in den Schlagzeilen um die Zölle, die sich Amerikaner und Chinesen in den vergangenen Tagen um die Ohren geworfen haben, ist eine Nachricht etwas stiefmütterlich behandelt worden. Nämlich die Tatsache, dass China gegen den US-Techkonzern Google eine Untersuchung angestoßen hat – wegen möglicher Verstöße gegen das Kartellrecht.
Google? Sind die überhaupt noch in China? Berechtigte Frage, denn das Endkunden-Geschäft des Unternehmens ist dort seit 2010 tatsächlich Geschichte. Aber mit den Lizenzen für die Nutzung bestimmter Dienste im Rahmen des Betriebssystems Android verdienen die Amerikaner jährlich Milliarden-Dollar an chinesischen Unternehmen. Jörn Petring hat sich deshalb die Tragweite der Untersuchung gegen Google einmal genauer angeschaut.
Während China also US-Konzerne unter die Lupe nimmt, will die Europäische Kommission bei chinesischen Firmen künftig noch genauer hinschauen. Das formuliert sie zwar nicht explizit. Doch Emily Kossak wurde beim Studium des neuen EU-Wettbewerbskompasses das Gefühl nicht los, dass viele Maßnahmen vor allem unfaire Praktiken chinesischer Akteure ins Visier nehmen.
Derweil widmet sich Michael Müller, der frühere Regierende Oberbürgermeister von Berlin, der Frage, wie sich Deutschland im Ringen der Großmächte USA und China positionieren sollte. Die regelbasierte Ordnung sei so fragil wie lange nicht, bilanziert der SPD-Politiker. Deutschland drohe zwischen die Fronten zu geraten. Eine kluge China-Politik sei deshalb unersetzlich für die deutsche Außenpolitik. Wie diese aussehen könnte, lesen Sie in unserem heutigen Standpunkt.
Auf den ersten Blick wirkt die Maßnahme wie ein stumpfes Schwert, die die chinesische Regierung vergangene Woche als Teil ihrer Gegenmaßnahmen im Handelsstreit mit den USA ergriff. Die Behörden kündigten nicht nur Gegenzölle und weitere Ausfuhrbeschränkungen bei seltenen Metallen an, sondern auch eine kartellrechtliche Untersuchung gegen Google.
Der Schritt ist für den US-Techriesen brisanter, als es auf den ersten Blick scheint. Google hat sich zwar wegen der in China herrschenden Zensur bereits im Jahr 2010 aus dem Endkunden-Geschäft zurückgezogen. Trotzdem macht der Konzern in der Volksrepublik noch immer erhebliche Umsätze.
Praktisch alle chinesischen Smartphone-Anbieter wie Xiaomi, Oppo und Vivo stützen sich auf Googles Betriebssystem Android als Basis für ihre Geräte. Obwohl Android als Open-Source-System frei verfügbar ist, hat Google um das Kernbetriebssystem herum ein lukratives Lizenzgeschäft aufgebaut. Wer neben dem eigentlichen Betriebssystem auch Dienste wie den Play Store, Chrome, Maps oder YouTube auf seinen Geräten anbieten will, muss Gebühren an Google zahlen.
In China wird zwar auf den meisten Geräten Android genutzt, die zahlungspflichtigen Google-Dienste sind jedoch nicht zugelassen. Dafür bittet Google die chinesischen Hersteller im Export-Geschäft zur Kasse, wobei es um eine beachtliche Zahl an Geräten geht. Rund 60 Prozent der in Indien und Südostasien verkauften Smartphones stammen von chinesischen Herstellern. Auch in Lateinamerika und Afrika sind chinesische Geräte stark auf dem Vormarsch. An praktisch jedem Smartphone, das ein chinesisches Unternehmen weltweit verkauft, verdient Google also Geld.
Es geht um ein Milliardengeschäft. Zwar legt Google keine genauen Zahlen offen. Bei einer früheren kartellrechtlichen Untersuchung in der EU kam jedoch heraus, dass durch Vorinstallationsverträge pro Gerät zwischen 20 und 30 US-Dollar anfallen.
“Google-Konditionen sind ein Ärgernis. Die Firmen nehmen es aber in Kauf, weil sie glauben, dass sie ohne Dienste wie Google Maps im internationalen Geschäft einen Nachteil hätten”, sagt ein Mitarbeiter eines Smartphone-Herstellers im südchinesischen Shenzhen zu Table.Briefings. Einerseits sehen es die Hersteller also durchaus mit Wohlwollen, dass Peking Google nun für seine Praktiken anprangert und möglicherweise Zugeständnisse erwirken kann. Jedoch herrscht in der Branche zugleich Unsicherheit, dass im Zuge des chinesisch-amerikanischen Tech-Krieges Android komplett unter die Räder geraten könnte.
Schließlich war es zuerst Washington, das die Schrauben anzog: Im Jahr 2019 setzte die US-Regierung Huawei auf ihre “Entity List”. US-Unternehmen, einschließlich Google, dürfen keine Geschäfte mehr mit Huawei machen. Der Konzern musste sich deshalb gezwungenermaßen von Google-Diensten abwenden und hat mit Harmony OS ein eigenes Betriebssystem entwickelt. Käme es nun zu einer breiten Eskalation um das Android-System, könnte Huawei möglicherweise profitieren. Harmony OS könnte theoretisch auch für andere chinesisch Hersteller zu einer Alternative werden.
Klar ist schon jetzt, dass die von China eingeleitete Antitrust-Untersuchung gegen Google mehr als eine “vorsichtige” Antwort auf die Trump-Zölle ist. Vielmehr gibt Peking einen deutlichen Warnschuss ab. Anders als im ersten Handelskrieg 2018 reagieren die Chinesen auf Zölle nicht mehr nur mit Gegenzöllen, sondern setzen gezielt auch US-Technologiekonzerne unter Druck. Ende 2024 leitete China eine Untersuchung gegen den US-Chiphersteller Nvidia ein. Nun rückt mit Google ein weiteres amerikanisches Tech-Schwergewicht ins Visier. Peking baut damit Verhandlungsmasse auf.
Weitere US-Firmen werden bereits ins Spiel gebracht. So berichtet etwa Bloomberg, dass Chinas Regulierer auch eine Untersuchung des Apple App Store erwägen – konkret sollen die 30 Prozent Provision und Restriktionen für Zahlungsdienste unter die Lupe genommen werden.
Interessanterweise hatte die chinesische Marktaufsicht erst im Mai 2024 eine Prüfung von Apples Praktiken abgeschlossen und damals keinen Missbrauch festgestellt. Doch angesichts der neuen Spannungen steht das Thema nun offenbar wieder auf der Agenda. Ebenso nennt die Financial Times Intel, das ebenfalls auf dem chinesischen Markt vertreten ist, als möglichen nächsten Kandidaten für eine Kartelluntersuchung.
SolarWorld, Volkswagen, Nokia: Das sind nur einige Namen europäischer Unternehmen, die in den vergangenen Jahren den Wettlauf gegen chinesische Konzerne verloren haben oder sehr weit ins Hintertreffen geraten sind. Die Europäische Kommission verfolgt die Entwicklung mit Sorge und versucht, Leitplanken zu setzen, um gegenzusteuern. Ein neues Element ist der EU-Wettbewerbskompass, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vergangene Woche vorstellte. Der Kompass gilt zwar als Fahrplan für den Wettbewerb mit allen großen Volkswirtschaften. Doch wer im Dokument zwischen den Zeilen liest, erkennt, wen sich die EU in Zukunft öfter vorknöpfen möchte: China.
