Table.Briefing: China

Designierter EU-Handelschef Šefčovič + Chinas Superreichen-Liste

Liebe Leserin, lieber Leser,

wie Maroš Šefčovič wohl die Streitigkeiten der EU und China um Zusatzzölle auf chinesische E-Autos verfolgt hat? Hat er sich freiwillig für das derzeit extrem aufreibende Handelsportfolio in den Job-Ring geworfen? Erfahrung hat der Slowake, seit 2009 ist er – mit einer kleinen Unterbrechung – EU-Kommissar. Das Handelsportfolio hatte er bisher allerdings so nicht inne. Šefčovič konnte in den vergangenen Monaten bereits sehen, dass die Aufgabe nicht einfach werden wird. Bei seiner Anhörung bei den EU-Parlamentariern hat er nun überzeugt – auch mit seinem China-Ansatz.

Unsere zweite Analyse beschäftigt sich mit der tragischen Lage der Superreichen in China: Denn diese werden immer weniger. Es gibt nur noch 753 Menschen mit einem Vermögen von mindestens einer Milliarde US-Dollar in der Volksrepublik, Taiwan und Hongkong. Seit dem Höchststand von 1.185 im Jahr 2021 hat China damit 432 Milliardäre verloren. Jörn Petring hat sich die aktuelle Hurun-Liste angesehen. Sie zeigt, welche Branchen besonders tief in der Krise stecken – und welche Technologien und Entwicklungen zurzeit die Welt bewegen.

Ihre
Amelie Richter
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Analyse

Šefčovič: Designierter EU-Handelskommissar will den China-“Reset”

Der designierte Kommissar für Handel und wirtschaftliche Sicherheit Maroš Šefčovič warb im Parlament für seine Bestätigung.

Der ewige Kommissar darf bleiben. Maroš Šefčovič, der seit 2009 EU-Kommissar ist, hat die Abgeordneten der relevanten Parlamentsausschüsse im Hearing von sich überzeugen können: Der designierte EU-Kommissar für Handel und wirtschaftliche Sicherheit sowie für interinstitutionelle Beziehungen und Transparenz war beim Handelsausschuss (INTA) und beim Ausschuss für konstitutionelle Fragen (AFCO) zu Besuch und bekam die Bestätigung. Er wird das Handels-Portfolio von Valdis Dombrovskis übernehmen – und das in der angespannten Lage des brodelnden Handelsstreits zwischen Brüssel und Peking.

Mit Šefčovič wird es keinen Richtungswechsel in der Handelsdirektion geben: Die EU müsse einen “Reset” mit China anstreben und die Handelsbeziehungen besser “ausbalancieren”, sagte der Slowake am Montag. Dafür will Šefčovič vermehrt auf die Nutzung von Handelsverteidigungsinstrumenten setzen. “Wir brauchen ein ‘Level Playing Field'”, wiederholte er mehrmals. China bezeichnete er als “drittgrößten und anspruchsvollsten” Handelspartner der EU.

Er wolle “De-Risking vorantreiben”, da sich die EU “keine Abhängigkeiten leisten kann” und “auch keine Zwangs-Strategien tolerieren wird”. Auf die Frage von zwei französischen Abgeordneten, ob er ein neues Instrument zur Bekämpfung chinesischer Überproduktion einführen wolle, antwortete er ausweichend. Šefčovič versprach eine “agile” Handels- und Wirtschaftssicherheitspolitik für die EU. “Wird dieses Jahrhundert chinesisch oder amerikanisch sein? Wir können dafür sorgen, dass es auch europäisch ist.”

Šefčovič betonte seine Unterstützung für die Ukraine

Šefčovič schlug sich in der dreieinhalbstündigen Anhörung mehrheitlich souverän. Die langjährige Erfahrung erlaubt es dem ehemaligen slowakischen Diplomaten, seine Antworten mit Details und Anekdoten zu spicken und bei den politisch heiklen Themen dennoch vage zu bleiben.

Mehrmals betonte er seine Unterstützung für die Ukraine, wohl um s Zweifel bezüglich seines Verhältnisses mit der EU-kritischen slowakischen Fico-Regierung zu zerstreuen. Sloweniens Ministerpräsident Robert Fico hatte erst vergangene Woche eine strategische Partnerschaft mit Chinas Staatschef Xi Jinping geschlossen. In einem kurzen Pressestatement nach der Anhörung sagte Šefčovič, er sei in seiner Arbeit in der Kommission “immer nur vom allgemeinen europäischen Interessen geleitet” gewesen.

Der INTA-Vorsitzende Bernd Lange (SPD) fand im Anschluss an die Anhörung lobende Worte für Šefčovič. Er habe klar aufgezeigt, wo die Prioritäten für die EU in einer globalisierten Welt liegen sollten und dass er die Interessen der EU verteidigen werde.

Rohstoff-Sicherheit und neue Freihandelsabkommen

Während der Anhörungen sprach Šefčovič eine Reihe von Themen an, die den Handel mit China indirekt betreffen:

  • Šefčovič versprach, sich stark in die stockenden Verhandlungen zu den Handelsabkommen mit Mercosur und Mexiko einzubringen. Zudem wolle er schauen, wie man Blockaden in den Gesprächen mit Australien lösen könne. Er sprach sich für weniger umfassende Freihandelsabkommen aus.
  • Gleichzeitig versprach er aber, die Interessen der Agrarindustrie in den Verhandlungen zu verteidigen.
  • Die sogenannten “Clean Trade and Investment Partnerships” sollen gezielt gewisse Märkte öffnen und Versorgungssicherheit mit wichtigen Rohstoffen sicherstellen – ein wichtiger Punkt für die De-Risking-Strategie.

Die Anhörungen der designierten EU-Kommissionsmitglieder werden noch bis Mitte des Monats dauern. Am Mittwoch ist Jozef Síkela dran, der potenziell für Global Gateway verantwortlich sein wird, dem Konkurrenz-Programm zu Chinas Belt and Road-Initiative. Die designierte EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas wird sich dann kommenden Dienstag Fragen der EU-Abgeordneten stellen. 

  • De-Risking
  • EU-Kommission
  • Global Gateway
  • Handel
  • Rohstoffe
  • wirtschaftliche Sicherheit
  • Xi Jinping
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Hurun-Liste: Was Chinas Milliardärs-Ranking über den Zustand der Wirtschaft verrät

Erstmals reichster Chinese: Zhang Yiming, Gründer von Bytedance – dem Unternehmen, das die Video-App Tiktok in aller Welt populär gemacht hat.

Rupert Hoogewerf ist einer der besten Kenner Chinas Superreicher. Seit 1999 veröffentlicht der Brite den sogenannten Hurun-Report, eine Liste mit den Namen der chinesischen Milliardäre. Doch die Daten sind mehr als Klatsch und Tratsch über die oberen Zehntausend. Die Hurun China Rich List, so Hoogeweerf, sei ein Spiegel der chinesischen Wirtschaft. Sie verrät, welche Branchen in China boomen und welche durch die Krise gehen.

Eine der zentralen Erkenntnisse der diesjährigen Auswertung lautet: Die schwierige Wirtschaftslage macht auch vor den Reichsten des Landes nicht halt. Laut Hurun sank die Zahl der Milliardäre im vergangenen Jahr deutlich um 142. So gab es in China nur noch 753 Menschen mit einem Vermögen von mindestens einer Milliarde US-Dollar. Die Zahl wird noch kleiner, rechnet man die Dutzenden Taiwanesen wie Foxconn-Gründer Terry Gou heraus, die in die China-Liste integriert sind.

