Table.Briefing: China

Gefahren der Überkapazitäten + Europas Vorsprung beim Autonomen Fahren

Liebe Leserin, lieber Leser,

im Wettstreit um die wirtschaftliche Vormachtstellung hat ein altbekannter Begriff erneut Konjunktur. Die sogenannten Überkapazitäten sorgen wieder regelmäßig für Zündstoff zwischen China und dem Westen – ungenutzte Produktionsanlagen, die eine Herstellung weit über der Nachfrage ermöglichen. Die daraus folgenden Billigpreise können Industrien weltweit unter Druck setzen.

Solche Überkapazitäten gibt es seit 1978, seit Beginn der Öffnungspolitik. Christiane Kühl hat sich deswegen genauer angeschaut, warum das Thema derzeit so hochkocht. Das hat mit Chinas Industriepolitik zu tun, aber auch mit schwindender Inlandsnachfrage – und damit, dass es um wichtige Branchen geht, zum Beispiel die Autoindustrie, bei der sich USA, Europa und China aktuell ohnehin einen harten Wettstreit liefern.

Wie Europa beim Autonomen Fahren in diesem Wettlauf tatsächlich noch aufholen könnte, hat Christian Domke Seidel aufgeschrieben. Eine neue Initiative bringt Branchenführer aus vielen Ländern zusammen, mit dem Ziel, globale Sicherheitsstandards zu schaffen. Aus Sicht der europäischen Teilnehmer können chinesische Anbieter nämlich zumindest in diesem Bereich von europäischen Herstellern lernen. Auf jeden Fall hilft es gegen den Eindruck, dass China hier Europa längst enteilt ist.

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Ihre
Carolyn Braun
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Analyse

Überkapazitäten: Welche Industrien gefährdet sind

Metallurgie-Fabrik in Zhangye, Provinz Gansu: Die Branche leidet derzeit am stärksten unter mangelnder Auslastung der Kapazitäten.

Überkapazitäten gibt es in Chinas Industrie seit Beginn der Öffnungspolitik 1978. Doch noch nie hat das Problem für so viel Zündstoff gesorgt wie derzeit. Ein Grund dafür ist, dass im Westen das Bewusstsein für die Verwundbarkeit der eigenen Märkte deutlich gestiegen ist – auch weil aus China inzwischen innovative Produkte statt billiger Plastikwannen und T-Shirts importiert werden. “Heute konzentrieren sich die Überkapazitäten auf die Herstellung von Ausrüstungsgütern und die nachgelagerten Konsumgüterindustrien – und betrifft mehr private Hersteller als staatliche Unternehmen”, zitiert die South China Morning Post eine Studie von Zhong Zhengsheng, Chefökonom bei Ping An Securities in Shenzhen. Vor einem Jahrzehnt hingegen standen staatliche Hersteller von Stahl, Zement und Nichteisenmetallen im Zentrum des Problems.

Der Begriff “Überkapazitäten” bezeichnet eine Situation, der für die “Anlagen oder Produktionsfaktoren eines Unternehmens, eines Wirtschaftszweiges oder einer ganzen Volkswirtschaft nicht genügend Einsatzmöglichkeiten vorhanden sind”. Das heißt, die Nachfrage liegt unter dem möglichen Angebot der Fabriken. Diese können dann entweder Teile ihrer Produktionskapazitäten ruhen lassen – oder aber große Mengen produzieren und dann ins Ausland exportieren, sofern es dort eine Nachfrage gibt. Nur in diesem zweiten Fall entsteht für die westliche Industrie wirklich ein Problem.

Und genau das passiert nun zunehmend. Denn Pekings Strategie hat sich geändert: Früher ging die Regierung gegen die Überkapazitäten ineffizienter Staatskonzerne vor. Heute sieht Peking dagegen Cleantech-Produkte wie die “Neuen Drei” – E-Autos, Solarmodule und Lithiumbatterien – als Lichtblicke in einer schwachen Konjunktur an. Sie sollen wie einst die “Alten Drei” – Kleidung, Haushaltsgeräte und Möbel – zum Exportschlager werden.

Der kombinierte Exportwert der “Neuen Drei” erreichte 2023 nach einer Studie des australischen Griffith Asia Institute bereits mehr als 150 Milliarden US-Dollar, das sind über eine Billion Yuan. Chinas Solarfirmen stöhnen allerdings bereits über Preisverfall und Firmensterben und lassen Kapazitäten in großem Stil ruhen. Wie es mit der Exportflut von Solarmodulen weitergeht, ist daher offen.

Förderung innovativer Sektoren

So oder so, die innovativen Sektoren werden von Peking gezielt gefördert. Gerade erst berichtete die Staatszeitung China Daily von Erwägungen, die Entwicklung von Festkörper-Batterien für E-Autos mit bis zu sechs Milliarden Yuan (rund 763 Millionen Euro) zu unterstützen. Manche Kritiker gehen gar davon aus, dass China seine Produktionskapazitäten nur zu dem einen Zweck aufbläht, die globalen Lieferketten zu dominieren.

China wehrt sich vehement gegen solche Vorwürfe. Gerade die günstigen Cleantech-Produkte helfen der Welt bei der Energiewende, heißt es. Vor allem Entwicklungsländer profitieren davon in der Tat. Doch welche Förderpläne Pekings gelten im internationalen Handel als unzulässige Subvention? Das versucht unter anderem die EU derzeit im E-Auto-Segment zu ermitteln.

Chinas schwache Nachfrage trägt Mitschuld

Eine weitere Frage ist, ob wirklich allein Chinas Industriepolitik für die Überkapazitäten verantwortlich ist. Louise Loo, leitende Ökonomin der britischen Beratungsfirma Oxford Economics, hat daran ihre Zweifel. “Eine differenziertere Betrachtung des gegenwärtigen Industriezyklus deutet darauf hin, dass das bestehende Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage in erster Linie auf eine wesentlich schwächere Inlandsnachfrage zurückzuführen ist”, schreibt sie. So seien die Lagerbestände in der chinesischen Industrie seit Ende 2019 um 39 Prozent gestiegen, was weit über dem Anstieg der Industrieproduktion um 24 Prozent liege. Zum Beispiel habe die Immobilienkrise zu einem Einbruch der Nachfrage nach Produkten aus der metallurgischen Industrie geführt. Deren Kapazitäten aber stehen ja noch.

Angesichts der “schwachen Binnennachfrage und eines produktionsorientierten Konjunkturprogramms” sei für die nächste Zeit ein “zyklisches Überangebot” wahrscheinlich, so Loo. “Verschiedene Dokumente legen nahe, dass dieses konjunkturelle Risiko in den politischen Kreisen des Landes durchaus bekannt ist.” Das Risiko wirklich exzessiver Überkapazitäten sei in China allerdings auf einzelne Sektoren begrenzt.

Auslastung der Kapazitäten in Sektoren gemischt

Am gravierendsten waren die Überkapazitäten im ersten Quartal 2024 nach den Daten von Oxford Economics in der Nichteisenmetallindustrie (unter 65 Prozent Auslastung), gefolgt von der Autoproduktion und der Lebensmittelherstellung. Über alle Branchen im Schnitt betrachtet lag die industrielle Kapazitätsauslastung nach offiziellen Daten im ersten Quartal bei knapp 73,6 Prozent. Als normal werde in den meisten Branchen eine Auslastungsrate von 76 bis 80 Prozent angesehen, sagt Zhong Zhengsheng.

Doch auch innerhalb der Branchen zeigt sich laut Loo ein uneinheitliches Bild. So seien die Fabriken von Elektro-Marktführern wie BYD, Li Auto oder SAIC mit über 80 Prozent deutlich höher ausgelastet als im Schnitt des Elektrosegments von mageren 50 Prozent.

Interne Kritik an Überinvestitionen im Cleantech-Sektor

Noch vor Monaten hatten chinesische Spitzenpolitiker eingeräumt, dass “Überkapazitäten in einigen Industriezweigen” in diesem Jahr eine große wirtschaftliche Herausforderung darstellen. Im März warnte Präsident Xi Jinping vor einem “überstürzten Einstieg in neue Projekte” im Rahmen des von ihm selbst lancierten Strebens nach “neuen Produktivkräften”. Am 23. Mai sagte er auf einem Treffen mit Ökonomen und Firmenlenkern, dass Überinvestitionen in den Cleantech-Sektor “kontraproduktiv” seien. Mehr Investitionen sollten in die Modernisierung der traditionellen Industrien fließen.

