was tun, wenn in einem großen Gremium alle Fakten gegen die eigene Position sprechen? China versucht in diesen Tagen, die Vorwürfe der Tibeter im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zu übertönen. Nicht nur eine besonders große Truppe von offiziellen Vertretern, auch eine ganze Reihe willfähriger Vereine aus der Volksrepublik beanspruchen Redezeit und verdrängen dadurch ernst gemeinte Beiträge. Dabei hängt für Tibet das kulturelle Überleben vom Handeln der internationalen Gemeinschaft ab. Marcel Grzanna berichtet.
Die Weißblatt-Proteste wurde zu einem großen Teil von einer jungen studentischen Bewegung angeschoben und lautstark über Tage hinweg aufrechterhalten. Jetzt sieht sich die Obrigkeit der Wut einer weiteren – vielleicht sogar über mehr gesellschaftlichen Nachdruck verfügenden – Altersgruppe ausgesetzt: der Rentner. In der Stadt Wuhan gehen die Senioren derzeit auf die Straßen, wie Fabian Kretschmer berichtet. Sie protestieren gegen Kürzungen im Sozial- und Gesundheitssystem. Denn dieses wurde wegen der strengen Null-Covid-Politik an die finanziellen Grenzen gebracht. Der Unmut der Alten könnte eine Bedrohung für die Führung in Peking werden.
China muss am heutigen Mittwoch vor dem Sozialausschuss der Vereinten Nationen (CESCR) Stellung zu Menschenrechtsfragen nehmen. Vier Jahre lang hat die Volksrepublik das förmliche Prozedere ignoriert und ihre Berichtspflicht zur Umsetzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte hinausgezögert.
Seit Montag bereits laufen informelle Briefings, bei denen Nichtregierungsorganisationen ihre Bedenken und Informationen mit dem Ausschuss teilen können, ehe am Mittwoch chinesische Regierungsbeamte vor dem Gremium sprechen müssen. Seit 2019 warten die Vereinten Nationen auf ausführliche Stellungnahmen zu 31 Punkten, die sie bei Chinas Umsetzung des UN-Sozialpaktes als problematisch ausgemacht haben.
Besondere Aufmerksamkeit erhält in Genf die systematische Zerstörung der tibetischen Kultur. Vier UN-Sonderberichterstatter werfen der Volksrepublik die erzwungene Angleichung der Tibeter an die dominierende Han-Kultur vor.
Der Verteidigungswall, den China aufgebaut hat, um jegliche Vorwürfe ins Reich der Fabeln verweisen zu können, ist jedoch hoch. So will China die Anwesenden durch schiere zahlenmäßige Überlegenheit beeindrucken. Peking wird offenbar Dutzende Regierungsvertreter in die Schweiz schicken. Üblich sind eine Handvoll Repräsentanten.
Flankiert werden die offiziellen Vertreter Chinas von rund 20 sogenannten Gongos – Governmental-Non-Governmental Organisations. Unter dem Deckmantel zivilgesellschaftlicher Interessen verkleiden sich staatliche gelenkte chinesische Organisationen, die bei den UN als Nichtregierungsorgane akkreditiert sind.
Gongos manipulieren den Austausch über das chinesische Gebaren, indem sie den Vorwürfen der Menschenrechtler widersprechen und dadurch legitime Redner verdrängen. Denn je mehr Gongos sich um Redezeit in den informellen Briefings durch die Zivilgesellschaft bewerben, desto weniger Zeit bleibt den kritischen Beobachtern. Die in wenigen Monaten folgende Beurteilung durch den Sozialausschuss der chinesischen Einlassungen dürften durch die chinesische Litanei aus allen Rohren beeinflusst werden.
Dennoch hoffen die Tibeter, dass die dramatisch wachsende Gefahr einer systematischen Auslöschung ihrer Kultur viel stärker ins Bewusstsein der Welt rücken wird. Angesichts der chinesischen Verschleppung, die Vorwürfe zu adressieren, spüren sie eine zunehmend wachsende Existenzangst.
Als Mittel dazu gilt unter anderem ein Internatssystem, in das bis zu 900.000 tibetische Kinder gepresst werden, um diese für die längste Zeit des Jahres von ihren sprachlichen und kulturellen Wurzeln fernzuhalten. Der Exil-Präsident der Tibeter, Penpa Tsering, hatte im Interview mit China.Table kürzlich Alarm geschlagen und auch die Bundesregierung um größeres Engagement gegen chinesische Praktiken gebeten.
Zwangsumsiedlungen und Arbeitsprogramme für die tibetische Bevölkerung beschleunigen die Sinisierung rasant. Seit vielen Jahren werden tibetische Gemeinden – vor allem aus den Hochtälern oberhalb von 4.000 Metern – aus ihren Heimatdörfern vertrieben. Um die Maßnahmen auch vor dem CESCR besser rechtfertigen zu können, erzwingen die chinesischen Behörden einen vermeintlichen Konsens mit vielen Dorfbewohnern.
Die International Campagin for Tibet (ICT) berichtet von einem systematischen Entzug der Lebensgrundlage für die Betroffenen. Erst werden Schulen geschlossen, dann die Rathäuser und medizinischen Einrichtungen, und schließlich wird auch der rechtliche Spielraum für kommerzielle Selbstversorgung eingeschränkt, um den Menschen ihren Alltag so schwer wie möglich zu machen.
“Nach Jahren der räumlichen Isolation von staatlichen und wirtschaftlichen Strukturen geben die meisten Menschen zermürbt auf und stimmen einer Umsiedlung zu”, sagt Geschäftsführer Kai Müller von ICT Deutschland. Vor der UN wird China diese Zustimmung dann als beiderseitiges Übereinkommen bezeichnen.
