Table.Briefing: China

Indien als China 2.0 + Christoph Heusgen zu den Brennpunkten im Asien-Pazifik

Liebe Leserin, lieber Leser,

dass Indien ein vielversprechender Kandidat für eine De-Risking-Offensive der deutschen Wirtschaft ist, wurde am ersten Tag der Reise von Wirtschaftsminister Robert Habeck mehrfach betont. Dass es bei der Indien-Option als Alternative zur Volksrepublik China aber noch eine Reihe an offenen Fragen gibt, ist auch klar. Eine davon ist: Kann das bevölkerungsreichste Land der Welt überhaupt eine Industrie-Karriere hinlegen, wie es China einst seit der wirtschaftlichen Öffnung getan hat? – Muss es das überhaupt?

Angela Köckritz erklärt in ihrer Analyse, wie es um Indien als China 2.0 steht und welche Entscheidungen die indische Regierung treffen muss, um einen ähnlichen Aufstieg wie die Volksrepublik hinzulegen. 

Und eine zweite offene Frage: Wie steht es um die Sicherheitspolitik der Region? In den Gesprächen mit indischen Politikern habe man ihm klargemacht: “Für uns ist China wie für euch Russland”, sagte Habeck. Der Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, wirft in unserem heutigen Standpunkt einen Blick in die Region und die bereits bestehenden und möglichen Konfliktherde. 

Heute ist auch Bundeskanzler Olaf Scholz in der indischen Hauptstadt gelandet, gemeinsam mit Habeck und Siemens-Chef Roland Busch wird er die Asien-Pazifik-Konferenz eröffnen. Am Abend ist zur Gala geladen. Ihre Eindrücke vom ersten Tag schildert Julia Fiedler auch im Podcast Table.Today. Hören Sie gerne rein!  

Namasté aus Neu-Delhi!

Ihre
Amelie Richter
Bild von Amelie  Richter

Analyse

Vorbild China: Wie Indien seine eigenes Wirtschaftswunder schaffen könnte

Ein Angestellter ist an einer Strickmaschine in Kolkata, Indien, beschäftigt.

“Wir Inder lieben es, uns mit China zu vergleichen”, schreibt Ritesh Singh, Geschäftsführer der Beratungsfirma Indonomics Consulting. Doch bei allem Großartigen, was Indien zu bieten hat, fiel dieser Vergleich wirtschaftlich lange sehr zuungunsten der Inder aus. Jetzt aber wächst die indische Wirtschaft mit beachtlichen Raten.

Noch vor 40 Jahren waren Chinesen im Durchschnitt ärmer als ihre Nachbarn. In China verdienten Menschen im Jahr 1984 etwa 250 US-Dollar im Jahr, in Indien waren es 278 US-Dollar. Dann aber setzte sich in China ein Wirtschaftswunder in Gang, wie es die Welt noch nicht erlebt hat. In 40 Jahren ist das chinesische Durchschnittseinkommen um das Fünfzigfache gestiegen. Es liegt heute bei 12.614 US-Dollar, in Indien sind es gerade mal 2.485 US-Dollar. Die chinesische Wirtschaft ist also fünfmal so schnell gewachsen wie die indische. Für indische Wirtschaftsplaner stellt sich seither die Frage: Könnte es gelingen, einen ähnlichen Aufstieg zu entfachen?

In jüngster Zeit sieht es nicht so schlecht aus. In der zehnjährigen Amtszeit des Premierministers Narendra Modi ist Indien an vielen anderen Staaten vorbeigezogen. Im vergangenen Jahr löste es Großbritannien als fünft stärkste Volkswirtschaft der Welt ab. Die US-Investmentbank Morgan Stanley geht davon aus, dass das Land auch Japan und Deutschland bis 2027 überholen und zur drittstärksten ökonomischen Kraft der Welt aufsteigen könnte. “Wir glauben, dass Indien in den kommenden Jahren die unwiderstehlichste Wachstumschance Asiens bieten wird”, schreiben die Analysten.

Indien: Besonders viele Junge treten in den Arbeitsmarkt ein

Das Wachstum liegt derzeit bei sieben Prozent, Banken und Staatsfinanzen sind stabil, die Börse boomt, allerorten entstehen neue Straßen, Flughäfen und U-Bahnen. An den Stränden Goas vergnügen sich heute weniger westliche Hippies denn Techies, Banker und Anwälte der aufstrebenden indischen Mittelklasse aus Mumbai, Delhi und Bangalore.

Narendra Modis Vision hat seinem Volk mit “Viksit Bhara 2047” versprochen, bis zum Jahr 2047 zu den entwickelten Volkswirtschaften zu zählen. Die Demografie könnte ihm dabei in die Hände spielen. Während die chinesische Gesellschaft in Zukunft sehr schnell altern wird, erlebt die indische jene arbeitsmarkttechnisch ideale Ära, in der viele junge Menschen in den Arbeitsmarkt eintreten und es noch relativ wenig alte Menschen zu versorgen gilt. Dieser Zustand wird etwa 25 Jahre lang andauern, dann wird auch die indische Gesellschaft altern.

Zudem hofft Indien auf all jene multinationalen Konzerne, die im Zuge wachsender geopolitischer Spannungen bemüht sind, ihre Produktion zumindest teilweise aus China weg zu verlagern. Das bekannteste Beispiel ist Apple, das derzeit sieben Prozent seiner iPhone-Produktion nach in Indien verlegt hat.

Keine Industrieproduktion im großen Stil

Eines aber hat Modinomics, die Wirtschaftsstrategie der regierenden Bharatiya Janata Partei (BJP), deren Bezeichnung sich vom Namen des Regierungschefs Modi ableitet, bislang nicht liefern können: ausreichend Jobs. Millionen junger Menschen strömen auf den Arbeitsmarkt, werden dort bei ihrer Suche aber nicht alle fündig. Viele Analysten wollen den Zahlen der Regierung, wonach die Jugendarbeitslosigkeit von 17,8 Prozent im Jahr 2018 auf jetzt zehn Prozent gefallen sei, nicht so recht Glauben schenken.

Laut einer Studie der International Labour Organisation sind 83 Prozent der indischen Arbeitslosen jung und die meisten dieser jungen Arbeitslosen sind gebildet. Doch selbst, jene, die einen Job haben, verdienen oft nicht viel. 80 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung sind im inoffiziellen Sektor tätig, wo die Einkommen oft sehr viel niedriger sind.

Die Krux: Im Gegensatz zu China verfügt Indien bislang über keine Industrieproduktion im großen Stil. China, die einstige Werkbank der Welt, fertigt 35 Prozent aller global gefertigten Güter. Indien, das China als bevölkerungsreichstes Land der Welt abgelöst hat und 18 Prozent der Weltbevölkerung repräsentiert, fertigt nur drei Prozent.

Gewaltiger Umbruch von der Landwirtschaft zur Fabrik

Industrialisierung war bislang der einzige Weg, mit dem Länder massenhaft Arbeitsplätze schaffen konnten. Fast alle entwickelten Länder gingen diesen Pfad. Der französische Wissenschaftler Jean Fourastié beschrieb in seinem Drei-Sektoren-Modell die idealtypische Entwicklung einer Volkswirtschaft zur Dienstleistungsgesellschaft, wonach zunächst Bauern in die Industrieproduktion eintreten. Die zunehmende Automatisierung führe zu mehr Freizeit der Arbeitskräfte, was den Dienstleistungssektor stärke.

Als Mitte des 18. Jahrhunderts in Großbritannien die industrielle Revolution einsetzte, machte die Textilindustrie den Anfang. Englische Manufakturen lieferten Hosen und Hemden bis nach Indien. Andere Länder folgten dem britischen Beispiel, meist stand die Textilindustrie am Anfang (eine Ausnahme bildet Deutschland, dort entwickelte sich die Schwerindustrie zur Leitindustrie). Der Schritt von der Landwirtschaft zur Fabrik ist ein gewaltiger kultureller Umbruch – man muss dazu nur deutsche Quellen aus dem 19. Jahrhundert lesen.