Xi wolle, dass die Investitionen breiter innerhalb der “neuen hochwertigen Produktivkräfte” gestreut würden, schreiben die Analysten von Trivium China. Diese seien in der Regel mit Hightech-Upgrades verbunden zur “Steigerung der Wirtschafts-, Ressourcen- und Energieeffizienz”. Das Problem dabei sei: “Die einheimischen Innovatoren werden so lange auf Cleantech setzen, wie diese die besten Wachstumsaussichten haben. Ihnen zu sagen, sie sollen lieber in die Modernisierung traditioneller Industrien wie Stahl investieren, ist schwer zu vermitteln.” Daher erwarten die Trivium-Analysen: “Der Cleantech-Sektor wird ohne (unwahrscheinliche) direkte staatliche Eingriffe überhitzt bleiben.”

Öffentlich hat sich der Ton inzwischen auch geändert, sicher auch als Reaktion auf die geballte Kritik des Westens. Heute betonen Regierungspolitiker, dass es so etwas wie “Chinas Überkapazitätsproblem” gar nicht gebe.

  • Geopolitik
  • Handel
  • Industriepolitik
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Gemeinsame Sicherheitsstandards: Was China beim Autonomen Fahren von Europa lernen kann

Ohne Hände: Der Autopilot von Tesla ist beeindruckend, doch Fahrzeuge ohne Lenkrad sind bisher nicht denkbar.

Die Initiative “The Autonomous” will gemeinschaftliche globale Sicherheitsstandards für Autonomes Fahren vorantreiben. Aus Sicht der europäischen Teilnehmer der neuen Plattform können chinesische Anbieter nämlich zumindest in diesem Bereich von europäischen Herstellern lernen. Damit wollen sich die beteiligten Branchenführer, Wissenschaftler und Experten gegen den Eindruck stemmen, dass China beim Thema Autonomes Fahren davonfahre und Europa nur noch die Rücklichter sehe.

Tatsächlich haben Vertreter der Bundesregierung und der chinesische Industrieminister Jin Zhuanglong beim Besuch von Olaf Scholz in China eine Absichtserklärung zum Autonomen Fahren unterzeichnet. Ihr zufolge arbeiten die beiden Länder bei der Entwicklung von Technologien und internationalen Standards für automatisiertes Fahren weiter zusammen und tauschen sich aus.

Level 5 ist unrealistisch

Worum es geht? Die Autoindustrie arbeitet gerade am großen technologischen Sprung vom Autonomen Fahren Level 3 hin zu Level 4. Dabei übernimmt das System dauerhaft die Steuerung des Fahrzeugs, während sich der Fahrer anderen Beschäftigungen widmen kann. Zumindest, bis das System Unterstützung braucht. Als endgültiges Ziel sehen manche Experten Level 5. Hierbei hat das Auto weder Lenkrad noch Pedale, weil ein menschliches Eingreifen nicht mehr nötig ist. 

Eine Technikfantasie, der Ricky Hudi, Chairman von The Autonomous im Gespräch mit Table.Briefings am Rande des Wiener Motorensymposiums eine klare Absage erteilt. Stufe 5 sei mit der jetzigen und absehbaren Technologie schlicht unrealistisch. Er sollte es wissen, schließlich bringt er mit “The Autonomous” die aktuelle Forschung unter einem Dach zusammen. An dem Zusammenschluss sind neben Initiator TTTech unter anderen auch Nvidia, SAIC, Continental, BMW, Volkswagen, Infineon, Amazon und das Fraunhofer-Institut beteiligt. Wichtigster Output ist bisher die Studie “Safe Automated Driving: Requirements and Architectures“. 

Zusammenarbeit soll knappe Ressourcen bündeln

Das Autonome Fahren sei “die größte Herausforderung seit der Erfindung des Autos”, wie es Hudi ausdrückt. Alleine könnten Unternehmen daran nur scheitern, deshalb der Zusammenschluss. Und tatsächlich sind weder chinesische noch amerikanische oder europäische Hersteller derzeit in der Lage, verlässliche Level-4-Fahrzeuge in Großserie zu bauen. Das Chaos rund um Cariad und eklatante Sicherheitsmängel bei Tesla sind zwei prominente Beispiele großer Player in diesem Bereich.

Wichtig sei es daher, in erster Linie die Fortschritte im Bereich der Sicherheit zu teilen. “The Autonomous” strebt eine Open Source-Lösung an. Knappe Ressourcen für Forschung und Entwicklung könnten so gebündelt werden – Kooperation statt Wettbewerb, wie es Hudi zusammenfasst. Was uneigennützig klingt, hat einen wirtschaftlichen Hintergrund. “Wir dürfen nicht warten, bis uns schädliche Maßnahmen zur Zusammenarbeit zwingen”, sagte Hudi bereits auf einer Keynote 2022.

China setzt auf Trial-and-Error

Die EU hat sich das Ziel gesetzt, die Zahl der Verkehrstoten bis zum Jahr 2030 zu halbieren. Und im Jahr 2050 soll niemand mehr im Straßenverkehr sterben. In den USA haben sich einzelne Städte ähnliche Ziele gesetzt. Die Erreichung hängt stark vom technischen Fortschritt im Automobilbereich ab – und zu dem wollen die Unternehmen nicht gesetzlich gezwungen werden, sobald die selbstgesetzten Fristen der EU näher rücken.

China gilt im Bereich des Autonomen Fahrens zwar als Vorreiter, doch auch die Unternehmen aus der Volksrepublik profitieren von dem Zusammenschluss. Laut Hudi hat das vor allem mit der unterschiedlichen Arbeitsweise zu tun. Während in den USA, vor allem aber in Europa extrem viel getestet werde, bevor eine neue Technologie auf die Straße komme, würden chinesische Unternehmen vorpreschen und viel mit dem Prinzip Trial-and-Error arbeiten. In Zusammenarbeit mit den Unternehmen von “The Autonomous” könnten dann die richtigen Schlüsse gezogen werden. 

Datengesetze erschweren Kooperation

Doch die Zusammenarbeit stößt an ihre Grenzen. Größte Hürde ist die restriktive Datengesetzgebung in China. Strenge Regelungen machen es schwer, Daten aus China nach Deutschland oder in die EU zu transferieren. Umgekehrt ist die Datensicherheit noch nicht geklärt, wie Digital-Expertin Rebecca Arcesati jüngst im Interview erläuterte.

Ob das Interesse daran in China tatsächlich so groß ist, darf zumindest angezweifelt werden. Die Initiative “The Autonomous” und die angestrebte Open Source-Lösung können nicht darüber hinwegtäuschen, dass China und Europa mit zwei vollkommen unterschiedlichen Geschwindigkeiten arbeiten. Zuletzt hat das wieder Geely bewiesen, der zum ersten Autobauer mit eigenem Satellitennetzwerk geworden ist – eine Technologie, die als Basis für relevante Fortschritte im Bereich der Vernetzung und des Autonomen Fahrens angesehen wird. 

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  • Autonomes Fahren
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Sinolytics Radar

Halbleiter: Wie ein neues Automobilbündnis die Versorgung sichern soll

Dieser Inhalt ist Lizenznehmern unserer Vollversion vorbehalten.
  • Angesichts der Exportkontrollen der USA und der EU, die China weiterhin den Zugang zu fortschrittlichen Halbleiterfertigungsmaschinen verwehren, verstärkt China seine Bemühungen, eigene hochmoderne Fertigungsanlagen aufzubauen.
  • Diese Bestrebungen betreffen auch weniger fortschrittliche Chips, zum Beispiel für Anwendungen in Elektrofahrzeugen. Während die chinesischen Hersteller darum kämpfen, die führenden Unternehmen aus den USA und der EU vom chinesischen Markt zu verdrängen, importiert China immer noch rund 90 Prozent seiner Automobilchips.
  • Li Shaohua, Vizepräsident des chinesischen Automobilverbands (CAAM), ist der Ansicht, dass die Förderung der Lokalisierung der Chip-Lieferkette entscheidend für die gesunde Entwicklung der Automobilbranche ist.
  • Bei der Förderung der heimischen Substitution spielen Normen eine entscheidende Rolle. Eine wesentliche Hürde für den Markteintritt chinesischer Anbieter von Automobilchips ist das fehlende Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit ihrer Chips – selbst seitens der chinesischen Automobil-OEMs (Original Equipment Manufacturers). Da Automobilchips rauen Umweltbedingungen ausgesetzt sind, müssen sie wesentlich höhere Standards erfüllen als kommerzielle Chips, wie der Bericht “Reverse Dependencies” von Digital Power China ausführlicher erläutert.
  • Um die Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Automobilchips zu fördern und Vertrauen zwischen Chip-Anbietern und Autoherstellern zu schaffen, hat das Ministerium für Industrie und Informationstechnologien die “China Automotive Industry Innovation Alliance” gegründet. Ziel des Bündnisses ist es unter anderem, Chinas Automobilindustrie unabhängig zu machen und Substitutionen im eigenen Land zu fördern.
  • Mitglieder der Allianz sind chinesische OEMs (z. B. SAIC, BYD, FAW), Anbieter von Automobilelektronik und -software (z. B. CETC, CATL, Weichai), Chip-Unternehmen (z. B. SMIC, Black Sesame, Horizon) und staatliche Forschungseinrichtungen (z. B. CAICT). Während das Bündnis nach eigenen Angaben allen Branchenteilnehmern offen steht, besteht der technische Ausschuss ausschließlich aus chinesischen Unternehmen.