Seit dem Höchststand von 1.185 im Jahr 2021 haben die Volksrepublik, Hongkong und Taiwan damit 432 Milliardäre verloren, was etwa einem Drittel entspricht. “Die Hurun China Rich List schrumpft zum dritten Mal in Folge, da die chinesische Wirtschaft und die Aktienmärkte ein schwieriges Jahr hatten”, sagt Hoogewerf.

Die alte Elite der Immobilienentwickler weicht

Eine andere Erkenntnis: Der außerordentliche Wohlstand verschiebt sich – zwar nicht in Richtung der sozial Schwachen, stattdessen weg von einem Industriezweig, hin zu einem anderen. Die Hälfte der Unternehmerinnen und Unternehmer auf der Liste war vor fünf Jahren noch nicht im Milliardärsklub vertreten. Und sogar 80 Prozent der Gelisteten besaßen vor zehn Jahren noch weniger als eine Milliarde US-Dollar. Der Hurun-Report folgert: Die alte Elite der Immobilienentwickler weiche einer neuen Generation in Sektoren wie Technologie, erneuerbare Energien, Unterhaltungselektronik, E-Commerce, Konsumgüter und Gesundheitswesen.

Zhang Yiming, Gründer der Tiktok-Muttergesellschaft Bytedance, erreichte erstmals den Spitzenplatz mit einem Vermögen von 49,3 Milliarden Dollar. Auch der 41-Jährige tauchte vor zehn Jahren noch nicht auf der Liste auf. Sein Aufstieg spiegelt die globale Popularität von Tiktok der vergangenen Jahre wider. Zhang ist der 18. Spitzenreiter in China in 26 Jahren. Zum Vergleich: In den USA gab es in dieser Zeit nur vier Spitzenreiter – Bill Gates, Warren Buffett, Jeff Bezos und Elon Musk. Für Hurun-Chef Hoogewerf ist das ein klares Zeichen “für die Dynamik der chinesischen Wirtschaft”.

Schwierige Voraussetzungen für nachhaltige Erfolgsrezepte

Erfolgreich waren zuletzt jene Unternehmer, die mit ihren Apps international expandieren konnten. Das gelang Zhang Yiming mit seiner Video-Plattform ebenso wie Colin Huang mit der Shopping-App Temu sowie Chris Xu mit der App Shein für Fast Fashion. Gemein haben alle drei Unternehmen, dass sie international unter hohem Druck stehen. Tiktok droht in den USA ein Verbot, wo es als Propaganda-Instrument der Kommunistischen Partei gebrandmarkt ist. Temu und Shein stehen hingegen im Verdacht, vom staatlichen Arbeitstransfer-Programmen für Uiguren in China zu profitieren.

Politische Entscheidungen in aller Welt könnten also einen gehörigen Einfluss auf den Auf- und Abstieg von Unternehmern im Hurun-Ranking der Zukunft haben. Das alles sind schwierige Voraussetzungen für nachhaltige Erfolgsrezepte. Ein gutes Beispiel dafür: E-Autos. Im vergangenen Jahrzehnt schossen chinesische Hersteller wie Pilze aus dem Boden, ehe der harte Wettbewerb und Zusatzölle begannen, Tribut zu fordern. Entsprechend gesunken sind die Börsen-Werte der Unternehmen, die deutlich unter den Höchstständen von 2021 liegen und dabei die Privatvermögen ihrer Inhaber mit in die Tiefe rissen.

Aufschwung der Elektromobilität und grüner Energie

Noch unaufhaltsam scheint dagegen der Siegeszug der Smartphones zu sein. Die Vermögen von Pony Ma von Tencent und Ding Lei von Netease wurden innerhalb einer Dekade um jeweils 30 Milliarden US-Dollar in die Höhe katapultiert. Andere Unternehmer aus demselben Sektor wie Lei Jun von Xiaomi haben ihren Reichtum im gleichen Zeitraum verdreifacht. Wang Laichun, dessen Unternehmen Luxshare Precision elektronische Komponenten für Smartphones produziert, hat es sogar versiebenfacht.

Catl-Gründer Robin Zeng (Lithiumbatterien) oder Li Zhenguo von Longi (Solarmodule) waren vor einem Jahrzehnt noch nicht Teil des exklusiven Klubs. Ihr Aufstieg steht sinnbildlich für den Aufschwung der Elektromobilität und grüner Energie in China, aber auch anderswo in der Welt. Auch Cai Haoyu expandierte mit der Online-Gaming-Plattform Mihoyo weltweit. Wer Kinder hat, kann sich gut vorstellen, weshalb das Online-Gaming den Firmen viel Geld verschafft.

Erstmals seit drei Jahren musste dafür Zhong Shanshan seinen Spitzenplatz abgeben. Mit einem Vermögen von 47,9 Milliarden US-Dollar erreichte der 70-jährige Unternehmer, der unter anderem die chinesische Trinkwassermarke Nongfu Shan kontrolliert, den zweiten Platz. Tencent-Gründer Ma folgt auf Rang drei.

Peking bleibt derweil die chinesische Stadt mit den meisten Miiliardären in China, inzwischen allerdings dicht gefolgt von Shanghai, wo nur drei Superreiche weniger residieren. Shanghai überholte Shenzhen zum ersten Mal seit 2013.

  • Daten
  • Elektromobilität
  • Erneuerbare Energien
  • Finanzen
  • Technologie
  • Temu
  • Tiktok
  • Uiguren
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News

Rohstoffe: Weshalb die Rüstungsindustrie Donald Trumps mögliche China-Politik fürchtet

Die mögliche China-Politik des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump besorgt die deutsche Rüstungsindustrie. Trump könnte Exportkontrollen verschärfen und Sanktionen gegen chinesische Unternehmen verhängen. Trump könnte damit das Ziel verfolgen, die US-amerikanische Industrie von der chinesischen zu lösen, heißt es in einem Policy Brief der Bertelsmann Stiftung. Ein solches Szenario könnte auch die europäische Industrie von wesentlichen Rohstoffen aus der Volksrepublik abschneiden.

Unabhängig vom Ausgang der Wahlen in der Nacht zum Mittwoch wäre ein Konflikt zwischen den USA und China in jedem Fall problematisch für die europäische Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, bezeichnet ein solches Szenario als “kritisch”. Die US-Konkurrenz habe im Gegensatz zur europäischen Branche mit Mitteln der Regierung seit Jahren daran gearbeitet, ihre Abhängigkeiten von chinesischen Rohstoffen im Bereich von Defence-Produkten konsequent zu reduzieren.

Wie groß die Abhängigkeit der Europäer wirklich ist, bleibt jedoch unklar, weil viele Unternehmen ihre potenziellen Schwachstellen nicht offenlegen wollen. Aussagen von Rheinmetall-Chefs Armin Papperger in der “Financial Times” (FT) lassen aber vermuten, dass Europa derzeit einen unabdingbaren Bestandteil der Munition, Nitrozellulose, auch Schießbaumwolle genannt, zu 70 Prozent aus China beziehe. Verbandschef Atzpodien hielte es deshalb für sinnvoll, für “alternatives Sourcing entsprechendes Geld zu bezahlen”, woran es derzeit allerdings überall fehle. GB/WP

  • Exporte
  • Rohstoffe
  • Rüstung
  • Rüstungsexporte
  • Rüstungsindustrie
  • US-Wahlen

Schwarze Liste: USA verbieten drei chinesischen Firmen den Import ihrer Waren

Die US-Zollbehörden haben gegen drei weitere chinesische Textilproduzenten ein Importverbot verhängt. Den Firmen wird vorgeworfen, in das staatliche Transferprogramm uigurischer Arbeitskräfte verwickelt zu sein. Betroffen sind die Esquel Group mit Sitz in Hongkong, die Guangdong Esquel Textile Co., Ltd. und die Turpan Esquel Textile Co. aus Xinjiang, der Heimatprovinz der Uiguren.

