wer weiß denn nun wirklich Bescheid über China? Wenn es nach dem US-Kommentator Kaiser Kuo geht, dann schrumpft das Feld derer, deren Urteile und Analysen relevant sind, massiv zusammen. Seine Kriterien sind so umfangreich, dass es demnach nicht nur ausreicht, sich intensiv mit Daten und Fakten sowie der chinesischen Geschichte zu beschäftigen. Es bedarf beispielsweise auch enger menschlicher Kontakte und Empathie, sagt er im Interview mit Fabian Peltsch.
In welchen Analysten und China-Experten Kuo seine Definition erfüllt sieht, verrät er zwar nicht. Er lässt aber keinen Zweifel daran, dass er sich selbst zu denjenigen zählt, die ziemlich gut Bescheid wissen. Stichwort: China-Kompetenz. Machen Sie doch mal selbst den Test und vergleichen Ihre eigene Expertise mit der von Kuo veranschlagten.
Relativ wenig China-Kompetenz ist indes nötig, um den nächsten Handelsstreit zwischen der EU und China zu prophezeien. Zankapfel dürfte diesmal der Ausgleichsmechanismus für Emissionen, kurz CBAM, werden, schreibt Finn Mayer-Kuckuk.
Unser heutiger Standpunkt befasst sich dagegen mit dem aktuellen Streitthema im europäisch-chinesischen Handel – den EU-Ausgleichszöllen auf E-Autos. Die Autoren plädieren für eine konsequente Umsetzung. Ihr Tenor lautet: Wehr dich, EU!
Sie sind einer der bekanntesten China-Beobachter in den USA. Auch in Europa haben sie viele Fans, die Ihren Blog lesen und Ihren Sinica-Podcast hören. Kürzlich haben Sie Ihre Leser in einem “Brief aus Peking” mit der Ankündigung überrascht, dass Sie nach fast zehn Jahren in den USA wieder mindestens sechs Monate pro Jahr in China leben wollen. Was war der Anstoß?
Auf meiner letzten Reise nach China war meine Erfahrung erstaunlich positiv. Ich hatte nicht erwartet, dass ich so begeistert sein würde. Ich werde also ab dem 3. Oktober für einen Monat zurückkehren, um mit meiner Frau eine Wohnung zu suchen. Wenn alles gut geht, werden wir im nächsten Sommer in Peking leben. Unsere Kinder sind ja jetzt auch im College, und wir sind allein in diesem großen Haus…
Warum waren Sie so positiv überrascht, wieder vor Ort zu sein?
Viele Leute hatten mir gesagt, Peking habe sich völlig verändert und mache keinen Spaß mehr. Sie vermittelten den Eindruck, dass alle interessanten Leute die Stadt bereits verlassen hätten, aber das stimmte nicht. Es gibt immer noch eine sehr lebendige Community dort, und viele Menschen fühlten sich frei genug, um ihre Meinungen und Perspektiven mit mir zu teilen.
Sie sagten, Sie litten seit einer Weile unter einer Art “Imposter-Syndrom”, weil Sie so viel über China sprachen, ohne tatsächlich dort zu sein.
Ich denke, man braucht beide Perspektiven. Wenn man ständig in China ist, kann man genauso den Blick dafür verlieren, wie die Dinge von außen aussehen. Deshalb möchte ich beides in Einklang bringen. Ich habe in meinen 20 Jahren in Peking ja schon zuvor repressive Zeiten erlebt, dennoch es gibt es für mich noch immer eine Menge Dinge, die man an diesem Land lieben kann. China bleibt ein faszinierendes Thema, das man auch aus der Nähe studieren sollte.
Welches China-Bild wollen sie vermitteln?
Wenn Dinge in den Medien falsch dargestellt werden, versuche ich sie zu korrigieren. Aber ich gehe nicht davon aus, dass die Medien generell falsch liegen. Es gibt eine Menge wertvoller Berichte aus und über China, aber manchmal muss man sie durch andere Perspektiven ausgleichen und ergänzen.
Wir führen in Deutschland und Europa noch immer Debatten darüber, wie wir mehr China-Kompetenz erlangen und vermitteln können. Haben Sie Vorschläge?
Erstens müssen wir akzeptieren, dass nicht jeder ein China-Experte werden kann, schon gar nicht über Nacht. Das kann man auch von Regierungsbeamten oder Wirtschaftsführern nicht erwarten. Es gibt sehr viele Informationen über China. Wir müssen uns darauf konzentrieren, diese zu sortieren und die Stimmen zu identifizieren, die es wert sind, gehört zu werden.
Wem aus dem Meer der vermeintlichen Experten und Analysten sollten wir denn am besten zuhören?
Meiner Ansicht nach gibt es fünf Qualitäten, auf die man bei einem China-Analysten achten sollte. Erstens: Bescheidenheit. China ist, insbesondere auf höchster Ebene, sehr undurchsichtig. Wir können nicht wissen, was Xi Jinping denkt, und wir müssen unsere eigene Unwissenheit über China anerkennen. Die meisten Menschen wissen zudem nicht viel über die chinesische Geschichte oder die Werte, die die Denkweise der Menschen dort prägen. Bescheidenheit ist also der Schlüssel.
