel Geld auf meine Wahl zu verzichten. Andernfalls hat man mir Konsequenzen angedroht.
Bei der jüngsten UN-Generalversammlung forderten 15 demokratische Staaten – darunter auch Deutschland – die Freilassung von willkürlich inhaftierten Tibetern und Uiguren. Ist das die Unterstützung durch Ihre Verbündeten weltweit, von der sie sprachen?
Es ist ein wichtiger Aspekt. Gesetze oder Sanktionen gegen China sind andere effektive Maßnahmen. Gerade in einer Zeit, in der Chinas Einfluss auf westliche Staaten sehr gestiegen ist. Wir wissen das zu schätzen.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat angekündigt, das deutsche Lieferkettengesetz bis Weihnachten abschaffen zu wollen. Das sieht nicht nach Unterstützung aus.
Das ist ein sehr schlechtes Signal, das in die völlig falsche Richtung geht und im Gegensatz zur kritischen China-Strategie der Bundesregierung steht. Es steigert die deutsche Abhängigkeit von China. Peking macht sich lustig darüber, dass es Deutschland am Nasenring durch die Manege führen kann, wenn es nur ein bisschen mit seinen wirtschaftlichen Muskeln spielt. Insofern schränkt die Entscheidung die deutsche Handlungsfähigkeit ein. Das ist verheerend für die deutschen Interessen.
Finden Sie es nicht nachvollziehbar, dass ein Land seine nationalen Interessen eben nicht bedingungslos für das Wohlbefinden für ein paar Millionen Uiguren aufs Spiel setzt?
Es ist nicht überraschend, dass Staaten von Eigeninteressen getrieben sind. Aber hier geht es ja nicht nur um ein bisschen Moral und Ethik. Wer China im Umgang mit den Uiguren oder anderen Minderheiten die Stirn bietet, vertritt auch seine eigenen Interessen. Was die Welt sieht, ist Chinas wahres Gesicht. Und es wird dieses Gesicht immer dann zeigen, wenn es davon profitiert. Nicht nur im eigenen Land, sondern überall auf der Welt. Wer hier nicht frühzeitig einen Riegel vorschiebt, handelt grob fahrlässig. Denn China wird seine Politik der Unterdrückung auch ins Ausland exportieren.
Viele muslimische Staaten sind nicht automatisch Unterstützer der uigurischen Sache.
Wir bedauern das sehr. Da haben wir viel Arbeit vor uns.
Sie haben einst in Kairo Jura und Islam-Wissenschaften studiert und sind berechtigt, als Imam vor gläubigen Muslimen zu predigen. Dieses Profil könnte Ihnen hilfreich sein. In welchen muslimischen Staaten sehen Sie Potenzial, mehr Unterstützung zu generieren?
Wir denken in Südostasien vor allem an Malaysia und Indonesien, wo viele Muslime leben. Auch einige Golfstaaten sind nicht so abhängig von China, dass sie kategorisch den Mund halten müssten. Und es gibt Möglichkeiten in einigen afrikanischen Staaten wie Gambia oder dem Senegal.
Auch die Unterstützung von internationalen Wissenschaftlern ist hilfreich. Einige Wohlgesonnene hat der Weltkongress vergrault, weil er die Vorwürfe sexueller Belästigung durch Ex-Präsident Dolkun Isa nicht angemessen aufgearbeitet hat.
In diesem Fall haben wir in der Tat kein gutes Bild abgegeben. Wir haben schlecht kommuniziert und den Eindruck erweckt, der WUC würde sexuelle Belästigung einfach hinnehmen.
Und das tut er nicht?
Nein, im Gegenteil, wir werden das aufarbeiten. Wir haben eine unabhängige Untersuchung eingeleitet, die noch nicht abgeschlossen ist. Solange gilt die Unschuldsvermutung. Wir entwickeln zudem einen Verhaltenskodex und klären besser auf, an welchem Punkt sexuelle Belästigung beginnt. Als Organisation sind wir in dieser Angelegenheit bislang völlig unerfahren. Aber wir haben verstanden, dass wir auch in dieser Hinsicht professioneller sein müssen.