In einer begleitenden Erklärung des US-Heimatschutzministeriums heißt es, dass die Unternehmen bei dem “andauernden Völkermord und den Verbrechen gegen die Menschlichkeit an Uiguren und anderen religiösen und ethnischen Minderheitengruppen” in der Region Xinjiang beteiligt seien. Die USA sprechen seit 2021 offiziell von Völkermord an den Uiguren. China bezeichnet den Vorwurf als Lüge.

Konkret lautet der Vorwurf, die Unternehmen würden Baumwolle verarbeiten, die von uigurischen Zwangsarbeiten in Xinjiang geerntet wurde. Auch chinesische Billiganbieter wie Temu und Shein, die in Deutschland online ihre Ware vertreiben, werden bezichtigt, von uigurischer Zwangsarbeit zu profitieren. Insgesamt stehen 78 Unternehmen auf der Entity List. grz

  • Import
  • Lieferketten
  • Temu
  • Textilindustrie
  • Uiguren
  • Zwangsarbeit

Erneuerbare Energien: Wie China den Verbrauch ankurbeln will

China will den Verbrauch erneuerbarer Energien ankurbeln und hat dafür neue Richtlinien erlassen. Die Beratungsagentur Trivium China nennt die neuen Ziele “unglaublich ehrgeizig”. Das ist geplant:

  • 2025 soll 30 Prozent mehr Strom aus erneuerbaren Energien nachgefragt werden als noch 2023. Die neue Zielmarke liegt damit zehn Prozent über dem vorher für das Jahr 2025 formulierten Ziel.
  • Bis 2025 soll der Stromverbrauch aus erneuerbaren Energien 1,1 Milliarden Tonnen Steinkohle-Einheiten (fast neun Millionen GW/h) betragen.

In den vergangenen Jahren hat China die Stromerzeugungskapazitäten von erneuerbaren Energien massiv ausgebaut. Damit nun auch die Nachfrage steigen kann, sollen:

  • die Stromnetze schneller ausgebaut werden,
  • die Produktion von grünem Wasserstoff und die Elektrifizierung der Industrie beschleunigt werden,
  • Energiehungrige Industrien näher an die Erneuerbaren-Quellen verlegt werden, also Solar-, Wind- und Wasserkraftwerke. Es ist davon auszugehen, dass es zu einer weiteren Industrie-Verlagerung ins Landesinnere und näher an die Wüsten kommt, in denen große Solar- und Windfarmen gebaut werden.
  • Auch für das Heizen und Kühlen von Gebäuden sollen erneuerbare Energien eingesetzt werden.

“Die Geschwindigkeit, mit der Schlüsselsektoren der Wirtschaft – nämlich Industrie, Verkehr und Heizung – von der Nutzung fossiler Brennstoffe auf Strom umstellen, wird darüber entscheiden, ob China sein derzeitiges Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien beibehalten kann”, so die Einschätzung der Trivium-China-Experten. nib

  • China
  • Energiewende
  • Erneuerbare Energien
  • Stromnetze

Presseschau

“EU nicht an Handelskriegen interessiert”: Künftiger EU-Kommissar will China im Zaum halten – und den USA ein Angebot machen RND
Südchinesisches Meer: Philippinisches Militär trainiert Eroberung einer Insel SPIEGEL
Myanmar junta chief Senior General Min Aung Hlaing to make first China visit since seizing power REUTERS
Nordkorea und Russland: Am wichtigsten bleiben China die nationalen Interessen FAZ
Africa: How China-backed SGR unlocks economic potential of Northern and Central Corridors BUSINESS DAILY AFRICA
E-Autos gegen Cognac? China macht im EU-Zollstreit Druck auf Frankreich N-TV
Drohender Handelskrieg: Im Streit um Autozölle will China Europa spalten WIWO
Huawei-Gründer Ren Zhengfei fordert indirekt mehr Offenheit in China GOLEM
Chinas E-Auto-Boom trifft auf nostalgische Benzinträume NZZ
Kleine Schritte statt “Bazooka”-Maßnahmen: China plant keine großen Stimulus-Pakete vor Jahresende FOCUS
China Reviews Plan to Refinance Local Governments’ Hidden Debt BLOOMBERG
Anlage: “Chinas Aktien sind kein angemessener Indikator für die Wirtschaft” HANDELSBLATT
Report finds China targeted AstraZeneca in fraud probe over cancer treatment SCMP
Raumkapsel als Sternschnuppe: Weltall-Rückkehrer erleuchten Chinas Nachthimmel N-TV

Standpunkt

US-Wahl: Welche Auswirkungen China-Narrative haben können

von Stephen S. Roach
Stephen S. Roach, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Senior Fellow am Jackson Institute for Global Affairs der Yale University sowie Dozent an der Yale School of Management
Stephen S. Roach ist Mitglied des Kollegiums an der Universität Yale, ehemaliger Vorsitzender von Morgan Stanley Asia.

Die große Lüge wird immer größer. Die von Donald Trump und seiner sektenhaften Anhängerschaft aufgestellte Falschbehauptung, die US-Präsidentschaftswahlen 2020 seien manipuliert und gestohlen worden, hat das Ende jeglicher faktenbasierter Verantwortung eingeläutet. Das hat tiefgreifende und dauerhafte Auswirkungen auf die ohnehin schon angespannten chinesisch-amerikanischen Beziehungen.

Sinophobie ist die sichtbare Manifestation der Art und Weise, wie die große Lüge die Normen des amerikanischen Staatswesens korrumpiert. Irrationale Ängste vor China haben ein Eigenleben entwickelt. Darunter fallen eine Reihe angeblicher Bedrohungen der USA: Chinas erheblicher Anteil am US-Handelsdefizit, die befürchtete Hintertür im 5G-Netz von Huawei, in China hergestellte Elektrofahrzeuge und Hafenkräne, die Angreifbarkeit der US-Infrastruktur durch das sogenannte Volt Typhoon-Hacking-Netzwerk und TikToks Potenzial, die Persönlichkeit und Privatsphäre unschuldiger amerikanischer Teenager massiv zu beeinträchtigen.

Ich vertrete die Ansicht, dass diese Ängste auf falschen Narrativen beruhen, die mit der anti-chinesischen Politik-Agenda Amerikas einhergehen. Diese Erzählungen sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern vielmehr Projektionen verzerrter Fakten, die Psychologen als “eine die Vergangenheit rekonstruierende narrative Identität” bezeichnen. In den USA ist diese Vergangenheit leider Ausdruck einer toxischen Form der Identitätspolitik, die auf eine lange Geschichte rassistischer und ethnischer Vorurteile zurückzuführen ist. Wie ich in meinem Buch ausführlich darlege, ist China jedoch gleichermaßen dafür bekannt, falsche Narrative über Amerika zu verbreiten und zu fördern, um diese für seine eigenen Zwecke zu nutzen.

Mutmaßungen in der China-Debatte

Im Rahmen meiner Untersuchung der zersetzenden Wirkung falscher Narrative auf die China-Debatte in den USA betone ich den Unterschied zwischen dem Potenzial, auf Grundlage von Indizien und Mutmaßungen Schaden anzurichten, und der Absicht, dies anhand stichhaltiger Beweise zu tun. Die übertriebenen Ängste im Zusammenhang mit Sinophobie fallen größtenteils in die erstgenannte Kategorie.