Und was noch?
Ein ganzheitlicher Blick auf China ist ebenfalls wichtig. Suchen Sie nach Analysten, die sich nicht nur auf einen Bereich wie Wirtschaft oder nationale Sicherheit konzentrieren, sondern China aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten: Geisteswissenschaften, Politik, Gesellschaft, Demografie und insbesondere Geschichte. Ein multidisziplinärer Ansatz vermittelt ein umfassenderes Bild.
Haben Sie das Gefühl, dass manche Experten nur sehr einseitig auf China blicken, vielleicht auch, um ihre eigenen Theorien zu unterstreichen?
Genau so ist es, und das bringt mich zur dritten Eigenschaft: Sensibilität für Voreingenommenheit. Wir müssen erkennen, dass die Nachrichten, die wir lesen, strukturell verzerrt sind. Es handelt sich dabei aber nicht um eine absichtliche Verschwörung, um China schlecht aussehen zu lassen. Aber viele Geschichten neigen dazu, extremere Blickwinkel hervorzukehren. Das passiert übrigens auch bei chinesischen Nachrichten über die USA – sie konzentrieren sich auf Schießereien in Schulen oder ethnische Gewalt. Wir müssen diese Verzerrungen bei der Analyse der Berichte berücksichtigen.
Sie haben bereits zweimal erwähnt, wie wichtig ein grundlegendes Wissen über die chinesische Geschichte ist. Warum?
Historisches Verständnis ist sehr wichtig. Analysten müssen nicht Tausende von Jahren Geschichte im Detail kennen. Aber sie sollten zum einen verstehen, dass der Zufall in ihrer eigenen Geschichte eine große Rolle gespielt hat und zum anderen westlich orientierte Sichtweisen vermeiden, etwa die, dass die Geschichte unweigerlich in einen liberal-demokratischen Kapitalismus münden muss. Das ist eine einseitige Sichtweise, die unser Verständnis von China verzerrt.
Was ist die fünfte Eigenschaft, die Sie für mehr China-Kompetenz vorschlagen?
Kognitive Empathie – die Fähigkeit, sich in die Lage der Chinesen zu versetzen. Analysten sollten sich fragen, wie unsere Politik und Rhetorik in China wahrgenommen wird und wie die Chinesen die Welt sehen. Wenn ein Analyst oder eine Analystin Bescheidenheit, eine ganzheitliche Sichtweise, Sensibilität für Voreingenommenheit, historisches Verständnis und kognitives Einfühlungsvermögen an den Tag legt, sind die Berichte es wert, dass man ihnen zuhört. Und das auch dann, wenn die darin dargelegten Schlussfolgerungen von den eigenen abweichen.
Wie entgeht man der Falle, staatliche Narrative zu wiederholen?
Ich achte darauf, deutlich zu machen, wann ich die chinesische Perspektive darstelle, obwohl das nicht immer gelingt. In Diskussionen zwischen den USA und China bitte ich beispielsweise oft beide Seiten, den Standpunkt der anderen Seite in gutem Glauben darzulegen. Das führt zu produktiveren und zivilisierteren Gesprächen.
Sie sagen also, es ist möglich, gleichzeitig kritisch und offen gegenüber China zu sein?
Ich versuche es. Selbst wenn ich bestimmte staatliche Darstellungen entsetzlich finde – wie die Russlands im Ukraine-Krieg -, halte ich es für wichtig zu verstehen, was Putin glaubt und warum seine Botschaft bei Teilen der russischen Bevölkerung Anklang findet.
Was genau ist Ihr Plan in Peking und für Ihre Zukunft als China-Beobachter?
Ich habe nicht vor, in Peking als Journalist zu arbeiten, aber ich möchte mit Menschen sprechen und vielleicht sogar Podcasts aufnehmen – allerdings wahrscheinlich eher mit Amerikanern außerhalb Chinas. Das Hauptziel vor Ort ist es, die chinesische Gesellschaft auf sinnvolle Weise wieder kennenzulernen. Man kann nur dann wirklich verstehen, was die Leute denken, wenn man vor Ort ist, Gespräche hört und sich mit Freunden bei einem Drink unterhält. Außerdem genieße ich es wirklich, in China zu sein – das Essen, die Leichtigkeit des Alltags und das Reisen machen das Land für mich noch immer zu einem wunderbaren Ort.
Kaiser Kuo wurde 1966 im Bundesstaat New York geboren. Seine Eltern stammen aus Familien, die einst als Guomindang-Anhänger nach Taiwan flüchteten. Er ist heute einer der bekanntesten China-Beobachter der USA und Mitbegründer des Sinica-Podcasts und der Experten-Plattform The China Project. Zuvor arbeitete Kuo für Baidu und Ogilvy. Er war zudem Leadgitarrist der legendären chinesischen Heavy-Metal-Band Tang Dynasty.
Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass neue Verstimmungen im EU-Handel mit China vor der Tür stehen. Schuld diesmal: der europäische Ausgleichsmechanismus für Emissionen, CBAM, den China bereits als “grünen Protektionismus” verurteilt.