Der Kompass ist kein Zufallsprodukt, sondern, die Konsequenz aus dem Draghi-Bericht. Die Untersuchung des früheren EZB-Chefs Mario Draghi zur wirtschaftlichen Zukunft des Staatenblocks entpuppte sich als PISA-Schock der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Er machte klar: Wenn die EU nicht den Anschluss an die USA und China verlieren soll, muss sie jetzt in Innovationen investieren, ihr Potenzial besser nutzen und die Produktivität steigern. Oder, wie die EU-Kommission im Kompass selbst feststellt: Europa sehe sich einer Welt großer Machtkonkurrenz und einem Wettlauf um technologische Vorherrschaft gegenüber. Wenn sie nicht handle, drohe der EU ein quälend langsamer Niedergang.
Auch nicht ganz zufällig ähneln manche Inhalte im Kompass der deutschen China-Strategie: De-Risking, entschlossenes Vorgehen gegen subventionierte Unternehmen und eine Förderung europäischer Start-ups sind ebenso in Europas Interesse, um den Kontinent rustikaler und innovativer für den internationalen Verdrängungswettbewerb zu machen.
Der Kompass sieht die EU einem Wettbewerb ausgesetzt, der von “systematischen, staatlich gesteuerten Überinvestitionen und Subventionen” und “strukturellen Überkapazitäten” beeinflusst wird. Man muss nicht lange grübeln: Damit ist vor allem China gemeint. Nach Auffassung der EU-Kommission schaffen diese Überkapazitäten und Subventionen ein unfaires Wettbewerbsumfeld, in dem Druck auf europäische Hersteller aufgebaut wird. Zu spüren bekommen das derzeit vor allem die europäische Stahl-Industrie und Autobauer wie VW, die von BYD und Co verdrängt werden. Chinesische E-Autos sind teilweise trotz Strafzöllen günstiger als europäische Modelle. Aber auch im Bereich saubere Technologien, den die EU anführen will, sollen europäische Unternehmen vor der Konkurrenz aus China geschützt werden.
Im Wettbewerb mit China droht der EU vor allem, wichtige Produktionsstätten wie die Volkswagen-Werke in Deutschland zu verlieren. Auch der französische Pharmakonzern Euroapi, der unter anderem Schmerzmittel wie Paracetamol herstellt, musste im September 2024 zwei europäische Produktionsstätten wegen zu starker chinesischer Konkurrenz schließen.
Um das zu verhindern, will die EU zukünftig stärker von Instrumenten des Handelsschutzes und der seit 2023 wirksamen Verordnung über ausländische Subventionen Gebrauch machen: Das heißt konkret: Anti-Dumping-Zölle, Ausgleichs-Zölle, und Sanktionen gegen Unternehmen, die unfair spielen. Auch gegen aggressive Exportstrategien will sich die EU zukünftig wehren – zum Beispiel gegen die Paketflut der Online-Händler Shein und Temu. Gegen den Fast-Fashion-Hersteller Shein hat die EU diese Woche Untersuchungen eingeleitet, weitere Maßnahmen gegen andere große Online-Marktplätze aus China sollen bald folgen.
Neu ist der folgende Vorschlag: Die Kommission schlägt eine Bevorzugung europäischer Unternehmen bei der öffentlichen Ausschreibung strategisch wichtiger Technologien und Industrien vor. Öffentliche Beschaffungen machen immerhin 14 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung aus. Eine Bevorzugung europäischer Start-ups soll Europas Innovationskraft einen Boost verschaffen.
Aufmerksam im Blick hat die Kommission auch europäische Investitionen in China. Sie warnt: Unternehmen sollen keine langfristigen Investitionen tätigen, bei denen eine Gefährdung kritischer Infrastrukturen oder Lieferkettenstörungen durch internationale Spannungen drohen. Ebenso sollen sie sich zurückhalten, wenn ihre Investitionen durch unfairen Wettbewerb bedroht sind. Tatsächlich ziehen sich derzeit immer mehr große und mittelständische Unternehmen vom chinesischen Markt zurück. Kürzlich hatte sich CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz sogar noch drastischer geäußert und China Investitionen pauschal als “großes Risiko” bezeichnet.
Bei kritischen Mineralien und Materialien könnte die EU zukünftig zu abhängig von China werden, warnt Brüssel. Faktisch ist sie das schon bei Rohstoffen wie Seltenen Erden oder Magnesium. Mehr als 90 Prozent der europäischen Importe stammen aus China. Auch beim Import pharmazeutischer Grundstoffe sieht es kaum besser aus: 60 bis 80 Prozent der Importe kommen aus China und Indien. Vor dieser Abhängigkeit fürchtet sich die EU ganz besonders. Auch weil Industrien gewisser Drittländer diese Abhängigkeiten ganz gezielt forcieren würden, schreibt die EU. Übermäßige Abhängigkeiten könnten als Waffe gegen die EU benutzt werden.
Knackpunkt im Kampf gegen Abhängigkeiten ist die Sicherheit der Lieferketten. Deren Gewährleistung soll über eine Plattform für den gemeinsamen Einkauf kritischer Rohstoffe und Pharmazeutika erhöht werden. Es fallen Stichworte wie Diversifizierung, Resilienz und Notfallreserven – ausländische Direktinvestitionen und Exporte sollen besser geprüft werden. Konkrete Details gibt es bislang nicht. An vielen Stellen bleibt der Kompass noch sehr vage.
Doch egal, ob es um Künstliche Intelligenz, die Halbleiter-Industrie oder Fintech geht: Die großen Player sitzen derzeit in anderen Teilen der Welt: in den USA oder in Asien. Und Europa täte gut daran, diese Innovationslücke aufzuholen. Denn wie der Wettbewerbskompass richtig erkennt: Die EU meldet ungefähr so viele Patente wie die USA und China an. Nur gründen tut hier leider kaum jemand.
Dabei soll ein “Europäisches Innovationsgesetz” Abhilfe schaffen: Das soll einerseits das bürokratische Geästel 27 unterschiedlicher Gesetzgebungen der Mitgliedsstaaten entwirren. Und andererseits das finanzielle Polster bieten, damit europäische Firmen es mit DeepSeek, BYD und Alibaba aufnehmen können. Neben der Bevorzugung europäischer Unternehmen bringt die Kommission sogenannte KI Gigafactories ins Spiel, wie sie beispielsweise bereits in Peking steht.
All das verfolgt einen Zweck: Die EU will die Technologien der Zukunft nicht den USA und China überlassen. Um sich Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit und eine grüne Zukunft zu sichern, muss sie jetzt handeln – bevor der Rückstand zu groß wird.
Die staatlichen Autobauer Dongfeng Motor Group und Chongqing Changan Automobile werden vermutlich in eine gemeinsame Holdinggesellschaft überführt. Am Sonntag veröffentlichte Börsenmitteilungen beider Konzerne deuten auf eine Fusion hin, berichtet die South China Morning Post. Nach Verkaufszahlen wäre das fusionierte Unternehmen dann der größte Automobilhersteller Chinas und würde damit auch an E-Auto-Hersteller BYD vorbeiziehen. Dongfeng ist chinesischer Partner von Nissan Motor und Honda sowie des französischen Automobilherstellers Peugeot Citroën. Changan Automobile hat Partnerschaften mit Ford und Mazda.
Damit strebt die chinesische Regierung vermutlich eine Konsolidierung der chinesischen Autobranche an. Denn derzeit leidet der Markt unter einer Überzahl an Wettbewerbern und an Überkapazitäten. In fusionierten Gruppen hingegen können Ressourcen gezielt auf wettbewerbsfähigere Produkte und Technologien gelenkt werden. Die Fusion würde vermutlich aufgrund der Komplexität und der Auswirkungen auf lokale Arbeitsplätze einige Zeit in Anspruch nehmen Offiziell bestätigt ist die Zusammenführung der beiden Unternehmen noch nicht.