Der Schaden ist angerichtet.
Die personelle Neubesetzung vieler Posten des WUC bedeutet einerseits eine Verjüngung unserer Organisation, durch die ein schärferes Bewusstsein für die Problematik Einzug erhält. Andererseits drückt der Wandel auch unseren aufrichtigen Verbesserungswillen aus. Wir nehmen die Schuld auf uns, aber wir lassen nicht zu, dass unsere Arbeit zum Wohl der Uiguren von Leuten diskreditiert wird, die sich chinesischer Narrative bedienen.
Welche Narrative sollen das sein?
Dass wir eine Organisation sind, die amerikanische Interessen vertritt und nicht für die Interessen der Uiguren steht.
Sie bekommen auch den Vorwurf, der WUC sei gar nicht legitimiert, für die Uiguren zu sprechen.
Wir geben allen Exil-Uiguren eine Chance und laden dazu ein, dass sie Teil des WUC werden. Wir haben in den vergangenen Jahren auch unsere Strukturen demokratisiert. Es gibt innerhalb der Organisation inzwischen Komitees für verschiedene Interessengruppen wie Jugend und Frauen, wo die jeweiligen Interessen generiert werden und dann in der Exekutive auf den Tisch kommen. Schauen Sie sich bei Generalversammlung doch einmal um. Hier sind rund 180 Delegierte aus 27 Ländern. Die Zahlen sprechen für sich.
Turgunjan Alawdun ist der neu gewählte Präsident des Weltkongresses der Uiguren (WUC). Der WUC ist eine Organisation von Exil-Uiguren mit Sitz in München. Der Verein fungiert als Dachorganisation zahlreicher international tätigen Lobby- und Menschenrechtsgruppen uigurischer Interessen.
Im globalen Rennen um die Entwicklung der Kernfusion macht ein kleines Start-up aus Shanghai beachtliche Fortschritte. Experten weltweit sind beeindruckt vom Versuchsreaktor “Honghuang 70” (HH70), den das Unternehmen Energy Singularity nach eigenen Angaben in nur zwei Jahren gebaut und im Sommer in Betrieb genommen hat. Das Besondere: Es ist der erste vollständig supraleitende Hochtemperatur-Tokamak, der erfolgreich Plasma erzeugt hat.
Schon lange wird in den USA, Europa und China an der Kernfusion geforscht, um eine unerschöpfliche Energiequelle zu erschließen. Bei der Kernfusion verschmelzen Atomkerne leichter Elemente (meistens Wasserstoffisotope) unter extrem hohen Temperaturen. Dabei entsteht ein neuer Kern und eine immense Menge Energie wird freigesetzt – ein Prozess, der auch Sterne wie die Sonne antreibt.
Das Hauptproblem herkömmlicher Fusionsreaktoren, auch Tokamaks genannt, liegt darin, dass sie extrem starke Magnetfelder benötigen, um das Plasma zu kontrollieren. Diese Magnetfelder werden durch supraleitende Magnete erzeugt, die jedoch auf sehr niedrige Temperaturen gekühlt werden müssen. Die hohen Kühlkosten gelten als eine der größten Hürden auf dem Weg zur kommerziellen Nutzung. Energy Singularity setzt auf sogenannte Hochtemperatur-Supraleiter (HTS). Diese Materialien können bei wesentlich höheren Temperaturen arbeiten, was bedeutet, dass die Kühlsysteme weniger aufwändig und teuer sind.
Die Shanghaier sind nicht die ersten Forscher mit dieser Idee. Weltweit gibt es Dutzende Start-ups und staatliche Projekte, die sich mit der Kernfusion befassen. Energy Singularity erklärte so ganz offen gegenüber der Financial Times, dass ihr Ansatz von der US-Firma Commonwealth Fusion Systems (CFS) “inspiriert” sei.