Um eine große Einigkeit der Tibeter mit dem Zentralstaat vorzugaukeln, weist China auf das Fehlen rechtlicher Einwände durch betroffene Ethnien selbst hin. Tatsächlich gibt es nur wenige Fälle, in denen juristisch gegen erzwungene Umsiedlungen vorgegangen wird. Müller überrascht das nicht. “Die Tibeter wissen, dass ihnen Repressionen drohen, wenn sie den formellen Rechtsweg einschlagen wollen. Dieses Risiko geht kaum jemand ein”, sagt er.
Auch zu diesem Vorwurf wird sich China unter Punkt 4 der UN-Problemliste detailliert im Palais Wilson in Genf äußern müssen. Dort verlangt der Sozialausschuss eine Stellungnahme zu den Anschuldigungen, dass es zu “Einschüchterung von Anwälten und Kanzleien” in China komme.
Erneut sind mehrere tausend Senioren in der Provinzhauptstadt Wuhan auf die Straße gegangen. Sie haben sich vor dem zentralen Zhongshan-Park versammelt, um ihren Frust öffentlich kundzutun. Die Staatsmacht reagierte wie immer: Sie kesselte die Menge mit einer riesigen Menschenkette von Polizisten ein, sperrte die anliegende U-Bahnstation ab und löschte in Sekundenschnelle sämtliche Fotos des Protests auf den sozialen Medien.
Grund des Anstoßes ist eine von der Lokalregierung durchgeführte Reform der öffentlichen Krankenversicherung, die zu Beginn des Monats umgesetzt wurde. Die vorwiegend älteren Demonstranten befürchten eine massive Kürzung der medizinischen Leistungen. Dabei ist das Gesundheitssystem in vielen chinesischen Provinzen bereits jetzt so rudimentär, dass jede ernsthafte Erkrankung zur existenziellen Krise führen kann.
Bereits vor einer Woche zogen die wütenden Rentner erstmals vor das Regierungsviertel. Unbeeindruckt vom strömenden Regen schrien sie ihren Frust hinaus. “Warum zockt ihr uns kleine Leute ab? Wieso kürzt ihr nicht eure eigenen Leistungen?”, rief damals eine Frau. Auf einem Video ist die Szene zu sehen. Solch großen Proteste gegen Regierungsmaßnahmen sind äußerst selten im autoritär regierten China.
“Wenn die Alten es sich nicht mehr leisten können, einen Arzt zu besuchen, werden die Folgen unvorstellbar sein”, kommentiert ein User auf der Online-Plattform Weibo: “Ich hoffe, dass eine kostenlose medizinische Grundversorgung so bald wie möglich kommt!”
Der Unmut der Rentner aus Wuhan ist nur eines von unzähligen Beispielen, die im ganzen Land zu beobachten sind: die Nachwehen der fast dreijährigen Null-Covid-Politik, die die Lokalregierungen an den Rand des Bankrotts geführt hat, bekommen nun die Menschen in ihrem Alltag zu spüren.
Dass ausgerechnet die pandemische Nulltoleranz-Strategie, bei der ja offiziell die Volksgesundheit im Vordergrund stand, zu nachhaltigen Einbrüchen im Gesundheitssystem führt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Doch bereits vor der Corona-Öffnung war diese Entwicklung abzusehen: Sämtliche verfügbaren Ressourcen der öffentlichen Hand flossen in immer neue Quarantänelager und Testzentren, anstatt beispielsweise in bitter benötigte Notfallbetten.
Als Anfang Dezember schließlich die Corona-Öffnung so rapide, geradezu chaotisch erfolgte, hatte dies vor allem auch einen Grund, der in der öffentlichen Debatte unterging: Die kostspielige Infrastruktur war nicht mehr aufrecht zu halten. Die Lokalregierungen hatten kein Geld mehr, um weiter täglich etliche Millionen zu testen und unter Lockdown zu stellen. Und die Zentralregierung in Peking hatte sich dagegen entschieden, mit finanziellen Mitteln auszuhelfen.
Die langfristigen Auswirkungen werden die Menschen noch auf Jahre zu spüren bekommen. Bereits im November letzten Jahres zeichneten sie sich ab. Zunächst waren es die medizinischen Helfer von den PCR-Teststationen und Quarantäne-Einrichtungen, deren ausstehende Monatslöhne nicht mehr beglichen werden konnten.
Später klagten die Busfahrer und Lehrer in etlichen Provinzen ebenfalls über offene Gehälter. Die Beamten mussten teilweise schon 2021 drastische Kürzungen hinnehmen oder bekamen ihre Boni gestrichen. Und einige Unternehmen beklagen, dass die Lokalregierungen einzelner Provinzen derzeit vermehrt Betriebsprüfungen durchführen, etwa gegen mögliche Umwelt- oder Arbeitsrechtsverstöße, um an Gelder zu kommen.
Die Rentner aus Wuhan haben nun ihren Frust auf die Straße gebracht. Ob der Staat auf ihre Forderungen eingehen wird, ist nach wie vor offen. “Viele vergleichen die Situation mit den erfolgreichen Anti-Covid-Protesten”, kommentiert eine chinesische Nutzerin: “Ich bin da eher pessimistisch. Ich glaube nicht, dass die Leute dieses Mal ihr Ziel mit Protestieren erreichen können”. Fabian Kretschmer
China hat Mängel bei der Menschenrechtslage im eigenen Land eingeräumt. “China steht einer Reihe von Problemen und Herausforderungen bei der Förderung von Menschenrechten gegenüber”, sagte Delegationsleiter Chen Xu am Donnerstag vor dem UN-Sozialausschuss in Genf.
Die von der UNO anerkannten Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Xinjiang versuchte Chen jedoch zu marginalisieren, indem er sie mit der Situation in anderen Ländern gleichsetzte. “Niemand kann eine perfekte Bilanz vorweisen, weil es immer Spielraum für Verbesserungen gibt”, sagte Chen.