Sinolytics ist ein europäisches Beratungs- und Analyseunternehmen, das sich auf China spezialisiert hat. Es berät europäische Unternehmen bei der strategischen Ausrichtung und den konkreten Geschäftsaktivitäten in der Volksrepublik.

  • Autoindustrie
  • Chips
  • Elektromobilität
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News

Tian’anmen-Massaker: So gedachte die Welt des Jahrestags

Peking hat am 35. Jahrestag der blutigen Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens die “Einmischung” anderer Staaten kritisiert. “Aus den politischen Unruhen, die Ende der 1980er-Jahre passierten, hat die chinesische Regierung früh eine klare Schlussfolgerung gezogen”, erklärte Außenamtssprecherin Mao Ning am Dienstag, ohne weiter auf die besagten Ereignisse einzugehen. Andere Länder hätten das Gedenken dagegen seit jeher als Vorwand genutzt, um China anzugreifen und sich damit in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen. 

In China darf der Niederschlagung der Studentenproteste vom 4. Juni 1989 nicht öffentlich gedacht werden. Am Dienstag mussten Besucher des Tian’anmen-Platzes strenge Ausweis- und Taschenkontrollen über sich ergehen lassen. In der chinesischen Sonderverwaltungsregion Hongkong reagierte die Polizei mit erhöhter Präsenz auf den Jahrestag. Bis zur Durchsetzung des Nationalen Sicherheitsgesetzes waren Gedenkveranstaltungen am 4. Juni fester Bestandteil der Erinnerungskultur der Stadt. Nun wurden besonders rund um den Victoria Park, wo noch bis 2019 jährlich Mahnwachen abgehalten wurden, Polizei-Patrouillen eingesetzt. Tagsüber wurde das Areal für ein Festival mit chinesischer Folklore genutzt.

In den vergangenen Tagen hatte es in Hongkong zudem mehrere Festnahmen im Zusammenhang mit dem Gedenktag gegeben. Unter den Verhafteten war der Künstler Sanmu Chen, der am Montagabend in der Nähe der Station Causeway Bay aufgrund einer pantomimischen Performance verhaftet wurde. Dabei malte er mit dem Finger das Datum des Jahrestages in die Luft. Ein Sprecher der Hongkonger Polizei sagte dem britischen Guardian, Chen sei für Ermittlungen auf die Polizeiwache gebracht worden, sei aber später freigelassen worden.

Taiwans Präsident Lai Ching-te hat der Opfer der blutig niedergeschlagenen Demokratieproteste auf dem Pekinger Tian’anmen-Platz ebenfalls gedacht und Kritik an Peking geübt. “Ein wirklich respektables Land ist eines, das seinen Bürgern erlaubt, ihre Meinung zu sagen”, schrieb er am Dienstag auf Facebook. Jede politische Macht solle den Mut haben, sich der Stimme des Volkes zu stellen. Mehr als 1.000 Menschen haben in Taiwans Hauptstadt Taipei eine Mahnwache gehalten. Mit Kerzen und einer 64 Sekunden langen Schweigeminute gedachten die Menschen der Opfer unter dem Motto “Ideale sind kugelsicher”. 

Auch die deutsche Botschaft in Peking setzte zum Jahrestag ein Zeichen. Nachts wurden die Fenster des Botschaftsgebäudes mit projizierten Kerzen erhellt. Ein Bild davon teilte Botschafterin Patricia Flor auf dem Social-Media-Kanal X. fpe

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  • Nationales Sicherheitsgesetz
  • Tiananmen-Massaker

Chang’e-6: Wie der Rücktransport der Gesteinsproben verlaufen soll

Die chinesische Sonde Chang’e-6 hat ihre Rückreise von der Rückseite des Mondes begonnen. Mit dem erfolgreichen Abflug ist China dem Ziel näher gekommen, als erstes Land Proben von der erdabgewandten Seite des Mondes zurückzubringen.

Die Sonde, die den Mond am Dienstag um 1:38 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit verließ, hat ihre Probenentnahme zwischen dem 2. und 3. Juni erfolgreich abgeschlossen. Die chinesische Raumfahrtbehörde China National Space Administration (CNSA) teilte in einer Erklärung mit, dass Chang’e-6 “dem Test der hohen Temperaturen auf der anderen Seite des Mondes standgehalten hat”.

Die Sonde befindet sich in der Mondumlaufbahn und bewegt sich laut CNSA nun zu einem anderen Raumfahrzeug in der Umlaufbahn treffen. Die Proben werden dann in ein Rückholmodul umgeladen, das zur Erde zurückfliegt und voraussichtlich um den 25. Juni in der Inneren Mongolei landet. Wissenschaftler weltweit hoffen, dass die Bodenproben Antworten auf die Fragen über die Ursprünge des Sonnensystems liefern können. rtr

  • CNSA
  • Forschung
  • Mongolei
  • Raumfahrt
  • Weltraum
  • Wissenschaft

Europawahl: Wie eine niederländische Partei sich von Peking beeinflussen lässt

NL Plan, eine niederländische Partei, die zum ersten Mal an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnimmt, soll enge Verbindungen zu China pflegen. Das ergaben Recherchen des niederländischen Nachrichtensenders RTL Nieuws und der Investigativplattform Follow The Money. Demnach werde NL Plan von Organisationen finanziert, die der Kommunistischen Partei Chinas und deren Einheitsfront nahestehen. In chinesischsprachigen Medien hätten Vertreter der Partei pro-chinesische Ansichten vertreten. NL Plan sei die einzige niederländische Partei, die sich gegen eine vermeintliche “Unterdrückung Chinas” durch die EU und die westliche Welt wende, heißt es da unter anderem.

Auf der Spenderliste stehen auch prominente pro-chinesische Vereine wie die Nationale Föderation für chinesische Organisationen in den Niederlanden (LFCON) und die Niederländisch-Chinesische Handelskammer. Chinesischsprachige Zeitungen in den Niederlanden, wie die United Times und die China Times, hätten ebenfalls für NL Plan gespendet.

NL Plan wendet sich mit seinen Social-Media-Kampagnen vor allem an junge Wähler. Hier tritt sie unter anderem für sozialen Wohnungsbau und Armutsbekämpfung ein. Ihr Mitbegründer und Spitzenkandidat Kok Kuen Chan ist ein 54-jähriger Amsterdamer mit Hongkonger Wurzeln, der in Holland ein Weingeschäft und das Großhandelsunternehmen Brand New China betreibt. fpe

  • Einflussnahme
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Büro-Razzien: Warum Nuctech gerichtlich gegen die Kommission vorgeht

Der chinesische Sicherheitstechnikhersteller Nuctech geht wegen Durchsuchungen in seinen niederländischen und polnischen Büros gerichtlich gegen die Europäische Kommission vor. Das Unternehmen, das Körper- und Gepäckscanner für Flughäfen und Häfen herstellt, hat mitgeteilt, es habe Berufung beim Gericht der Europäischen Union, dem zweithöchsten Gericht der EU, in Luxemburg eingelegt.