CFS plant, bis 2025 einen Nettoenergiegewinn zu erzielen. Ihr SPARC-Projekt soll damit der erste Fusionsreaktor sein, der mehr Energie erzeugt, als er verbraucht. Erst dann wird die kommerzielle Nutzung denkbar. Auch CFS setzt auf HTS-Magnete und fortschrittliche Plasmatechnologie. Das Ziel gilt als äußerst ambitioniert. Zum Vergleich: Der noch im Bau befindliche International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER) in Frankreich, der ebenfalls diesen Durchbruch anstrebt, soll erst in den 2030er-Jahren erste Tests durchführen.
Immer mehr Experten sind inzwischen überzeugt, dass das Rennen um die Kernfusion hauptsächlich zwischen den USA und China entschieden wird, wobei einige China bereits im Vorteil sehen. In der US-Industrie wächst die Besorgnis, dass China sie im eigenen Spiel überholt, warnte kürzlich Andrew Holland, CEO der in Washington D.C. ansässigen Fusion Industry Association, gegenüber CNN. Laut Holland seien einige der Tokamaks der nächsten Generation, die China gebaut habe oder plane, im Wesentlichen “Kopien” von US-Designs und verwendeten ähnliche Komponenten wie die amerikanischen.
Während in den USA die Tokamaks altern, baue China weiter aus. Ein weiteres Beispiel sei der staatlich finanzierte chinesische BEST-Tokamak, der laut Holland ebenfalls eine Kopie des von CFS entworfenen Tokamaks sei. Zudem verweist Holland auf den Bau eines 570 Millionen Dollar teuren Fusionsforschungsparks im Osten Chinas, der voraussichtlich im nächsten Jahr fertiggestellt werde. “Wir haben nichts Vergleichbares”, betont Holland. Es gebe “eine lange Geschichte” von China, amerikanische Technologien zu kopieren. “Sie sind schnelle Nachahmer und übernehmen dann die Führung.”
Tatsächlich haben beide Großmächte starke Argumente auf ihrer Seite. Laut Ye Yuming, Chef und Mitbegründer von Energy Singularity, profitieren US-Firmen von einem “deutlich günstigeren” Finanzierungsumfeld. Doch in China habe Energy Singularity den Vorteil, auf starke Lieferketten für wichtige Rohstoffe zugreifen zu können. Etwa 95 Prozent der Materialien für ihren ersten Reaktor stammen aus inländischen Quellen, darunter auch seltene Erden, in deren Produktion China führend ist.
Laut Financial Times beschäftigt Energy Singularity derzeit etwa 135 Mitarbeiter und plant, in zukünftigen Finanzierungsrunden weitere 500 Millionen Dollar einzuwerben. Dieses Kapital soll die Entwicklung des nächsten Fusionsreaktors der neuen Generation, des HH170, unterstützen, der bis 2027 fertiggestellt werden soll. Das HH170-Projekt zielt darauf ab, einen Nettoenergiegewinn zu erreichen. Man will das CFS-Projekt der Amerikaner also einholen.
Peking hat auf den Verkauf eines zwei Milliarden US-Dollar schweren Waffenpakets der Vereinigten Staaten an Taiwan reagiert. Chinesische Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe haben eine weitere “Kampfpatrouille” in der Nähe der Insel durchgeführt, teilte Taiwans Verteidigungsministerium am Sonntag mit.
Das Pentagon hatte am Freitag mitgeteilt, dass es den Verkauf eines Waffenpakets an Taiwan genehmigt habe, das drei National Advanced Surface-to-Air Missile Systems (NASAMS) im Wert von 1,16 Milliarden US-Dollar beinhaltet. Das NASAMS wurde in der Ukraine kampferprobt. Es wäre das erste Mal, dass das fortschrittliche Luftabwehrraketensystem, das die Ukraine eingesetzt hat, an Taiwan geliefert wird. Taiwans Regierung begrüßte den 17. Waffenverkauf an die Insel unter der Regierung von US-Präsident Joe Biden. Am Samstag drohte Peking mit “Gegenmaßnahmen”. In einer Erklärung am späten Samstag teilte das chinesische Außenministerium mit, dass es die jüngsten US-Waffenverkäufe aufs Schärfste verurteile und in Washington “ernsthafte Proteste” eingelegt habe: “Die Verkäufe untergraben ernsthaft die Souveränität und die Sicherheitsinteressen Chinas”, hieß es weiter.