Um die eigenen Positionen vor der internationalen Gemeinschaft in Genf nachdrücklich zu vertreten, hat China eine riesige Delegation nach Genf geschickt. Der Ausschuss-Vorsitzende Mohamad Abdel-Moneim aus Ägypten kommentierte zu Beginn der Sitzung süffisant: “Selbstverständlich werde ich nicht die gesamte Liste der Delegierten vorlesen, sonst würde ich nicht vor heute Nachmittag fertig werden.” Chinas unverhältnismäßig großes personelles Auftreten wird als Teil einer Einschüchterungsstrategie gegenüber anderen Mitgliedsstaaten oder Nichtregierungsorganisationen gewertet.
Menschenrechtsorganisationen erkennen vor allem in den Geschehnissen in Xinjiang – die von der US-Regierung als Völkermord bezeichnet werden – und der Zerstörung der tibetischen Kultur eine außergewöhnlich dramatische Menschenrechtsbilanz. Mit Dimensionen anderer Länder sei die Lage in China nicht zu vergleichen. grz
Die EU und China nehmen in dieser Woche ihren seit Jahren ausgesetzten Menschenrechtsdialog wieder auf. Ein Treffen im Rahmen des Dialogs sei für diesen Freitag geplant, bestätigte eine Sprecherin der EU-Kommission China.Table am Dienstag. Die EU erwarte, dass die Wiederaufnahme eine “gezielte Diskussionen über ein breites Themenspektrum ermöglichen wird”, sagte die Kommissionssprecherin.
“Die EU und China haben in diesem Bereich unterschiedliche Ansichten, aber genau deshalb ist dieser Dialog wichtig: um eine offene Diskussion zu führen”, ergänzte sie.
Das nun geplante Treffen am Freitag wird das 38. im Rahmen des Dialogs sein. Das Letzte in dieser Form hatte im April 2019 stattgefunden. Während der Corona-Pandemie gab es kein Dialogtreffen. Beide Seiten hatten sich bereits nach dem EU-China-Gipfel im vergangenen April darauf verständigt, das Format wiederzubeleben.
Peking fährt derzeit eine Charmeoffensive in Europa und schickt unter anderem Chef-Diplomat Wang Yi zur Münchner Sicherheitskonferenz. Den chinesischen Ansichten gegenwirkend sahen Besucher deshalb eine geplante Reise des Gouverneurs von Xinjiang, Erkin Tuniyaz. Dieser soll in dieser Woche mehrere europäische Länder bereisen und dort Politik-Vertreter treffen. Tuniyaz soll zunächst nach Großbritannien reisen. Ob er dort bereits angekommen ist, war lokalen Medienberichten zufolge unklar.
Das Reiseziel Brüssel soll der Gouverneur indes gestrichen haben. Der Besuch sei abgesagt, schrieb unter anderem der Grünen-Europapolitiker und China-Experte Reinhard Bütikofer auf Twitter. Eine offizielle Bestätigung der Absage gab es zunächst nicht. Tuniyaz soll jedoch weiterhin Paris besuchen. Der Gouverneur steht in den USA auf einer schwarzen Liste und darf dort nicht einreisen. Menschenrechtsorganisationen und Politiker fordern auch ein Einreiseverbot für Tuniyaz in Europa. ari
Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang befürchtet eine Zunahme chinesischer Spionageaktivitäten in Deutschland. “China entfaltet breit gefächerte Ausspäh- und Einflussaktivitäten”, erklärte Haldenwang in einem Interview mit der “Welt am Sonntag”.
Während Peking sich früher vor allem auf Wirtschaftsspionage konzentriert habe, stehe nun zunehmend politische Spionageaktivitäten im Vordergrund. “Wir müssen uns darauf einstellen, dass diese in den kommenden Jahren noch zunehmen werden.” Die wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands könne von China zur “Durchsetzung politischer Ziele” ausgenutzt werden, glaubt Haldenwang.
Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums bestätigte der “Welt am Sonntag”, dass Deutschland eines der bedeutendsten nachrichtendienstlichen Aufklärungs- und Einflussziele Chinas sei. Darüber, ob Überflüge chinesischer Spionage-Ballons in Deutschland stattgefunden haben, lägen bislang aber keine Erkenntnisse vor. fpe
Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) der Bundesregierung hat zu verstärkter Vorsicht bei Wissenschaftskooperationen mit China aufgerufen. Die Zusammenarbeit müsse “dort Grenzen haben, wo sie zu Ergebnissen führen kann, die unseren freiheitlich-demokratischen Werten entgegenstehen”, schreibt der Sachverständigenrat in einem Papier, das am Mittwoch der Bundesregierung vorgelegt wurde.
Diese Kooperations-Grenzen würden zunehmend enger, da sich “die Risiken einer Weitergabe von Forschungsergebnissen in vielen Forschungsbereichen erhöht” haben. Die EFI hält es demnach auch für sinnvoll, Projekte der Forschung und Innovation, “bei denen chinesische Akteure beteiligt sind und ein Wissensabfluss wahrscheinlich ist, nicht oder nur unter hohen Auflagen zu fördern.”
Die EFI wiederholte zudem den Vorstoß, eine zentrale China-Kompetenzstelle zur Beratung deutscher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einzurichten. Diese sollte Expertise zu kooperations- und forschungsrelevanten Rechtsfragen bereitstellen, beispielsweise im Hinblick auf den Schutz geistigen Eigentums und Datenschutz. “Zudem sollte die Kompetenzstelle systematisch Informationen über Erfahrungen und Probleme bei deutsch-chinesischen Kooperationen sammeln, auswerten und für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie für Forschungseinrichtungen aufbereiten”, heißt es in dem Bericht.