China produzierte bis zu 60 Prozent der weltweiten Textilien

Die Bekleidungsindustrie steht meist am Beginn, weil die Arbeiterinnen (meist sind es Frauen), die oft aus der Landwirtschaft kommen, relativ schnell eingearbeitet werden können, die Produktionsprozesse sind überschaubar komplex. Auch “Asiens Aufstieg wurde von der Textilindustrie zusammengenäht”, schreibt der Economist. Länder, die sich erfolgreich industrialisieren, arbeiten sich im Laufe der Jahre die Wertschöpfungskette empor. Textil, Elektronik und irgendwann High Tech. Die Arbeiter werden immer besser ausgebildet, die Fertigungsprozesse komplexer, Kapital für neue Investitionen wird freigesetzt, der Staat hat mehr Geld, um in Bildung und Forschung zu investieren. Besonders gut lässt sich das am Beispiel Chinas studieren, das bis vor kurzem sechs von zehn Kleidungsstücke auf dem Weltmarkt produzierte.

Warum ist Indien nicht den Weg gegangen, den die asiatischen Tigerstaaten und später China vormachten? In seinem Buch “India’s Economy from Nehru to Modi” zählt der indische Wirtschaftswissenschaftler Pulapre Balakrishnan vier Gründe auf. Das größte Problem sieht er im Bildungssystem. Indien ist zwar berühmt für seine Schriftsteller, seine gut ausgebildeten Ingenieure, IT-Spezialisten und Ärzte, an vielen Orten aber seien die Schulen so schlecht, dass Kinder an einfachsten Rechenaufgaben scheitern. Auch die Infrastruktur lasse oft zu Wünschen übrig, und die Verwaltung lege Unternehmern viele Steine in den Weg. Das bestätigt auch Vidya Mahambare, Wirtschaftsprofessorin an der Great Lakes University in Chennai im Interview mit Table.Briefings. “Im Gegensatz zu Dienstleistungsindustrien hat die verarbeitende Industrie traditionell mehr Probleme, eine Vielzahl von verschiedenen Lizenzen zu bekommen.”

Kann Indien die Industrialisierung überspringen?

Diese Probleme hemmen Indien, als zweitgrößter Baumwollproduzent der Welt in die Bresche zu springen, während in China die Löhne steigen und sich die Bekleidungsindustrie auf andere Länder verteilt. Vietnam und Bangladesch profitieren mehr als Indien. Diese Konstellation spiegelt das grundsätzliche Dilemma aller Länder wider, die sich viel später industrialisieren als China: Der Wettbewerb ist sehr viel härter geworden. Neue Akteure drängen auf den Weltmarkt und versuchen, die Mitbewerber bei den Produktionskosten zu unterbieten, während sich die Produktion immer weiter automatisieren wird. Und kein Land hat dadurch die gleiche Macht, wie China sie hatte, das die Regeln oft zu seinen Gunsten verschieben konnte.

Gut möglich, dass es Indien verpasst habe, “auf den Bus der verarbeitenden Industrie zu springen”, sagt Raghuram Rajan. Er leitete einst die indische Zentralbank, heute ist er Professor an der Chicago Booth School of Business. Stattdessen solle sich Indien lieber ganz auf die Entwicklung seiner Dienstleistungsindustrie konzentrieren. Dieser Sektor boomt, nicht nur im Digitalbereich. JP Morgan beschäftigt beispielsweise 3.000 Rechtsanwälte in Indien, die Verträge für das weltweite Geschäft der Investmentbank ausarbeiten. Zudem haben multinationale Konzerne ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen in Indien angesiedelt.

Rajans Strategie: Leapfrogging. Das bedeutet, eine Entwicklungsstufe zu überspringen. Statt auf Fabriken setzen, sollte Indien dem Rest der Welt lieber hoch spezialisierte Dienstleistungen wie Telemedizin, Consulting oder Design anbieten. Noch ist dies keinem Land im großen Stil gelungen, wenngleich viele Entwicklungsländer vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Doch Rajan glaubt, dass Indien gute Voraussetzungen dafür habe. Viele Inder sprechen sehr gut Englisch, seit der Pandemie ist Remote Work weit verbreitet und die Löhne in Indien sind noch immer sehr viel niedriger als in hoch entwickelten Industrieländern. Damit diese Strategie aufgehe, müsse sich die Regierung allerdings voll und ganz auf Bildung konzentrieren. Oder wie Rajan es ausdrückt: from brawn to brain. Von der Muskelkraft zum Hirn.

  • Asien-Pazifik-Konferenz
  • Demografie
  • Globalisierung
  • Indien
  • Industriepolitik
  • Konjunktur
  • Weltwirtschaft
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Termine

25.10.2024, ab 09:45 Uhr (Ortszeit Neu-Delhi)
Offizielle Konferenzeröffnung, Taj Palace Conference Venue, vor Ort: Sprecher: Peter Adrian (DIHK-Präsident),Roland Busch (Siemens), Piyush Goyal (Handelsminister Indien), Robert Habeck (Bundeswirtchaftsminister)

25.10.2024, 10:10 Uhr (Ortszeit Neu-Delhi)
Panel mit Roland Busch (Siemens), Robert Habeck (Bundeswirtschaftsminister), Namgyal Dorji (Industrie-Minister Buthan) und Piyush Goyal (Handelsminister Indien): Reshaping Globalisation – Talk with Ministers from Asia-Pacific Lesen Sie dazu vorab auch: Interview mit Dismas Kizito Mokua “China kann Kenia als Sprungbrett für die Globalisierung der Märkte und der Produktion in Afrika nutzen”

25.10.2024, ab 11:00 Uhr
Keynotes: Bundeskanzler Olaf Scholz und Indiens Premier Narendra Modi

25.10.2024, ab 12:00 Uhr
Panel mit Anne-Laure Parrical de Chammard (Executive Board, Siemens Energy & Siemens Energy Management), Ishan Palit (TÜV SÜD), Sanjiv Puri ()President, Confederation of Indian Industry, Chana Poomee (Siam Cement Group) Keen on green: Sustainability Strategies of German and Asian Companies Lesen Sie dazu vorab auch: “Dekarbonisierung birgt Chancen für deutsche Unternehmen”

25.10.2024, ab 13:00 Uhr
AHK Business Lunches Drei Gruppen: Sri Lanka und Indien (Raum Rani Bagh); Australien und Neuseeland (Raum Shah Jahan); Malaysia, Singapur und Thailand (Raum Raja Bagh)

25.10.2024, ab 14:30 Uhr
Panel mit Anna Maria Braun (B. Braun), Markus Kamieth (BASF), Jongbum Park (Samsung Southwest Asia), Anish Shah (President, Federation of Indian Chambers of Commerce and Industry Group CEO & Managing Director, Mahindra Group) The Triple D: Derisking, Decoupling, Diversification – a Companies’ Perspective Lesen Sie dazu vorab auch: “De-Risking: Was Deutschland von Japan, Südkorea und Taiwan lernen kann”

25.10.2024, ab 15:30 Uhr
Start-up-Pitch, Tech-Talk und German Asia-Pacific Startup Award Future AI

25.10.2024, ab 18:30 Uhr
Abendveranstaltung, vor Ort in Yashobhoomi India International Convention & Expo Centre India Evening

News

Lieferketten: Was für den Erhalt des deutschen Gesetzes spricht

Die angekündigte Abschaffung des deutschen Lieferkettengesetzes von Bundeskanzler Olaf Scholz stößt bei Experten für Nachhaltigkeit auf Kritik. Lisa Fröhlich, Professorin für strategische und nachhaltige Beschaffung und Gründerin der Denkfabrik Ispira, fordert die Politik im Gespräch mit Table.Briefings auf, “die Finger von dem Gesetz zu lassen”. Ihrer Ansicht nach sei das Lieferkettengesetz sogar ein Wettbewerbsvorteil für hiesige Unternehmen. “Denn so müssen sich Unternehmen mit ihren Lieferketten beschäftigen – das ist notwendig. Denn nur wer seine Lieferketten kennt, kann auch seinen Impact bestimmen und beeinflussen. Das gilt für CO2-Emissionen genauso wie für Menschenrechte in der Lieferkette”, sagte Fröhlich.

Eine Abschaffung hätte fatale Folgen, “weil die Einkäufer in Unternehmen zentral dafür sind, sich das Wissen über Lieferketten zu beschaffen. Ohne Nachhaltigkeit gibt es keine resilienten Lieferketten mehr. Wenn wir nun die Berichtspflichten wegnehmen, kippt alles um”, warnt Fröhlich. Sie empfiehlt den Unternehmen deshalb, auch weiterhin aufmerksam ihre Lieferketten zu beobachten und nachzuvollziehen, zumal die europäische Lieferkettenrichtlinie und Berichtspflichten ohnehin Bestand haben würden.