Das taiwanesische Verteidigungsministerium teilte am Sonntag mit, es habe 19 chinesische Militärflugzeuge, darunter Su-30-Kampfjets, entdeckt, die seit Sonntagmorgen zusammen mit chinesischen Kriegsschiffen eine “gemeinsame Patrouille der Kampfbereitschaft” rund um Taiwan durchführten. Die chinesischen Flugzeuge seien im Luftraum nördlich, zentral, südwestlich und östlich von Taiwan geflogen, und taiwanesische Streitkräfte seien zur Überwachung entsandt worden. Das chinesische Verteidigungsministerium reagierte nicht auf Anfragen von Reuters. rtr/mcl
Die Gewinne der chinesischen Industrie sind im September erneut eingebrochen. Wie aus offiziellen Daten des Nationalen Statistikamtes vom Sonntag hervorgeht, fielen die Gewinne im Vergleich zum Vorjahresmonat um 27,1 Prozent, der bislang stärkste Rückgang in diesem Jahr. Im Zeitraum von Januar bis September gingen die Gewinne der chinesischen Industrieunternehmen um 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurück. Damit wuchs Chinas Wirtschaft trotz aller Bemühungen, das Wachstum wieder in Schwung zu bekommen, im dritten Quartal so langsam wie seit Anfang 2023 nicht mehr. Jüngste Daten deuteten auch auf einen erhöhten Deflationsdruck, ein schwächeres Exportwachstum und eine gedämpfte Kreditnachfrage hin. Das stelle die Konjunkturerholung infrage und unterstreicht die Notwendigkeit fiskalischer Anreize zur Wachstumsankurbelung.
Von Januar bis September sahen die Gewinne und Verluste wichtiger Industriezweige gegenüber dem Vorjahr wie folgt aus:
Ende September hatte die Zentralbank massive Unterstützung zur Wiederbelebung der Wirtschaft angekündigt. Die Zahlen für den industriellen Gewinn beziehen sich auf Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mindestens 20 Millionen Yuan aus dem Hauptgeschäft, umgerechnet etwa 2,8 Millionen Dollar. rtr/mcl
Wenige Tage vor Ablauf der Frist für die EU-Zusatzzölle auf chinesische E-Fahrzeuge zeigt sich die chinesische Seite unzufrieden mit den Verhandlungen. “Die europäische Seite hat während des Verhandlungsprozesses ‘Yin-Yang-Taktiken‘ angewandt und versucht, die chinesische Regierung zu umgehen und separat mit einzelnen Unternehmen zu verhandeln”, wird ein nicht näher genannter Experte bei Yuyuan Tantian zitiert. Der Social-Media-Kanal steht dem chinesischen Staatssender CCTV nahe. Die chinesische Handelskammer bei der EU hatte den Artikel am Sonntag unter Journalisten gestreut.
Im Fokus der noch laufenden Verhandlungen stehen demnach Preisverpflichtungen für die chinesischen Hersteller. Mit einer “überraschenden Kehrtwende aus Brüssel” werde nicht gerechnet. Dabei seien unterschiedliche Ansichten darüber, wie eine Preisverpflichtung funktionieren würde, das größte Hindernis: “Das europäische technische Team verlangt von China, einen Mindestpreis für jede Marke und jedes Modell von Elektrofahrzeugen festzulegen, die nach Europa exportiert werden”, heißt es in dem Bericht. Außerdem würden separate Mindestpreise für Fahrzeuge derselben Marke für verschiedene EU-Länder und Regionen Europas gewollt. Brüssel hatte sich bisher zu Details der Verhandlungen nicht geäußert.