Nuctech hat außerdem beantragt, dass das Gericht die EU-Untersuchung aussetzt, um möglichen Schaden für das Unternehmen abzuwenden. Nuctech betonte, es gebe keine Beweise für die Vorwürfe, illegale staatliche Subventionen erhalten zu haben. Die Durchsuchungen der Büros Ende April basierten auf der Foreign Subsidies Regulation (FSR) der EU, die verhindern soll, dass ausländische Unternehmen in der EU einen Vorteil durch Subventionen aus dem Heimatland haben. rtr/ari

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Presseschau

Chinesische Investitionen in Europa auf dem tiefsten Stand seit 13 Jahren HANDELSBLATT
Befreiungsschlag für Chinas Immobilienmarkt verzweifelt gesucht BÖRSEN ZEITUNG
China gives first approvals for public trials of advanced autonomous driving REUTERS
Tesla: Das China-Problem geht in die nächste Runde DER AKTIONÄR
Biden tells Time magazine: China”s economy is on the brink AXIOS
Chinesische Satelliten bereiten dem US-Militär Sorgen FUTUREZONE
Philippines says troops held weapons but did not point at Chinese coast guard REUTERS
War was? Wie Chinas Zeitungen den Volksaufstand vor 35 Jahren totschweigen STERN
China kritisiert Einmischung am Tian”anmen-Jahrestag NAU
Chinas Mondmission: Chang’e 6 startet Rückreise mit Gesteinsproben TELEPOLIS

Standpunkt

Persönlichkeitsrechte: Warum ein Urteil zu KI-gestützter Stimmenimitation richtungsweisend ist

Von Sebastian Wiendieck und Peter Stark
Sebastian Wiendieck (l.) und Peter Stark sind Rechtsanwälte bei Rödl & Partner in China.

Im April 2024 fällte das Pekinger Internetgericht ein weiteres wegweisendes Urteil zur Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI), nachdem selbiges Gericht im November 2023 entschieden hatte, dass KI-generierte Bilder urheberrechtsfähig sein können. Die neue Gerichtsentscheidung betrifft die Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch KI-generierte Stimmenimitate.

Zum Hintergrund: Die Klägerin des Verfahrens, eine Synchronsprecherin, hatte festgestellt, dass ihre Stimme ohne ihre Zustimmung in zahlreichen Hörbüchern verwendet wurde. Durch eigene Nachforschungen fand sie heraus, dass Tonaufnahmen von ihr, die sie zuvor für Hörbücher mit einem Medienunternehmen aufgenommen hatte, von diesem an ein Unternehmen für KI-Software weitergegeben worden waren, mit der Erlaubnis, die Tonaufnahmen kommerziell zu nutzen, zu vervielfältigen und zu verändern. Dieses Unternehmen trainierte mit der Stimme ein KI-gestütztes Tool (Text-to-Speech-Anwendung) und bot die Anwendung mit der Stimme der Klägerin auf dem Markt an. Ein anderes Unternehmen erwarb die Anwendung und verwendete sie zur Vertonung verschiedener Bücher.

Das Gericht stellte fest, dass die Beklagten die Stimme der Klägerin ohne deren Einwilligung verwendet und damit ihre Persönlichkeitsrechte verletzt hatten, und verurteilte die Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz und zur Abgabe einer Entschuldigung.

Stimme der Synchronsprecherin ist einzigartig

Eine wesentliche Frage, die das Gericht zu beantworten hatte, war, ob das Recht einer Person an ihrer Stimme auch die durch den Einsatz von KI reproduzierte Stimme umfasst. Das Gericht bejahte dies. Die natürliche Stimme eines Menschen sei durch Stimmlage und Stimmfrequenz identifizierbar. Sie weise einzigartige und beständige Merkmale auf, die geeignet seien, mit dieser Person verbundene Gedanken und Gefühle hervorzurufen. Geringfügige Veränderungen der Stimme durch den Einsatz der KI-Anwendung hinderten die Zuhörer nicht daran, die von der Anwendung erzeugte Stimme mit natürlichen Stimmen in Verbindung zu bringen, dadurch die mit der ursprünglichen Person verbundenen Gedanken und Gefühle hervorzurufen und die gehörte Stimme unmittelbar mit dieser Person in Verbindung zu bringen. Dadurch werde die Identität der Person offenbart.

In dem Verfahren stellte das Gericht fest, dass die KI-generierte Stimme und die Stimme der Klägerin in Klangfarbe, Tonfall und Aussprachestil in hohem Maße übereinstimmten, was die Zuhörer dazu veranlassen könne, die KI-generierte Stimme mit der Klägerin selbst in Verbindung zu bringen oder ihr zuzuordnen. Die KI-generierte Stimme sei als die Stimme der Klägerin identifizierbar, sodass die Rechte der Klägerin an ihrer Stimme auf die KI-generierte Stimme ausgedehnt werden können.

Nach dem chinesischen Zivilgesetzbuch gelten die Bestimmungen zum Schutz des Rechts am eigenen Bild entsprechend für den Schutz des Rechts an der eigenen Stimme. Demnach ist es jeder natürlichen oder juristischen Person untersagt, die Stimme einer Person zu verwenden, zu verfälschen oder mithilfe von Technologie zu manipulieren. Das Gesetz verbietet, die Stimme einer Person ohne deren Zustimmung herzustellen, zu verwenden oder zu verbreiten.

Quellen können urheberrechtlich geschützt sein

Die Entscheidung des Pekinger Internetgerichts dürfte richtungsweisend für alle Fälle sein, in denen eine KI-generierte Stimme auf die Stimme einer natürlichen Person zurückgeführt werden kann. Liegt keine Einwilligung der Person in die Verwendung ihrer Stimme vor, liegt eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Person vor, die zu einem Schadensersatzanspruch führen kann.

Aber auch wenn ein Vertrag mit einer Person besteht, zum Beispiel für die Produktion eines Werbespots, dürfen die Aufnahmen nicht ohne weiteres anderweitig verwendet werden. Hier ist nach dem Urteil des Pekinger Internetgerichts darauf zu achten, für welche Zwecke und wie weit die ursprüngliche vertragliche Einwilligung der Person zur Nutzung zum Beispiel ihrer Stimme reicht.

Das Training von generativer KI erfordert die Verwendung einer Vielzahl von bereits vorhandenen Daten wie Texten, Bildern, Videos etc. Viele dieser Quellen können urheberrechtlich geschützt sein. Die Verwendung solcher Quellen für das Training kann daher auch das Risiko von Urheberrechtsverletzungen bergen.

Sebastian Wiendieck und Peter Stark sind Rechtsanwälte bei Rödl & Partner in China. Sie betreuen vorwiegend deutsche und europäische Unternehmen, die in China durch Tochtergesellschaften und Niederlassungen vertreten sind oder sich anderweitig im chinesischen Markt engagieren wollen. 

Dieser Beitrag entsteht im Rahmen der Veranstaltungsreihe ,,Global China Conversations” des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Am Donnerstag (06.06.2024, 11.00 Uhr, MESZ) diskutieren Stephan Meyer, Professor für Öffentliches Recht an der Technischen Hochschule Wildau, und Sebastian Wiendieck, Autor dieses Textes und Leiter der Rechtsabteilung von Rödl & Partner in China, unter der Moderation von Dietmar Baetge, Professor für Internationales Wirtschaftsrecht und Wirtschaftsprivatrecht an der TH Wildau, über das Thema Umgang mit Daten: Welche Herausforderungen bestehen für ausländische Unternehmen in China? China.Table und Rödl & Partner sind Medienpartner dieser Veranstaltungsreihe.

  • Künstliche Intelligenz
  • Technologie

Personalien

Bin Gong hat bei Synova China den Posten des Managing Director übernommen. Synova hat seinen Hauptsitz im schweizerischen Duillier und stellt Laserschneidsysteme her. Gong war zuvor Sales Director China beim französischen Lasertechnik-Unternehmen Amplitude.  

Alex Blackie ist seit Mai Head of Experiential Marketing & Sponsorships bei Audi China. Blackie arbeitet seit mehr als acht Jahren für den Autobauer in Peking. Zuletzt war der studierte Literaturwissenschaftler für das Motorsport-Marketing zuständig. 

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

Dessert

Zum internationalen Kindertag am 1. Juni hat “Doraemon the Movie: Nobita’s Earth Symphony” die chinesischen Kinokassen klingeln lassen. Der japanische Animationsfilm spielte laut Daten des China Movie Data Information Network bis zum Sonntag rund 2,49 Millionen US-Dollar ein.