Jährlich werden etwa 40 Millionen Autos in China hergestellt und 23 Millionen Fahrzeuge verkauft. Damit ist China der größte Automarkt der Welt, auch wenn es um E-Autos geht. Der Wettbewerb um die niedrigsten Preise im E-Auto-Geschäft ist besonders hart. Nur BYD, Li Auto und das von Huawei gestützte Aito schreiben derzeit schwarze Zahlen. BYD kündigte am Montag an, in China künftig auch günstige kleinere Modelle mit einem System für automatisiertes Fahren ausstatten zu wollen. Das Assistenzsystem “God’s Eye” soll laut BYD in drei Modellen verbaut, die weniger als 100.000 Yuan (13.280 Euro) kosten, darunter der Kleinwagen Seagull, der in China umgerechnet 9.300 Euro kostet. BYD erhöht damit den Druck auf Konkurrenten wie Tesla. ek/rtr
Deutsche Unternehmen in China sind angesichts des Zollstreits zwischen China und den USA vorsichtig optimistisch. Wie die deutsche Handelskammer in China mitteilt, werden Chinas größtenteils milde Gegenzölle auf amerikanische Einfuhren mit Erleichterung aufgenommen. Konflikte zwischen China und den USA, den wichtigsten Handelspartnern Deutschlands, sind auch potenziell gefährlich für deutsche Geschäfte in China. Das hat sich bereits im Herbst 2024 bemerkbar gemacht: Damals gab rund ein Drittel der deutschen Unternehmen in China an, stark von den Spannungen zwischen China und den USA betroffen zu sein.
Auch in der jüngsten Geschäftsklima-Umfrage der deutschen Handelskammer in China sind die Spannungen merklich. Dort gaben 31 Prozent der Unternehmen an, “starke Auswirkungen” der Spannungen zwischen China und den USA zu spüren. 47 Prozent sprachen von “gewissen Auswirkungen”, nur 22 Prozent gaben an, keinen Einfluss auf ihre Geschäfte zu spüren.
US-Präsident Donald Trump hatte zu Beginn seiner zweiten Amtszeit zehn Prozent Einfuhrzölle auf alle chinesischen Importe verhängt. Im Gegenzug verlangt China auf amerikanische Kohle und Flüssiggas-Importe 15 Prozent Zölle. Zudem hat das Handelsministerium Exportkontrollen für Metalle eingeführt, die insbesondere für die Elektronikbranche von Bedeutung sind. Derzeit zeigen sich jedoch sowohl Trump als auch Xi Jinping zu Verhandlungen bereit. ek
Die chinesische Regierung reguliert den boomenden Markt der Mikrodramen immer härter. Douyin, Chinas größte Videoplattform und Tiktoks chinesische Schwester-App, hat im Januar 585 Mikrodramen entfernt, teilte das Unternehmen mit. Die gelöschten Videos hätten demnach “schädliche Werte verbreitet, “die öffentliche Ordnung und die soziale Moral verletzt” oder “vulgäre Inhalte verbreitet”. Dazu gehörten etwa “übertriebene und aufmerksamkeitsheischende Filmtitel,” “die Verbreitung einer Goldgräbermentalität” sowie “irreführende Perspektiven auf die Hochzeit”. Mit dem letzten Punkt dürfte die Verbreitung von Werten gemeint sein, die Xi Jinpings Versuchen, mit einer neuen “Geburtenkultur” das Bevölkerungswachstum anzukurbeln, widersteben.
Schon im November hatte Douyin 209 Mikrodramen von seiner Plattform entfernt. Zudem soll es bald eine Lizenzpflicht für Mikrodramen geben. Mikrodramen sind Serien, deren Folge zwischen einer und 15 Minuten lang sind. Sie sind weltweit zu einem großen Geschäft geworden, das geschätzt etwa zwei Milliarden US-Dollar im Jahr einbringt und 2025 seine Umsätze sogar verdoppeln könnte – und in diesen Zahlen ist China noch nicht mal mitgerechnet.
China ist zum Weltmarktführer bei der Produktion und dem Konsum von Mikrodramen (weiduanju 微短剧) aufgestiegen. Pro Jahr wächst der Markt um 250 Prozent, allein im Jahr 2023 hat er 5,2 Milliarden Dollar erwirtschaftet. Mit dem wachsenden Erfolg steigen auch die Ambitionen der Regierung, die Branche in ihrem Sinn zu regulieren. aiko
Die Zahl der Hochzeiten in China ist 2024 so stark wie noch nie gesunken. 6,1 Millionen chinesische Paare gaben sich 2024 das Ja-Wort, berichtet Nikkei Asia. Damit ging die Zahl der Eheschließungen um ein Fünftel zurück – trotz der Bemühungen der chinesischen Behörden, die Bevölkerung zu mehr Hochzeiten und Kindern zu ermutigen. Insgesamt ist die Zahl der Hochzeiten seit 2013 damit um mehr als die Hälfte gesunken: Damals gaben sich noch etwa 13,5 Millionen Menschen das Ja-Wort.
Dabei werden die Behörden ziemlich kreativ: Unter anderem sollen Universitäten ihre Studenten auch in Sachen Liebe und Ehe ausbilden und dabei einen positiven Blick auf Hochzeiten und Familie fördern. Bereits verheiratete Frauen werden von ihren Nachbarschaftskomittees mit Nachfragen zur Familienplanung kontaktiert. Provinzregierungen werden angewiesen, Ressourcen zur Bewältigung des demografischen Wandels in China bereitzustellen. Auch in sozialen Medien greifen die Behörden ein: So löschen die Zensoren unter anderem Mikrodramen, die “fehlgeleitete Perspektiven” auf die Ehe beinhalten.
Chinas Bevölkerung von derzeit 1,4 Milliarden Menschen´könnte nach Zahlen der UN bis 2100 auf weniger als die Hälfte schrumpfen. Das liegt vor allem an der Ein-Kind-Politik von 1980 bis 2015 und der rasanten Urbanisierung des Landes. Ob die derzeitigen Maßnahmen wirklich etwas an dieser Lage ändern, ist fraglich. Schließlich setzen sie selten an den wirklichen Problemen an: Das Leben in Großstädten wie Shanghai oder Peking ist für viele Chinesen schlicht zu teuer, um eine Familie zu gründen. Zudem wandeln sich unter jungen Chinesen die Werte: Für sie sind Selbstverwirklichung und persönliche Freiheit wichtiger, als eine Familie zu gründen. ek
Die Beziehungen zu den Staaten des indopazifischen Raums, in dem über 60 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts und zwei Drittel des Weltwirtschaftswachstums erwirtschaftet werden, sind für Deutschland als exportorientierte Wirtschaftsnation zentral. Auch wenn die Bundesregierung in den letzten drei Jahren eine Differenzierung und Stärkung der Beziehungen zu Ländern wie Japan und Indien vorangetrieben hat, bleibt eine kluge China-Politik unersetzlich für die deutsche Außenpolitik.
Zwar haben die USA China im vergangenen Jahr als größten deutschen Handelspartner wieder abgelöst, aber die Präsidentschaft von Trump wirft ihre Schatten nicht nur im wirtschaftlichen Bereich voraus. Eine der ersten Amtshandlungen des neuen US-Präsidenten war der Rückzug aus der WHO und der Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen. Diese Entscheidungen schwächen die internationalen Institutionen und den Multilateralismus massiv. Gleichzeitig richtet sich der geopolitische Fokus der Vereinigten Staaten immer stärker Richtung China, das die US-Vormachtstellung im Pazifik herausfordert. Beide Entwicklungen sind keine gute Nachricht für Deutschland, das sich in den letzten Jahrzehnten massiv auf die transatlantischen Beziehungen verlassen hat und gleichzeitig intensiv mit China Handel treibt.