Am Freitag hatte EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis mit Chinas Handelsminister Wang Wentao gesprochen. Am Mittwoch, 30. Oktober, läuft die Frist für eine Entscheidung über die Zusatzzölle ab. Die EU-Kommission hatte allerdings schon über mehrere Kanäle zu verstehen gegeben, dass die Verhandlungen auch danach noch weitergehen können. ari
Die Zahl Neun 九 galt im kaiserlichen China als Symbolziffer. Zu ihr passt das lautgleiche Schriftzeichen 久 mit der Bedeutung “Auf ewig”. Auch für die Volksrepublik und deren Staatengründer Mao Zedong spielt die Neun eine wichtige Rolle. Seine von der Partei in Auftrag gegebene, neue Biografie ist eine neun Kilo schwere Mammut-Chronik in neun Bänden. “毛泽东年谱 1893-1976”. Band 1 beginnt mit Maos Geburt am 23. Dezember 1893 und der erstaunlich saloppe Beschreibung seines Vaters, der sich “aufs Geschäfte machen” verstand (善于经营) und es vom “armen, wohlhabenderen bis zum reichen Bauern” brachte. Band 9 schließt knapp: “9.9.1976: Zehn Minuten nach Mitternacht. Mao stirbt in Peking im 83. Lebensjahr.”
Doch dazwischen wird es schwerere Kost. Mehr als zehn Jahre arbeiteten KP-Forscher und Archivare an Chinas jüngster Version von Maos Lebensgeschichte. In ihr flossen die 1993er dreibändige Mao-Biographie 1893 bis 1949 und die sechs 2013 erschienenen Folgebände 1949 bis 1976 ein. Anlass für die Neuedition war Maos 130ster Geburtstag vergangenen Dezember. Parteichef Xi Jinping sagte in seiner Festrede, dass es mit ihm kein Abrücken von Mao geben wird. Denn Mao ließ China auferstehen, Deng Xiaoping machte es reich, und er mache es stark.
Für die Volksrepublik gilt weiterhin: Mao forever. Die Parteibiografen deuten in einer Nachbetrachtung vorsichtig an, dass ihre Mao-Darstellung ein Spagat sei, zwischen den ideologischen Forderungen Pekings gegen “historischen Nihilismus zu kämpfen und historische Zuversicht zu verbreiten” und ihrem Anspruch als Historiker, ein Werk zu schaffen, das “vor der Geschichte bestehen kann”.
Aufgabe der voluminösen Biografie, die mit einer auf 20 Bände erweiterten Neuausgabe der meisten Manuskripte erschien, (Umfang sieben Millionen Schriftzeichen) ist Mao zu verewigen, seine Massenopfer fordernden Kampagnen und fürchterlichen Untaten entweder zu verschweigen, zu relativieren oder zu verharmlosen. Von früheren Versuchen zur kritischen Aufarbeitung hat sich Peking inzwischen immer weiter entfernt. Dennoch hilft die Chronik mit ihren Fakten und 4.300 Anmerkungen, so manches Rätsel zu lösen.
Am 30. April 1976, als der körperlich hinfällige, kaum zu verstehende, aber weiter klar denkende Mao noch 18 Wochen zu leben hatte, wollte er plötzlich Neuseelands Premier Robert Maldoon sehen, der auf Besuch in Peking war. Maldoon eilte mitsamt seinem chinesischen Gastgeber und Vizepremier Hua Guofeng, der nach schweren innerchinesischen Wirren gerade als neuer Interimspräsident von Mao eingesetzt worden war, zum Wohnsitz des “Großen Vorsitzenden”. Sie trafen gegen 20 Uhr ein. Maldoon ging wieder nach symbolischer Kurzvisite. Hua aber musste bleiben und Mao über die aktuelle Lage briefen.