So bat beispielsweise US-Handelsministerin Gina Raimondo die amerikanische Bevölkerung, sich auszumalen, was passieren könnte, wenn sich chinesische Elektrofahrzeuge auf US-amerikanischen Highways in zerstörerische Waffen verwandelt würden. FBI-Direktor Christopher Wray warnte vor einem Angriff auf kritische Infrastruktur, falls China beschließen sollte, eingebettete Malware zu aktivieren. Die Befürchtung, wonach China 2027 in Taiwan einmarschieren könnte, ist Ausdruck einer in die Jahre gekommenen Vermutung von Admiral a. D. Phil Davidson, dem ehemaligen Leiter des US-Kommandos für den Indo-Pazifik. Die Schlüsselwörter – sich ausmalen, falls, und Vermutung – sprechen Bände über die Gefahren, die entstehen, wenn man aufgrund von Mutmaßungen handelt.

Aber davon lässt sich die US-Politik nicht aufhalten. Die jüngsten Anhörungen des Sonderausschusses des Repräsentantenhauses für den strategischen Wettbewerb zwischen den Vereinigten Staaten und der Kommunistischen Partei Chinas erinnern an die Kommunistenhetze, mit der das Komitee für unamerikanische Umtriebe des Repräsentantenhauses in den 1950er-Jahren gegen angebliche kommunistische Sympathisanten vorging. Die Vorliebe des Repräsentantenhauses für Mutmaßungen führte auch zur kürzlich erfolgten Verabschiedung von 25 gegen China gerichteten Gesetzesvorlagen – eine seltene Welle gesetzgeberischer Aktivitäten Ende September, die mittlerweile als “China Week” bekannt ist.

Übertriebene Berichterstattung mit Konsequenzen

Die große Lüge hat jedoch eine noch beunruhigendere Entwicklung ausgelöst: Falsche Narrative werden nicht mehr aus faktischen Fragmenten narrativer Identitäten abgeleitet. Falsche Narrative sind inzwischen zu glatten Lügen geworden.

Man denke nur an die jüngsten Presseberichte über die Spionage-Anklage gegen fünf chinesische Absolventen der University of Michigan, die in der Nähe einer Übung der US-Nationalgarde, an der auch taiwanesisches Militärpersonal teilnahm, Fotos gemacht haben sollen. Die Berichte erwiesen sich als stark übertrieben: Die fünf Männer waren mehr als 80 Kilometer von einer Militärbasis entfernt und wurden nicht wegen Spionage angeklagt, sondern aufgrund einer Falschaussage gegenüber der Polizei.

Diese weitgehend unwahre Nachricht trägt die Handschrift der Sinophobie. Sie führte dazu, dass ein republikanischer Senator in Michigan versuchte, die Subventionen für eine neue 2,4 Milliarden Dollar teure Fabrik für Batteriekomponenten zu streichen, die eine US-Tochtergesellschaft des chinesischen Unternehmens Gotion High-tech bauen wollte. Dabei spielt es keine Rolle, dass der größte Gotion-Anteilseigner Volkswagen ist und nicht die Kommunistische Partei Chinas, wie US-Politiker behaupten. Das Unternehmen ist zu einem Wahlkampfthema im umkämpften Staat Michigan geworden.

Die große Lüge taucht auch in anderen Aspekten der Sinophobie auf. Im vergangenen Jahr schlug FBI-Direktor Wray, Trump-Gefolgsmann mit gefestigter Anti-China-Agenda, sehr öffentlich Alarm, dass “China bereits über ein umfassenderes Hacking-Programm verfügt als alle anderen großen Nationen zusammen.”

China als Bedrohung nicht ignorieren

Das sehe ich anders. Laut dem neuen, von Forschenden der Universität Oxford erstellten World Cybercrime Index gehen die weltweit größten Bedrohungen durch Cyberkriminalität – in absteigender Reihenfolge – von Russland, der Ukraine, China, den USA, Nigeria, Rumänien, Nordkorea und dem Vereinigten Königreich aus. Tatsächlich hat China die USA nur knapp auf den vierten Platz verwiesen.

Ich sage nicht, dass China oder ein anderer ausländischer Akteur als potenzielle Bedrohung für die amerikanische Cybersicherheit ignoriert werden sollte. Vielmehr geht es darum, dass hochrangige US-Vertreterinnen und -Vertreter mehr Transparenz hinsichtlich des globalen Ausmaßes von Cyberhacking an den Tag legen und Amerikas Rolle bei der Verbreitung von Cyberhacking eingestehen sollten.

Negativer Einfluss auf die Gesetzgebungsagenda

Da Lügen an die Stelle der Wahrheit treten, destabilisiert Sinophobie nicht nur die wichtigste bilaterale Beziehung der Welt, sondern führt auch zu schwerwiegenden politischen Fehlern. So wie die US-Regierung einst Japan die Schuld für das Handelsdefizit Amerikas gab, richtet sie nun ihren Zorn gegen China und erhebt hohe (und möglicherweise noch höhere) Zölle auf chinesische Importe. Dabei spielt es keine Rolle, dass bilaterale Maßnahmen nicht in der Lage sind, ein multilaterales Handelsdefizit zu beseitigen, das auf unzureichendes Sparaufkommen im eigenen Land zurückzuführen ist.

Die Folgen einer solchen Politik können widersinnig und selbstzerstörerisch sein. Die USA verbieten Elektrofahrzeuge aus chinesischer Produktion, obwohl sie gerade jetzt kosteneffiziente, hochwertige grüne Technologien benötigen, um den Klimawandel zu bekämpfen. Und übertriebene Ängste vor Chinas Cyber-Angriffen dominieren die Gesetzgebungsagenda.

Aufgrund der großen Lüge sind Fakten Mangelware, und das kurz vor der folgenreichsten Präsidentschaftswahl in der jüngeren Geschichte der USA. Das wirft eine tiefgreifendere Frage auf: Was kommt als Nächstes? Die große Lüge hat ein Klima geschaffen, in dem Fakten keine Voraussetzung mehr für den politischen Diskurs und die Politikgestaltung sind. Das gefährdet die Zukunft aller Menschen in den USA. Man kann nur hoffen, dass die US-Wähler dies bei der Stimmabgabe bedenken.

Stephen S. Roach ist Mitglied des Kollegiums an der Universität Yale, ehemaliger Vorsitzender von Morgan Stanley Asia und Verfasser von Unbalanced: The Codependency of America and China (Yale University Press, 2014) und Accidental Conflict: America, China, and the Clash of False Narratives (Yale University Press, 2022).

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier. Copyright: Project Syndicate, 2024. www.project-syndicate.org

Hinweis der Redaktion: Über China zu diskutieren heißt heute mehr denn je: kontrovers debattieren. Wir möchten die Vielfalt der Standpunkte abbilden, damit Sie einen Einblick in die Breite der Debatte gewinnen können. Standpunkte spiegeln nicht die Meinung der Redaktion wider.

  • Cybersicherheit
  • Geopolitik
  • KP Chinas
  • Kritische Infrastruktur
  • USA
  • Zölle

Personalien

Jonathan Baier ist seit September Direktor für Gesamtfahrzeug und Fahrwerk bei Beijing Foton Daimler Automotive. Er koordiniert in Peking Teams für Konzepte, Datenmanagement, Projektmanagement, RD-Gründung, Fahrwerksysteme und Achsen. 

Zhu Ruiwen ist seit September Innovationsmanagerin bei der Solinger Schneidwarenmarke Zwilling. Zuvor war sie bei der bayrischen BSH Hausgeräte Gruppe als Head of Material Technology China in Nanjing tätig. 