Die Roboterkatze ist eine der beliebtesten Cartoon-Figuren Asiens, wie auch dieses von Drohnen ausgeführte Lichtspektakel in Hongkong zeigt. Ihr Kino-Debüt in China gab die 1969 erfundene Figur im Jahr 2007. Seit 2015 kommt auf dem Festland jährlich ein neuer Film heraus. “Nobita’s Earth Symphony” ist bereits der 43. Teil der Reihe.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    Solche Überkapazitäten gibt es seit 1978, seit Beginn der Öffnungspolitik. Christiane Kühl hat sich deswegen genauer angeschaut, warum das Thema derzeit so hochkocht. Das hat mit Chinas Industriepolitik zu tun, aber auch mit schwindender Inlandsnachfrage – und damit, dass es um wichtige Branchen geht, zum Beispiel die Autoindustrie, bei der sich USA, Europa und China aktuell ohnehin einen harten Wettstreit liefern.

    Wie Europa beim Autonomen Fahren in diesem Wettlauf tatsächlich noch aufholen könnte, hat Christian Domke Seidel aufgeschrieben. Eine neue Initiative bringt Branchenführer aus vielen Ländern zusammen, mit dem Ziel, globale Sicherheitsstandards zu schaffen. Aus Sicht der europäischen Teilnehmer können chinesische Anbieter nämlich zumindest in diesem Bereich von europäischen Herstellern lernen. Auf jeden Fall hilft es gegen den Eindruck, dass China hier Europa längst enteilt ist.

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    Metallurgie-Fabrik in Zhangye, Provinz Gansu: Die Branche leidet derzeit am stärksten unter mangelnder Auslastung der Kapazitäten.

    Überkapazitäten gibt es in Chinas Industrie seit Beginn der Öffnungspolitik 1978. Doch noch nie hat das Problem für so viel Zündstoff gesorgt wie derzeit. Ein Grund dafür ist, dass im Westen das Bewusstsein für die Verwundbarkeit der eigenen Märkte deutlich gestiegen ist – auch weil aus China inzwischen innovative Produkte statt billiger Plastikwannen und T-Shirts importiert werden. “Heute konzentrieren sich die Überkapazitäten auf die Herstellung von Ausrüstungsgütern und die nachgelagerten Konsumgüterindustrien – und betrifft mehr private Hersteller als staatliche Unternehmen”, zitiert die South China Morning Post eine Studie von Zhong Zhengsheng, Chefökonom bei Ping An Securities in Shenzhen. Vor einem Jahrzehnt hingegen standen staatliche Hersteller von Stahl, Zement und Nichteisenmetallen im Zentrum des Problems.

    Der Begriff “Überkapazitäten” bezeichnet eine Situation, der für die “Anlagen oder Produktionsfaktoren eines Unternehmens, eines Wirtschaftszweiges oder einer ganzen Volkswirtschaft nicht genügend Einsatzmöglichkeiten vorhanden sind”. Das heißt, die Nachfrage liegt unter dem möglichen Angebot der Fabriken. Diese können dann entweder Teile ihrer Produktionskapazitäten ruhen lassen – oder aber große Mengen produzieren und dann ins Ausland exportieren, sofern es dort eine Nachfrage gibt. Nur in diesem zweiten Fall entsteht für die westliche Industrie wirklich ein Problem.

    Und genau das passiert nun zunehmend. Denn Pekings Strategie hat sich geändert: Früher ging die Regierung gegen die Überkapazitäten ineffizienter Staatskonzerne vor. Heute sieht Peking dagegen Cleantech-Produkte wie die “Neuen Drei” – E-Autos, Solarmodule und Lithiumbatterien – als Lichtblicke in einer schwachen Konjunktur an. Sie sollen wie einst die “Alten Drei” – Kleidung, Haushaltsgeräte und Möbel – zum Exportschlager werden.

    Der kombinierte Exportwert der “Neuen Drei” erreichte 2023 nach einer Studie des australischen Griffith Asia Institute bereits mehr als 150 Milliarden US-Dollar, das sind über eine Billion Yuan. Chinas Solarfirmen stöhnen allerdings bereits über Preisverfall und Firmensterben und lassen Kapazitäten in großem Stil ruhen. Wie es mit der Exportflut von Solarmodulen weitergeht, ist daher offen.

    Förderung innovativer Sektoren

    So oder so, die innovativen Sektoren werden von Peking gezielt gefördert. Gerade erst berichtete die Staatszeitung China Daily von Erwägungen, die Entwicklung von Festkörper-Batterien für E-Autos mit bis zu sechs Milliarden Yuan (rund 763 Millionen Euro) zu unterstützen. Manche Kritiker gehen gar davon aus, dass China seine Produktionskapazitäten nur zu dem einen Zweck aufbläht, die globalen Lieferketten zu dominieren.

    China wehrt sich vehement gegen solche Vorwürfe. Gerade die günstigen Cleantech-Produkte helfen der Welt bei der Energiewende, heißt es. Vor allem Entwicklungsländer profitieren davon in der Tat. Doch welche Förderpläne Pekings gelten im internationalen Handel als unzulässige Subvention? Das versucht unter anderem die EU derzeit im E-Auto-Segment zu ermitteln.

    Chinas schwache Nachfrage trägt Mitschuld

    Eine weitere Frage ist, ob wirklich allein Chinas Industriepolitik für die Überkapazitäten verantwortlich ist. Louise Loo, leitende Ökonomin der britischen Beratungsfirma Oxford Economics, hat daran ihre Zweifel. “Eine differenziertere Betrachtung des gegenwärtigen Industriezyklus deutet darauf hin, dass das bestehende Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage in erster Linie auf eine wesentlich schwächere Inlandsnachfrage zurückzuführen ist”, schreibt sie. So seien die Lagerbestände in der chinesischen Industrie seit Ende 2019 um 39 Prozent gestiegen, was weit über dem Anstieg der Industrieproduktion um 24 Prozent liege. Zum Beispiel habe die Immobilienkrise zu einem Einbruch der Nachfrage nach Produkten aus der metallurgischen Industrie geführt. Deren Kapazitäten aber stehen ja noch.

    Angesichts der “schwachen Binnennachfrage und eines produktionsorientierten Konjunkturprogramms” sei für die nächste Zeit ein “zyklisches Überangebot” wahrscheinlich, so Loo. “Verschiedene Dokumente legen nahe, dass dieses konjunkturelle Risiko in den politischen Kreisen des Landes durchaus bekannt ist.” Das Risiko wirklich exzessiver Überkapazitäten sei in China allerdings auf einzelne Sektoren begrenzt.

    Auslastung der Kapazitäten in Sektoren gemischt

    Am gravierendsten waren die Überkapazitäten im ersten Quartal 2024 nach den Daten von Oxford Economics in der Nichteisenmetallindustrie (unter 65 Prozent Auslastung), gefolgt von der Autoproduktion und der Lebensmittelherstellung. Über alle Branchen im Schnitt betrachtet lag die industrielle Kapazitätsauslastung nach offiziellen Daten im ersten Quartal bei knapp 73,6 Prozent. Als normal werde in den meisten Branchen eine Auslastungsrate von 76 bis 80 Prozent angesehen, sagt Zhong Zhengsheng.

    Doch auch innerhalb der Branchen zeigt sich laut Loo ein uneinheitliches Bild. So seien die Fabriken von Elektro-Marktführern wie BYD, Li Auto oder SAIC mit über 80 Prozent deutlich höher ausgelastet als im Schnitt des Elektrosegments von mageren 50 Prozent.

    Interne Kritik an Überinvestitionen im Cleantech-Sektor

    Noch vor Monaten hatten chinesische Spitzenpolitiker eingeräumt, dass “Überkapazitäten in einigen Industriezweigen” in diesem Jahr eine große wirtschaftliche Herausforderung darstellen. Im März warnte Präsident Xi Jinping vor einem “überstürzten Einstieg in neue Projekte” im Rahmen des von ihm selbst lancierten Strebens nach “neuen Produktivkräften”. Am 23. Mai sagte er auf einem Treffen mit Ökonomen und Firmenlenkern, dass Überinvestitionen in den Cleantech-Sektor “kontraproduktiv” seien. Mehr Investitionen sollten in die Modernisierung der traditionellen Industrien fließen.