Das Gesetz über die “unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten” verpflichtet deutsche Unternehmen seit 2023, “ihrer globalen Verantwortung besser nachzukommen”, wie es die Bundesregierung bei seiner Einführung formuliert hat. Seit 2024 gilt es für Betriebe mit mindestens 1.000 Beschäftigten in Deutschland. Noch zu Beginn des Jahres hatte es geheißen, dass das Gesetz für Rechtssicherheit sorge und Wettbewerbsnachteile für Unternehmen abbaue, die bereits freiwillig in ein nachhaltiges Lieferkettenmanagement investierten. Nach anhaltenden Protesten von Arbeitgeberverbänden wegen des großen bürokratischen Aufwandes kündigte Scholz kürzlich die Abschaffung des Gesetzes an. grz

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Menschenrechte: Deutschland fordert Freilassung willkürlich Inhaftierter in Tibet und Xinjiang

Deutschland und 14 weitere Staaten haben vor der UN-Generalversammlung ernsthafte Besorgnis über Menschenrechtsverletzungen in Tibet und Xinjiang geäußert. In einer gemeinsamen Erklärung, die der australische Botschafter James Larsen vortrug, forderte die Gruppe “die Freilassung aller willkürlich in Xinjiang und Tibet inhaftierten Personen sowie die dringende Aufklärung des Schicksals und des Verbleibs vermisster Familienmitglieder.”

Die Erklärung bezog sich auf die Ergebnisse der UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen, die zahlreiche Fälle in beiden Regionen dokumentiert hat. Die Erkenntnisse stützen sich weitgehend auf Chinas eigene Aufzeichnungen und liefern detaillierte Beweise für willkürliche Inhaftierungen in großem Umfang. Auch seien Familientrennungen, das Verschwindenlassen von Menschen, Fälle von Zwangsarbeit, systematischer Überwachung aufgrund von Religion und ethnischer Zugehörigkeit, Einschränkungen der kulturellen, religiösen und sprachlichen Identität und Ausdrucksform, Folter und sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt nachgewiesen.

China habe viele Gelegenheiten verstreichen lassen, die “begründeten Bedenken der UN sinnvoll auszuräumen”, hieß es in der Erklärung. Stattdessen habe das Land die Bewertung der Situation durch das UN-Kommissariat für Menschenrechte als “illegal und nichtig” bezeichnet.

Die International Campaign for Tibet (ICT) begrüßte die Erklärung der 15 Staaten, zu denen neben Deutschland und Australien auch Kanada, Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Island, Japan, Litauen, Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Schweden und die USA gehörten.

“Es ist ermutigend, dass die 15 Länder ihren Blick nach Tibet richten und Konsequenzen für die Menschenrechtsverletzungen fordern, für die das kommunistische Regime in China verantwortlich ist. Weitere Staaten der internationalen Gemeinschaft sollten sich den Forderungen anschließen und die chinesische Regierung ebenfalls mit Nachdruck auffordern, unabhängigen Beobachtern, auch von den Vereinten Nationen, uneingeschränkten Zugang nach Tibet zu gewähren, um die Menschenrechtslage dort zu bewerten”, erklärte ICT-Geschäftsführer Kai Müller. grz

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Dual Use: Diese chinesischen Firmen verklagen das Pentagon

Der weltweit größte Hersteller von Lasersensoren für Elektrofahrzeuge, die chinesische Hesai Group, plant eine Klage gegen die US-Regierung. Das Pentagon hatte Hesai vor wenigen Tagen zum zweiten Mal auf die schwarze Liste jener Firmen gesetzt, denen es eine Zusammenarbeit mit dem Pekinger Militär vorwirft. Erstmals war Hesai im Januar vorübergehend gelistet worden. Aufgrund “neuester verfügbarer Informationen” hat sich das US-Justizministerium jetzt abermals zu diesem Schritt entschieden.

David Li, Mitbegründer und Geschäftsführer von Hesai, rechtfertigte gegenüber der Financial Times die Klage: “Wir sind kein Militärunternehmen”, sagte er. “Wir arbeiten unabhängig, frei von staatlicher Kontrolle oder militärischer Beteiligung”. Die Bemühungen von Hesai, direkt mit US-Offiziellen über ihre Bedenken zu sprechen, seien erfolglos gewesen, so Li.

Damit wächst die Gruppe chinesischer Unternehmen, die das US-Verteidigungsministerium vor Gericht herausfordern wollen. Der größte Drohnenhersteller der Welt, DJI, und der Chipausrüster Advanced Micro-Fabrication Equipment klagen ebenfalls gegen das Verteidigungsministerium, weil sie auf der gleichen schwarzen Liste wie Hesai stehen.

Der US-Kongress hatte im Jahr 2021 ein Gesetz verabschiedet, das das Pentagon verpflichtet, eine Liste “chinesischer Militärunternehmen” zu erstellen. Das Unternehmen mit Sitz in Shanghai war im Januar vom US-Verteidigungsministerium zusammen mit mehr als einem Dutzend anderer Firmen auf die Liste gesetzt, später aber davon gestrichen worden.

Die Aufnahme in die schwarze Liste des Verteidigungsministeriums hindert Hesai nicht daran, Produkte in den USA zu verkaufen. Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Yole Group hält das Unternehmen etwa 40 Prozent des Weltmarktes für Lidarsensoren, darunter auch für Robotertaxis. rtr/mcl

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Taiwan: EU-Parlament verurteilt Chinas Militärmanöver

Das EU-Parlament hat die Militärmanöver Chinas vor Taiwan Mitte Oktober verurteilt. Die anhaltenden militärischen Provokationen und die Aufmärsche der Volksrepublik änderten das Kräfteverhältnis im Indopazifik, hieß es in einer Resolution, die das Europaparlament am Donnerstag mit großer Mehrheit verabschiedete. Es war die erste Taiwan-bezogenen Resolution seit der Neuzusammensetzung des Europaparlaments.

Die EU-Abgeordneten kritisierten außerdem die “ständige Verzerrung der UN-Resolution 2758 durch die Volksrepublik China und ihre Bemühungen, die Teilnahme Taiwans an multilateralen Organisationen zu blockieren”. Die EU-Parlamentarier betonen, dass die Resolution 2758 aus dem Jahr 1971 das “Ein-China”-Prinzip der Volksrepublik nicht billige.

Die damalige Resolution der Generalversammlung betraf stattdessen die Instandsetzung der Rechte der Volksrepublik China in den Vereinten Nationen. Peking deutet das Papier seither, dass die UN-Mitgliedsstaaten durch die Resolution zu dem Schluss gekommen seien, dass Taiwan ein Teil der Volksrepublik sei. China versuche, “die Geschichte und internationale Regeln zu verfälschen”, hieß es.

Das EU-Parlament forderte die Mitgliedsstaaten auf, Taiwans Teilnahme in internationalen Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation, der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation, Interpol und dem Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen zu unterstützen. ari.

  • Diplomatie
  • EU-Außenpolitik
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  • Vereinte Nationen

Presseschau

China says not aware of North Korean troops in Russia REUTERS
Kehrtwende: Warum Xi Jinping plötzlich auf Konjunkturhilfen setzt CAPITAL
IMF”s Georgieva says China risks “way below” 4% growth unless reforms are made REUTERS
Chinesischer Automarkt nimmt im Oktober Schwung auf T-ONLINE
Chinas Klima- und Umweltpolitik: “Entscheidend ist, wie es mit Chinas Emissionshandel weitergeht” KLIMA REPORTER
China”s appetite for thermal coal driving up imports, prices REUTERS
Kaja Kallas kritisiert Chinas “unlauteren Wettbewerb” EURONEWS
China struggles to break US chip design ‘chokehold’ FINANCIAL TIMES
Indonesia says it drove Chinese coastguard ships out of disputed waters FINALCIAL TIMES
China, Iran und Russland: Microsoft warnt vor ausländischer Beeinflussung der US-Wahl SPIEGEL
Taiwan president to visit frontline islands with China for battle anniversary REUTERS
New York Times: Chinas Panda-Erfolge geschönt DEUTSCHLANDFUN KNOVA
Goldene Woche: Chinesen sorgen für Boom bei Hotelbuchungen FVW

Standpunkt

Heusgen: Im Indopazifik können jederzeit militärische Auseinandersetzungen ausbrechen

Christoph Heusgen ist seit 2022 Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC).