Die Expertenkommission befürwortet nach eigenen Angaben auch, dass die Bundesregierung mit einer eigenen Chinastrategie die wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands von China verringern will. Die von der Bundesregierung gewollte Stärkung der China-Kompetenz beschäftigt die Forschung und Wissenschaft. Der Vorschlag eines Zentralregisters für Forschungskooperationen war zuletzt auf Kritik gestoßen. ari
Der Bertelsmann Transformationsindex (BTI) zeigt, dass es erstmals seit 2004 mehr autokratische als demokratisch regierte Staaten gibt. Jedoch trägt dieser Feststellung weder das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), der Deutsche-Akademische Austauschdienst (DAAD), noch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) entsprechend Rechnung. Eine konkrete Orientierung, wie mit Forschungskooperationen in autokratisch regierten Staaten zu verfahren ist, lässt auf sich warten.
Bei der Zusammenarbeit mit chinesischen Forschern muss heute berücksichtigt werden, dass der gesamte chinesische Bildungssektor ausschließlich den Zielen der Partei dienen soll. Das bedeutet, dass Fakultätsmitglieder (unsere potenziellen Forschungspartner) auf der Grundlage ihrer patriotischen Qualifikation und ihres sozialistisch-moralischen Charakters ausgewählt und gefördert werden. Hier ist es illusorisch, eine Unabhängigkeit von Staatspartei und Bildungssystem anzunehmen. Eine derartige Trennung findet sich auch nicht in anderen autoritären Systemen, denn ihre Bildungsinhalte sind stets ideologisch motiviert.
Insbesondere weil in Deutschland die Freiheit von Forschung und Lehre im Grundgesetz verankert ist, tragen wir Verantwortung dafür, dass diese Wissenschaftsfreiheit auch in unseren Wissenschaftskooperationen mit ausländischen Partnern hochgehalten wird.
Der DAAD stellte 2020 bereits fest, dass der chinesische Staat seinen wissenschaftlichen Nachwuchs zunehmend selbst fördert, z.B. durch Promotionsstipendien seitens des Chinese Scholarship Councils (CSC). Kürzlich wurde berichtet, dass diese Stipendien Parteiloyalität seitens ihrer Empfänger voraussetzen. Dies schränkt die Möglichkeiten zur gemeinsamen, unbeeinflussten und kritischen Forschung in Deutschland substanziell ein.
Forschung und Wissenschaft in China haben die Aufgabe, die gesellschaftspolitische Agenda der Partei voranzutreiben, die sehr stark auf “gesellschaftliche Stabilität” ausgerichtet ist. Hier werden die Technik- und Naturwissenschaften, sowie die Geistes- und Sozialwissenschaften gleichermaßen für parteiliche Ziele vereinnahmt. Letztere dienen dem Propaganda-Apparat durch die Vermittlung “patriotischer Bildung”, während insbesondere die Technikwissenschaften für zivil-militärische Entwicklungen und Weiterentwicklungen des Überwachungsapparats eingesetzt werden. Diese Vereinnahmung der Wissenschaft für politisch-ideologische Zwecke muss uns bei der Wissenschaftskooperation mit autoritär bzw. autokratisch geführten Staaten immer präsent sein.
Inwieweit das deutsche Hochschulwesen letztlich von chinesischen Studierenden, Doktoranden und Wissenschaftlern konkret profitiert, ist empirisch nicht belegt. Unbestreitbar ist, dass sie zur Diversität unseres Hochschulwesens beitragen. Einen Schluss auf etwaige wissenschaftliche Leistungen lässt dies aber nicht zu. Zumal diese dann ohnehin an Leistungen anderer deutscher und ausländischer Forschender hierzulande gemessen werden müssten.
Zudem werden bei dieser Behauptung gesetzliche Entwicklungen, die in diesem Zusammenhang relevant sind, komplett ausgeblendet. Beispielsweise ermöglicht das Nationale Nachrichtendienstgesetz von 2017 der chinesischen Regierung, jeden Bürger und jede Bürgerin ihres Landes zur Zusammenarbeit mit den Nachrichtendiensten zu verpflichten. Gerade Wissenschaftler spielen hier eine wichtige Rolle, denn sie haben Zugang zu relevantem Wissen. Wer ins Ausland geht, wird von den dortigen chinesischen Botschaften daran erinnert, dem Mutterland etwas zurückzugeben (回报祖国). Und es gibt diverse staatliche Programme, um solches Wissen aus Auslandsaufenthalten strategisch nutzbar zu machen.
Insofern ist es unabdingbar, dass sich alle wissenschaftlichen Institutionen in Deutschland mit der Möglichkeit einer systematischen Überprüfung von chinesischen Gastwissenschaftlern und Doktoranden auseinandersetzen. Nur so können unerwünschte Einflüsse und nachrichtendienstliche Tätigkeiten unterbunden werden. Dies ist insbesondere relevant in den Technik- und Naturwissenschaften. Auch Stipendiengeber wie der DAAD oder diverse Stiftungen sollten eigene chinesische Stipendiaten überprüfen.
Die Bedingungen der Wissenschaftskooperation mit China müssen in der Xi-Ära entsprechend neu konfiguriert werden. Denn von einem Rückgang der Ideologisierung, welche auch das chinesische Bildungssystem betrifft, kann erst einmal nicht ausgegangen werden. Universitäten in China mögen schon früher politisch schwierige Zeiten durchlaufen haben. Dennoch ist das kein Grund, den jetzigen Veränderungen nicht Rechnung zu tragen.
Wir benötigen eine angemessene und verbindliche Risikobewertung und ein entsprechendes Risikomanagement für die Zusammenarbeit mit chinesischen Wissenschaftlern und Einrichtungen (beispielsweise wie in den MIT Guidelines). Diese Maßnahmen haben auch nichts mit einem Verbot von Kooperation zu tun. Es gibt durchaus noch Raum für Kooperationen, nur ist dieser in Anbetracht der ideologisch-getriebenen Politik unter Xi eben deutlich kleiner geworden. Umso genauer muss man jetzt auf die noch laufenden und zukünftigen Forschungskooperationen schauen.
was tun, wenn in einem großen Gremium alle Fakten gegen die eigene Position sprechen? China versucht in diesen Tagen, die Vorwürfe der Tibeter im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zu übertönen. Nicht nur eine besonders große Truppe von offiziellen Vertretern, auch eine ganze Reihe willfähriger Vereine aus der Volksrepublik beanspruchen Redezeit und verdrängen dadurch ernst gemeinte Beiträge. Dabei hängt für Tibet das kulturelle Überleben vom Handeln der internationalen Gemeinschaft ab. Marcel Grzanna berichtet.