    Xi wolle, dass die Investitionen breiter innerhalb der “neuen hochwertigen Produktivkräfte” gestreut würden, schreiben die Analysten von Trivium China. Diese seien in der Regel mit Hightech-Upgrades verbunden zur “Steigerung der Wirtschafts-, Ressourcen- und Energieeffizienz”. Das Problem dabei sei: “Die einheimischen Innovatoren werden so lange auf Cleantech setzen, wie diese die besten Wachstumsaussichten haben. Ihnen zu sagen, sie sollen lieber in die Modernisierung traditioneller Industrien wie Stahl investieren, ist schwer zu vermitteln.” Daher erwarten die Trivium-Analysen: “Der Cleantech-Sektor wird ohne (unwahrscheinliche) direkte staatliche Eingriffe überhitzt bleiben.”

    Öffentlich hat sich der Ton inzwischen auch geändert, sicher auch als Reaktion auf die geballte Kritik des Westens. Heute betonen Regierungspolitiker, dass es so etwas wie “Chinas Überkapazitätsproblem” gar nicht gebe.

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    Gemeinsame Sicherheitsstandards: Was China beim Autonomen Fahren von Europa lernen kann

    Ohne Hände: Der Autopilot von Tesla ist beeindruckend, doch Fahrzeuge ohne Lenkrad sind bisher nicht denkbar.

    Die Initiative “The Autonomous” will gemeinschaftliche globale Sicherheitsstandards für Autonomes Fahren vorantreiben. Aus Sicht der europäischen Teilnehmer der neuen Plattform können chinesische Anbieter nämlich zumindest in diesem Bereich von europäischen Herstellern lernen. Damit wollen sich die beteiligten Branchenführer, Wissenschaftler und Experten gegen den Eindruck stemmen, dass China beim Thema Autonomes Fahren davonfahre und Europa nur noch die Rücklichter sehe.

    Tatsächlich haben Vertreter der Bundesregierung und der chinesische Industrieminister Jin Zhuanglong beim Besuch von Olaf Scholz in China eine Absichtserklärung zum Autonomen Fahren unterzeichnet. Ihr zufolge arbeiten die beiden Länder bei der Entwicklung von Technologien und internationalen Standards für automatisiertes Fahren weiter zusammen und tauschen sich aus.

    Level 5 ist unrealistisch

    Worum es geht? Die Autoindustrie arbeitet gerade am großen technologischen Sprung vom Autonomen Fahren Level 3 hin zu Level 4. Dabei übernimmt das System dauerhaft die Steuerung des Fahrzeugs, während sich der Fahrer anderen Beschäftigungen widmen kann. Zumindest, bis das System Unterstützung braucht. Als endgültiges Ziel sehen manche Experten Level 5. Hierbei hat das Auto weder Lenkrad noch Pedale, weil ein menschliches Eingreifen nicht mehr nötig ist. 

    Eine Technikfantasie, der Ricky Hudi, Chairman von The Autonomous im Gespräch mit Table.Briefings am Rande des Wiener Motorensymposiums eine klare Absage erteilt. Stufe 5 sei mit der jetzigen und absehbaren Technologie schlicht unrealistisch. Er sollte es wissen, schließlich bringt er mit “The Autonomous” die aktuelle Forschung unter einem Dach zusammen. An dem Zusammenschluss sind neben Initiator TTTech unter anderen auch Nvidia, SAIC, Continental, BMW, Volkswagen, Infineon, Amazon und das Fraunhofer-Institut beteiligt. Wichtigster Output ist bisher die Studie “Safe Automated Driving: Requirements and Architectures“. 

    Zusammenarbeit soll knappe Ressourcen bündeln

    Das Autonome Fahren sei “die größte Herausforderung seit der Erfindung des Autos”, wie es Hudi ausdrückt. Alleine könnten Unternehmen daran nur scheitern, deshalb der Zusammenschluss. Und tatsächlich sind weder chinesische noch amerikanische oder europäische Hersteller derzeit in der Lage, verlässliche Level-4-Fahrzeuge in Großserie zu bauen. Das Chaos rund um Cariad und eklatante Sicherheitsmängel bei Tesla sind zwei prominente Beispiele großer Player in diesem Bereich.

    Wichtig sei es daher, in erster Linie die Fortschritte im Bereich der Sicherheit zu teilen. “The Autonomous” strebt eine Open Source-Lösung an. Knappe Ressourcen für Forschung und Entwicklung könnten so gebündelt werden – Kooperation statt Wettbewerb, wie es Hudi zusammenfasst. Was uneigennützig klingt, hat einen wirtschaftlichen Hintergrund. “Wir dürfen nicht warten, bis uns schädliche Maßnahmen zur Zusammenarbeit zwingen”, sagte Hudi bereits auf einer Keynote 2022.

    China setzt auf Trial-and-Error

    Die EU hat sich das Ziel gesetzt, die Zahl der Verkehrstoten bis zum Jahr 2030 zu halbieren. Und im Jahr 2050 soll niemand mehr im Straßenverkehr sterben. In den USA haben sich einzelne Städte ähnliche Ziele gesetzt. Die Erreichung hängt stark vom technischen Fortschritt im Automobilbereich ab – und zu dem wollen die Unternehmen nicht gesetzlich gezwungen werden, sobald die selbstgesetzten Fristen der EU näher rücken.

    China gilt im Bereich des Autonomen Fahrens zwar als Vorreiter, doch auch die Unternehmen aus der Volksrepublik profitieren von dem Zusammenschluss. Laut Hudi hat das vor allem mit der unterschiedlichen Arbeitsweise zu tun. Während in den USA, vor allem aber in Europa extrem viel getestet werde, bevor eine neue Technologie auf die Straße komme, würden chinesische Unternehmen vorpreschen und viel mit dem Prinzip Trial-and-Error arbeiten. In Zusammenarbeit mit den Unternehmen von “The Autonomous” könnten dann die richtigen Schlüsse gezogen werden. 

    Datengesetze erschweren Kooperation

    Doch die Zusammenarbeit stößt an ihre Grenzen. Größte Hürde ist die restriktive Datengesetzgebung in China. Strenge Regelungen machen es schwer, Daten aus China nach Deutschland oder in die EU zu transferieren. Umgekehrt ist die Datensicherheit noch nicht geklärt, wie Digital-Expertin Rebecca Arcesati jüngst im Interview erläuterte.

    Ob das Interesse daran in China tatsächlich so groß ist, darf zumindest angezweifelt werden. Die Initiative “The Autonomous” und die angestrebte Open Source-Lösung können nicht darüber hinwegtäuschen, dass China und Europa mit zwei vollkommen unterschiedlichen Geschwindigkeiten arbeiten. Zuletzt hat das wieder Geely bewiesen, der zum ersten Autobauer mit eigenem Satellitennetzwerk geworden ist – eine Technologie, die als Basis für relevante Fortschritte im Bereich der Vernetzung und des Autonomen Fahrens angesehen wird. 

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    Sinolytics Radar

    Halbleiter: Wie ein neues Automobilbündnis die Versorgung sichern soll

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    • Angesichts der Exportkontrollen der USA und der EU, die China weiterhin den Zugang zu fortschrittlichen Halbleiterfertigungsmaschinen verwehren, verstärkt China seine Bemühungen, eigene hochmoderne Fertigungsanlagen aufzubauen.
    • Diese Bestrebungen betreffen auch weniger fortschrittliche Chips, zum Beispiel für Anwendungen in Elektrofahrzeugen. Während die chinesischen Hersteller darum kämpfen, die führenden Unternehmen aus den USA und der EU vom chinesischen Markt zu verdrängen, importiert China immer noch rund 90 Prozent seiner Automobilchips.
    • Li Shaohua, Vizepräsident des chinesischen Automobilverbands (CAAM), ist der Ansicht, dass die Förderung der Lokalisierung der Chip-Lieferkette entscheidend für die gesunde Entwicklung der Automobilbranche ist.
    • Bei der Förderung der heimischen Substitution spielen Normen eine entscheidende Rolle. Eine wesentliche Hürde für den Markteintritt chinesischer Anbieter von Automobilchips ist das fehlende Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit ihrer Chips – selbst seitens der chinesischen Automobil-OEMs (Original Equipment Manufacturers). Da Automobilchips rauen Umweltbedingungen ausgesetzt sind, müssen sie wesentlich höhere Standards erfüllen als kommerzielle Chips, wie der Bericht “Reverse Dependencies” von Digital Power China ausführlicher erläutert.
    • Um die Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Automobilchips zu fördern und Vertrauen zwischen Chip-Anbietern und Autoherstellern zu schaffen, hat das Ministerium für Industrie und Informationstechnologien die “China Automotive Industry Innovation Alliance” gegründet. Ziel des Bündnisses ist es unter anderem, Chinas Automobilindustrie unabhängig zu machen und Substitutionen im eigenen Land zu fördern.
    • Mitglieder der Allianz sind chinesische OEMs (z. B. SAIC, BYD, FAW), Anbieter von Automobilelektronik und -software (z. B. CETC, CATL, Weichai), Chip-Unternehmen (z. B. SMIC, Black Sesame, Horizon) und staatliche Forschungseinrichtungen (z. B. CAICT). Während das Bündnis nach eigenen Angaben allen Branchenteilnehmern offen steht, besteht der technische Ausschuss ausschließlich aus chinesischen Unternehmen.