Und darum geht es: Der Cross Border Carbon Adjustment Mechanism (CBAM) soll CO₂-Emissionen von Importen in die EU bepreisen. Die Idee dahinter ist leicht nachvollziehbar und fast zwingend: Wenn Europa den CO₂-Ausstoß durch seinen Emissionshandel verteuert, dürfen schmutziger hergestellte Waren aus anderen Ländern nicht billiger sein.
Um die Preisvorteile durch günstigere Emissionen auszugleichen, erhebt die EU ab Oktober einen Zuschlag, der dem Kostenvorteil entsprechen soll. Es läuft bereits die Einführungsphase. China ist besonders betroffen: Es ist der größte Produktionsstandort der Welt und stößt gerade daher am meisten Treibhausgase aus. Doch zugleich lehnt das Land eine Verteuerung seiner Exporte in die EU genauso ab wie Einmischung in seine Klimastrategie.
“Die Stimme Chinas kann nicht vernachlässigt werden“, sagt Corinne Abele, die Repräsentantin der GTAI in Shanghai. Schließlich ist China weiterhin einer von Deutschlands wichtigsten Handelspartnern. Abele war Hauptrednerin bei der einer Veranstaltung aus der Reihe China.Table-Toolbox zum Thema “CBAM: Protektionismus oder Klimaschutz? Auswirkungen auf den internationalen Handel”, die die Germany Trade and Invest (GTAI) als Kooperationspartner begleitete.
Vom CBAM betroffen sind Eisen, Stahl, Aluminium, Strom, Düngemittel und Zement. Es gehören auch Produkte dazu, die aus den Metallen hergestellt sind, wie Rohre, Bleche, Rohre oder Profile. Diese kommen vor allem von Großunternehmen, viele davon sind Staatsbetriebe. “Diese werden in vielen Fällen keinen Grund sehen, die nötigen Emissionsdaten herauszugeben“, sagt Abele. In Teilen der chinesischen Wirtschaft gelten solche Informationen als Betriebs- oder sogar Staatsgeheimnis.
Zudem erschwert er den Unternehmen das Leben, wenn sie den Mechanismus auf einen großen Beschaffungsmarkt anwenden müssen, der die Idee des CBAM nicht unbedingt unterstützt. Die Firmen empfinden den CBAM als kompliziert, bürokratisch und teuer. Gerade Mittelständler und Kleinunternehmen werden jedoch im China-Handel vor der Schwierigkeit stehen, die nötigen Emissionsdaten zu beschaffen. Noch sei unklar, wie hoch die Fähigkeit und Bereitschaft chinesischer Lieferanten ist, diese Informationen bereitzustellen, sagt Abele.
Zwischenhändler und kleine chinesische Produzenten haben ebenfalls oft keinen Zugriff auf die nötigen Daten, schließlich müssten sie viel über die Herstellungsvorgänge der Ausgangsstoffe wissen. Viele von ihnen wollen ihre Rohstoffquellen nicht offenlegen, weil sie dann einen Wettbewerbsvorteil verlieren.
Was kann jetzt ein deutsches, mittelständisches Unternehmen konkret tun? “Es muss am Ende seine Lieferanten aufklären und sie notfalls entsprechend auswählen”, sagt Abele. Das verringert eventuell den Kreis der möglichen Geschäftspartner auf diejenigen, die in der Lage sind, Emissionsdaten zu Ihren Produkten zu teilen.
Im Gesprächsteil der China.Table-Toolbox-Veranstaltung kam denn auch große Unzufriedenheit mit dem Aufwand zum Ausdruck, die der CBAM für das alltägliche Geschäft bringt. Die Beschaffung der Daten gilt auch in anderen Märkten als schwierig bis unmöglich. Das Instrument wird in den Unternehmen daher in seiner derzeitigen Ausprägung als praxisfern eingestuft.
In einem günstigen Szenario werden sich diese Probleme jedoch in der nahen Zukunft zumindest im Umgang mit China verringern. Denn zumindest theoretisch lassen sich chinesische Systeme mit den EU-Strukturen verschränken. “China sieht eben auch den gemeinsamen Nutzen darin, die globalen CO₂ Emissionen zu reduzieren und beteiligt sich daran”, sagt Abele.
China hat eigene Ziele zur Reduzierung der CO₂-Emissionen, etwa die Erreichung der CO₂-Neutralität bis 2060. Zudem hat China 2021 ein nationales Emissionshandelssystem (ETS) eingeführt. Es umfasst derzeit zwar nur den Energiesektor, aber eine Ausweitung auf Stahl, Zement und Aluminium ist im Gespräch. Vor allem beim Aluminium laufen dazu offenbar bereits Vorbereitungen.
Sobald in einem Partnermarkt ein eigener, ausgefeilter Emissionshandel für die CBAM-Warengruppen existiert, ist die Berechnung der Differenz zum CO₂-Preis in der EU vergleichsweise einfach. Es gibt auch bereits Projekte, die die Möglichkeit erkunden, die CBAM-Berichtspflichten digital und zum Teil automatisch abhaken zu können.