Die Weißblatt-Proteste wurde zu einem großen Teil von einer jungen studentischen Bewegung angeschoben und lautstark über Tage hinweg aufrechterhalten. Jetzt sieht sich die Obrigkeit der Wut einer weiteren – vielleicht sogar über mehr gesellschaftlichen Nachdruck verfügenden – Altersgruppe ausgesetzt: der Rentner. In der Stadt Wuhan gehen die Senioren derzeit auf die Straßen, wie Fabian Kretschmer berichtet. Sie protestieren gegen Kürzungen im Sozial- und Gesundheitssystem. Denn dieses wurde wegen der strengen Null-Covid-Politik an die finanziellen Grenzen gebracht. Der Unmut der Alten könnte eine Bedrohung für die Führung in Peking werden.
China muss am heutigen Mittwoch vor dem Sozialausschuss der Vereinten Nationen (CESCR) Stellung zu Menschenrechtsfragen nehmen. Vier Jahre lang hat die Volksrepublik das förmliche Prozedere ignoriert und ihre Berichtspflicht zur Umsetzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte hinausgezögert.
Seit Montag bereits laufen informelle Briefings, bei denen Nichtregierungsorganisationen ihre Bedenken und Informationen mit dem Ausschuss teilen können, ehe am Mittwoch chinesische Regierungsbeamte vor dem Gremium sprechen müssen. Seit 2019 warten die Vereinten Nationen auf ausführliche Stellungnahmen zu 31 Punkten, die sie bei Chinas Umsetzung des UN-Sozialpaktes als problematisch ausgemacht haben.
Besondere Aufmerksamkeit erhält in Genf die systematische Zerstörung der tibetischen Kultur. Vier UN-Sonderberichterstatter werfen der Volksrepublik die erzwungene Angleichung der Tibeter an die dominierende Han-Kultur vor.
Der Verteidigungswall, den China aufgebaut hat, um jegliche Vorwürfe ins Reich der Fabeln verweisen zu können, ist jedoch hoch. So will China die Anwesenden durch schiere zahlenmäßige Überlegenheit beeindrucken. Peking wird offenbar Dutzende Regierungsvertreter in die Schweiz schicken. Üblich sind eine Handvoll Repräsentanten.
Flankiert werden die offiziellen Vertreter Chinas von rund 20 sogenannten Gongos – Governmental-Non-Governmental Organisations. Unter dem Deckmantel zivilgesellschaftlicher Interessen verkleiden sich staatliche gelenkte chinesische Organisationen, die bei den UN als Nichtregierungsorgane akkreditiert sind.
Gongos manipulieren den Austausch über das chinesische Gebaren, indem sie den Vorwürfen der Menschenrechtler widersprechen und dadurch legitime Redner verdrängen. Denn je mehr Gongos sich um Redezeit in den informellen Briefings durch die Zivilgesellschaft bewerben, desto weniger Zeit bleibt den kritischen Beobachtern. Die in wenigen Monaten folgende Beurteilung durch den Sozialausschuss der chinesischen Einlassungen dürften durch die chinesische Litanei aus allen Rohren beeinflusst werden.
Dennoch hoffen die Tibeter, dass die dramatisch wachsende Gefahr einer systematischen Auslöschung ihrer Kultur viel stärker ins Bewusstsein der Welt rücken wird. Angesichts der chinesischen Verschleppung, die Vorwürfe zu adressieren, spüren sie eine zunehmend wachsende Existenzangst.
Als Mittel dazu gilt unter anderem ein Internatssystem, in das bis zu 900.000 tibetische Kinder gepresst werden, um diese für die längste Zeit des Jahres von ihren sprachlichen und kulturellen Wurzeln fernzuhalten. Der Exil-Präsident der Tibeter, Penpa Tsering, hatte im Interview mit China.Table kürzlich Alarm geschlagen und auch die Bundesregierung um größeres Engagement gegen chinesische Praktiken gebeten.
Zwangsumsiedlungen und Arbeitsprogramme für die tibetische Bevölkerung beschleunigen die Sinisierung rasant. Seit vielen Jahren werden tibetische Gemeinden – vor allem aus den Hochtälern oberhalb von 4.000 Metern – aus ihren Heimatdörfern vertrieben. Um die Maßnahmen auch vor dem CESCR besser rechtfertigen zu können, erzwingen die chinesischen Behörden einen vermeintlichen Konsens mit vielen Dorfbewohnern.
Die International Campagin for Tibet (ICT) berichtet von einem systematischen Entzug der Lebensgrundlage für die Betroffenen. Erst werden Schulen geschlossen, dann die Rathäuser und medizinischen Einrichtungen, und schließlich wird auch der rechtliche Spielraum für kommerzielle Selbstversorgung eingeschränkt, um den Menschen ihren Alltag so schwer wie möglich zu machen.
“Nach Jahren der räumlichen Isolation von staatlichen und wirtschaftlichen Strukturen geben die meisten Menschen zermürbt auf und stimmen einer Umsiedlung zu”, sagt Geschäftsführer Kai Müller von ICT Deutschland. Vor der UN wird China diese Zustimmung dann als beiderseitiges Übereinkommen bezeichnen.