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

Dessert

In der Nacht auf Montag schossen Bürger in Taiwans Hauptstadt Taipeh ein letztes Foto der Xinsheng-Heping-Fußgängerbrücke, bevor sie endgültig abgerissen wird. Zuvor hatte es sogar Straßenproteste gegen den Abriss der 1982 errichteten Hochüberquerung gegeben – eine der letzten ihrer Art in der Stadt. Die Brücke sei Teil der taiwanischen Identität, argumentieren die Brücken-Bewahrer. Außerdem sei sie Kulisse zahlreicher Filme gewesen, die ins kollektive Gedächtnis der Inselbewohner eingegangen sind, darunter auch im Westen gefeierte Klassiker wie “Yi Yi” von Edward Yang oder “Eat Drink Man Woman” von Ang Lee.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
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    wie Maroš Šefčovič wohl die Streitigkeiten der EU und China um Zusatzzölle auf chinesische E-Autos verfolgt hat? Hat er sich freiwillig für das derzeit extrem aufreibende Handelsportfolio in den Job-Ring geworfen? Erfahrung hat der Slowake, seit 2009 ist er – mit einer kleinen Unterbrechung – EU-Kommissar. Das Handelsportfolio hatte er bisher allerdings so nicht inne. Šefčovič konnte in den vergangenen Monaten bereits sehen, dass die Aufgabe nicht einfach werden wird. Bei seiner Anhörung bei den EU-Parlamentariern hat er nun überzeugt – auch mit seinem China-Ansatz.

    Unsere zweite Analyse beschäftigt sich mit der tragischen Lage der Superreichen in China: Denn diese werden immer weniger. Es gibt nur noch 753 Menschen mit einem Vermögen von mindestens einer Milliarde US-Dollar in der Volksrepublik, Taiwan und Hongkong. Seit dem Höchststand von 1.185 im Jahr 2021 hat China damit 432 Milliardäre verloren. Jörn Petring hat sich die aktuelle Hurun-Liste angesehen. Sie zeigt, welche Branchen besonders tief in der Krise stecken – und welche Technologien und Entwicklungen zurzeit die Welt bewegen.

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    Šefčovič: Designierter EU-Handelskommissar will den China-“Reset”

    Der designierte Kommissar für Handel und wirtschaftliche Sicherheit Maroš Šefčovič warb im Parlament für seine Bestätigung.

    Der ewige Kommissar darf bleiben. Maroš Šefčovič, der seit 2009 EU-Kommissar ist, hat die Abgeordneten der relevanten Parlamentsausschüsse im Hearing von sich überzeugen können: Der designierte EU-Kommissar für Handel und wirtschaftliche Sicherheit sowie für interinstitutionelle Beziehungen und Transparenz war beim Handelsausschuss (INTA) und beim Ausschuss für konstitutionelle Fragen (AFCO) zu Besuch und bekam die Bestätigung. Er wird das Handels-Portfolio von Valdis Dombrovskis übernehmen – und das in der angespannten Lage des brodelnden Handelsstreits zwischen Brüssel und Peking.

    Mit Šefčovič wird es keinen Richtungswechsel in der Handelsdirektion geben: Die EU müsse einen “Reset” mit China anstreben und die Handelsbeziehungen besser “ausbalancieren”, sagte der Slowake am Montag. Dafür will Šefčovič vermehrt auf die Nutzung von Handelsverteidigungsinstrumenten setzen. “Wir brauchen ein ‘Level Playing Field'”, wiederholte er mehrmals. China bezeichnete er als “drittgrößten und anspruchsvollsten” Handelspartner der EU.

    Er wolle “De-Risking vorantreiben”, da sich die EU “keine Abhängigkeiten leisten kann” und “auch keine Zwangs-Strategien tolerieren wird”. Auf die Frage von zwei französischen Abgeordneten, ob er ein neues Instrument zur Bekämpfung chinesischer Überproduktion einführen wolle, antwortete er ausweichend. Šefčovič versprach eine “agile” Handels- und Wirtschaftssicherheitspolitik für die EU. “Wird dieses Jahrhundert chinesisch oder amerikanisch sein? Wir können dafür sorgen, dass es auch europäisch ist.”

    Šefčovič betonte seine Unterstützung für die Ukraine

    Šefčovič schlug sich in der dreieinhalbstündigen Anhörung mehrheitlich souverän. Die langjährige Erfahrung erlaubt es dem ehemaligen slowakischen Diplomaten, seine Antworten mit Details und Anekdoten zu spicken und bei den politisch heiklen Themen dennoch vage zu bleiben.

    Mehrmals betonte er seine Unterstützung für die Ukraine, wohl um s Zweifel bezüglich seines Verhältnisses mit der EU-kritischen slowakischen Fico-Regierung zu zerstreuen. Sloweniens Ministerpräsident Robert Fico hatte erst vergangene Woche eine strategische Partnerschaft mit Chinas Staatschef Xi Jinping geschlossen. In einem kurzen Pressestatement nach der Anhörung sagte Šefčovič, er sei in seiner Arbeit in der Kommission “immer nur vom allgemeinen europäischen Interessen geleitet” gewesen.

    Der INTA-Vorsitzende Bernd Lange (SPD) fand im Anschluss an die Anhörung lobende Worte für Šefčovič. Er habe klar aufgezeigt, wo die Prioritäten für die EU in einer globalisierten Welt liegen sollten und dass er die Interessen der EU verteidigen werde.

    Rohstoff-Sicherheit und neue Freihandelsabkommen

    Während der Anhörungen sprach Šefčovič eine Reihe von Themen an, die den Handel mit China indirekt betreffen:

    • Šefčovič versprach, sich stark in die stockenden Verhandlungen zu den Handelsabkommen mit Mercosur und Mexiko einzubringen. Zudem wolle er schauen, wie man Blockaden in den Gesprächen mit Australien lösen könne. Er sprach sich für weniger umfassende Freihandelsabkommen aus.
    • Gleichzeitig versprach er aber, die Interessen der Agrarindustrie in den Verhandlungen zu verteidigen.
    • Die sogenannten “Clean Trade and Investment Partnerships” sollen gezielt gewisse Märkte öffnen und Versorgungssicherheit mit wichtigen Rohstoffen sicherstellen – ein wichtiger Punkt für die De-Risking-Strategie.

    Die Anhörungen der designierten EU-Kommissionsmitglieder werden noch bis Mitte des Monats dauern. Am Mittwoch ist Jozef Síkela dran, der potenziell für Global Gateway verantwortlich sein wird, dem Konkurrenz-Programm zu Chinas Belt and Road-Initiative. Die designierte EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas wird sich dann kommenden Dienstag Fragen der EU-Abgeordneten stellen. 

    • De-Risking
    • EU-Kommission
    • Global Gateway
    • Handel
    • Rohstoffe
    • wirtschaftliche Sicherheit
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    Hurun-Liste: Was Chinas Milliardärs-Ranking über den Zustand der Wirtschaft verrät

    Erstmals reichster Chinese: Zhang Yiming, Gründer von Bytedance – dem Unternehmen, das die Video-App Tiktok in aller Welt populär gemacht hat.

    Rupert Hoogewerf ist einer der besten Kenner Chinas Superreicher. Seit 1999 veröffentlicht der Brite den sogenannten Hurun-Report, eine Liste mit den Namen der chinesischen Milliardäre. Doch die Daten sind mehr als Klatsch und Tratsch über die oberen Zehntausend. Die Hurun China Rich List, so Hoogeweerf, sei ein Spiegel der chinesischen Wirtschaft. Sie verrät, welche Branchen in China boomen und welche durch die Krise gehen.

    Eine der zentralen Erkenntnisse der diesjährigen Auswertung lautet: Die schwierige Wirtschaftslage macht auch vor den Reichsten des Landes nicht halt. Laut Hurun sank die Zahl der Milliardäre im vergangenen Jahr deutlich um 142. So gab es in China nur noch 753 Menschen mit einem Vermögen von mindestens einer Milliarde US-Dollar. Die Zahl wird noch kleiner, rechnet man die Dutzenden Taiwanesen wie Foxconn-Gründer Terry Gou heraus, die in die China-Liste integriert sind.