Als wären der Krieg Russlands gegen die Ukraine und der Nahostkonflikt nicht genug der Krisen für diese Welt … Nein, auch im indopazifischen Raum können jederzeit militärische Auseinandersetzungen ausbrechen. An den meisten Spannungen ist die Volksrepublik China direkt oder indirekt beteiligt.

Mit Xi Jinping ist dort ein Machthaber am Werk, der sehr viel nationalistischer und aggressiver agiert als alle seine Vorgänger von Deng Xiaoping bis Hu Jintao. Die Bündelung der Macht in der Hand eines Menschen erhöht die Gefahr des Ausbruchs von Konflikten, wie wir es ja auch bei Wladimir Putin erlebt haben und immer noch erleben.

Annäherung Indiens an die USA besorgt China

Um mit den (relativ) guten Nachrichten zu beginnen: die Grenzscharmützel zwischen Indien und China im Himalaya, bei denen es noch 2020 Dutzende Tote gegeben hat, sind abgeflaut; die Chinesen haben ihre Provokationen eingestellt. Vor wenigen Tagen haben die beiden Länder sogar ein Abkommen unterzeichnet.

Vermutlich beobachtet China die Annäherung Indiens an die USA insbesondere in dem von Präsident Biden wiederbelebten Quad-Format (gemeinsam mit Japan und Australien) mit Sorge und will sie nicht zusätzlich befördern. Und es ist der Glaubwürdigkeit der von China vorangetriebenen Brics-Vereinigung abträglich, wenn sich zwei ihrer wichtigsten Mitglieder bis an die Zähne bewaffnet gegenüberstehen. 

Auch die Entspannung in den Beziehungen zwischen Südkorea und Japan gehört zu den positiven Entwicklungen. Aber damit hört es auch schon mit den guten Nachrichten auf.

Dauerbrenner Nordkorea

Die Taliban regieren weiterhin mit ihren mittelalterlichen Methoden Afghanistan, wobei China ihr wirtschaftlicher Schlüsselpartner geworden ist, der die Rohstoffe des gebeutelten Landes ausbeutet. China ist auch privilegierter Partner der Militärjunta in Myanmar, wo der Bürgerkrieg weiter brodelt. Über die rund eine Million vertriebenen und geflüchteten Rohingya wird kaum noch geredet.

Zu den schlechten Nachrichten gehört auch der Dauerbrenner Nordkorea. Die aus der russischen Not entstandene Aufwertung der Diktatur von Kim Jong-un hat diesen selbstbewusster und gegenüber Südkorea noch angriffslustiger werden lassen. Russland importiert Waffen und Söldner aus Nordkorea, als Gegenleistung blockiert Putin das UN-Sanktionsregime gegen das Land und unterstützt sein Nuklear- und Raumfahrtprogramm. (Ob China das gefällt, bezweifle ich, verliert es doch seine privilegierte Stellung gegenüber Pjöngjang.)

Militärische Invasion auf absehbare Zeit unwahrscheinlich

Ebenfalls unter die Rubrik schlechte Nachrichten fällt die kontinuierlich aggressiver werdende Politik der Volksrepublik China gegenüber Taiwan. Die Verletzungen der taiwanesischen Territorialgewässer nehmen zu, und China übt mit seinen riesigen Seestreitkräften die Blockade der Insel. Der Druck auf Taiwan wächst; Xi hat seine Einverleibung angekündigt und den Einsatz militärischer Mittel zu diesem Zweck nicht ausgeschlossen. Auch mit Propaganda, juristischen Drohungen, Desinformationskampagnen versucht Peking, Taipeh mürbe zu machen – bisher vergeblich.

Trotz allen Säbelrasselns halte ich eine militärische Invasion auf absehbare Zeit für unwahrscheinlich. Dies hat mit der für China unkalkulierbaren US-Reaktion zu tun und mit den auch für die chinesische Wirtschaft dramatischen Auswirkungen einer möglichen Zerstörung der Fabriken des taiwanesischen Halbleiter-Weltmarktführers TSMC. Die finanziellen Folgen für die chinesische und die Weltwirtschaft wären gigantisch; Schätzungen gehen in Richtung zweistelliger Billionenbeträge.

Konflikt mit den Philippinen am gefährlichsten

Aktuell besteht die noch größere Gefahr des Ausbruchs einer kriegerischen Auseinandersetzung im benachbarten Südchinesischen Meer. Hier versucht China systematisch, die durch das Völkerrecht nicht zu rechtfertigende Ausweitung seiner Territorialgewässer voranzutreiben. Immer wieder kommt es zu kleineren Seescharmützeln. Am gefährlichsten ist der Konflikt zwischen China und den Philippinen.

Auch durch das verbindliche Urteil eines UN-Schiedsgerichts lässt sich die Volksrepublik nicht von weiteren Provokationen gegen den Inselstaat abschrecken. Die USA unterstützen die philippinischen Streitkräfte und stationieren eigene in dem Land. Aufgrund des US-philippinischen Unterstützungsabkommens besteht die reale Gefahr, dass es zu einer Involvierung der amerikanischen Marine kommt, sollte China erneut in die philippinischen Hoheitsgewässer eindringen und dabei etwa philippinische Schiffe angreifen und philippinische Soldaten töten. 

Um das Gesamtbild zu vervollständigen: Auch die Japaner können ein Lied singen von den chinesischen Drohgebärden zu Wasser und in der Luft: in diesem Sommer ist der japanische Luftraum zum ersten Mal durch ein chinesisches Flugzeug verletzt worden.

Bundesregierung zeigt Präsenz

Die USA verbleiben die wichtigste Ordnungsmacht in der Region. Sie bemühen sich mit ihren regionalen Partnern, die Lage in der Region stabil zu halten und den Chinesen Paroli zu bieten. Die Entscheidung der Bundesregierung, ihre Solidarität mit den in Asien unter Druck stehenden Partnerländern nicht nur verbal, sondern in diesem Jahr auch durch die Teilnahme der Luftwaffe an Manövern in der Region und mit dem Abstecher einer deutschen Fregatte unter anderem nach Japan, Südkorea und in die Philippinen und vor allem ihrer Durchfahrt durch die Taiwanstraße demonstrativ zu bekunden, wird dort sehr begrüßt.

Auch die Lieferung deutscher Taurus-Lenkflugkörper nach Südkorea ist ein starkes Zeichen, auf das die Ukraine bis heute vergeblich wartet. Die nächste Gelegenheit für die Bundesregierung zu zeigen, dass sie es mit der Sicherheit im asiatischen Raum ernst meint, sind die Regierungskonsultationen mit Indien diese Woche.

Christoph Heusgen ist seit 2022 Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Er lehrt Politikwissenschaft an der Universität St. Gallen. Christoph Heusgen war von 2017 bis 2021 Ständiger Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen. Davor und seit 2005 war Heusgen außen- und sicherheitspolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Hinweis der Redaktion: Über China zu diskutieren heißt heute mehr denn je – kontrovers debattieren. Wir möchten die Vielfalt der Standpunkte abbilden, damit Sie einen Einblick in die Breite der Debatte gewinnen können. Standpunkte spiegeln nicht die Meinung der Redaktion wider.

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Personalien

Dariusch Deermann ist seit September Technical Project Lead im Bereich Electronics/eDrive bei VW China. Der Diplom-Physiker arbeitete zuvor zweieinhalb Jahre als Consultant bei der Unternehmensberatung P3 in Peking. Sein neuer Einsatzort ist Tianjin.