Die Frage ist, ob China überhaupt bereit ist, mitzumachen – oder ob es der CBAM-Einbindung nicht stattdessen Steine in den Weg legt. Denn der gegenseitige gute Wille ist derzeit wegen geopolitischen Verwerfungen, Zöllen und anderen Differenzen ziemlich aufgebraucht.
Dazu kommt, dass die EU sich mit dem CBAM in fachliche Details verrannt hat, ohne das Gesamtbild im Blick zu halten. Es wurde von Expertinnen und Experten für Emissionen entwickelt und als Umweltinstrument gedacht. Herausgekommen ist aber – vielleicht etwas unfreiwillig – ein Handelsinstrument. Und als solches nimmt es China auch wahr. Schließlich werden Importe mit einem Preis belegt, wie ein Zoll.
Abele hält diese Wahrnehmung aber für unzutreffend. Die EU verteuert durch den Emissionshandel und Mechanismen wie den CBAM insgesamt die Produktion im europäischen Inland. Vorrangiges Ziel ist der Klimaschutz; im internationalen Wettbewerb bringt das Vorgehen keine Vorteile. Dennoch sei es nachvollziehbar, dass China Vorbehalte hat, wenn die EU einseitig handelt.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe China.Table-Toolbox und beruht auf einer Online-Diskussion mit Corinne Abele zum Thema CBAM: Protektionismus oder Klimaschutz? – Auswirkungen auf den internationalen Handel in Zusammenarbeit mit der Germany Trade and Invest (GTAI). Die GTAI berät deutsche Unternehmen auch beim Umgang mit dem CBAM.
Die EU-Kommission hat am gestrigen Montag Beratungen bei der WTO über ein chinesisches Anti-Subventionsverfahren gegen Milchprodukte aus der EU beantragt. Am 21. August hatte die chinesische Regierung eine Untersuchung gegen flüssige Milch, Rahm mit einem Fettanteil über zehn Prozent und verschiedene Käsesorten gestartet. Diese Produkte würden durch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU und durch Maßnahmen auf nationaler Ebene übermäßig subventioniert, so das Argument Pekings.
In Brüssel geht man davon aus, dass das chinesische Vorgehen eine Reaktion auf die möglichen EU-Antisubventionszölle gegen chinesische Elektroautos sind, ähnlich wie die chinesischen Antidumpinguntersuchungen gegen europäisches Schweinefleisch und Brandy.
Die Kommission betont, es sei das erste Mal, dass sie so schnell gegen Untersuchungen von Drittstaaten vorgehe. “Wir beobachten ein Muster, dass China Handelsschutzmaßnahmen auf der Basis von fragwürdigen Anschuldigungen und ungenügender Evidenz startet”, sagt ein Kommissionssprecher. Die Kommission sei der Meinung, dass die chinesische Untersuchung gegen Milchprodukte nicht mit WTO-Regeln vereinbar sei. Zudem wolle man die Interessen der europäischen Milchbauern und die GAP vor “missbräuchlichen Verfahren” schützen.
Die beantragten Beratungen sind der erste Schritt im WTO-Streitschlichtungsverfahren. Führt dies nicht zum gewünschten Resultat, kann die EU nach 60 Tagen die Einrichtung eines Streitschlichtungspanels fordern. jaa
Die deutschen Exporte nach China sind im August eingebrochen. In die Volksrepublik wurden Waren im Wert von sieben Milliarden Euro geliefert und damit 15,2 Prozent weniger als ein Jahr zuvor, wie aus den am Montag veröffentlichten vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes hervorgeht.
Dafür gibt es vor allem zwei Gründe:
Deutschlands wichtigster Handelspartner sind inzwischen die USA. Doch auch das US-Geschäft schrumpfte im August. Dorthin wurden Waren im Wert von 12,6 Milliarden Euro geliefert. Das sind 3,2 Prozent weniger als im Vorjahresmonat. rtr
Die USA sind weiterhin die einflussreichste Macht in Asien. Das ist das Ergebnis des neuesten “Asia Power Index” des Lowy Institute, einem unabhängigen Thinktank mit Sitz in Sydney. Der aktuelle Bericht zeigt jedoch auch, dass China vor allem im Militärbereich stark aufholt. Der “Asia Power Index” bewertet den Einfluss von 27 Staaten in Asien und schlüsselt sie nach unterschiedlichen Bereichen auf wie Militär, Wirtschaft, Verteidigung oder Diplomatie. Der “Asia Power Index” wird seit 2018 einmal pro Jahr herausgegeben.
Demnach liegen die USA bei sechs von acht Indexwerten vor China – Washington verfüge im Vergleich zu Peking vor allem über stärkere Verteidigungsnetzwerke, kulturellen Einfluss und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Vor allem die erfolgreichen Bemühungen der Vereinigten Staaten, ihre Verteidigungsbeziehungen mit Verbündeten wie Japan, Australien und den Philippinen zu stärken, hätten die US-Macht in Asien gestärkt.