    Seit dem Höchststand von 1.185 im Jahr 2021 haben die Volksrepublik, Hongkong und Taiwan damit 432 Milliardäre verloren, was etwa einem Drittel entspricht. “Die Hurun China Rich List schrumpft zum dritten Mal in Folge, da die chinesische Wirtschaft und die Aktienmärkte ein schwieriges Jahr hatten”, sagt Hoogewerf.

    Die alte Elite der Immobilienentwickler weicht

    Eine andere Erkenntnis: Der außerordentliche Wohlstand verschiebt sich – zwar nicht in Richtung der sozial Schwachen, stattdessen weg von einem Industriezweig, hin zu einem anderen. Die Hälfte der Unternehmerinnen und Unternehmer auf der Liste war vor fünf Jahren noch nicht im Milliardärsklub vertreten. Und sogar 80 Prozent der Gelisteten besaßen vor zehn Jahren noch weniger als eine Milliarde US-Dollar. Der Hurun-Report folgert: Die alte Elite der Immobilienentwickler weiche einer neuen Generation in Sektoren wie Technologie, erneuerbare Energien, Unterhaltungselektronik, E-Commerce, Konsumgüter und Gesundheitswesen.

    Zhang Yiming, Gründer der Tiktok-Muttergesellschaft Bytedance, erreichte erstmals den Spitzenplatz mit einem Vermögen von 49,3 Milliarden Dollar. Auch der 41-Jährige tauchte vor zehn Jahren noch nicht auf der Liste auf. Sein Aufstieg spiegelt die globale Popularität von Tiktok der vergangenen Jahre wider. Zhang ist der 18. Spitzenreiter in China in 26 Jahren. Zum Vergleich: In den USA gab es in dieser Zeit nur vier Spitzenreiter – Bill Gates, Warren Buffett, Jeff Bezos und Elon Musk. Für Hurun-Chef Hoogewerf ist das ein klares Zeichen “für die Dynamik der chinesischen Wirtschaft”.

    Schwierige Voraussetzungen für nachhaltige Erfolgsrezepte

    Erfolgreich waren zuletzt jene Unternehmer, die mit ihren Apps international expandieren konnten. Das gelang Zhang Yiming mit seiner Video-Plattform ebenso wie Colin Huang mit der Shopping-App Temu sowie Chris Xu mit der App Shein für Fast Fashion. Gemein haben alle drei Unternehmen, dass sie international unter hohem Druck stehen. Tiktok droht in den USA ein Verbot, wo es als Propaganda-Instrument der Kommunistischen Partei gebrandmarkt ist. Temu und Shein stehen hingegen im Verdacht, vom staatlichen Arbeitstransfer-Programmen für Uiguren in China zu profitieren.

    Politische Entscheidungen in aller Welt könnten also einen gehörigen Einfluss auf den Auf- und Abstieg von Unternehmern im Hurun-Ranking der Zukunft haben. Das alles sind schwierige Voraussetzungen für nachhaltige Erfolgsrezepte. Ein gutes Beispiel dafür: E-Autos. Im vergangenen Jahrzehnt schossen chinesische Hersteller wie Pilze aus dem Boden, ehe der harte Wettbewerb und Zusatzölle begannen, Tribut zu fordern. Entsprechend gesunken sind die Börsen-Werte der Unternehmen, die deutlich unter den Höchstständen von 2021 liegen und dabei die Privatvermögen ihrer Inhaber mit in die Tiefe rissen.

    Aufschwung der Elektromobilität und grüner Energie

    Noch unaufhaltsam scheint dagegen der Siegeszug der Smartphones zu sein. Die Vermögen von Pony Ma von Tencent und Ding Lei von Netease wurden innerhalb einer Dekade um jeweils 30 Milliarden US-Dollar in die Höhe katapultiert. Andere Unternehmer aus demselben Sektor wie Lei Jun von Xiaomi haben ihren Reichtum im gleichen Zeitraum verdreifacht. Wang Laichun, dessen Unternehmen Luxshare Precision elektronische Komponenten für Smartphones produziert, hat es sogar versiebenfacht.

    Catl-Gründer Robin Zeng (Lithiumbatterien) oder Li Zhenguo von Longi (Solarmodule) waren vor einem Jahrzehnt noch nicht Teil des exklusiven Klubs. Ihr Aufstieg steht sinnbildlich für den Aufschwung der Elektromobilität und grüner Energie in China, aber auch anderswo in der Welt. Auch Cai Haoyu expandierte mit der Online-Gaming-Plattform Mihoyo weltweit. Wer Kinder hat, kann sich gut vorstellen, weshalb das Online-Gaming den Firmen viel Geld verschafft.

    Erstmals seit drei Jahren musste dafür Zhong Shanshan seinen Spitzenplatz abgeben. Mit einem Vermögen von 47,9 Milliarden US-Dollar erreichte der 70-jährige Unternehmer, der unter anderem die chinesische Trinkwassermarke Nongfu Shan kontrolliert, den zweiten Platz. Tencent-Gründer Ma folgt auf Rang drei.

    Peking bleibt derweil die chinesische Stadt mit den meisten Miiliardären in China, inzwischen allerdings dicht gefolgt von Shanghai, wo nur drei Superreiche weniger residieren. Shanghai überholte Shenzhen zum ersten Mal seit 2013.

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    News

    Rohstoffe: Weshalb die Rüstungsindustrie Donald Trumps mögliche China-Politik fürchtet

    Die mögliche China-Politik des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump besorgt die deutsche Rüstungsindustrie. Trump könnte Exportkontrollen verschärfen und Sanktionen gegen chinesische Unternehmen verhängen. Trump könnte damit das Ziel verfolgen, die US-amerikanische Industrie von der chinesischen zu lösen, heißt es in einem Policy Brief der Bertelsmann Stiftung. Ein solches Szenario könnte auch die europäische Industrie von wesentlichen Rohstoffen aus der Volksrepublik abschneiden.

    Unabhängig vom Ausgang der Wahlen in der Nacht zum Mittwoch wäre ein Konflikt zwischen den USA und China in jedem Fall problematisch für die europäische Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, bezeichnet ein solches Szenario als “kritisch”. Die US-Konkurrenz habe im Gegensatz zur europäischen Branche mit Mitteln der Regierung seit Jahren daran gearbeitet, ihre Abhängigkeiten von chinesischen Rohstoffen im Bereich von Defence-Produkten konsequent zu reduzieren.

    Wie groß die Abhängigkeit der Europäer wirklich ist, bleibt jedoch unklar, weil viele Unternehmen ihre potenziellen Schwachstellen nicht offenlegen wollen. Aussagen von Rheinmetall-Chefs Armin Papperger in der “Financial Times” (FT) lassen aber vermuten, dass Europa derzeit einen unabdingbaren Bestandteil der Munition, Nitrozellulose, auch Schießbaumwolle genannt, zu 70 Prozent aus China beziehe. Verbandschef Atzpodien hielte es deshalb für sinnvoll, für “alternatives Sourcing entsprechendes Geld zu bezahlen”, woran es derzeit allerdings überall fehle. GB/WP

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    Schwarze Liste: USA verbieten drei chinesischen Firmen den Import ihrer Waren

    Die US-Zollbehörden haben gegen drei weitere chinesische Textilproduzenten ein Importverbot verhängt. Den Firmen wird vorgeworfen, in das staatliche Transferprogramm uigurischer Arbeitskräfte verwickelt zu sein. Betroffen sind die Esquel Group mit Sitz in Hongkong, die Guangdong Esquel Textile Co., Ltd. und die Turpan Esquel Textile Co. aus Xinjiang, der Heimatprovinz der Uiguren.