Michael Grossmann hat bei Bosch Automotive Products in Suzhou den Posten des VP Engineering Mobility Electronics übernommen. Grossmann ist seit Mai 2019 für Bosch in China tätig. Zuletzt arbeitete der Diplomingenieur in Shanghai als VP Head of Corporate Research and Technology Center Asia Pacific.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

Dessert

An “Herr Olaf Scholz” kommt man in Neu-Delhi dieser Tage nicht vorbei – der Stadtteil, in dem sich die deutschen Delegationen rund um den Bundeskanzler und die Minister bewegen, ist zugehängt mit Grußbotschaften an den deutschen Regierungschef, mal abgebildet mit Indiens Premier Narendra Modi, mal allein.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    dass Indien ein vielversprechender Kandidat für eine De-Risking-Offensive der deutschen Wirtschaft ist, wurde am ersten Tag der Reise von Wirtschaftsminister Robert Habeck mehrfach betont. Dass es bei der Indien-Option als Alternative zur Volksrepublik China aber noch eine Reihe an offenen Fragen gibt, ist auch klar. Eine davon ist: Kann das bevölkerungsreichste Land der Welt überhaupt eine Industrie-Karriere hinlegen, wie es China einst seit der wirtschaftlichen Öffnung getan hat? – Muss es das überhaupt?

    Angela Köckritz erklärt in ihrer Analyse, wie es um Indien als China 2.0 steht und welche Entscheidungen die indische Regierung treffen muss, um einen ähnlichen Aufstieg wie die Volksrepublik hinzulegen. 

    Und eine zweite offene Frage: Wie steht es um die Sicherheitspolitik der Region? In den Gesprächen mit indischen Politikern habe man ihm klargemacht: “Für uns ist China wie für euch Russland”, sagte Habeck. Der Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, wirft in unserem heutigen Standpunkt einen Blick in die Region und die bereits bestehenden und möglichen Konfliktherde. 

    Heute ist auch Bundeskanzler Olaf Scholz in der indischen Hauptstadt gelandet, gemeinsam mit Habeck und Siemens-Chef Roland Busch wird er die Asien-Pazifik-Konferenz eröffnen. Am Abend ist zur Gala geladen. Ihre Eindrücke vom ersten Tag schildert Julia Fiedler auch im Podcast Table.Today. Hören Sie gerne rein!  

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    Amelie Richter
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    Ein Angestellter ist an einer Strickmaschine in Kolkata, Indien, beschäftigt.

    “Wir Inder lieben es, uns mit China zu vergleichen”, schreibt Ritesh Singh, Geschäftsführer der Beratungsfirma Indonomics Consulting. Doch bei allem Großartigen, was Indien zu bieten hat, fiel dieser Vergleich wirtschaftlich lange sehr zuungunsten der Inder aus. Jetzt aber wächst die indische Wirtschaft mit beachtlichen Raten.

    Noch vor 40 Jahren waren Chinesen im Durchschnitt ärmer als ihre Nachbarn. In China verdienten Menschen im Jahr 1984 etwa 250 US-Dollar im Jahr, in Indien waren es 278 US-Dollar. Dann aber setzte sich in China ein Wirtschaftswunder in Gang, wie es die Welt noch nicht erlebt hat. In 40 Jahren ist das chinesische Durchschnittseinkommen um das Fünfzigfache gestiegen. Es liegt heute bei 12.614 US-Dollar, in Indien sind es gerade mal 2.485 US-Dollar. Die chinesische Wirtschaft ist also fünfmal so schnell gewachsen wie die indische. Für indische Wirtschaftsplaner stellt sich seither die Frage: Könnte es gelingen, einen ähnlichen Aufstieg zu entfachen?

    In jüngster Zeit sieht es nicht so schlecht aus. In der zehnjährigen Amtszeit des Premierministers Narendra Modi ist Indien an vielen anderen Staaten vorbeigezogen. Im vergangenen Jahr löste es Großbritannien als fünft stärkste Volkswirtschaft der Welt ab. Die US-Investmentbank Morgan Stanley geht davon aus, dass das Land auch Japan und Deutschland bis 2027 überholen und zur drittstärksten ökonomischen Kraft der Welt aufsteigen könnte. “Wir glauben, dass Indien in den kommenden Jahren die unwiderstehlichste Wachstumschance Asiens bieten wird”, schreiben die Analysten.

    Indien: Besonders viele Junge treten in den Arbeitsmarkt ein

    Das Wachstum liegt derzeit bei sieben Prozent, Banken und Staatsfinanzen sind stabil, die Börse boomt, allerorten entstehen neue Straßen, Flughäfen und U-Bahnen. An den Stränden Goas vergnügen sich heute weniger westliche Hippies denn Techies, Banker und Anwälte der aufstrebenden indischen Mittelklasse aus Mumbai, Delhi und Bangalore.

    Narendra Modis Vision hat seinem Volk mit “Viksit Bhara 2047” versprochen, bis zum Jahr 2047 zu den entwickelten Volkswirtschaften zu zählen. Die Demografie könnte ihm dabei in die Hände spielen. Während die chinesische Gesellschaft in Zukunft sehr schnell altern wird, erlebt die indische jene arbeitsmarkttechnisch ideale Ära, in der viele junge Menschen in den Arbeitsmarkt eintreten und es noch relativ wenig alte Menschen zu versorgen gilt. Dieser Zustand wird etwa 25 Jahre lang andauern, dann wird auch die indische Gesellschaft altern.

    Zudem hofft Indien auf all jene multinationalen Konzerne, die im Zuge wachsender geopolitischer Spannungen bemüht sind, ihre Produktion zumindest teilweise aus China weg zu verlagern. Das bekannteste Beispiel ist Apple, das derzeit sieben Prozent seiner iPhone-Produktion nach in Indien verlegt hat.

    Keine Industrieproduktion im großen Stil

    Eines aber hat Modinomics, die Wirtschaftsstrategie der regierenden Bharatiya Janata Partei (BJP), deren Bezeichnung sich vom Namen des Regierungschefs Modi ableitet, bislang nicht liefern können: ausreichend Jobs. Millionen junger Menschen strömen auf den Arbeitsmarkt, werden dort bei ihrer Suche aber nicht alle fündig. Viele Analysten wollen den Zahlen der Regierung, wonach die Jugendarbeitslosigkeit von 17,8 Prozent im Jahr 2018 auf jetzt zehn Prozent gefallen sei, nicht so recht Glauben schenken.

    Laut einer Studie der International Labour Organisation sind 83 Prozent der indischen Arbeitslosen jung und die meisten dieser jungen Arbeitslosen sind gebildet. Doch selbst, jene, die einen Job haben, verdienen oft nicht viel. 80 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung sind im inoffiziellen Sektor tätig, wo die Einkommen oft sehr viel niedriger sind.

    Die Krux: Im Gegensatz zu China verfügt Indien bislang über keine Industrieproduktion im großen Stil. China, die einstige Werkbank der Welt, fertigt 35 Prozent aller global gefertigten Güter. Indien, das China als bevölkerungsreichstes Land der Welt abgelöst hat und 18 Prozent der Weltbevölkerung repräsentiert, fertigt nur drei Prozent.

    Gewaltiger Umbruch von der Landwirtschaft zur Fabrik

    Industrialisierung war bislang der einzige Weg, mit dem Länder massenhaft Arbeitsplätze schaffen konnten. Fast alle entwickelten Länder gingen diesen Pfad. Der französische Wissenschaftler Jean Fourastié beschrieb in seinem Drei-Sektoren-Modell die idealtypische Entwicklung einer Volkswirtschaft zur Dienstleistungsgesellschaft, wonach zunächst Bauern in die Industrieproduktion eintreten. Die zunehmende Automatisierung führe zu mehr Freizeit der Arbeitskräfte, was den Dienstleistungssektor stärke.

    Als Mitte des 18. Jahrhunderts in Großbritannien die industrielle Revolution einsetzte, machte die Textilindustrie den Anfang. Englische Manufakturen lieferten Hosen und Hemden bis nach Indien. Andere Länder folgten dem britischen Beispiel, meist stand die Textilindustrie am Anfang (eine Ausnahme bildet Deutschland, dort entwickelte sich die Schwerindustrie zur Leitindustrie). Der Schritt von der Landwirtschaft zur Fabrik ist ein gewaltiger kultureller Umbruch – man muss dazu nur deutsche Quellen aus dem 19. Jahrhundert lesen.