Chinas Macht hingegen stagniere. So heißt es in dem Bericht: “Chinas Macht ist weder im Aufschwung, noch im Abschwung. Sie stagniert auf einem Niveau unterhalb der USA, aber immer noch deutlich über allen asiatischen Konkurrenten.” Als Gründe werden vor allem das langsamere Wirtschaftswachstum und längerfristige strukturelle Herausforderungen wie die alternde Bevölkerung aufgeführt. Auf Rang drei liegt inzwischen Indien, das Japan überholt hat. Allerdings bleibe Indiens Einfluss noch immer hinter dem Potenzial zurück, das seine Ressourcen versprechen. rad
In Berlin ist am Montag die SPD-Spitze, darunter Co-Parteichef Lars Klingbeil, Vize Anke Rehlinger, Fraktionschef Rolf Mützenich und mehrere Bundestagsabgeordnete, mit Vertretern der KP China zusammengekommen. Themen waren unter anderem der Ukrainekrieg, die Rolle Chinas als möglicher Vermittler, aber auch die Transformation und Rechtsstaatsfragen.
“Ich suche das Gespräch auch in Ländern und mit Partnern, die nicht zu 100 Prozent unserer Meinung sind”, hatte Klingbeil vor Kurzem solche Treffen gegenüber Table.Briefings begründet. Seine Erfahrung sei, “dass man nach mehreren Aufeinandertreffen Sachen viel deutlicher aussprechen kann”. Er sagte aber auch: “Man kann in diese Gespräche nicht ohne Haltung gehen.”
Im vergangenen Jahr war Klingbeil von Premierminister Li Qiang in Peking empfangen worden, Rolf Mützenich vor wenigen Wochen erst von Außenminister Wang Yi. Seit 1984, damals initiiert von Willy Brandt und Deng Xiaoping, pflegt die SPD den Dialog mit der KP China. Horand Knaup
Am zehnten Jahrestag der Verurteilung des uigurischen Ökonomen Ilham Tohti fordert die Europäische Union dessen “sofortige und bedingungslose Freilassung”. Der Wirtschaftswissenschaftler war wegen Separatismusvorwürfen im Herbst 2014 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Seine Inhaftierung stehe “stellvertretend für die äußerst besorgniserregende Menschenrechtslage in Xinjiang, die in zahlreichen Berichten von UN-Vertragsorganen und Sonderberichterstattern und insbesondere im Bewertungsbericht 2022 des Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte hervorgehoben wurde”, heißt es in der Stellungnahme des Auswärtigen Dienstes der EU.
Ilham Tohti hatte sich bis zu seiner Festnahme zwei Jahrzehnte lang für den Dialog zwischen Uiguren und Han-Chinesen eingesetzt. Tohti wurde zunächst im Januar 2014 verhaftet. Sein Prozess dauerte nur zwei Tage. Das PEN American Center bezeichnete ihn als “Farce”. Amnesty International sprach von einem “bedauerlichen Urteil”, das “keine Grundlage in der Realität” habe, Human Rights Watch von einer “eine Ungerechtigkeit höchsten Grades”.
Die EU forderte China auch zur Freilassung anderer inhaftierter Menschenrechtsverteidiger, Rechtsanwälte und Intellektueller auf. Nach Angaben des Uyghur Human Rights Project wurden seit 2016 mehr als 300 Fälle allein von uigurischen Intellektuellen dokumentiert, die inhaftiert oder verschwunden sind. grz
Die EU-Kommission hat im Juli 2024 vorläufige Ausgleichszölle auf E-Autos aus China erhoben. Diese belaufen sich im Schnitt auf etwa 21 Prozent. Dauerhaft für eine Periode von fünf Jahren werden sie erst erhoben, wenn sich der Rat dazu positioniert hat. Dabei gilt das Prinzip der umgekehrten qualifizierten Mehrheit: Um die Kommission und damit die Zölle zu stoppen, bedarf es 15 Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.
Diese Entscheidung ist besonders brisant, weil sie zeitlich mit dem Draghi-Report zusammenfällt: Auf vierhundert Seiten argumentiert der ehemalige italienische Ministerpräsident und EZB-Chef, dass die EU ihre Wettbewerbsfähigkeit nur dann stärken kann, wenn sie ihre Werkzeuge geschickt kombiniert: zum Beispiel die Handels- und die Industriepolitik. Das gilt insbesondere im Bereich Elektromobilität, in dem die Schwäche der europäischen Industrie direkt mit unfairem Wettbewerb aus China zusammenhängt.
Wenn die EU-Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland, mit Blick auf die E-Auto-Zölle nicht an einem Strang ziehen, riskiert die EU nicht nur, bei Schlüsseltechnologien noch weiter hinter China und die USA zurückzufallen, sondern auch ihre handelspolitische Glaubwürdigkeit.
Im EU- und WTO-Recht sind die Hürden für solche Zölle hoch, gerade um politischen Missbrauch zu verhindern. Die Entscheidung der EU-Kommission folgt deshalb auf eine detaillierte Anti-Subventionsuntersuchung auf Basis von Unternehmensdaten. Diese zeigen, dass in China produzierte Elektroautos durch Subventionen, die nach den Regeln der WTO rechtswidrig sind, Marktvorteile haben.