Um eine große Einigkeit der Tibeter mit dem Zentralstaat vorzugaukeln, weist China auf das Fehlen rechtlicher Einwände durch betroffene Ethnien selbst hin. Tatsächlich gibt es nur wenige Fälle, in denen juristisch gegen erzwungene Umsiedlungen vorgegangen wird. Müller überrascht das nicht. “Die Tibeter wissen, dass ihnen Repressionen drohen, wenn sie den formellen Rechtsweg einschlagen wollen. Dieses Risiko geht kaum jemand ein”, sagt er.
Auch zu diesem Vorwurf wird sich China unter Punkt 4 der UN-Problemliste detailliert im Palais Wilson in Genf äußern müssen. Dort verlangt der Sozialausschuss eine Stellungnahme zu den Anschuldigungen, dass es zu “Einschüchterung von Anwälten und Kanzleien” in China komme.
Erneut sind mehrere tausend Senioren in der Provinzhauptstadt Wuhan auf die Straße gegangen. Sie haben sich vor dem zentralen Zhongshan-Park versammelt, um ihren Frust öffentlich kundzutun. Die Staatsmacht reagierte wie immer: Sie kesselte die Menge mit einer riesigen Menschenkette von Polizisten ein, sperrte die anliegende U-Bahnstation ab und löschte in Sekundenschnelle sämtliche Fotos des Protests auf den sozialen Medien.
Grund des Anstoßes ist eine von der Lokalregierung durchgeführte Reform der öffentlichen Krankenversicherung, die zu Beginn des Monats umgesetzt wurde. Die vorwiegend älteren Demonstranten befürchten eine massive Kürzung der medizinischen Leistungen. Dabei ist das Gesundheitssystem in vielen chinesischen Provinzen bereits jetzt so rudimentär, dass jede ernsthafte Erkrankung zur existenziellen Krise führen kann.
Bereits vor einer Woche zogen die wütenden Rentner erstmals vor das Regierungsviertel. Unbeeindruckt vom strömenden Regen schrien sie ihren Frust hinaus. “Warum zockt ihr uns kleine Leute ab? Wieso kürzt ihr nicht eure eigenen Leistungen?”, rief damals eine Frau. Auf einem Video ist die Szene zu sehen. Solch großen Proteste gegen Regierungsmaßnahmen sind äußerst selten im autoritär regierten China.
“Wenn die Alten es sich nicht mehr leisten können, einen Arzt zu besuchen, werden die Folgen unvorstellbar sein”, kommentiert ein User auf der Online-Plattform Weibo: “Ich hoffe, dass eine kostenlose medizinische Grundversorgung so bald wie möglich kommt!”
Der Unmut der Rentner aus Wuhan ist nur eines von unzähligen Beispielen, die im ganzen Land zu beobachten sind: die Nachwehen der fast dreijährigen Null-Covid-Politik, die die Lokalregierungen an den Rand des Bankrotts geführt hat, bekommen nun die Menschen in ihrem Alltag zu spüren.
Dass ausgerechnet die pandemische Nulltoleranz-Strategie, bei der ja offiziell die Volksgesundheit im Vordergrund stand, zu nachhaltigen Einbrüchen im Gesundheitssystem führt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Doch bereits vor der Corona-Öffnung war diese Entwicklung abzusehen: Sämtliche verfügbaren Ressourcen der öffentlichen Hand flossen in immer neue Quarantänelager und Testzentren, anstatt beispielsweise in bitter benötigte Notfallbetten.
Als Anfang Dezember schließlich die Corona-Öffnung so rapide, geradezu chaotisch erfolgte, hatte dies vor allem auch einen Grund, der in der öffentlichen Debatte unterging: Die kostspielige Infrastruktur war nicht mehr aufrecht zu halten. Die Lokalregierungen hatten kein Geld mehr, um weiter täglich etliche Millionen zu testen und unter Lockdown zu stellen. Und die Zentralregierung in Peking hatte sich dagegen entschieden, mit finanziellen Mitteln auszuhelfen.
Die langfristigen Auswirkungen werden die Menschen noch auf Jahre zu spüren bekommen. Bereits im November letzten Jahres zeichneten sie sich ab. Zunächst waren es die medizinischen Helfer von den PCR-Teststationen und Quarantäne-Einrichtungen, deren ausstehende Monatslöhne nicht mehr beglichen werden konnten.
Später klagten die Busfahrer und Lehrer in etlichen Provinzen ebenfalls über offene Gehälter. Die Beamten mussten teilweise schon 2021 drastische Kürzungen hinnehmen oder bekamen ihre Boni gestrichen. Und einige Unternehmen beklagen, dass die Lokalregierungen einzelner Provinzen derzeit vermehrt Betriebsprüfungen durchführen, etwa gegen mögliche Umwelt- oder Arbeitsrechtsverstöße, um an Gelder zu kommen.
Die Rentner aus Wuhan haben nun ihren Frust auf die Straße gebracht. Ob der Staat auf ihre Forderungen eingehen wird, ist nach wie vor offen. “Viele vergleichen die Situation mit den erfolgreichen Anti-Covid-Protesten”, kommentiert eine chinesische Nutzerin: “Ich bin da eher pessimistisch. Ich glaube nicht, dass die Leute dieses Mal ihr Ziel mit Protestieren erreichen können”. Fabian Kretschmer
China hat Mängel bei der Menschenrechtslage im eigenen Land eingeräumt. “China steht einer Reihe von Problemen und Herausforderungen bei der Förderung von Menschenrechten gegenüber”, sagte Delegationsleiter Chen Xu am Donnerstag vor dem UN-Sozialausschuss in Genf.
Die von der UNO anerkannten Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Xinjiang versuchte Chen jedoch zu marginalisieren, indem er sie mit der Situation in anderen Ländern gleichsetzte. “Niemand kann eine perfekte Bilanz vorweisen, weil es immer Spielraum für Verbesserungen gibt”, sagte Chen.