Für Deutschland besteht die Gefahr, zwischen die Fronten des Konfliktes der beiden Großmächte zu geraten. Unter eskalierenden Zollstreitigkeiten und Handelsfragen zwischen den beiden wichtigsten Handelspartnern Deutschlands würde die Wirtschaft massiv leiden. Eine militärische Zuspitzung in der Taiwan-Frage wäre eine Katastrophe mit ungewissem Ausgang, die unter allen Umständen verhindert werden muss. Ein von den USA unabhängiger und mit den europäischen Partnern eng abgestimmter Umgang mit dem bevölkerungsreichsten Land der Erde ist daher zwingend erforderlich.
Bereits 2019 hat die EU Ihren Umgang mit dem Dreiklang »Partner, Wettbewerber, Rivale« ausformuliert. Diese bewusst ambivalente Strategie bleibt richtig und findet sich auch in der 2023 erstmalig veröffentlichten deutschen China-Strategie wieder. Für eine realistische China-Politik ist es wichtig, alle drei Komponenten klug auszubalancieren. Die systemische Rivalität gegenüber liberalen Demokratien liegt bei China als autokratisch regiertes Land, das zunehmend repressiv gegen seine Bevölkerung vorgeht, auf der Hand. Von Menschenrechtsverletzungen müssen wir uns klar abgrenzen und das Agieren gegenüber Taiwan und Nachbarn in der Region kritisch beobachten. Das darf uns aber auf keinen Fall zu einer Abkehr der Ein-China-Politik verleiten lassen, vielmehr sollten wir uns für eine Deeskalation einsetzen.
China ist schon lange nicht mehr die verlängerte Werkbank deutscher Unternehmen. Mithilfe massiver staatlicher Subventionen ist es dem bevölkerungsreichsten Land der Erde gelungen, in vielen Branchen gleichzuziehen, in einigen sogar zum Marktführer aufzusteigen. Die EU ist der größte Binnenmarkt der Welt und damit der Schlüssel, um dem Wettbewerber China auf Augenhöhe zu begegnen und gegen wettbewerbsverzerrende Industriepolitik vorzugehen. Es ist aber nicht nur Aufgabe der Politik, sich gegen einseitige Abhängigkeiten zu schützen, sondern auch die Verantwortung von Unternehmen, ihre Absatzmärkte zu diversifizieren und das Risiko zu minimieren.
In der multipolaren Weltordnung nimmt China eine zentrale Rolle als Gestaltungsmacht ein. Internationale Krisen und Konflikte, Klimawandel, Rüstungskontrolle und die Nichtverbreitung von Atomwaffen sind alles globale Herausforderungen, die ohne China nicht zu lösen sein werden. Das Land ist sicher kein einfacher Partner, aber wir brauchen Dialog und Kooperation mit Peking. So hat der Besuch von Bundeskanzler Scholz in Peking im November 2022 beispielsweise zu einer klaren Verurteilung eines möglichen Atomwaffeneinsatzes seitens Russlands von Präsident Xi Jinping geführt und gezeigt, wie wichtig der direkte Kontakt ist. Als Verbündeter Russlands hat China die Möglichkeit, Einfluss auf ein Ende des Krieges in der Ukraine zu nehmen, auch dafür ist der Austausch mit Peking von Bedeutung.
Die Beziehungen zwischen Deutschland und China sind vielschichtig und umfassen weit mehr als nur politische und wirtschaftliche Aspekte. Gerade auf der kommunalen Ebene, beispielsweise durch Städtepartnerschaften und in der Wissenschaft und Kultur bestehen viele Anknüpfungspunkte, die auch jenseits der großen Themen für den Dialog genutzt werden können. Wenn wir über den richtigen Umgang diskutieren, dann sollten wir das nicht nur über China, sondern auch mit China tun. Für einen selbstbewussten und robusten Dialog, auch bei kontroversen Themen, bedarf es eines tieferen Verständnisses der Gegenseite. Dafür müssen wir China kennen und verstehen und in den nächsten Jahren unsere China-Kompetenz weiter ausbauen. Gerade hierfür ist der Austausch mit chinesischen Institutionen und der Zivilgesellschaft essenziell.
Eine Entkopplung von China ist weder politisch noch wirtschaftlich umsetzbar und wäre für unsere Interessen in einer multipolaren Weltordnung auch nicht zielführend. Einseitige Abhängigkeiten reduzieren, Partnerschaften diversifizieren und Resilienzen aufbauen ist hingegen dringend geboten, um Risiken zu minimieren und unsere Verhandlungsposition in Zeiten fundamentaler geopolitischer und geoökonomischer Veränderungen zu stärken.
Die regelbasierte internationale Ordnung ist so fragil wie lange nicht. Deutschland und Europa haben ein vitales Interesse daran, sie zu stärken und eine neue Blockbildung zu verhindern. Dafür müssen wir aber gerade im Globalen Süden werben und uns glaubhaft für Reformen und inklusivere Institutionen einsetzen. China einzubinden, aber gleichzeitig eine einseitige Dominanz zu verhindern, kann uns nur gelingen, wenn wir als Europäer geeint agieren und unseren Umgang mit China abstimmen. Deutschland hat als größte Volkswirtschaft mit traditionell engen Beziehungen zu China eine besondere Verantwortung. Die Bundesregierung unter Führung von Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Grundlagen geschaffen und mit der China-Strategie die Richtung vorgegeben. An der nächsten Bundesregierung liegt es, diese europäisch zu verzahnen und weiterzuentwickeln.
Michael Müller (SPD) war von 2014 bis 2021 Regierender Bürgermeister von Berlin. Seit 2021 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages und dort Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und zuständig für China, Japan und Korea sowie den Nahen und Mittleren Osten.
Hinweis der Redaktion: Über China zu diskutieren heißt heute mehr denn je: kontrovers debattieren. Wir möchten die Vielfalt der Standpunkte abbilden, damit Sie einen Einblick in die Breite der Debatte gewinnen können. Standpunkte spiegeln nicht die Meinung der Redaktion wider.
Han Shenghui ist seit Januar Head of Greater China bei der Sefar Group, einem Schweizer Anbieter von hochpräzisen Sieb- und Filterlösungen. Han hat in Berlin, Jinan und Singapur BWL studiert. Für Sefar ist er von Suzhou in der Provinz Jiangsu aus tätig.
Linda Teo ist seit Januar Partner Greater China bei Kienbaum. Teo hat 18 Jahre Erfahrung in der Talentakquise, davon zehn Jahre in China. Für die deutsche Unternehmensberatung akquiriert sie Spitzenkräfte in der gesamten APAC-Region. Ihr Einsatzort ist Singapur.
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Ist das Jahr der Schlange in Wirklichkeit das Jahr der Katze? Eine 700 Jahre alte Grabmalerei wirft diese im Jahr der Schlange besonders drängende Frage auf. Auf der Wandmalerei, die in der renommierten Yuelu Akademie aus der Song-Dynastie (960 – 1279) im heutigen Hunan ausgestellt ist, sind zwölf Tiere im Bürokratengewand zu sehen. Nicht nur aber sind die zwölf Tiere in einer ganz anderen Ordnung aufgereiht als der des aktuellen Tierkreiszeichens. Statt einem Schlangen- lugt dort ganz eindeutig ein Katzenkopf aus dem edlen Gewand.
Auch in Vietnam, das zehn der zwölf Tiere mit dem chinesischen Tierkreiskalender teilt, feiert man die Katze anstelle der Schlange. Die aktuelle Wiederentdeckung der Malerei hat in den vergangenen zwei Wochen zu hitzigen Diskussionen auf chinesischen sozialen Medien geführt. Die einen wollen nicht glauben, dass der Schlange nicht ihr angestammter Platz in den chinesischen Tierkreiszeichen zukommt. Die anderen begrüßen schon: Das Jahr der Katze.
in den Schlagzeilen um die Zölle, die sich Amerikaner und Chinesen in den vergangenen Tagen um die Ohren geworfen haben, ist eine Nachricht etwas stiefmütterlich behandelt worden. Nämlich die Tatsache, dass China gegen den US-Techkonzern Google eine Untersuchung angestoßen hat – wegen möglicher Verstöße gegen das Kartellrecht.