Im Gegensatz zu anderen Staaten, wie etwa den USA oder der Türkei, die – anscheinend ohne vergleichbare Untersuchungen – Zölle in Höhe von 100 Prozent beziehungsweise zwischenzeitlich zusätzlichen 40 Prozent auf E-Autos aus China erhoben haben, plant die EU hier also eine sachlich gut begründbare Maßnahme gegen unfairen Wettbewerb, die sich im internationalen Vergleich eher maßvoll ausnimmt.
Die EU hat in den vergangenen Monaten zudem mit der chinesischen Regierung und E-Auto-Herstellern Gespräche geführt, um eine alternative Lösung zu finden. Ein Angebot chinesischer E-Auto-Hersteller über Preisverpflichtungen, die die Subventionen ausgleichen sollten, lehnte die Kommission nach eingehender Prüfung jedoch als unzureichend ab. Beim Treffen zwischen dem chinesischen Handelsminister Wang Wentao und EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis am 19. September in Brüssel wurde zwar ebenfalls keine politische Einigung erzielt.
Jedoch hat die Kommission die bereits abgelaufene Frist für die Einreichung von Preisverpflichtungen der Hersteller nochmals verlängert. Legen diese ein ausreichendes Angebot vor, kann die Kommission das Verfahren einstellen, ansonsten ist der nächste Schritt die Abstimmung der Mitgliedstaaten über die Ausgleichszölle, die vor dem 31. Oktober stattfinden muss.
Aktuell versuchen mehrere Mitgliedstaaten, darunter wenig überraschend Ungarn, aber auch Deutschland und Spanien aktiv, die Zölle zu stoppen. Hier wird nur allzu deutlich, dass die vielfach beschworene und dringliche Einigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten gegenüber China bisher eine Illusion bleibt: China schafft es immer wieder, die EU in handels- und industriepolitischen Schlüsselfragen auseinanderzudividieren – und die EU schafft es gleichzeitig nicht, aus eigener Kraft zusammenzubleiben.
In Deutschland ist es die Sorge vor Vergeltungsmaßnahmen gegen die stark vom Chinageschäft abhängige Automobilindustrie, die Bundeskanzler Olaf Scholz dazu bringt, sich gegen die Zölle stark zu machen. In Spanien ist es die Hoffnung auf eine chinesische Milliardeninvestition nach einer Peking-Reise von Ministerpräsident Pedro Sánchez Anfang September und auf die Verschonung der spanischen Schweinefleischindustrie. Ungarn begibt sich seit geraumer Zeit ohnehin gerne in die Rolle eines “trojanischen Pferdes” für chinesische Interessen in der EU.
Sollten sich die Mitgliedstaaten trotz deutlicher Evidenz für Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten Europas gegen die Ausgleichszölle aussprechen und stattdessen ihre wirtschaftlichen Partikularinteressen in den Vordergrund stellen, würde das die Glaubwürdigkeit der handels- und industriepolitischen Agenda der EU zutiefst erschüttern. Es wäre eine regelrechte Einladung für Drittstaaten: Effektive Politik im EU-Interesse kann über europäische Hauptstädte ausgehebelt werden.
Dies hätte auch vor dem Hintergrund einer zunehmenden Geopolitisierung von Handelsbeziehungen und den Bestrebungen nach einem “De-risking” von China im Rahmen der 2023 von der Kommission vorgeschlagenen Strategie für wirtschaftliche Sicherheit eine starke politische Signalwirkung.
Zwar gibt es tragfähige wirtschaftspolitische Argumente gegen die Maßnahme: Zölle auf importierte Produkte schaffen für sich genommen keine wettbewerbsfähige Industrie in Europa. Sie gleichen lediglich unfaire Kostenvorteile aus, die durch Subventionen entstehen, und sollen so einen tatsächlichen Wettbewerb ermöglichen. Der Zeitraum, in dem die Zölle bestehen, muss daher kreativ und intelligent genutzt werden – sowohl von der Wirtschaft als auch von der Politik.
Gelingt dies nicht, zahlen Verbraucher in der EU unnötig höhere Preise. Unternehmen sollten daher alles daransetzen, in diesem Zeitraum ihre Wettbewerbsfähigkeit auf- und auszubauen. Kommission und Mitgliedstaaten sollten die Zölle mit weiteren Maßnahmen zur Förderung lokaler Hersteller flankieren – und sich dabei enger abstimmen als bisher.
Gegenwärtig drängt sich aber der Eindruck auf, dass die Mitgliedstaaten, die gegen die Zölle arbeiten, von anderen, deutlich weniger überzeugenden Gründen getrieben sind: Die Industrien, die China mit Zöllen bedroht, bilden starke und gut organisierte Interessengruppen, die weder Scholz noch Sánchez gegen sich aufbringen möchten. Im langfristigen europäischen Interesse ist eine solche partikulare Rücksichtnahme aber sicher nicht. Europas Zukunft sollte nicht von einzelnen Branchen oder gar Unternehmen entschieden werden.