    China produzierte bis zu 60 Prozent der weltweiten Textilien

    Die Bekleidungsindustrie steht meist am Beginn, weil die Arbeiterinnen (meist sind es Frauen), die oft aus der Landwirtschaft kommen, relativ schnell eingearbeitet werden können, die Produktionsprozesse sind überschaubar komplex. Auch “Asiens Aufstieg wurde von der Textilindustrie zusammengenäht”, schreibt der Economist. Länder, die sich erfolgreich industrialisieren, arbeiten sich im Laufe der Jahre die Wertschöpfungskette empor. Textil, Elektronik und irgendwann High Tech. Die Arbeiter werden immer besser ausgebildet, die Fertigungsprozesse komplexer, Kapital für neue Investitionen wird freigesetzt, der Staat hat mehr Geld, um in Bildung und Forschung zu investieren. Besonders gut lässt sich das am Beispiel Chinas studieren, das bis vor kurzem sechs von zehn Kleidungsstücke auf dem Weltmarkt produzierte.

    Warum ist Indien nicht den Weg gegangen, den die asiatischen Tigerstaaten und später China vormachten? In seinem Buch “India’s Economy from Nehru to Modi” zählt der indische Wirtschaftswissenschaftler Pulapre Balakrishnan vier Gründe auf. Das größte Problem sieht er im Bildungssystem. Indien ist zwar berühmt für seine Schriftsteller, seine gut ausgebildeten Ingenieure, IT-Spezialisten und Ärzte, an vielen Orten aber seien die Schulen so schlecht, dass Kinder an einfachsten Rechenaufgaben scheitern. Auch die Infrastruktur lasse oft zu Wünschen übrig, und die Verwaltung lege Unternehmern viele Steine in den Weg. Das bestätigt auch Vidya Mahambare, Wirtschaftsprofessorin an der Great Lakes University in Chennai im Interview mit Table.Briefings. “Im Gegensatz zu Dienstleistungsindustrien hat die verarbeitende Industrie traditionell mehr Probleme, eine Vielzahl von verschiedenen Lizenzen zu bekommen.”

    Kann Indien die Industrialisierung überspringen?

    Diese Probleme hemmen Indien, als zweitgrößter Baumwollproduzent der Welt in die Bresche zu springen, während in China die Löhne steigen und sich die Bekleidungsindustrie auf andere Länder verteilt. Vietnam und Bangladesch profitieren mehr als Indien. Diese Konstellation spiegelt das grundsätzliche Dilemma aller Länder wider, die sich viel später industrialisieren als China: Der Wettbewerb ist sehr viel härter geworden. Neue Akteure drängen auf den Weltmarkt und versuchen, die Mitbewerber bei den Produktionskosten zu unterbieten, während sich die Produktion immer weiter automatisieren wird. Und kein Land hat dadurch die gleiche Macht, wie China sie hatte, das die Regeln oft zu seinen Gunsten verschieben konnte.

    Gut möglich, dass es Indien verpasst habe, “auf den Bus der verarbeitenden Industrie zu springen”, sagt Raghuram Rajan. Er leitete einst die indische Zentralbank, heute ist er Professor an der Chicago Booth School of Business. Stattdessen solle sich Indien lieber ganz auf die Entwicklung seiner Dienstleistungsindustrie konzentrieren. Dieser Sektor boomt, nicht nur im Digitalbereich. JP Morgan beschäftigt beispielsweise 3.000 Rechtsanwälte in Indien, die Verträge für das weltweite Geschäft der Investmentbank ausarbeiten. Zudem haben multinationale Konzerne ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen in Indien angesiedelt.

    Rajans Strategie: Leapfrogging. Das bedeutet, eine Entwicklungsstufe zu überspringen. Statt auf Fabriken setzen, sollte Indien dem Rest der Welt lieber hoch spezialisierte Dienstleistungen wie Telemedizin, Consulting oder Design anbieten. Noch ist dies keinem Land im großen Stil gelungen, wenngleich viele Entwicklungsländer vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Doch Rajan glaubt, dass Indien gute Voraussetzungen dafür habe. Viele Inder sprechen sehr gut Englisch, seit der Pandemie ist Remote Work weit verbreitet und die Löhne in Indien sind noch immer sehr viel niedriger als in hoch entwickelten Industrieländern. Damit diese Strategie aufgehe, müsse sich die Regierung allerdings voll und ganz auf Bildung konzentrieren. Oder wie Rajan es ausdrückt: from brawn to brain. Von der Muskelkraft zum Hirn.

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    Termine

    25.10.2024, ab 09:45 Uhr (Ortszeit Neu-Delhi)
    Offizielle Konferenzeröffnung, Taj Palace Conference Venue, vor Ort: Sprecher: Peter Adrian (DIHK-Präsident),Roland Busch (Siemens), Piyush Goyal (Handelsminister Indien), Robert Habeck (Bundeswirtchaftsminister)

    25.10.2024, 10:10 Uhr (Ortszeit Neu-Delhi)
    Panel mit Roland Busch (Siemens), Robert Habeck (Bundeswirtschaftsminister), Namgyal Dorji (Industrie-Minister Buthan) und Piyush Goyal (Handelsminister Indien): Reshaping Globalisation – Talk with Ministers from Asia-Pacific Lesen Sie dazu vorab auch: Interview mit Dismas Kizito Mokua “China kann Kenia als Sprungbrett für die Globalisierung der Märkte und der Produktion in Afrika nutzen”

    25.10.2024, ab 11:00 Uhr
    Keynotes: Bundeskanzler Olaf Scholz und Indiens Premier Narendra Modi

    25.10.2024, ab 12:00 Uhr
    Panel mit Anne-Laure Parrical de Chammard (Executive Board, Siemens Energy & Siemens Energy Management), Ishan Palit (TÜV SÜD), Sanjiv Puri ()President, Confederation of Indian Industry, Chana Poomee (Siam Cement Group) Keen on green: Sustainability Strategies of German and Asian Companies Lesen Sie dazu vorab auch: “Dekarbonisierung birgt Chancen für deutsche Unternehmen”

    25.10.2024, ab 13:00 Uhr
    AHK Business Lunches Drei Gruppen: Sri Lanka und Indien (Raum Rani Bagh); Australien und Neuseeland (Raum Shah Jahan); Malaysia, Singapur und Thailand (Raum Raja Bagh)

    25.10.2024, ab 14:30 Uhr
    Panel mit Anna Maria Braun (B. Braun), Markus Kamieth (BASF), Jongbum Park (Samsung Southwest Asia), Anish Shah (President, Federation of Indian Chambers of Commerce and Industry Group CEO & Managing Director, Mahindra Group) The Triple D: Derisking, Decoupling, Diversification – a Companies’ Perspective Lesen Sie dazu vorab auch: “De-Risking: Was Deutschland von Japan, Südkorea und Taiwan lernen kann”

    25.10.2024, ab 15:30 Uhr
    Start-up-Pitch, Tech-Talk und German Asia-Pacific Startup Award Future AI

    25.10.2024, ab 18:30 Uhr
    Abendveranstaltung, vor Ort in Yashobhoomi India International Convention & Expo Centre India Evening

    News

    Lieferketten: Was für den Erhalt des deutschen Gesetzes spricht

    Die angekündigte Abschaffung des deutschen Lieferkettengesetzes von Bundeskanzler Olaf Scholz stößt bei Experten für Nachhaltigkeit auf Kritik. Lisa Fröhlich, Professorin für strategische und nachhaltige Beschaffung und Gründerin der Denkfabrik Ispira, fordert die Politik im Gespräch mit Table.Briefings auf, “die Finger von dem Gesetz zu lassen”. Ihrer Ansicht nach sei das Lieferkettengesetz sogar ein Wettbewerbsvorteil für hiesige Unternehmen. “Denn so müssen sich Unternehmen mit ihren Lieferketten beschäftigen – das ist notwendig. Denn nur wer seine Lieferketten kennt, kann auch seinen Impact bestimmen und beeinflussen. Das gilt für CO2-Emissionen genauso wie für Menschenrechte in der Lieferkette”, sagte Fröhlich.

    Eine Abschaffung hätte fatale Folgen, “weil die Einkäufer in Unternehmen zentral dafür sind, sich das Wissen über Lieferketten zu beschaffen. Ohne Nachhaltigkeit gibt es keine resilienten Lieferketten mehr. Wenn wir nun die Berichtspflichten wegnehmen, kippt alles um”, warnt Fröhlich. Sie empfiehlt den Unternehmen deshalb, auch weiterhin aufmerksam ihre Lieferketten zu beobachten und nachzuvollziehen, zumal die europäische Lieferkettenrichtlinie und Berichtspflichten ohnehin Bestand haben würden.