Die Chronik zitiert: “Hua sagte: Die Lage im Inland verbessert sich gerade. Aber international treten Probleme auf. Mir fehlt es an Erfahrungen, und ich tausche mich mit den Genossen im Politbüro dazu aus. Welchen Rat hat der Vorsitzende für mich? Mao sagte darauf: International steht die Richtung im Großem und Ganzen fest, sind die Probleme nicht so groß. Doch nach innen musst Du achtgeben.” Auf Zettel kritzelte er, was er sagen wollte: “Überstürze nichts. Geh behutsam vor”, “Handele so wie früher festgelegt”, und “Ich bin beruhigt, wenn Du Dich der Sache annimmst!” (你办事,我放心).
Das wäre belangloses Geplauder, wenn sich Hua nicht Maos Schmierzettel eingesteckt hätte. So aber holte er sie wenige Wochen später nach Maos Tod im Machtkampf um dessen Nachfolge als politisches Vermächtnis Maos an ihn hervor. Das war besonders wichtig, als er in einem Palastputsch am 6. Oktober 1976 Maos linksradikale Gefolgsleute um dessen Witwe Jiang Qing verhaften ließ.
Hunderte solcher, öffentlich oft noch unbekannter Anekdoten füllen die Biografie. Um es vorwegzunehmen: Die Geschichte des Diktator Mao, dessen meterhohes Porträt bis heute als Galionsfigur der Volksrepublik am Tiananmen-Tor hängt, dessen Gesicht auf allen Geldscheinen aufgedruckt ist, muss nicht umgeschrieben werden. Aber sie liefern autoritative Bausteine für das Puzzle, wie Maos totalitäres Machtsystem, seine Willkür und Personenkult funktionierten, eine Fundgrube für China-Forscher jedweder Couleur.
Das ist wichtig, weil der Zugang zu Chinas Archiven, der sich in Pekings Reformjahren zu öffnen begann, unter Xi wieder geschlossen wurde. Die 2013 erschienene, sechsbändige Vorläuferausgabe der Mao Chronik (1949 bis 1976) konnte viel Neues berichten. Sie enthüllte etwa, was Mao mit seinem zeitlebens mehr als 700 Besuchern aus aller Welt besprach. Darunter war etwa seine groteske Begegnung am 16. Januar 1975 in Changsha mit CSU-Chef Franz Josef Strauß, den er wegen seiner antisowjetischen Haltung besonders schätzte.
Die frühere Chronik dokumentierte erstmals auch, wo und wie Mao größenwahnsinnige Fehlentscheidungen parteiintern revidieren und zurücknehmen ließ. Allerdings tat er das – was die Chronik natürlich nicht schreibt. Immer nur im Nachhinein und unter Zwang, nachdem die von ihm angerichteten Katastrophen eingetreten waren. Zur Verantwortung dafür wurde Mao bis heute nie gezogen. Das Gleiche gilt für seine Vergötzung und seinen wahnwitzigen Personenkult, den heute auch Xi um sich entfachen lässt. Nach Angaben der Chronik hätte Mao den Kult um ihn allein in den ersten fünf Jahren seiner Kulturrevolution 15-mal kritisiert. Danach aber ließ es sich weiter verherrlichen.
Die dennoch informative 2013er-Chronik wurde mit 130.000 verkauften Exemplaren zum Bestseller. Viele chinesische Mao-Fans erhofften sich daher von der aktuellen neunbändigen Ausgabe noch mehr Enthüllungen. Sie wurden enttäuscht und fühlten sich betrogen. Blogger schrieben: “Ich war geschockt, als ich entdeckte, dass die neue Chronik nur eine einfache Kopie und Zusammensetzung der beiden früheren Chroniken war.”
Tatsächlich aber verbergen sich viele Neuerungen nicht im eigentlichen Text der Biografie. Statt zwischen den Zeilen muss man unter ihren Zeilen lesen. Die Parteiautoren haben ihre Chronik mit mehr als 4.300 Anmerkungen im Umfang von 300.000 Wörtern versehen. Xiong Huayuan, einer der Mitherausgeber erklärt warum: “Viele unserer Anmerkungen beziehen sich auf Dinge, die im Haupttext nicht erklärt werden … So können wir auch auf Gerüchte, Unwahrheiten und Zweifel eingehen.”