Um die eigenen Positionen vor der internationalen Gemeinschaft in Genf nachdrücklich zu vertreten, hat China eine riesige Delegation nach Genf geschickt. Der Ausschuss-Vorsitzende Mohamad Abdel-Moneim aus Ägypten kommentierte zu Beginn der Sitzung süffisant: “Selbstverständlich werde ich nicht die gesamte Liste der Delegierten vorlesen, sonst würde ich nicht vor heute Nachmittag fertig werden.” Chinas unverhältnismäßig großes personelles Auftreten wird als Teil einer Einschüchterungsstrategie gegenüber anderen Mitgliedsstaaten oder Nichtregierungsorganisationen gewertet.
Menschenrechtsorganisationen erkennen vor allem in den Geschehnissen in Xinjiang – die von der US-Regierung als Völkermord bezeichnet werden – und der Zerstörung der tibetischen Kultur eine außergewöhnlich dramatische Menschenrechtsbilanz. Mit Dimensionen anderer Länder sei die Lage in China nicht zu vergleichen. grz
Die EU und China nehmen in dieser Woche ihren seit Jahren ausgesetzten Menschenrechtsdialog wieder auf. Ein Treffen im Rahmen des Dialogs sei für diesen Freitag geplant, bestätigte eine Sprecherin der EU-Kommission China.Table am Dienstag. Die EU erwarte, dass die Wiederaufnahme eine “gezielte Diskussionen über ein breites Themenspektrum ermöglichen wird”, sagte die Kommissionssprecherin.
“Die EU und China haben in diesem Bereich unterschiedliche Ansichten, aber genau deshalb ist dieser Dialog wichtig: um eine offene Diskussion zu führen”, ergänzte sie.
Das nun geplante Treffen am Freitag wird das 38. im Rahmen des Dialogs sein. Das Letzte in dieser Form hatte im April 2019 stattgefunden. Während der Corona-Pandemie gab es kein Dialogtreffen. Beide Seiten hatten sich bereits nach dem EU-China-Gipfel im vergangenen April darauf verständigt, das Format wiederzubeleben.
Peking fährt derzeit eine Charmeoffensive in Europa und schickt unter anderem Chef-Diplomat Wang Yi zur Münchner Sicherheitskonferenz. Den chinesischen Ansichten gegenwirkend sahen Besucher deshalb eine geplante Reise des Gouverneurs von Xinjiang, Erkin Tuniyaz. Dieser soll in dieser Woche mehrere europäische Länder bereisen und dort Politik-Vertreter treffen. Tuniyaz soll zunächst nach Großbritannien reisen. Ob er dort bereits angekommen ist, war lokalen Medienberichten zufolge unklar.
Das Reiseziel Brüssel soll der Gouverneur indes gestrichen haben. Der Besuch sei abgesagt, schrieb unter anderem der Grünen-Europapolitiker und China-Experte Reinhard Bütikofer auf Twitter. Eine offizielle Bestätigung der Absage gab es zunächst nicht. Tuniyaz soll jedoch weiterhin Paris besuchen. Der Gouverneur steht in den USA auf einer schwarzen Liste und darf dort nicht einreisen. Menschenrechtsorganisationen und Politiker fordern auch ein Einreiseverbot für Tuniyaz in Europa. ari
Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang befürchtet eine Zunahme chinesischer Spionageaktivitäten in Deutschland. “China entfaltet breit gefächerte Ausspäh- und Einflussaktivitäten”, erklärte Haldenwang in einem Interview mit der “Welt am Sonntag”.
Während Peking sich früher vor allem auf Wirtschaftsspionage konzentriert habe, stehe nun zunehmend politische Spionageaktivitäten im Vordergrund. “Wir müssen uns darauf einstellen, dass diese in den kommenden Jahren noch zunehmen werden.” Die wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands könne von China zur “Durchsetzung politischer Ziele” ausgenutzt werden, glaubt Haldenwang.
Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums bestätigte der “Welt am Sonntag”, dass Deutschland eines der bedeutendsten nachrichtendienstlichen Aufklärungs- und Einflussziele Chinas sei. Darüber, ob Überflüge chinesischer Spionage-Ballons in Deutschland stattgefunden haben, lägen bislang aber keine Erkenntnisse vor. fpe
Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) der Bundesregierung hat zu verstärkter Vorsicht bei Wissenschaftskooperationen mit China aufgerufen. Die Zusammenarbeit müsse “dort Grenzen haben, wo sie zu Ergebnissen führen kann, die unseren freiheitlich-demokratischen Werten entgegenstehen”, schreibt der Sachverständigenrat in einem Papier, das am Mittwoch der Bundesregierung vorgelegt wurde.
Diese Kooperations-Grenzen würden zunehmend enger, da sich “die Risiken einer Weitergabe von Forschungsergebnissen in vielen Forschungsbereichen erhöht” haben. Die EFI hält es demnach auch für sinnvoll, Projekte der Forschung und Innovation, “bei denen chinesische Akteure beteiligt sind und ein Wissensabfluss wahrscheinlich ist, nicht oder nur unter hohen Auflagen zu fördern.”
Die EFI wiederholte zudem den Vorstoß, eine zentrale China-Kompetenzstelle zur Beratung deutscher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einzurichten. Diese sollte Expertise zu kooperations- und forschungsrelevanten Rechtsfragen bereitstellen, beispielsweise im Hinblick auf den Schutz geistigen Eigentums und Datenschutz. “Zudem sollte die Kompetenzstelle systematisch Informationen über Erfahrungen und Probleme bei deutsch-chinesischen Kooperationen sammeln, auswerten und für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie für Forschungseinrichtungen aufbereiten”, heißt es in dem Bericht.