Google? Sind die überhaupt noch in China? Berechtigte Frage, denn das Endkunden-Geschäft des Unternehmens ist dort seit 2010 tatsächlich Geschichte. Aber mit den Lizenzen für die Nutzung bestimmter Dienste im Rahmen des Betriebssystems Android verdienen die Amerikaner jährlich Milliarden-Dollar an chinesischen Unternehmen. Jörn Petring hat sich deshalb die Tragweite der Untersuchung gegen Google einmal genauer angeschaut.
Während China also US-Konzerne unter die Lupe nimmt, will die Europäische Kommission bei chinesischen Firmen künftig noch genauer hinschauen. Das formuliert sie zwar nicht explizit. Doch Emily Kossak wurde beim Studium des neuen EU-Wettbewerbskompasses das Gefühl nicht los, dass viele Maßnahmen vor allem unfaire Praktiken chinesischer Akteure ins Visier nehmen.
Derweil widmet sich Michael Müller, der frühere Regierende Oberbürgermeister von Berlin, der Frage, wie sich Deutschland im Ringen der Großmächte USA und China positionieren sollte. Die regelbasierte Ordnung sei so fragil wie lange nicht, bilanziert der SPD-Politiker. Deutschland drohe zwischen die Fronten zu geraten. Eine kluge China-Politik sei deshalb unersetzlich für die deutsche Außenpolitik. Wie diese aussehen könnte, lesen Sie in unserem heutigen Standpunkt.
Auf den ersten Blick wirkt die Maßnahme wie ein stumpfes Schwert, die die chinesische Regierung vergangene Woche als Teil ihrer Gegenmaßnahmen im Handelsstreit mit den USA ergriff. Die Behörden kündigten nicht nur Gegenzölle und weitere Ausfuhrbeschränkungen bei seltenen Metallen an, sondern auch eine kartellrechtliche Untersuchung gegen Google.
Der Schritt ist für den US-Techriesen brisanter, als es auf den ersten Blick scheint. Google hat sich zwar wegen der in China herrschenden Zensur bereits im Jahr 2010 aus dem Endkunden-Geschäft zurückgezogen. Trotzdem macht der Konzern in der Volksrepublik noch immer erhebliche Umsätze.
Praktisch alle chinesischen Smartphone-Anbieter wie Xiaomi, Oppo und Vivo stützen sich auf Googles Betriebssystem Android als Basis für ihre Geräte. Obwohl Android als Open-Source-System frei verfügbar ist, hat Google um das Kernbetriebssystem herum ein lukratives Lizenzgeschäft aufgebaut. Wer neben dem eigentlichen Betriebssystem auch Dienste wie den Play Store, Chrome, Maps oder YouTube auf seinen Geräten anbieten will, muss Gebühren an Google zahlen.
In China wird zwar auf den meisten Geräten Android genutzt, die zahlungspflichtigen Google-Dienste sind jedoch nicht zugelassen. Dafür bittet Google die chinesischen Hersteller im Export-Geschäft zur Kasse, wobei es um eine beachtliche Zahl an Geräten geht. Rund 60 Prozent der in Indien und Südostasien verkauften Smartphones stammen von chinesischen Herstellern. Auch in Lateinamerika und Afrika sind chinesische Geräte stark auf dem Vormarsch. An praktisch jedem Smartphone, das ein chinesisches Unternehmen weltweit verkauft, verdient Google also Geld.
Es geht um ein Milliardengeschäft. Zwar legt Google keine genauen Zahlen offen. Bei einer früheren kartellrechtlichen Untersuchung in der EU kam jedoch heraus, dass durch Vorinstallationsverträge pro Gerät zwischen 20 und 30 US-Dollar anfallen.
“Google-Konditionen sind ein Ärgernis. Die Firmen nehmen es aber in Kauf, weil sie glauben, dass sie ohne Dienste wie Google Maps im internationalen Geschäft einen Nachteil hätten”, sagt ein Mitarbeiter eines Smartphone-Herstellers im südchinesischen Shenzhen zu Table.Briefings. Einerseits sehen es die Hersteller also durchaus mit Wohlwollen, dass Peking Google nun für seine Praktiken anprangert und möglicherweise Zugeständnisse erwirken kann. Jedoch herrscht in der Branche zugleich Unsicherheit, dass im Zuge des chinesisch-amerikanischen Tech-Krieges Android komplett unter die Räder geraten könnte.
Schließlich war es zuerst Washington, das die Schrauben anzog: Im Jahr 2019 setzte die US-Regierung Huawei auf ihre “Entity List”. US-Unternehmen, einschließlich Google, dürfen keine Geschäfte mehr mit Huawei machen. Der Konzern musste sich deshalb gezwungenermaßen von Google-Diensten abwenden und hat mit Harmony OS ein eigenes Betriebssystem entwickelt. Käme es nun zu einer breiten Eskalation um das Android-System, könnte Huawei möglicherweise profitieren. Harmony OS könnte theoretisch auch für andere chinesisch Hersteller zu einer Alternative werden.
Klar ist schon jetzt, dass die von China eingeleitete Antitrust-Untersuchung gegen Google mehr als eine “vorsichtige” Antwort auf die Trump-Zölle ist. Vielmehr gibt Peking einen deutlichen Warnschuss ab. Anders als im ersten Handelskrieg 2018 reagieren die Chinesen auf Zölle nicht mehr nur mit Gegenzöllen, sondern setzen gezielt auch US-Technologiekonzerne unter Druck. Ende 2024 leitete China eine Untersuchung gegen den US-Chiphersteller Nvidia ein. Nun rückt mit Google ein weiteres amerikanisches Tech-Schwergewicht ins Visier. Peking baut damit Verhandlungsmasse auf.
Weitere US-Firmen werden bereits ins Spiel gebracht. So berichtet etwa Bloomberg, dass Chinas Regulierer auch eine Untersuchung des Apple App Store erwägen – konkret sollen die 30 Prozent Provision und Restriktionen für Zahlungsdienste unter die Lupe genommen werden.
Interessanterweise hatte die chinesische Marktaufsicht erst im Mai 2024 eine Prüfung von Apples Praktiken abgeschlossen und damals keinen Missbrauch festgestellt. Doch angesichts der neuen Spannungen steht das Thema nun offenbar wieder auf der Agenda. Ebenso nennt die Financial Times Intel, das ebenfalls auf dem chinesischen Markt vertreten ist, als möglichen nächsten Kandidaten für eine Kartelluntersuchung.
SolarWorld, Volkswagen, Nokia: Das sind nur einige Namen europäischer Unternehmen, die in den vergangenen Jahren den Wettlauf gegen chinesische Konzerne verloren haben oder sehr weit ins Hintertreffen geraten sind. Die Europäische Kommission verfolgt die Entwicklung mit Sorge und versucht, Leitplanken zu setzen, um gegenzusteuern. Ein neues Element ist der EU-Wettbewerbskompass, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vergangene Woche vorstellte. Der Kompass gilt zwar als Fahrplan für den Wettbewerb mit allen großen Volkswirtschaften. Doch wer im Dokument zwischen den Zeilen liest, erkennt, wen sich die EU in Zukunft öfter vorknöpfen möchte: China.