    Das Gesetz über die “unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten” verpflichtet deutsche Unternehmen seit 2023, “ihrer globalen Verantwortung besser nachzukommen”, wie es die Bundesregierung bei seiner Einführung formuliert hat. Seit 2024 gilt es für Betriebe mit mindestens 1.000 Beschäftigten in Deutschland. Noch zu Beginn des Jahres hatte es geheißen, dass das Gesetz für Rechtssicherheit sorge und Wettbewerbsnachteile für Unternehmen abbaue, die bereits freiwillig in ein nachhaltiges Lieferkettenmanagement investierten. Nach anhaltenden Protesten von Arbeitgeberverbänden wegen des großen bürokratischen Aufwandes kündigte Scholz kürzlich die Abschaffung des Gesetzes an. grz

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    Menschenrechte: Deutschland fordert Freilassung willkürlich Inhaftierter in Tibet und Xinjiang

    Deutschland und 14 weitere Staaten haben vor der UN-Generalversammlung ernsthafte Besorgnis über Menschenrechtsverletzungen in Tibet und Xinjiang geäußert. In einer gemeinsamen Erklärung, die der australische Botschafter James Larsen vortrug, forderte die Gruppe “die Freilassung aller willkürlich in Xinjiang und Tibet inhaftierten Personen sowie die dringende Aufklärung des Schicksals und des Verbleibs vermisster Familienmitglieder.”

    Die Erklärung bezog sich auf die Ergebnisse der UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen, die zahlreiche Fälle in beiden Regionen dokumentiert hat. Die Erkenntnisse stützen sich weitgehend auf Chinas eigene Aufzeichnungen und liefern detaillierte Beweise für willkürliche Inhaftierungen in großem Umfang. Auch seien Familientrennungen, das Verschwindenlassen von Menschen, Fälle von Zwangsarbeit, systematischer Überwachung aufgrund von Religion und ethnischer Zugehörigkeit, Einschränkungen der kulturellen, religiösen und sprachlichen Identität und Ausdrucksform, Folter und sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt nachgewiesen.

    China habe viele Gelegenheiten verstreichen lassen, die “begründeten Bedenken der UN sinnvoll auszuräumen”, hieß es in der Erklärung. Stattdessen habe das Land die Bewertung der Situation durch das UN-Kommissariat für Menschenrechte als “illegal und nichtig” bezeichnet.

    Die International Campaign for Tibet (ICT) begrüßte die Erklärung der 15 Staaten, zu denen neben Deutschland und Australien auch Kanada, Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Island, Japan, Litauen, Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Schweden und die USA gehörten.

    “Es ist ermutigend, dass die 15 Länder ihren Blick nach Tibet richten und Konsequenzen für die Menschenrechtsverletzungen fordern, für die das kommunistische Regime in China verantwortlich ist. Weitere Staaten der internationalen Gemeinschaft sollten sich den Forderungen anschließen und die chinesische Regierung ebenfalls mit Nachdruck auffordern, unabhängigen Beobachtern, auch von den Vereinten Nationen, uneingeschränkten Zugang nach Tibet zu gewähren, um die Menschenrechtslage dort zu bewerten”, erklärte ICT-Geschäftsführer Kai Müller. grz

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    Dual Use: Diese chinesischen Firmen verklagen das Pentagon

    Der weltweit größte Hersteller von Lasersensoren für Elektrofahrzeuge, die chinesische Hesai Group, plant eine Klage gegen die US-Regierung. Das Pentagon hatte Hesai vor wenigen Tagen zum zweiten Mal auf die schwarze Liste jener Firmen gesetzt, denen es eine Zusammenarbeit mit dem Pekinger Militär vorwirft. Erstmals war Hesai im Januar vorübergehend gelistet worden. Aufgrund “neuester verfügbarer Informationen” hat sich das US-Justizministerium jetzt abermals zu diesem Schritt entschieden.

    David Li, Mitbegründer und Geschäftsführer von Hesai, rechtfertigte gegenüber der Financial Times die Klage: “Wir sind kein Militärunternehmen”, sagte er. “Wir arbeiten unabhängig, frei von staatlicher Kontrolle oder militärischer Beteiligung”. Die Bemühungen von Hesai, direkt mit US-Offiziellen über ihre Bedenken zu sprechen, seien erfolglos gewesen, so Li.

    Damit wächst die Gruppe chinesischer Unternehmen, die das US-Verteidigungsministerium vor Gericht herausfordern wollen. Der größte Drohnenhersteller der Welt, DJI, und der Chipausrüster Advanced Micro-Fabrication Equipment klagen ebenfalls gegen das Verteidigungsministerium, weil sie auf der gleichen schwarzen Liste wie Hesai stehen.

    Der US-Kongress hatte im Jahr 2021 ein Gesetz verabschiedet, das das Pentagon verpflichtet, eine Liste “chinesischer Militärunternehmen” zu erstellen. Das Unternehmen mit Sitz in Shanghai war im Januar vom US-Verteidigungsministerium zusammen mit mehr als einem Dutzend anderer Firmen auf die Liste gesetzt, später aber davon gestrichen worden.

    Die Aufnahme in die schwarze Liste des Verteidigungsministeriums hindert Hesai nicht daran, Produkte in den USA zu verkaufen. Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Yole Group hält das Unternehmen etwa 40 Prozent des Weltmarktes für Lidarsensoren, darunter auch für Robotertaxis. rtr/mcl

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    Taiwan: EU-Parlament verurteilt Chinas Militärmanöver

    Das EU-Parlament hat die Militärmanöver Chinas vor Taiwan Mitte Oktober verurteilt. Die anhaltenden militärischen Provokationen und die Aufmärsche der Volksrepublik änderten das Kräfteverhältnis im Indopazifik, hieß es in einer Resolution, die das Europaparlament am Donnerstag mit großer Mehrheit verabschiedete. Es war die erste Taiwan-bezogenen Resolution seit der Neuzusammensetzung des Europaparlaments.

    Die EU-Abgeordneten kritisierten außerdem die “ständige Verzerrung der UN-Resolution 2758 durch die Volksrepublik China und ihre Bemühungen, die Teilnahme Taiwans an multilateralen Organisationen zu blockieren”. Die EU-Parlamentarier betonen, dass die Resolution 2758 aus dem Jahr 1971 das “Ein-China”-Prinzip der Volksrepublik nicht billige.

    Die damalige Resolution der Generalversammlung betraf stattdessen die Instandsetzung der Rechte der Volksrepublik China in den Vereinten Nationen. Peking deutet das Papier seither, dass die UN-Mitgliedsstaaten durch die Resolution zu dem Schluss gekommen seien, dass Taiwan ein Teil der Volksrepublik sei. China versuche, “die Geschichte und internationale Regeln zu verfälschen”, hieß es.

    Das EU-Parlament forderte die Mitgliedsstaaten auf, Taiwans Teilnahme in internationalen Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation, der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation, Interpol und dem Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen zu unterstützen. ari.

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    Presseschau

    China says not aware of North Korean troops in Russia REUTERS
    Kehrtwende: Warum Xi Jinping plötzlich auf Konjunkturhilfen setzt CAPITAL
    IMF”s Georgieva says China risks “way below” 4% growth unless reforms are made REUTERS
    Chinesischer Automarkt nimmt im Oktober Schwung auf T-ONLINE
    Chinas Klima- und Umweltpolitik: “Entscheidend ist, wie es mit Chinas Emissionshandel weitergeht” KLIMA REPORTER
    China”s appetite for thermal coal driving up imports, prices REUTERS
    Kaja Kallas kritisiert Chinas “unlauteren Wettbewerb” EURONEWS
    China struggles to break US chip design ‘chokehold’ FINANCIAL TIMES
    Indonesia says it drove Chinese coastguard ships out of disputed waters FINALCIAL TIMES
    China, Iran und Russland: Microsoft warnt vor ausländischer Beeinflussung der US-Wahl SPIEGEL
    Taiwan president to visit frontline islands with China for battle anniversary REUTERS
    New York Times: Chinas Panda-Erfolge geschönt DEUTSCHLANDFUN KNOVA
    Goldene Woche: Chinesen sorgen für Boom bei Hotelbuchungen FVW

    Standpunkt

    Heusgen: Im Indopazifik können jederzeit militärische Auseinandersetzungen ausbrechen

    Christoph Heusgen ist seit 2022 Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC).