Die Expertenkommission befürwortet nach eigenen Angaben auch, dass die Bundesregierung mit einer eigenen Chinastrategie die wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands von China verringern will. Die von der Bundesregierung gewollte Stärkung der China-Kompetenz beschäftigt die Forschung und Wissenschaft. Der Vorschlag eines Zentralregisters für Forschungskooperationen war zuletzt auf Kritik gestoßen. ari
Der Bertelsmann Transformationsindex (BTI) zeigt, dass es erstmals seit 2004 mehr autokratische als demokratisch regierte Staaten gibt. Jedoch trägt dieser Feststellung weder das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), der Deutsche-Akademische Austauschdienst (DAAD), noch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) entsprechend Rechnung. Eine konkrete Orientierung, wie mit Forschungskooperationen in autokratisch regierten Staaten zu verfahren ist, lässt auf sich warten.
Bei der Zusammenarbeit mit chinesischen Forschern muss heute berücksichtigt werden, dass der gesamte chinesische Bildungssektor ausschließlich den Zielen der Partei dienen soll. Das bedeutet, dass Fakultätsmitglieder (unsere potenziellen Forschungspartner) auf der Grundlage ihrer patriotischen Qualifikation und ihres sozialistisch-moralischen Charakters ausgewählt und gefördert werden. Hier ist es illusorisch, eine Unabhängigkeit von Staatspartei und Bildungssystem anzunehmen. Eine derartige Trennung findet sich auch nicht in anderen autoritären Systemen, denn ihre Bildungsinhalte sind stets ideologisch motiviert.
Insbesondere weil in Deutschland die Freiheit von Forschung und Lehre im Grundgesetz verankert ist, tragen wir Verantwortung dafür, dass diese Wissenschaftsfreiheit auch in unseren Wissenschaftskooperationen mit ausländischen Partnern hochgehalten wird.
Der DAAD stellte 2020 bereits fest, dass der chinesische Staat seinen wissenschaftlichen Nachwuchs zunehmend selbst fördert, z.B. durch Promotionsstipendien seitens des Chinese Scholarship Councils (CSC). Kürzlich wurde berichtet, dass diese Stipendien Parteiloyalität seitens ihrer Empfänger voraussetzen. Dies schränkt die Möglichkeiten zur gemeinsamen, unbeeinflussten und kritischen Forschung in Deutschland substanziell ein.
Forschung und Wissenschaft in China haben die Aufgabe, die gesellschaftspolitische Agenda der Partei voranzutreiben, die sehr stark auf “gesellschaftliche Stabilität” ausgerichtet ist. Hier werden die Technik- und Naturwissenschaften, sowie die Geistes- und Sozialwissenschaften gleichermaßen für parteiliche Ziele vereinnahmt. Letztere dienen dem Propaganda-Apparat durch die Vermittlung “patriotischer Bildung”, während insbesondere die Technikwissenschaften für zivil-militärische Entwicklungen und Weiterentwicklungen des Überwachungsapparats eingesetzt werden. Diese Vereinnahmung der Wissenschaft für politisch-ideologische Zwecke muss uns bei der Wissenschaftskooperation mit autoritär bzw. autokratisch geführten Staaten immer präsent sein.
Inwieweit das deutsche Hochschulwesen letztlich von chinesischen Studierenden, Doktoranden und Wissenschaftlern konkret profitiert, ist empirisch nicht belegt. Unbestreitbar ist, dass sie zur Diversität unseres Hochschulwesens beitragen. Einen Schluss auf etwaige wissenschaftliche Leistungen lässt dies aber nicht zu. Zumal diese dann ohnehin an Leistungen anderer deutscher und ausländischer Forschender hierzulande gemessen werden müssten.
Zudem werden bei dieser Behauptung gesetzliche Entwicklungen, die in diesem Zusammenhang relevant sind, komplett ausgeblendet. Beispielsweise ermöglicht das Nationale Nachrichtendienstgesetz von 2017 der chinesischen Regierung, jeden Bürger und jede Bürgerin ihres Landes zur Zusammenarbeit mit den Nachrichtendiensten zu verpflichten. Gerade Wissenschaftler spielen hier eine wichtige Rolle, denn sie haben Zugang zu relevantem Wissen. Wer ins Ausland geht, wird von den dortigen chinesischen Botschaften daran erinnert, dem Mutterland etwas zurückzugeben (回报祖国). Und es gibt diverse staatliche Programme, um solches Wissen aus Auslandsaufenthalten strategisch nutzbar zu machen.
Insofern ist es unabdingbar, dass sich alle wissenschaftlichen Institutionen in Deutschland mit der Möglichkeit einer systematischen Überprüfung von chinesischen Gastwissenschaftlern und Doktoranden auseinandersetzen. Nur so können unerwünschte Einflüsse und nachrichtendienstliche Tätigkeiten unterbunden werden. Dies ist insbesondere relevant in den Technik- und Naturwissenschaften. Auch Stipendiengeber wie der DAAD oder diverse Stiftungen sollten eigene chinesische Stipendiaten überprüfen.
Die Bedingungen der Wissenschaftskooperation mit China müssen in der Xi-Ära entsprechend neu konfiguriert werden. Denn von einem Rückgang der Ideologisierung, welche auch das chinesische Bildungssystem betrifft, kann erst einmal nicht ausgegangen werden. Universitäten in China mögen schon früher politisch schwierige Zeiten durchlaufen haben. Dennoch ist das kein Grund, den jetzigen Veränderungen nicht Rechnung zu tragen.
Wir benötigen eine angemessene und verbindliche Risikobewertung und ein entsprechendes Risikomanagement für die Zusammenarbeit mit chinesischen Wissenschaftlern und Einrichtungen (beispielsweise wie in den MIT Guidelines). Diese Maßnahmen haben auch nichts mit einem Verbot von Kooperation zu tun. Es gibt durchaus noch Raum für Kooperationen, nur ist dieser in Anbetracht der ideologisch-getriebenen Politik unter Xi eben deutlich kleiner geworden. Umso genauer muss man jetzt auf die noch laufenden und zukünftigen Forschungskooperationen schauen.