Wer gegen die Zölle argumentiert, unterschätzt nicht zuletzt das Potenzial, China auf Augenhöhe zu begegnen. Angesichts großer struktureller Problemen – Jugendarbeitslosigkeit, Immobilienblase und eine generell schwächelnde Wirtschaft – sowie ungewissen Auswirkungen der US-Wahl auf die ohnehin strapazierten sino-amerikanischen Beziehungen braucht China die EU und den Zugang zum europäischen Markt.
Umso wichtiger ist es, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten in der Zollfrage konsequent bleiben und die handelspolitische Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der EU gegenüber China und anderen nicht aufs Spiel setzen. Die EU kann nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie sich gleichzeitig gegen Wettbewerbsverzerrungen durch Dritte wehren kann – so argumentiert auch der Draghi-Report. In diesem politischen Moment wäre ein Stopp bei den Zöllen auf in China hergestellte E-Autos genau das falsche Signal.
Cora Jungbluth ist seit August 2012 bei der Bertelsmann Stiftung tätig und dort Senior Expert China and Asia-Pacific. Etienne Höra ist seit Oktober 2023 Project Manager in der Bertelsmann Stiftung und beschäftigt sich mit strategischen Partnerschaften zwischen Europa und Asien.
Oliver Oehms wird am 1. Oktober neues geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in Nordchina. Er folgt auf Jens Hildebrandt, der die Kammer kürzlich verlassen hat. Oehms ist derzeit noch CEO der Deutsch-Emiratischen Industrie- und Handelskammer (AHK) in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Delegierter der Deutschen Wirtschaft im Irak.
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Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude. Und so können viele Chinesen offenbar den nahenden Jahrestag der Gründung der Volksrepublik kaum noch erwarten. Auf dem Tian’anmen-Platz in Peking werden jedenfalls schon fleißig Bilder geknipst. Es werden wohl einige Vor-Jahrestag-Bilder werden. Denn erst am kommenden Dienstag ist es dann auch offiziell so weit.
wer weiß denn nun wirklich Bescheid über China? Wenn es nach dem US-Kommentator Kaiser Kuo geht, dann schrumpft das Feld derer, deren Urteile und Analysen relevant sind, massiv zusammen. Seine Kriterien sind so umfangreich, dass es demnach nicht nur ausreicht, sich intensiv mit Daten und Fakten sowie der chinesischen Geschichte zu beschäftigen. Es bedarf beispielsweise auch enger menschlicher Kontakte und Empathie, sagt er im Interview mit Fabian Peltsch.
In welchen Analysten und China-Experten Kuo seine Definition erfüllt sieht, verrät er zwar nicht. Er lässt aber keinen Zweifel daran, dass er sich selbst zu denjenigen zählt, die ziemlich gut Bescheid wissen. Stichwort: China-Kompetenz. Machen Sie doch mal selbst den Test und vergleichen Ihre eigene Expertise mit der von Kuo veranschlagten.
Relativ wenig China-Kompetenz ist indes nötig, um den nächsten Handelsstreit zwischen der EU und China zu prophezeien. Zankapfel dürfte diesmal der Ausgleichsmechanismus für Emissionen, kurz CBAM, werden, schreibt Finn Mayer-Kuckuk.
Unser heutiger Standpunkt befasst sich dagegen mit dem aktuellen Streitthema im europäisch-chinesischen Handel – den EU-Ausgleichszöllen auf E-Autos. Die Autoren plädieren für eine konsequente Umsetzung. Ihr Tenor lautet: Wehr dich, EU!
Sie sind einer der bekanntesten China-Beobachter in den USA. Auch in Europa haben sie viele Fans, die Ihren Blog lesen und Ihren Sinica-Podcast hören. Kürzlich haben Sie Ihre Leser in einem “Brief aus Peking” mit der Ankündigung überrascht, dass Sie nach fast zehn Jahren in den USA wieder mindestens sechs Monate pro Jahr in China leben wollen. Was war der Anstoß?
Auf meiner letzten Reise nach China war meine Erfahrung erstaunlich positiv. Ich hatte nicht erwartet, dass ich so begeistert sein würde. Ich werde also ab dem 3. Oktober für einen Monat zurückkehren, um mit meiner Frau eine Wohnung zu suchen. Wenn alles gut geht, werden wir im nächsten Sommer in Peking leben. Unsere Kinder sind ja jetzt auch im College, und wir sind allein in diesem großen Haus…
Warum waren Sie so positiv überrascht, wieder vor Ort zu sein?
Viele Leute hatten mir gesagt, Peking habe sich völlig verändert und mache keinen Spaß mehr. Sie vermittelten den Eindruck, dass alle interessanten Leute die Stadt bereits verlassen hätten, aber das stimmte nicht. Es gibt immer noch eine sehr lebendige Community dort, und viele Menschen fühlten sich frei genug, um ihre Meinungen und Perspektiven mit mir zu teilen.
Sie sagten, Sie litten seit einer Weile unter einer Art “Imposter-Syndrom”, weil Sie so viel über China sprachen, ohne tatsächlich dort zu sein.