Der Kompass ist kein Zufallsprodukt, sondern, die Konsequenz aus dem Draghi-Bericht. Die Untersuchung des früheren EZB-Chefs Mario Draghi zur wirtschaftlichen Zukunft des Staatenblocks entpuppte sich als PISA-Schock der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Er machte klar: Wenn die EU nicht den Anschluss an die USA und China verlieren soll, muss sie jetzt in Innovationen investieren, ihr Potenzial besser nutzen und die Produktivität steigern. Oder, wie die EU-Kommission im Kompass selbst feststellt: Europa sehe sich einer Welt großer Machtkonkurrenz und einem Wettlauf um technologische Vorherrschaft gegenüber. Wenn sie nicht handle, drohe der EU ein quälend langsamer Niedergang.
Auch nicht ganz zufällig ähneln manche Inhalte im Kompass der deutschen China-Strategie: De-Risking, entschlossenes Vorgehen gegen subventionierte Unternehmen und eine Förderung europäischer Start-ups sind ebenso in Europas Interesse, um den Kontinent rustikaler und innovativer für den internationalen Verdrängungswettbewerb zu machen.
Der Kompass sieht die EU einem Wettbewerb ausgesetzt, der von “systematischen, staatlich gesteuerten Überinvestitionen und Subventionen” und “strukturellen Überkapazitäten” beeinflusst wird. Man muss nicht lange grübeln: Damit ist vor allem China gemeint. Nach Auffassung der EU-Kommission schaffen diese Überkapazitäten und Subventionen ein unfaires Wettbewerbsumfeld, in dem Druck auf europäische Hersteller aufgebaut wird. Zu spüren bekommen das derzeit vor allem die europäische Stahl-Industrie und Autobauer wie VW, die von BYD und Co verdrängt werden. Chinesische E-Autos sind teilweise trotz Strafzöllen günstiger als europäische Modelle. Aber auch im Bereich saubere Technologien, den die EU anführen will, sollen europäische Unternehmen vor der Konkurrenz aus China geschützt werden.
Im Wettbewerb mit China droht der EU vor allem, wichtige Produktionsstätten wie die Volkswagen-Werke in Deutschland zu verlieren. Auch der französische Pharmakonzern Euroapi, der unter anderem Schmerzmittel wie Paracetamol herstellt, musste im September 2024 zwei europäische Produktionsstätten wegen zu starker chinesischer Konkurrenz schließen.
Um das zu verhindern, will die EU zukünftig stärker von Instrumenten des Handelsschutzes und der seit 2023 wirksamen Verordnung über ausländische Subventionen Gebrauch machen: Das heißt konkret: Anti-Dumping-Zölle, Ausgleichs-Zölle, und Sanktionen gegen Unternehmen, die unfair spielen. Auch gegen aggressive Exportstrategien will sich die EU zukünftig wehren – zum Beispiel gegen die Paketflut der Online-Händler Shein und Temu. Gegen den Fast-Fashion-Hersteller Shein hat die EU diese Woche Untersuchungen eingeleitet, weitere Maßnahmen gegen andere große Online-Marktplätze aus China sollen bald folgen.
Neu ist der folgende Vorschlag: Die Kommission schlägt eine Bevorzugung europäischer Unternehmen bei der öffentlichen Ausschreibung strategisch wichtiger Technologien und Industrien vor. Öffentliche Beschaffungen machen immerhin 14 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung aus. Eine Bevorzugung europäischer Start-ups soll Europas Innovationskraft einen Boost verschaffen.
Aufmerksam im Blick hat die Kommission auch europäische Investitionen in China. Sie warnt: Unternehmen sollen keine langfristigen Investitionen tätigen, bei denen eine Gefährdung kritischer Infrastrukturen oder Lieferkettenstörungen durch internationale Spannungen drohen. Ebenso sollen sie sich zurückhalten, wenn ihre Investitionen durch unfairen Wettbewerb bedroht sind. Tatsächlich ziehen sich derzeit immer mehr große und mittelständische Unternehmen vom chinesischen Markt zurück. Kürzlich hatte sich CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz sogar noch drastischer geäußert und China Investitionen pauschal als “großes Risiko” bezeichnet.
Bei kritischen Mineralien und Materialien könnte die EU zukünftig zu abhängig von China werden, warnt Brüssel. Faktisch ist sie das schon bei Rohstoffen wie Seltenen Erden oder Magnesium. Mehr als 90 Prozent der europäischen Importe stammen aus China. Auch beim Import pharmazeutischer Grundstoffe sieht es kaum besser aus: 60 bis 80 Prozent der Importe kommen aus China und Indien. Vor dieser Abhängigkeit fürchtet sich die EU ganz besonders. Auch weil Industrien gewisser Drittländer diese Abhängigkeiten ganz gezielt forcieren würden, schreibt die EU. Übermäßige Abhängigkeiten könnten als Waffe gegen die EU benutzt werden.
Knackpunkt im Kampf gegen Abhängigkeiten ist die Sicherheit der Lieferketten. Deren Gewährleistung soll über eine Plattform für den gemeinsamen Einkauf kritischer Rohstoffe und Pharmazeutika erhöht werden. Es fallen Stichworte wie Diversifizierung, Resilienz und Notfallreserven – ausländische Direktinvestitionen und Exporte sollen besser geprüft werden. Konkrete Details gibt es bislang nicht. An vielen Stellen bleibt der Kompass noch sehr vage.
Doch egal, ob es um Künstliche Intelligenz, die Halbleiter-Industrie oder Fintech geht: Die großen Player sitzen derzeit in anderen Teilen der Welt: in den USA oder in Asien. Und Europa täte gut daran, diese Innovationslücke aufzuholen. Denn wie der Wettbewerbskompass richtig erkennt: Die EU meldet ungefähr so viele Patente wie die USA und China an. Nur gründen tut hier leider kaum jemand.
Dabei soll ein “Europäisches Innovationsgesetz” Abhilfe schaffen: Das soll einerseits das bürokratische Geästel 27 unterschiedlicher Gesetzgebungen der Mitgliedsstaaten entwirren. Und andererseits das finanzielle Polster bieten, damit europäische Firmen es mit DeepSeek, BYD und Alibaba aufnehmen können. Neben der Bevorzugung europäischer Unternehmen bringt die Kommission sogenannte KI Gigafactories ins Spiel, wie sie beispielsweise bereits in Peking steht.
All das verfolgt einen Zweck: Die EU will die Technologien der Zukunft nicht den USA und China überlassen. Um sich Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit und eine grüne Zukunft zu sichern, muss sie jetzt handeln – bevor der Rückstand zu groß wird.
Die staatlichen Autobauer Dongfeng Motor Group und Chongqing Changan Automobile werden vermutlich in eine gemeinsame Holdinggesellschaft überführt. Am Sonntag veröffentlichte Börsenmitteilungen beider Konzerne deuten auf eine Fusion hin, berichtet die South China Morning Post. Nach Verkaufszahlen wäre das fusionierte Unternehmen dann der größte Automobilhersteller Chinas und würde damit auch an E-Auto-Hersteller BYD vorbeiziehen. Dongfeng ist chinesischer Partner von Nissan Motor und Honda sowie des französischen Automobilherstellers Peugeot Citroën. Changan Automobile hat Partnerschaften mit Ford und Mazda.
Damit strebt die chinesische Regierung vermutlich eine Konsolidierung der chinesischen Autobranche an. Denn derzeit leidet der Markt unter einer Überzahl an Wettbewerbern und an Überkapazitäten. In fusionierten Gruppen hingegen können Ressourcen gezielt auf wettbewerbsfähigere Produkte und Technologien gelenkt werden. Die Fusion würde vermutlich aufgrund der Komplexität und der Auswirkungen auf lokale Arbeitsplätze einige Zeit in Anspruch nehmen Offiziell bestätigt ist die Zusammenführung der beiden Unternehmen noch nicht.