    In einer begleitenden Erklärung des US-Heimatschutzministeriums heißt es, dass die Unternehmen bei dem “andauernden Völkermord und den Verbrechen gegen die Menschlichkeit an Uiguren und anderen religiösen und ethnischen Minderheitengruppen” in der Region Xinjiang beteiligt seien. Die USA sprechen seit 2021 offiziell von Völkermord an den Uiguren. China bezeichnet den Vorwurf als Lüge.

    Konkret lautet der Vorwurf, die Unternehmen würden Baumwolle verarbeiten, die von uigurischen Zwangsarbeiten in Xinjiang geerntet wurde. Auch chinesische Billiganbieter wie Temu und Shein, die in Deutschland online ihre Ware vertreiben, werden bezichtigt, von uigurischer Zwangsarbeit zu profitieren. Insgesamt stehen 78 Unternehmen auf der Entity List. grz

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    Erneuerbare Energien: Wie China den Verbrauch ankurbeln will

    China will den Verbrauch erneuerbarer Energien ankurbeln und hat dafür neue Richtlinien erlassen. Die Beratungsagentur Trivium China nennt die neuen Ziele “unglaublich ehrgeizig”. Das ist geplant:

    • 2025 soll 30 Prozent mehr Strom aus erneuerbaren Energien nachgefragt werden als noch 2023. Die neue Zielmarke liegt damit zehn Prozent über dem vorher für das Jahr 2025 formulierten Ziel.
    • Bis 2025 soll der Stromverbrauch aus erneuerbaren Energien 1,1 Milliarden Tonnen Steinkohle-Einheiten (fast neun Millionen GW/h) betragen.

    In den vergangenen Jahren hat China die Stromerzeugungskapazitäten von erneuerbaren Energien massiv ausgebaut. Damit nun auch die Nachfrage steigen kann, sollen:

    • die Stromnetze schneller ausgebaut werden,
    • die Produktion von grünem Wasserstoff und die Elektrifizierung der Industrie beschleunigt werden,
    • Energiehungrige Industrien näher an die Erneuerbaren-Quellen verlegt werden, also Solar-, Wind- und Wasserkraftwerke. Es ist davon auszugehen, dass es zu einer weiteren Industrie-Verlagerung ins Landesinnere und näher an die Wüsten kommt, in denen große Solar- und Windfarmen gebaut werden.
    • Auch für das Heizen und Kühlen von Gebäuden sollen erneuerbare Energien eingesetzt werden.

    “Die Geschwindigkeit, mit der Schlüsselsektoren der Wirtschaft – nämlich Industrie, Verkehr und Heizung – von der Nutzung fossiler Brennstoffe auf Strom umstellen, wird darüber entscheiden, ob China sein derzeitiges Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien beibehalten kann”, so die Einschätzung der Trivium-China-Experten. nib

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    Presseschau

    “EU nicht an Handelskriegen interessiert”: Künftiger EU-Kommissar will China im Zaum halten – und den USA ein Angebot machen RND
    Südchinesisches Meer: Philippinisches Militär trainiert Eroberung einer Insel SPIEGEL
    Myanmar junta chief Senior General Min Aung Hlaing to make first China visit since seizing power REUTERS
    Nordkorea und Russland: Am wichtigsten bleiben China die nationalen Interessen FAZ
    Africa: How China-backed SGR unlocks economic potential of Northern and Central Corridors BUSINESS DAILY AFRICA
    E-Autos gegen Cognac? China macht im EU-Zollstreit Druck auf Frankreich N-TV
    Drohender Handelskrieg: Im Streit um Autozölle will China Europa spalten WIWO
    Huawei-Gründer Ren Zhengfei fordert indirekt mehr Offenheit in China GOLEM
    Chinas E-Auto-Boom trifft auf nostalgische Benzinträume NZZ
    Kleine Schritte statt “Bazooka”-Maßnahmen: China plant keine großen Stimulus-Pakete vor Jahresende FOCUS
    China Reviews Plan to Refinance Local Governments’ Hidden Debt BLOOMBERG
    Anlage: “Chinas Aktien sind kein angemessener Indikator für die Wirtschaft” HANDELSBLATT
    Report finds China targeted AstraZeneca in fraud probe over cancer treatment SCMP
    Raumkapsel als Sternschnuppe: Weltall-Rückkehrer erleuchten Chinas Nachthimmel N-TV

    Standpunkt

    US-Wahl: Welche Auswirkungen China-Narrative haben können

    von Stephen S. Roach
    Stephen S. Roach, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Senior Fellow am Jackson Institute for Global Affairs der Yale University sowie Dozent an der Yale School of Management
    Stephen S. Roach ist Mitglied des Kollegiums an der Universität Yale, ehemaliger Vorsitzender von Morgan Stanley Asia.

    Die große Lüge wird immer größer. Die von Donald Trump und seiner sektenhaften Anhängerschaft aufgestellte Falschbehauptung, die US-Präsidentschaftswahlen 2020 seien manipuliert und gestohlen worden, hat das Ende jeglicher faktenbasierter Verantwortung eingeläutet. Das hat tiefgreifende und dauerhafte Auswirkungen auf die ohnehin schon angespannten chinesisch-amerikanischen Beziehungen.

    Sinophobie ist die sichtbare Manifestation der Art und Weise, wie die große Lüge die Normen des amerikanischen Staatswesens korrumpiert. Irrationale Ängste vor China haben ein Eigenleben entwickelt. Darunter fallen eine Reihe angeblicher Bedrohungen der USA: Chinas erheblicher Anteil am US-Handelsdefizit, die befürchtete Hintertür im 5G-Netz von Huawei, in China hergestellte Elektrofahrzeuge und Hafenkräne, die Angreifbarkeit der US-Infrastruktur durch das sogenannte Volt Typhoon-Hacking-Netzwerk und TikToks Potenzial, die Persönlichkeit und Privatsphäre unschuldiger amerikanischer Teenager massiv zu beeinträchtigen.

    Ich vertrete die Ansicht, dass diese Ängste auf falschen Narrativen beruhen, die mit der anti-chinesischen Politik-Agenda Amerikas einhergehen. Diese Erzählungen sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern vielmehr Projektionen verzerrter Fakten, die Psychologen als “eine die Vergangenheit rekonstruierende narrative Identität” bezeichnen. In den USA ist diese Vergangenheit leider Ausdruck einer toxischen Form der Identitätspolitik, die auf eine lange Geschichte rassistischer und ethnischer Vorurteile zurückzuführen ist. Wie ich in meinem Buch ausführlich darlege, ist China jedoch gleichermaßen dafür bekannt, falsche Narrative über Amerika zu verbreiten und zu fördern, um diese für seine eigenen Zwecke zu nutzen.

    Mutmaßungen in der China-Debatte

    Im Rahmen meiner Untersuchung der zersetzenden Wirkung falscher Narrative auf die China-Debatte in den USA betone ich den Unterschied zwischen dem Potenzial, auf Grundlage von Indizien und Mutmaßungen Schaden anzurichten, und der Absicht, dies anhand stichhaltiger Beweise zu tun. Die übertriebenen Ängste im Zusammenhang mit Sinophobie fallen größtenteils in die erstgenannte Kategorie.

    So bat beispielsweise US-Handelsministerin Gina Raimondo die amerikanische Bevölkerung, sich auszumalen, was passieren könnte, wenn sich chinesische Elektrofahrzeuge auf US-amerikanischen Highways in zerstörerische Waffen verwandelt würden. FBI-Direktor Christopher Wray warnte vor einem Angriff auf kritische Infrastruktur, falls China beschließen sollte, eingebettete Malware zu aktivieren. Die Befürchtung, wonach China 2027 in Taiwan einmarschieren könnte, ist Ausdruck einer in die Jahre gekommenen Vermutung von Admiral a. D. Phil Davidson, dem ehemaligen Leiter des US-Kommandos für den Indo-Pazifik. Die Schlüsselwörter – sich ausmalen, falls, und Vermutung – sprechen Bände über die Gefahren, die entstehen, wenn man aufgrund von Mutmaßungen handelt.