    Sinolytics ist ein europäisches Beratungs- und Analyseunternehmen, das sich auf China spezialisiert hat. Es berät europäische Unternehmen bei der strategischen Ausrichtung und den konkreten Geschäftsaktivitäten in der Volksrepublik.

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    • Chips
    • Elektromobilität
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    News

    Tian’anmen-Massaker: So gedachte die Welt des Jahrestags

    Peking hat am 35. Jahrestag der blutigen Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens die “Einmischung” anderer Staaten kritisiert. “Aus den politischen Unruhen, die Ende der 1980er-Jahre passierten, hat die chinesische Regierung früh eine klare Schlussfolgerung gezogen”, erklärte Außenamtssprecherin Mao Ning am Dienstag, ohne weiter auf die besagten Ereignisse einzugehen. Andere Länder hätten das Gedenken dagegen seit jeher als Vorwand genutzt, um China anzugreifen und sich damit in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen. 

    In China darf der Niederschlagung der Studentenproteste vom 4. Juni 1989 nicht öffentlich gedacht werden. Am Dienstag mussten Besucher des Tian’anmen-Platzes strenge Ausweis- und Taschenkontrollen über sich ergehen lassen. In der chinesischen Sonderverwaltungsregion Hongkong reagierte die Polizei mit erhöhter Präsenz auf den Jahrestag. Bis zur Durchsetzung des Nationalen Sicherheitsgesetzes waren Gedenkveranstaltungen am 4. Juni fester Bestandteil der Erinnerungskultur der Stadt. Nun wurden besonders rund um den Victoria Park, wo noch bis 2019 jährlich Mahnwachen abgehalten wurden, Polizei-Patrouillen eingesetzt. Tagsüber wurde das Areal für ein Festival mit chinesischer Folklore genutzt.

    In den vergangenen Tagen hatte es in Hongkong zudem mehrere Festnahmen im Zusammenhang mit dem Gedenktag gegeben. Unter den Verhafteten war der Künstler Sanmu Chen, der am Montagabend in der Nähe der Station Causeway Bay aufgrund einer pantomimischen Performance verhaftet wurde. Dabei malte er mit dem Finger das Datum des Jahrestages in die Luft. Ein Sprecher der Hongkonger Polizei sagte dem britischen Guardian, Chen sei für Ermittlungen auf die Polizeiwache gebracht worden, sei aber später freigelassen worden.

    Taiwans Präsident Lai Ching-te hat der Opfer der blutig niedergeschlagenen Demokratieproteste auf dem Pekinger Tian’anmen-Platz ebenfalls gedacht und Kritik an Peking geübt. “Ein wirklich respektables Land ist eines, das seinen Bürgern erlaubt, ihre Meinung zu sagen”, schrieb er am Dienstag auf Facebook. Jede politische Macht solle den Mut haben, sich der Stimme des Volkes zu stellen. Mehr als 1.000 Menschen haben in Taiwans Hauptstadt Taipei eine Mahnwache gehalten. Mit Kerzen und einer 64 Sekunden langen Schweigeminute gedachten die Menschen der Opfer unter dem Motto “Ideale sind kugelsicher”. 

    Auch die deutsche Botschaft in Peking setzte zum Jahrestag ein Zeichen. Nachts wurden die Fenster des Botschaftsgebäudes mit projizierten Kerzen erhellt. Ein Bild davon teilte Botschafterin Patricia Flor auf dem Social-Media-Kanal X. fpe

    • Menschenrechte
    • Nationales Sicherheitsgesetz
    • Tiananmen-Massaker

    Chang’e-6: Wie der Rücktransport der Gesteinsproben verlaufen soll

    Die chinesische Sonde Chang’e-6 hat ihre Rückreise von der Rückseite des Mondes begonnen. Mit dem erfolgreichen Abflug ist China dem Ziel näher gekommen, als erstes Land Proben von der erdabgewandten Seite des Mondes zurückzubringen.

    Die Sonde, die den Mond am Dienstag um 1:38 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit verließ, hat ihre Probenentnahme zwischen dem 2. und 3. Juni erfolgreich abgeschlossen. Die chinesische Raumfahrtbehörde China National Space Administration (CNSA) teilte in einer Erklärung mit, dass Chang’e-6 “dem Test der hohen Temperaturen auf der anderen Seite des Mondes standgehalten hat”.

    Die Sonde befindet sich in der Mondumlaufbahn und bewegt sich laut CNSA nun zu einem anderen Raumfahrzeug in der Umlaufbahn treffen. Die Proben werden dann in ein Rückholmodul umgeladen, das zur Erde zurückfliegt und voraussichtlich um den 25. Juni in der Inneren Mongolei landet. Wissenschaftler weltweit hoffen, dass die Bodenproben Antworten auf die Fragen über die Ursprünge des Sonnensystems liefern können. rtr

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    Europawahl: Wie eine niederländische Partei sich von Peking beeinflussen lässt

    NL Plan, eine niederländische Partei, die zum ersten Mal an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnimmt, soll enge Verbindungen zu China pflegen. Das ergaben Recherchen des niederländischen Nachrichtensenders RTL Nieuws und der Investigativplattform Follow The Money. Demnach werde NL Plan von Organisationen finanziert, die der Kommunistischen Partei Chinas und deren Einheitsfront nahestehen. In chinesischsprachigen Medien hätten Vertreter der Partei pro-chinesische Ansichten vertreten. NL Plan sei die einzige niederländische Partei, die sich gegen eine vermeintliche “Unterdrückung Chinas” durch die EU und die westliche Welt wende, heißt es da unter anderem.

    Auf der Spenderliste stehen auch prominente pro-chinesische Vereine wie die Nationale Föderation für chinesische Organisationen in den Niederlanden (LFCON) und die Niederländisch-Chinesische Handelskammer. Chinesischsprachige Zeitungen in den Niederlanden, wie die United Times und die China Times, hätten ebenfalls für NL Plan gespendet.

    NL Plan wendet sich mit seinen Social-Media-Kampagnen vor allem an junge Wähler. Hier tritt sie unter anderem für sozialen Wohnungsbau und Armutsbekämpfung ein. Ihr Mitbegründer und Spitzenkandidat Kok Kuen Chan ist ein 54-jähriger Amsterdamer mit Hongkonger Wurzeln, der in Holland ein Weingeschäft und das Großhandelsunternehmen Brand New China betreibt. fpe

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    Büro-Razzien: Warum Nuctech gerichtlich gegen die Kommission vorgeht

    Der chinesische Sicherheitstechnikhersteller Nuctech geht wegen Durchsuchungen in seinen niederländischen und polnischen Büros gerichtlich gegen die Europäische Kommission vor. Das Unternehmen, das Körper- und Gepäckscanner für Flughäfen und Häfen herstellt, hat mitgeteilt, es habe Berufung beim Gericht der Europäischen Union, dem zweithöchsten Gericht der EU, in Luxemburg eingelegt.