Jährlich werden etwa 40 Millionen Autos in China hergestellt und 23 Millionen Fahrzeuge verkauft. Damit ist China der größte Automarkt der Welt, auch wenn es um E-Autos geht. Der Wettbewerb um die niedrigsten Preise im E-Auto-Geschäft ist besonders hart. Nur BYD, Li Auto und das von Huawei gestützte Aito schreiben derzeit schwarze Zahlen. BYD kündigte am Montag an, in China künftig auch günstige kleinere Modelle mit einem System für automatisiertes Fahren ausstatten zu wollen. Das Assistenzsystem “God’s Eye” soll laut BYD in drei Modellen verbaut, die weniger als 100.000 Yuan (13.280 Euro) kosten, darunter der Kleinwagen Seagull, der in China umgerechnet 9.300 Euro kostet. BYD erhöht damit den Druck auf Konkurrenten wie Tesla. ek/rtr
Deutsche Unternehmen in China sind angesichts des Zollstreits zwischen China und den USA vorsichtig optimistisch. Wie die deutsche Handelskammer in China mitteilt, werden Chinas größtenteils milde Gegenzölle auf amerikanische Einfuhren mit Erleichterung aufgenommen. Konflikte zwischen China und den USA, den wichtigsten Handelspartnern Deutschlands, sind auch potenziell gefährlich für deutsche Geschäfte in China. Das hat sich bereits im Herbst 2024 bemerkbar gemacht: Damals gab rund ein Drittel der deutschen Unternehmen in China an, stark von den Spannungen zwischen China und den USA betroffen zu sein.
Auch in der jüngsten Geschäftsklima-Umfrage der deutschen Handelskammer in China sind die Spannungen merklich. Dort gaben 31 Prozent der Unternehmen an, “starke Auswirkungen” der Spannungen zwischen China und den USA zu spüren. 47 Prozent sprachen von “gewissen Auswirkungen”, nur 22 Prozent gaben an, keinen Einfluss auf ihre Geschäfte zu spüren.
US-Präsident Donald Trump hatte zu Beginn seiner zweiten Amtszeit zehn Prozent Einfuhrzölle auf alle chinesischen Importe verhängt. Im Gegenzug verlangt China auf amerikanische Kohle und Flüssiggas-Importe 15 Prozent Zölle. Zudem hat das Handelsministerium Exportkontrollen für Metalle eingeführt, die insbesondere für die Elektronikbranche von Bedeutung sind. Derzeit zeigen sich jedoch sowohl Trump als auch Xi Jinping zu Verhandlungen bereit. ek
Die chinesische Regierung reguliert den boomenden Markt der Mikrodramen immer härter. Douyin, Chinas größte Videoplattform und Tiktoks chinesische Schwester-App, hat im Januar 585 Mikrodramen entfernt, teilte das Unternehmen mit. Die gelöschten Videos hätten demnach “schädliche Werte verbreitet, “die öffentliche Ordnung und die soziale Moral verletzt” oder “vulgäre Inhalte verbreitet”. Dazu gehörten etwa “übertriebene und aufmerksamkeitsheischende Filmtitel,” “die Verbreitung einer Goldgräbermentalität” sowie “irreführende Perspektiven auf die Hochzeit”. Mit dem letzten Punkt dürfte die Verbreitung von Werten gemeint sein, die Xi Jinpings Versuchen, mit einer neuen “Geburtenkultur” das Bevölkerungswachstum anzukurbeln, widersteben.
Schon im November hatte Douyin 209 Mikrodramen von seiner Plattform entfernt. Zudem soll es bald eine Lizenzpflicht für Mikrodramen geben. Mikrodramen sind Serien, deren Folge zwischen einer und 15 Minuten lang sind. Sie sind weltweit zu einem großen Geschäft geworden, das geschätzt etwa zwei Milliarden US-Dollar im Jahr einbringt und 2025 seine Umsätze sogar verdoppeln könnte – und in diesen Zahlen ist China noch nicht mal mitgerechnet.
China ist zum Weltmarktführer bei der Produktion und dem Konsum von Mikrodramen (weiduanju 微短剧) aufgestiegen. Pro Jahr wächst der Markt um 250 Prozent, allein im Jahr 2023 hat er 5,2 Milliarden Dollar erwirtschaftet. Mit dem wachsenden Erfolg steigen auch die Ambitionen der Regierung, die Branche in ihrem Sinn zu regulieren. aiko
Die Zahl der Hochzeiten in China ist 2024 so stark wie noch nie gesunken. 6,1 Millionen chinesische Paare gaben sich 2024 das Ja-Wort, berichtet Nikkei Asia. Damit ging die Zahl der Eheschließungen um ein Fünftel zurück – trotz der Bemühungen der chinesischen Behörden, die Bevölkerung zu mehr Hochzeiten und Kindern zu ermutigen. Insgesamt ist die Zahl der Hochzeiten seit 2013 damit um mehr als die Hälfte gesunken: Damals gaben sich noch etwa 13,5 Millionen Menschen das Ja-Wort.
Dabei werden die Behörden ziemlich kreativ: Unter anderem sollen Universitäten ihre Studenten auch in Sachen Liebe und Ehe ausbilden und dabei einen positiven Blick auf Hochzeiten und Familie fördern. Bereits verheiratete Frauen werden von ihren Nachbarschaftskomittees mit Nachfragen zur Familienplanung kontaktiert. Provinzregierungen werden angewiesen, Ressourcen zur Bewältigung des demografischen Wandels in China bereitzustellen. Auch in sozialen Medien greifen die Behörden ein: So löschen die Zensoren unter anderem Mikrodramen, die “fehlgeleitete Perspektiven” auf die Ehe beinhalten.
Chinas Bevölkerung von derzeit 1,4 Milliarden Menschen´könnte nach Zahlen der UN bis 2100 auf weniger als die Hälfte schrumpfen. Das liegt vor allem an der Ein-Kind-Politik von 1980 bis 2015 und der rasanten Urbanisierung des Landes. Ob die derzeitigen Maßnahmen wirklich etwas an dieser Lage ändern, ist fraglich. Schließlich setzen sie selten an den wirklichen Problemen an: Das Leben in Großstädten wie Shanghai oder Peking ist für viele Chinesen schlicht zu teuer, um eine Familie zu gründen. Zudem wandeln sich unter jungen Chinesen die Werte: Für sie sind Selbstverwirklichung und persönliche Freiheit wichtiger, als eine Familie zu gründen. ek
Die Beziehungen zu den Staaten des indopazifischen Raums, in dem über 60 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts und zwei Drittel des Weltwirtschaftswachstums erwirtschaftet werden, sind für Deutschland als exportorientierte Wirtschaftsnation zentral. Auch wenn die Bundesregierung in den letzten drei Jahren eine Differenzierung und Stärkung der Beziehungen zu Ländern wie Japan und Indien vorangetrieben hat, bleibt eine kluge China-Politik unersetzlich für die deutsche Außenpolitik.
Zwar haben die USA China im vergangenen Jahr als größten deutschen Handelspartner wieder abgelöst, aber die Präsidentschaft von Trump wirft ihre Schatten nicht nur im wirtschaftlichen Bereich voraus. Eine der ersten Amtshandlungen des neuen US-Präsidenten war der Rückzug aus der WHO und der Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen. Diese Entscheidungen schwächen die internationalen Institutionen und den Multilateralismus massiv. Gleichzeitig richtet sich der geopolitische Fokus der Vereinigten Staaten immer stärker Richtung China, das die US-Vormachtstellung im Pazifik herausfordert. Beide Entwicklungen sind keine gute Nachricht für Deutschland, das sich in den letzten Jahrzehnten massiv auf die transatlantischen Beziehungen verlassen hat und gleichzeitig intensiv mit China Handel treibt.