Ein Beispiel sind die bis heute unaufgeklärten Ereignisse, die zu Maos schwerster Krise führten. Am 13. September 1971 versuchte sein designierter Nachfolger und Kronprinz Lin Biao mit Frau und Sohn während der Kulturrevolution zu fliehen. Im Flug mit seinem Trident-Flugzeug Richtung Sowjetunion sterben sie bei einer Bruchlandung in der Mongolei.
Ausführlich schildert die Chronik aufgrund von Archivmaterial den Vorlauf zur Krise, enthüllt die Schachzüge, die ein bereits Lin misstrauender Mao zur Isolierung seines Nachfolgers unternimmt. Doch Lin überrascht Mao mit der unerwarteten Flucht. Zwei Tage verbringt Mao, zu seiner Sicherheit in die Große Halle des Volkes untergebracht, in Unruhe und Konfusion, wirkt paralysiert und entscheidungsunfähig. Bis er und Premier Zhou Enlai, der damalige Hauptvertraute Maos, am 14. September die Gewissheit erhalten, dass Lin Biaos Flieger abgestürzt und alle Insassen gestorben sind. Mao zieht sich darauf vom 15. bis 17. September wieder in seine Wohnresidenz zurück, trifft sich dort nur mit Zhou Enlai. Worüber sie in den zwei Tagen reden, wird nicht berichtet, können oder dürfen die Parteihistoriker nicht enthüllen.
Die Lin-Biao-Affäre konnte bis heute nicht wirklich aufgeklärt werden. In einer langen Anmerkung versuchen die Autoren der Chronik wenigstens anhaltende Gerüchte zu zerstreuen, dass Lins Flieger abgeschossen wurde, oder aufgrund von Feuer und Explosion an Bord abstürzte. Sie veröffentlichen dazu Informationen aus einem frühen Pekinger Untersuchungsbericht, der rekonstruiert, wie die Maschine bruchlandete, zuerst am Boden zerschellte und dann ausbrannte.
Mit der Methode detaillierter Anmerkungen versuchen die Autoren immer wieder, neue Infos und Antworten auf die vielen offenen Fragen in ihrer ultimativen Biografie zu geben. Denn fast ein halbes Jahrhundert nach dem Tod des “Großen Vorsitzenden” erlaubt Chinas Führung nicht, Mao als historische Figur zu begreifen und schon gar nicht seinen Werdegang und sein Tun und Trachten kritisch aufzuarbeiten. Die Partei ist auf Mao angewiesen. Warum das so ist, bringt eine neue dreiteilige Mao-Videodokumentation, die derzeit bei Arte läuft, in ihren Schluss-Sätzen besser auf den Punkt, als es die neunbändige Mammut-Chronik kann: “Wer China verstehen will, muss Mao verstehen … Er war weitaus komplexer als nur ein Monster. Aber selbst wenn: Das System trägt eine Mitschuld. Es erschuf das Monster und konnte es dann nicht mehr stoppen, Maos Schatten reicht bis in die Gegenwart, sein Erbe prägt China und lebt in Xi fort.”
Yao Zhou ist seit September General Managerin für die Region China bei der Hima Group. Zhou arbeitet seit 2016 für den Brühler Anbieter sicherheitsgerichteter Automatisierungslösungen für die Prozess- und Bahnindustrie. Zuletzt verantwortete sie die Bereiche Finanzen und Verwaltung, bevor sie im Januar 2024 zur Interim-Geschäftsführerin ernannt wurde.
Jonathan Czin hat im Oktober den Michael H. Armacost-Lehrstuhl für außenpolitische Studien am Brookings Institute übernommen. Als einer der führenden China-Experten bei der CIA war Czin von 2021 bis 2023 Direktor für China im Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses von Präsident Joe Biden und koordinierte die China-Politik der US-Regierung.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
Hungrig, doch zu faul, den Kochlöffel zu schwingen? Keine Lust, schon wieder beim Lieferservice zu bestellen (点外卖 diǎn wàimài)? Genug von öden Instantnudeln (方便面 fāngbiànmiàn) und nervigem Abwasch (不想洗碗 bù xiǎng xǐwǎn)?