    Aber davon lässt sich die US-Politik nicht aufhalten. Die jüngsten Anhörungen des Sonderausschusses des Repräsentantenhauses für den strategischen Wettbewerb zwischen den Vereinigten Staaten und der Kommunistischen Partei Chinas erinnern an die Kommunistenhetze, mit der das Komitee für unamerikanische Umtriebe des Repräsentantenhauses in den 1950er-Jahren gegen angebliche kommunistische Sympathisanten vorging. Die Vorliebe des Repräsentantenhauses für Mutmaßungen führte auch zur kürzlich erfolgten Verabschiedung von 25 gegen China gerichteten Gesetzesvorlagen – eine seltene Welle gesetzgeberischer Aktivitäten Ende September, die mittlerweile als “China Week” bekannt ist.

    Übertriebene Berichterstattung mit Konsequenzen

    Die große Lüge hat jedoch eine noch beunruhigendere Entwicklung ausgelöst: Falsche Narrative werden nicht mehr aus faktischen Fragmenten narrativer Identitäten abgeleitet. Falsche Narrative sind inzwischen zu glatten Lügen geworden.

    Man denke nur an die jüngsten Presseberichte über die Spionage-Anklage gegen fünf chinesische Absolventen der University of Michigan, die in der Nähe einer Übung der US-Nationalgarde, an der auch taiwanesisches Militärpersonal teilnahm, Fotos gemacht haben sollen. Die Berichte erwiesen sich als stark übertrieben: Die fünf Männer waren mehr als 80 Kilometer von einer Militärbasis entfernt und wurden nicht wegen Spionage angeklagt, sondern aufgrund einer Falschaussage gegenüber der Polizei.

    Diese weitgehend unwahre Nachricht trägt die Handschrift der Sinophobie. Sie führte dazu, dass ein republikanischer Senator in Michigan versuchte, die Subventionen für eine neue 2,4 Milliarden Dollar teure Fabrik für Batteriekomponenten zu streichen, die eine US-Tochtergesellschaft des chinesischen Unternehmens Gotion High-tech bauen wollte. Dabei spielt es keine Rolle, dass der größte Gotion-Anteilseigner Volkswagen ist und nicht die Kommunistische Partei Chinas, wie US-Politiker behaupten. Das Unternehmen ist zu einem Wahlkampfthema im umkämpften Staat Michigan geworden.

    Die große Lüge taucht auch in anderen Aspekten der Sinophobie auf. Im vergangenen Jahr schlug FBI-Direktor Wray, Trump-Gefolgsmann mit gefestigter Anti-China-Agenda, sehr öffentlich Alarm, dass “China bereits über ein umfassenderes Hacking-Programm verfügt als alle anderen großen Nationen zusammen.”

    China als Bedrohung nicht ignorieren

    Das sehe ich anders. Laut dem neuen, von Forschenden der Universität Oxford erstellten World Cybercrime Index gehen die weltweit größten Bedrohungen durch Cyberkriminalität – in absteigender Reihenfolge – von Russland, der Ukraine, China, den USA, Nigeria, Rumänien, Nordkorea und dem Vereinigten Königreich aus. Tatsächlich hat China die USA nur knapp auf den vierten Platz verwiesen.

    Ich sage nicht, dass China oder ein anderer ausländischer Akteur als potenzielle Bedrohung für die amerikanische Cybersicherheit ignoriert werden sollte. Vielmehr geht es darum, dass hochrangige US-Vertreterinnen und -Vertreter mehr Transparenz hinsichtlich des globalen Ausmaßes von Cyberhacking an den Tag legen und Amerikas Rolle bei der Verbreitung von Cyberhacking eingestehen sollten.

    Negativer Einfluss auf die Gesetzgebungsagenda

    Da Lügen an die Stelle der Wahrheit treten, destabilisiert Sinophobie nicht nur die wichtigste bilaterale Beziehung der Welt, sondern führt auch zu schwerwiegenden politischen Fehlern. So wie die US-Regierung einst Japan die Schuld für das Handelsdefizit Amerikas gab, richtet sie nun ihren Zorn gegen China und erhebt hohe (und möglicherweise noch höhere) Zölle auf chinesische Importe. Dabei spielt es keine Rolle, dass bilaterale Maßnahmen nicht in der Lage sind, ein multilaterales Handelsdefizit zu beseitigen, das auf unzureichendes Sparaufkommen im eigenen Land zurückzuführen ist.

    Die Folgen einer solchen Politik können widersinnig und selbstzerstörerisch sein. Die USA verbieten Elektrofahrzeuge aus chinesischer Produktion, obwohl sie gerade jetzt kosteneffiziente, hochwertige grüne Technologien benötigen, um den Klimawandel zu bekämpfen. Und übertriebene Ängste vor Chinas Cyber-Angriffen dominieren die Gesetzgebungsagenda.

    Aufgrund der großen Lüge sind Fakten Mangelware, und das kurz vor der folgenreichsten Präsidentschaftswahl in der jüngeren Geschichte der USA. Das wirft eine tiefgreifendere Frage auf: Was kommt als Nächstes? Die große Lüge hat ein Klima geschaffen, in dem Fakten keine Voraussetzung mehr für den politischen Diskurs und die Politikgestaltung sind. Das gefährdet die Zukunft aller Menschen in den USA. Man kann nur hoffen, dass die US-Wähler dies bei der Stimmabgabe bedenken.

    Stephen S. Roach ist Mitglied des Kollegiums an der Universität Yale, ehemaliger Vorsitzender von Morgan Stanley Asia und Verfasser von Unbalanced: The Codependency of America and China (Yale University Press, 2014) und Accidental Conflict: America, China, and the Clash of False Narratives (Yale University Press, 2022).

    Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier. Copyright: Project Syndicate, 2024. www.project-syndicate.org

    Hinweis der Redaktion: Über China zu diskutieren heißt heute mehr denn je: kontrovers debattieren. Wir möchten die Vielfalt der Standpunkte abbilden, damit Sie einen Einblick in die Breite der Debatte gewinnen können. Standpunkte spiegeln nicht die Meinung der Redaktion wider.

    • Cybersicherheit
    • Geopolitik
    • KP Chinas
    • Kritische Infrastruktur
    • USA
    • Zölle

    Personalien

    Jonathan Baier ist seit September Direktor für Gesamtfahrzeug und Fahrwerk bei Beijing Foton Daimler Automotive. Er koordiniert in Peking Teams für Konzepte, Datenmanagement, Projektmanagement, RD-Gründung, Fahrwerksysteme und Achsen. 

    Zhu Ruiwen ist seit September Innovationsmanagerin bei der Solinger Schneidwarenmarke Zwilling. Zuvor war sie bei der bayrischen BSH Hausgeräte Gruppe als Head of Material Technology China in Nanjing tätig. 

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    Dessert

    In der Nacht auf Montag schossen Bürger in Taiwans Hauptstadt Taipeh ein letztes Foto der Xinsheng-Heping-Fußgängerbrücke, bevor sie endgültig abgerissen wird. Zuvor hatte es sogar Straßenproteste gegen den Abriss der 1982 errichteten Hochüberquerung gegeben – eine der letzten ihrer Art in der Stadt. Die Brücke sei Teil der taiwanischen Identität, argumentieren die Brücken-Bewahrer. Außerdem sei sie Kulisse zahlreicher Filme gewesen, die ins kollektive Gedächtnis der Inselbewohner eingegangen sind, darunter auch im Westen gefeierte Klassiker wie “Yi Yi” von Edward Yang oder “Eat Drink Man Woman” von Ang Lee.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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