Für Deutschland besteht die Gefahr, zwischen die Fronten des Konfliktes der beiden Großmächte zu geraten. Unter eskalierenden Zollstreitigkeiten und Handelsfragen zwischen den beiden wichtigsten Handelspartnern Deutschlands würde die Wirtschaft massiv leiden. Eine militärische Zuspitzung in der Taiwan-Frage wäre eine Katastrophe mit ungewissem Ausgang, die unter allen Umständen verhindert werden muss. Ein von den USA unabhängiger und mit den europäischen Partnern eng abgestimmter Umgang mit dem bevölkerungsreichsten Land der Erde ist daher zwingend erforderlich.
Bereits 2019 hat die EU Ihren Umgang mit dem Dreiklang »Partner, Wettbewerber, Rivale« ausformuliert. Diese bewusst ambivalente Strategie bleibt richtig und findet sich auch in der 2023 erstmalig veröffentlichten deutschen China-Strategie wieder. Für eine realistische China-Politik ist es wichtig, alle drei Komponenten klug auszubalancieren. Die systemische Rivalität gegenüber liberalen Demokratien liegt bei China als autokratisch regiertes Land, das zunehmend repressiv gegen seine Bevölkerung vorgeht, auf der Hand. Von Menschenrechtsverletzungen müssen wir uns klar abgrenzen und das Agieren gegenüber Taiwan und Nachbarn in der Region kritisch beobachten. Das darf uns aber auf keinen Fall zu einer Abkehr der Ein-China-Politik verleiten lassen, vielmehr sollten wir uns für eine Deeskalation einsetzen.
China ist schon lange nicht mehr die verlängerte Werkbank deutscher Unternehmen. Mithilfe massiver staatlicher Subventionen ist es dem bevölkerungsreichsten Land der Erde gelungen, in vielen Branchen gleichzuziehen, in einigen sogar zum Marktführer aufzusteigen. Die EU ist der größte Binnenmarkt der Welt und damit der Schlüssel, um dem Wettbewerber China auf Augenhöhe zu begegnen und gegen wettbewerbsverzerrende Industriepolitik vorzugehen. Es ist aber nicht nur Aufgabe der Politik, sich gegen einseitige Abhängigkeiten zu schützen, sondern auch die Verantwortung von Unternehmen, ihre Absatzmärkte zu diversifizieren und das Risiko zu minimieren.
In der multipolaren Weltordnung nimmt China eine zentrale Rolle als Gestaltungsmacht ein. Internationale Krisen und Konflikte, Klimawandel, Rüstungskontrolle und die Nichtverbreitung von Atomwaffen sind alles globale Herausforderungen, die ohne China nicht zu lösen sein werden. Das Land ist sicher kein einfacher Partner, aber wir brauchen Dialog und Kooperation mit Peking. So hat der Besuch von Bundeskanzler Scholz in Peking im November 2022 beispielsweise zu einer klaren Verurteilung eines möglichen Atomwaffeneinsatzes seitens Russlands von Präsident Xi Jinping geführt und gezeigt, wie wichtig der direkte Kontakt ist. Als Verbündeter Russlands hat China die Möglichkeit, Einfluss auf ein Ende des Krieges in der Ukraine zu nehmen, auch dafür ist der Austausch mit Peking von Bedeutung.
Die Beziehungen zwischen Deutschland und China sind vielschichtig und umfassen weit mehr als nur politische und wirtschaftliche Aspekte. Gerade auf der kommunalen Ebene, beispielsweise durch Städtepartnerschaften und in der Wissenschaft und Kultur bestehen viele Anknüpfungspunkte, die auch jenseits der großen Themen für den Dialog genutzt werden können. Wenn wir über den richtigen Umgang diskutieren, dann sollten wir das nicht nur über China, sondern auch mit China tun. Für einen selbstbewussten und robusten Dialog, auch bei kontroversen Themen, bedarf es eines tieferen Verständnisses der Gegenseite. Dafür müssen wir China kennen und verstehen und in den nächsten Jahren unsere China-Kompetenz weiter ausbauen. Gerade hierfür ist der Austausch mit chinesischen Institutionen und der Zivilgesellschaft essenziell.
Eine Entkopplung von China ist weder politisch noch wirtschaftlich umsetzbar und wäre für unsere Interessen in einer multipolaren Weltordnung auch nicht zielführend. Einseitige Abhängigkeiten reduzieren, Partnerschaften diversifizieren und Resilienzen aufbauen ist hingegen dringend geboten, um Risiken zu minimieren und unsere Verhandlungsposition in Zeiten fundamentaler geopolitischer und geoökonomischer Veränderungen zu stärken.
Die regelbasierte internationale Ordnung ist so fragil wie lange nicht. Deutschland und Europa haben ein vitales Interesse daran, sie zu stärken und eine neue Blockbildung zu verhindern. Dafür müssen wir aber gerade im Globalen Süden werben und uns glaubhaft für Reformen und inklusivere Institutionen einsetzen. China einzubinden, aber gleichzeitig eine einseitige Dominanz zu verhindern, kann uns nur gelingen, wenn wir als Europäer geeint agieren und unseren Umgang mit China abstimmen. Deutschland hat als größte Volkswirtschaft mit traditionell engen Beziehungen zu China eine besondere Verantwortung. Die Bundesregierung unter Führung von Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Grundlagen geschaffen und mit der China-Strategie die Richtung vorgegeben. An der nächsten Bundesregierung liegt es, diese europäisch zu verzahnen und weiterzuentwickeln.
Michael Müller (SPD) war von 2014 bis 2021 Regierender Bürgermeister von Berlin. Seit 2021 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages und dort Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und zuständig für China, Japan und Korea sowie den Nahen und Mittleren Osten.
Hinweis der Redaktion: Über China zu diskutieren heißt heute mehr denn je: kontrovers debattieren. Wir möchten die Vielfalt der Standpunkte abbilden, damit Sie einen Einblick in die Breite der Debatte gewinnen können. Standpunkte spiegeln nicht die Meinung der Redaktion wider.
Han Shenghui ist seit Januar Head of Greater China bei der Sefar Group, einem Schweizer Anbieter von hochpräzisen Sieb- und Filterlösungen. Han hat in Berlin, Jinan und Singapur BWL studiert. Für Sefar ist er von Suzhou in der Provinz Jiangsu aus tätig.
Linda Teo ist seit Januar Partner Greater China bei Kienbaum. Teo hat 18 Jahre Erfahrung in der Talentakquise, davon zehn Jahre in China. Für die deutsche Unternehmensberatung akquiriert sie Spitzenkräfte in der gesamten APAC-Region. Ihr Einsatzort ist Singapur.
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Ist das Jahr der Schlange in Wirklichkeit das Jahr der Katze? Eine 700 Jahre alte Grabmalerei wirft diese im Jahr der Schlange besonders drängende Frage auf. Auf der Wandmalerei, die in der renommierten Yuelu Akademie aus der Song-Dynastie (960 – 1279) im heutigen Hunan ausgestellt ist, sind zwölf Tiere im Bürokratengewand zu sehen. Nicht nur aber sind die zwölf Tiere in einer ganz anderen Ordnung aufgereiht als der des aktuellen Tierkreiszeichens. Statt einem Schlangen- lugt dort ganz eindeutig ein Katzenkopf aus dem edlen Gewand.
Auch in Vietnam, das zehn der zwölf Tiere mit dem chinesischen Tierkreiskalender teilt, feiert man die Katze anstelle der Schlange. Die aktuelle Wiederentdeckung der Malerei hat in den vergangenen zwei Wochen zu hitzigen Diskussionen auf chinesischen sozialen Medien geführt. Die einen wollen nicht glauben, dass der Schlange nicht ihr angestammter Platz in den chinesischen Tierkreiszeichen zukommt. Die anderen begrüßen schon: Das Jahr der Katze.