Für alle Faulpelze (懒鬼 lǎnguǐ) und Stubenhocker (宅人 zháirén) gibt es gute Nachrichten: In China kann man Gerichte kaufen, die sich quasi von selbst zubereiten! Alles, was man dafür braucht, ist schnödes, raumtemperiertes Mineral- oder Leitungswasser.自热食品 zìrè shípǐn, auf Deutsch “selbsterhitzende Gerichte”, nennt man dieses Highlight im Supermarktregal. Es gibt Varianten mit Reis oder Nudeln, ja sogar brodelnden Feuertopf.
Wie funktioniert’s? Ganz einfach: Den Gerichten ist eine kleine “Hitzepackung” (加热袋 jiārèdài oder 发热包 fārèbāo) beigelegt, in der sich Branntkalk bzw. Calciumoxid befindet. Diese weiße, kristalline Substanz hat die Eigenschaft, bei der Reaktion mit Wasser über mehrere Minuten große Hitze freizusetzen – perfekt für das Garen von Fertiggerichten.
In den Regalen chinesischer Supermärkte und Mini-Marts tummeln sich Klassiker wie “Fischduftende Schweinefleischstreifen” (鱼香肉丝 yúxiāng-ròusī), Curry-Hähnchenwürfel (咖喱鸡丁 gālí jīdīng) oder “Tofu nach Hausmacherart” (家常豆腐 jiācháng dòufu) als selbsterhitzende Reisgerichte. Aber auch gebratenen Reis (自热炒饭 zìrè chǎofàn) und Reisnudeln (自热米线 zìrè mǐxiàn) gibt es in einer selbsterhitzenden Variante.
Ein besonders attraktiver Fang für faule Feinschmecker ist ohne Frage der selbsterhitzende Feuertopf (自热火锅 zìrè huǒguō). Neben einer Fertigmischung für die charakteristische Würzbrühe (火锅底料 huǒguō dǐliào) finden sich zum Beispiel Päckchen mit Lotuswurzelscheiben (藕片 ǒupiàn), Kartoffelstückchen (土豆片 tǔdòupiàn), Seetang (海带 hǎidài) und Bambusstreifen (笋片 sǔnpiàn) in der Packung. Verfeinert wird das Ganze mit Schinkenwürstchen (火腿肠 huǒtuǐcháng), Wachteleiern (鹌鹑蛋 ānchúndàn) und Glasnudeln (粉条 fěntiáo). Was will das Hotpot-Herz mehr?
Haltbar ist so ein Faulenz-Feuertopf übrigens etwa sechs bis zehn Monate. Man kann sich also getrost einen Vorrat für Schlechtwetterzeiten zuhause anlegen. Und auch auf Reisen, beispielsweise für Camping-Ausflüge und lange Zugfahrten ins Landesinnere oder zur innermongolischen Steppe, sind die Selbsterhitzer eine echte Alternative zum Aufbrühen von althergebrachten Fertignudeln (泡面 pàomiàn).
Doch man sollte es mit der Instant-Wut auch nicht übertreiben. Denn alle Zutaten der Gerichte sind einzeln feinsäuberlich in Plastik eingeschweißt. Und so bleibt am Schluss nicht nur ein voller Bauch, sondern auch ein voller Mülleimer zurück. Dennoch: Für den einen oder anderen Winter- oder Couch-Potato-Tag lohnt es sich durchaus, diese trendige Fertiggericht-Wunderwaffe in der Speisekammer zu bunkern. Vielleicht ja auch etwas gegen den Winterblues in Deutschland? Viele Asiamärkte in Europa jedenfalls haben die hippen Hotpots und Co. längst im Sortiment.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.