    Nuctech hat außerdem beantragt, dass das Gericht die EU-Untersuchung aussetzt, um möglichen Schaden für das Unternehmen abzuwenden. Nuctech betonte, es gebe keine Beweise für die Vorwürfe, illegale staatliche Subventionen erhalten zu haben. Die Durchsuchungen der Büros Ende April basierten auf der Foreign Subsidies Regulation (FSR) der EU, die verhindern soll, dass ausländische Unternehmen in der EU einen Vorteil durch Subventionen aus dem Heimatland haben. rtr/ari

    • EU
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    • Subventionen

    Presseschau

    Chinesische Investitionen in Europa auf dem tiefsten Stand seit 13 Jahren HANDELSBLATT
    Befreiungsschlag für Chinas Immobilienmarkt verzweifelt gesucht BÖRSEN ZEITUNG
    China gives first approvals for public trials of advanced autonomous driving REUTERS
    Tesla: Das China-Problem geht in die nächste Runde DER AKTIONÄR
    Biden tells Time magazine: China”s economy is on the brink AXIOS
    Chinesische Satelliten bereiten dem US-Militär Sorgen FUTUREZONE
    Philippines says troops held weapons but did not point at Chinese coast guard REUTERS
    War was? Wie Chinas Zeitungen den Volksaufstand vor 35 Jahren totschweigen STERN
    China kritisiert Einmischung am Tian”anmen-Jahrestag NAU
    Chinas Mondmission: Chang’e 6 startet Rückreise mit Gesteinsproben TELEPOLIS

    Standpunkt

    Persönlichkeitsrechte: Warum ein Urteil zu KI-gestützter Stimmenimitation richtungsweisend ist

    Von Sebastian Wiendieck und Peter Stark
    Sebastian Wiendieck (l.) und Peter Stark sind Rechtsanwälte bei Rödl & Partner in China.

    Im April 2024 fällte das Pekinger Internetgericht ein weiteres wegweisendes Urteil zur Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI), nachdem selbiges Gericht im November 2023 entschieden hatte, dass KI-generierte Bilder urheberrechtsfähig sein können. Die neue Gerichtsentscheidung betrifft die Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch KI-generierte Stimmenimitate.

    Zum Hintergrund: Die Klägerin des Verfahrens, eine Synchronsprecherin, hatte festgestellt, dass ihre Stimme ohne ihre Zustimmung in zahlreichen Hörbüchern verwendet wurde. Durch eigene Nachforschungen fand sie heraus, dass Tonaufnahmen von ihr, die sie zuvor für Hörbücher mit einem Medienunternehmen aufgenommen hatte, von diesem an ein Unternehmen für KI-Software weitergegeben worden waren, mit der Erlaubnis, die Tonaufnahmen kommerziell zu nutzen, zu vervielfältigen und zu verändern. Dieses Unternehmen trainierte mit der Stimme ein KI-gestütztes Tool (Text-to-Speech-Anwendung) und bot die Anwendung mit der Stimme der Klägerin auf dem Markt an. Ein anderes Unternehmen erwarb die Anwendung und verwendete sie zur Vertonung verschiedener Bücher.

    Das Gericht stellte fest, dass die Beklagten die Stimme der Klägerin ohne deren Einwilligung verwendet und damit ihre Persönlichkeitsrechte verletzt hatten, und verurteilte die Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz und zur Abgabe einer Entschuldigung.

    Stimme der Synchronsprecherin ist einzigartig

    Eine wesentliche Frage, die das Gericht zu beantworten hatte, war, ob das Recht einer Person an ihrer Stimme auch die durch den Einsatz von KI reproduzierte Stimme umfasst. Das Gericht bejahte dies. Die natürliche Stimme eines Menschen sei durch Stimmlage und Stimmfrequenz identifizierbar. Sie weise einzigartige und beständige Merkmale auf, die geeignet seien, mit dieser Person verbundene Gedanken und Gefühle hervorzurufen. Geringfügige Veränderungen der Stimme durch den Einsatz der KI-Anwendung hinderten die Zuhörer nicht daran, die von der Anwendung erzeugte Stimme mit natürlichen Stimmen in Verbindung zu bringen, dadurch die mit der ursprünglichen Person verbundenen Gedanken und Gefühle hervorzurufen und die gehörte Stimme unmittelbar mit dieser Person in Verbindung zu bringen. Dadurch werde die Identität der Person offenbart.

    In dem Verfahren stellte das Gericht fest, dass die KI-generierte Stimme und die Stimme der Klägerin in Klangfarbe, Tonfall und Aussprachestil in hohem Maße übereinstimmten, was die Zuhörer dazu veranlassen könne, die KI-generierte Stimme mit der Klägerin selbst in Verbindung zu bringen oder ihr zuzuordnen. Die KI-generierte Stimme sei als die Stimme der Klägerin identifizierbar, sodass die Rechte der Klägerin an ihrer Stimme auf die KI-generierte Stimme ausgedehnt werden können.

    Nach dem chinesischen Zivilgesetzbuch gelten die Bestimmungen zum Schutz des Rechts am eigenen Bild entsprechend für den Schutz des Rechts an der eigenen Stimme. Demnach ist es jeder natürlichen oder juristischen Person untersagt, die Stimme einer Person zu verwenden, zu verfälschen oder mithilfe von Technologie zu manipulieren. Das Gesetz verbietet, die Stimme einer Person ohne deren Zustimmung herzustellen, zu verwenden oder zu verbreiten.

    Quellen können urheberrechtlich geschützt sein

    Die Entscheidung des Pekinger Internetgerichts dürfte richtungsweisend für alle Fälle sein, in denen eine KI-generierte Stimme auf die Stimme einer natürlichen Person zurückgeführt werden kann. Liegt keine Einwilligung der Person in die Verwendung ihrer Stimme vor, liegt eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Person vor, die zu einem Schadensersatzanspruch führen kann.

    Aber auch wenn ein Vertrag mit einer Person besteht, zum Beispiel für die Produktion eines Werbespots, dürfen die Aufnahmen nicht ohne weiteres anderweitig verwendet werden. Hier ist nach dem Urteil des Pekinger Internetgerichts darauf zu achten, für welche Zwecke und wie weit die ursprüngliche vertragliche Einwilligung der Person zur Nutzung zum Beispiel ihrer Stimme reicht.

    Das Training von generativer KI erfordert die Verwendung einer Vielzahl von bereits vorhandenen Daten wie Texten, Bildern, Videos etc. Viele dieser Quellen können urheberrechtlich geschützt sein. Die Verwendung solcher Quellen für das Training kann daher auch das Risiko von Urheberrechtsverletzungen bergen.

    Sebastian Wiendieck und Peter Stark sind Rechtsanwälte bei Rödl & Partner in China. Sie betreuen vorwiegend deutsche und europäische Unternehmen, die in China durch Tochtergesellschaften und Niederlassungen vertreten sind oder sich anderweitig im chinesischen Markt engagieren wollen. 

    Dieser Beitrag entsteht im Rahmen der Veranstaltungsreihe ,,Global China Conversations” des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Am Donnerstag (06.06.2024, 11.00 Uhr, MESZ) diskutieren Stephan Meyer, Professor für Öffentliches Recht an der Technischen Hochschule Wildau, und Sebastian Wiendieck, Autor dieses Textes und Leiter der Rechtsabteilung von Rödl & Partner in China, unter der Moderation von Dietmar Baetge, Professor für Internationales Wirtschaftsrecht und Wirtschaftsprivatrecht an der TH Wildau, über das Thema Umgang mit Daten: Welche Herausforderungen bestehen für ausländische Unternehmen in China? China.Table und Rödl & Partner sind Medienpartner dieser Veranstaltungsreihe.

    • Künstliche Intelligenz
    • Technologie

    Personalien

    Bin Gong hat bei Synova China den Posten des Managing Director übernommen. Synova hat seinen Hauptsitz im schweizerischen Duillier und stellt Laserschneidsysteme her. Gong war zuvor Sales Director China beim französischen Lasertechnik-Unternehmen Amplitude.  

    Alex Blackie ist seit Mai Head of Experiential Marketing & Sponsorships bei Audi China. Blackie arbeitet seit mehr als acht Jahren für den Autobauer in Peking. Zuletzt war der studierte Literaturwissenschaftler für das Motorsport-Marketing zuständig. 

    Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

    Dessert

    Zum internationalen Kindertag am 1. Juni hat “Doraemon the Movie: Nobita’s Earth Symphony” die chinesischen Kinokassen klingeln lassen. Der japanische Animationsfilm spielte laut Daten des China Movie Data Information Network bis zum Sonntag rund 2,49 Millionen US-Dollar ein.

    Die Roboterkatze ist eine der beliebtesten Cartoon-Figuren Asiens, wie auch dieses von Drohnen ausgeführte Lichtspektakel in Hongkong zeigt. Ihr Kino-Debüt in China gab die 1969 erfundene Figur im Jahr 2007. Seit 2015 kommt auf dem Festland jährlich ein neuer Film heraus. “Nobita’s Earth Symphony” ist bereits der 43. Teil der Reihe.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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