    Als wären der Krieg Russlands gegen die Ukraine und der Nahostkonflikt nicht genug der Krisen für diese Welt … Nein, auch im indopazifischen Raum können jederzeit militärische Auseinandersetzungen ausbrechen. An den meisten Spannungen ist die Volksrepublik China direkt oder indirekt beteiligt.

    Mit Xi Jinping ist dort ein Machthaber am Werk, der sehr viel nationalistischer und aggressiver agiert als alle seine Vorgänger von Deng Xiaoping bis Hu Jintao. Die Bündelung der Macht in der Hand eines Menschen erhöht die Gefahr des Ausbruchs von Konflikten, wie wir es ja auch bei Wladimir Putin erlebt haben und immer noch erleben.

    Annäherung Indiens an die USA besorgt China

    Um mit den (relativ) guten Nachrichten zu beginnen: die Grenzscharmützel zwischen Indien und China im Himalaya, bei denen es noch 2020 Dutzende Tote gegeben hat, sind abgeflaut; die Chinesen haben ihre Provokationen eingestellt. Vor wenigen Tagen haben die beiden Länder sogar ein Abkommen unterzeichnet.

    Vermutlich beobachtet China die Annäherung Indiens an die USA insbesondere in dem von Präsident Biden wiederbelebten Quad-Format (gemeinsam mit Japan und Australien) mit Sorge und will sie nicht zusätzlich befördern. Und es ist der Glaubwürdigkeit der von China vorangetriebenen Brics-Vereinigung abträglich, wenn sich zwei ihrer wichtigsten Mitglieder bis an die Zähne bewaffnet gegenüberstehen. 

    Auch die Entspannung in den Beziehungen zwischen Südkorea und Japan gehört zu den positiven Entwicklungen. Aber damit hört es auch schon mit den guten Nachrichten auf.

    Dauerbrenner Nordkorea

    Die Taliban regieren weiterhin mit ihren mittelalterlichen Methoden Afghanistan, wobei China ihr wirtschaftlicher Schlüsselpartner geworden ist, der die Rohstoffe des gebeutelten Landes ausbeutet. China ist auch privilegierter Partner der Militärjunta in Myanmar, wo der Bürgerkrieg weiter brodelt. Über die rund eine Million vertriebenen und geflüchteten Rohingya wird kaum noch geredet.

    Zu den schlechten Nachrichten gehört auch der Dauerbrenner Nordkorea. Die aus der russischen Not entstandene Aufwertung der Diktatur von Kim Jong-un hat diesen selbstbewusster und gegenüber Südkorea noch angriffslustiger werden lassen. Russland importiert Waffen und Söldner aus Nordkorea, als Gegenleistung blockiert Putin das UN-Sanktionsregime gegen das Land und unterstützt sein Nuklear- und Raumfahrtprogramm. (Ob China das gefällt, bezweifle ich, verliert es doch seine privilegierte Stellung gegenüber Pjöngjang.)

    Militärische Invasion auf absehbare Zeit unwahrscheinlich

    Ebenfalls unter die Rubrik schlechte Nachrichten fällt die kontinuierlich aggressiver werdende Politik der Volksrepublik China gegenüber Taiwan. Die Verletzungen der taiwanesischen Territorialgewässer nehmen zu, und China übt mit seinen riesigen Seestreitkräften die Blockade der Insel. Der Druck auf Taiwan wächst; Xi hat seine Einverleibung angekündigt und den Einsatz militärischer Mittel zu diesem Zweck nicht ausgeschlossen. Auch mit Propaganda, juristischen Drohungen, Desinformationskampagnen versucht Peking, Taipeh mürbe zu machen – bisher vergeblich.

    Trotz allen Säbelrasselns halte ich eine militärische Invasion auf absehbare Zeit für unwahrscheinlich. Dies hat mit der für China unkalkulierbaren US-Reaktion zu tun und mit den auch für die chinesische Wirtschaft dramatischen Auswirkungen einer möglichen Zerstörung der Fabriken des taiwanesischen Halbleiter-Weltmarktführers TSMC. Die finanziellen Folgen für die chinesische und die Weltwirtschaft wären gigantisch; Schätzungen gehen in Richtung zweistelliger Billionenbeträge.

    Konflikt mit den Philippinen am gefährlichsten

    Aktuell besteht die noch größere Gefahr des Ausbruchs einer kriegerischen Auseinandersetzung im benachbarten Südchinesischen Meer. Hier versucht China systematisch, die durch das Völkerrecht nicht zu rechtfertigende Ausweitung seiner Territorialgewässer voranzutreiben. Immer wieder kommt es zu kleineren Seescharmützeln. Am gefährlichsten ist der Konflikt zwischen China und den Philippinen.

    Auch durch das verbindliche Urteil eines UN-Schiedsgerichts lässt sich die Volksrepublik nicht von weiteren Provokationen gegen den Inselstaat abschrecken. Die USA unterstützen die philippinischen Streitkräfte und stationieren eigene in dem Land. Aufgrund des US-philippinischen Unterstützungsabkommens besteht die reale Gefahr, dass es zu einer Involvierung der amerikanischen Marine kommt, sollte China erneut in die philippinischen Hoheitsgewässer eindringen und dabei etwa philippinische Schiffe angreifen und philippinische Soldaten töten. 

    Um das Gesamtbild zu vervollständigen: Auch die Japaner können ein Lied singen von den chinesischen Drohgebärden zu Wasser und in der Luft: in diesem Sommer ist der japanische Luftraum zum ersten Mal durch ein chinesisches Flugzeug verletzt worden.

    Bundesregierung zeigt Präsenz

    Die USA verbleiben die wichtigste Ordnungsmacht in der Region. Sie bemühen sich mit ihren regionalen Partnern, die Lage in der Region stabil zu halten und den Chinesen Paroli zu bieten. Die Entscheidung der Bundesregierung, ihre Solidarität mit den in Asien unter Druck stehenden Partnerländern nicht nur verbal, sondern in diesem Jahr auch durch die Teilnahme der Luftwaffe an Manövern in der Region und mit dem Abstecher einer deutschen Fregatte unter anderem nach Japan, Südkorea und in die Philippinen und vor allem ihrer Durchfahrt durch die Taiwanstraße demonstrativ zu bekunden, wird dort sehr begrüßt.

    Auch die Lieferung deutscher Taurus-Lenkflugkörper nach Südkorea ist ein starkes Zeichen, auf das die Ukraine bis heute vergeblich wartet. Die nächste Gelegenheit für die Bundesregierung zu zeigen, dass sie es mit der Sicherheit im asiatischen Raum ernst meint, sind die Regierungskonsultationen mit Indien diese Woche.

    Christoph Heusgen ist seit 2022 Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Er lehrt Politikwissenschaft an der Universität St. Gallen. Christoph Heusgen war von 2017 bis 2021 Ständiger Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen. Davor und seit 2005 war Heusgen außen- und sicherheitspolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

    Hinweis der Redaktion: Über China zu diskutieren heißt heute mehr denn je – kontrovers debattieren. Wir möchten die Vielfalt der Standpunkte abbilden, damit Sie einen Einblick in die Breite der Debatte gewinnen können. Standpunkte spiegeln nicht die Meinung der Redaktion wider.

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    Personalien

    Dariusch Deermann ist seit September Technical Project Lead im Bereich Electronics/eDrive bei VW China. Der Diplom-Physiker arbeitete zuvor zweieinhalb Jahre als Consultant bei der Unternehmensberatung P3 in Peking. Sein neuer Einsatzort ist Tianjin.

    Michael Grossmann hat bei Bosch Automotive Products in Suzhou den Posten des VP Engineering Mobility Electronics übernommen. Grossmann ist seit Mai 2019 für Bosch in China tätig. Zuletzt arbeitete der Diplomingenieur in Shanghai als VP Head of Corporate Research and Technology Center Asia Pacific.

    Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

    Dessert

    An “Herr Olaf Scholz” kommt man in Neu-Delhi dieser Tage nicht vorbei – der Stadtteil, in dem sich die deutschen Delegationen rund um den Bundeskanzler und die Minister bewegen, ist zugehängt mit Grußbotschaften an den deutschen Regierungschef, mal abgebildet mit Indiens Premier Narendra Modi, mal allein.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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