Ich denke, man braucht beide Perspektiven. Wenn man ständig in China ist, kann man genauso den Blick dafür verlieren, wie die Dinge von außen aussehen. Deshalb möchte ich beides in Einklang bringen. Ich habe in meinen 20 Jahren in Peking ja schon zuvor repressive Zeiten erlebt, dennoch es gibt es für mich noch immer eine Menge Dinge, die man an diesem Land lieben kann. China bleibt ein faszinierendes Thema, das man auch aus der Nähe studieren sollte.
Welches China-Bild wollen sie vermitteln?
Wenn Dinge in den Medien falsch dargestellt werden, versuche ich sie zu korrigieren. Aber ich gehe nicht davon aus, dass die Medien generell falsch liegen. Es gibt eine Menge wertvoller Berichte aus und über China, aber manchmal muss man sie durch andere Perspektiven ausgleichen und ergänzen.
Wir führen in Deutschland und Europa noch immer Debatten darüber, wie wir mehr China-Kompetenz erlangen und vermitteln können. Haben Sie Vorschläge?
Erstens müssen wir akzeptieren, dass nicht jeder ein China-Experte werden kann, schon gar nicht über Nacht. Das kann man auch von Regierungsbeamten oder Wirtschaftsführern nicht erwarten. Es gibt sehr viele Informationen über China. Wir müssen uns darauf konzentrieren, diese zu sortieren und die Stimmen zu identifizieren, die es wert sind, gehört zu werden.
Wem aus dem Meer der vermeintlichen Experten und Analysten sollten wir denn am besten zuhören?
Meiner Ansicht nach gibt es fünf Qualitäten, auf die man bei einem China-Analysten achten sollte. Erstens: Bescheidenheit. China ist, insbesondere auf höchster Ebene, sehr undurchsichtig. Wir können nicht wissen, was Xi Jinping denkt, und wir müssen unsere eigene Unwissenheit über China anerkennen. Die meisten Menschen wissen zudem nicht viel über die chinesische Geschichte oder die Werte, die die Denkweise der Menschen dort prägen. Bescheidenheit ist also der Schlüssel.
Und was noch?
Ein ganzheitlicher Blick auf China ist ebenfalls wichtig. Suchen Sie nach Analysten, die sich nicht nur auf einen Bereich wie Wirtschaft oder nationale Sicherheit konzentrieren, sondern China aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten: Geisteswissenschaften, Politik, Gesellschaft, Demografie und insbesondere Geschichte. Ein multidisziplinärer Ansatz vermittelt ein umfassenderes Bild.
Haben Sie das Gefühl, dass manche Experten nur sehr einseitig auf China blicken, vielleicht auch, um ihre eigenen Theorien zu unterstreichen?
Genau so ist es, und das bringt mich zur dritten Eigenschaft: Sensibilität für Voreingenommenheit. Wir müssen erkennen, dass die Nachrichten, die wir lesen, strukturell verzerrt sind. Es handelt sich dabei aber nicht um eine absichtliche Verschwörung, um China schlecht aussehen zu lassen. Aber viele Geschichten neigen dazu, extremere Blickwinkel hervorzukehren. Das passiert übrigens auch bei chinesischen Nachrichten über die USA – sie konzentrieren sich auf Schießereien in Schulen oder ethnische Gewalt. Wir müssen diese Verzerrungen bei der Analyse der Berichte berücksichtigen.
Sie haben bereits zweimal erwähnt, wie wichtig ein grundlegendes Wissen über die chinesische Geschichte ist. Warum?
Historisches Verständnis ist sehr wichtig. Analysten müssen nicht Tausende von Jahren Geschichte im Detail kennen. Aber sie sollten zum einen verstehen, dass der Zufall in ihrer eigenen Geschichte eine große Rolle gespielt hat und zum anderen westlich orientierte Sichtweisen vermeiden, etwa die, dass die Geschichte unweigerlich in einen liberal-demokratischen Kapitalismus münden muss. Das ist eine einseitige Sichtweise, die unser Verständnis von China verzerrt.
Was ist die fünfte Eigenschaft, die Sie für mehr China-Kompetenz vorschlagen?
Kognitive Empathie – die Fähigkeit, sich in die Lage der Chinesen zu versetzen. Analysten sollten sich fragen, wie unsere Politik und Rhetorik in China wahrgenommen wird und wie die Chinesen die Welt sehen. Wenn ein Analyst oder eine Analystin Bescheidenheit, eine ganzheitliche Sichtweise, Sensibilität für Voreingenommenheit, historisches Verständnis und kognitives Einfühlungsvermögen an den Tag legt, sind die Berichte es wert, dass man ihnen zuhört. Und das auch dann, wenn die darin dargelegten Schlussfolgerungen von den eigenen abweichen.
Wie entgeht man der Falle, staatliche Narrative zu wiederholen?
Ich achte darauf, deutlich zu machen, wann ich die chinesische Perspektive darstelle, obwohl das nicht immer gelingt. In Diskussionen zwischen den USA und China bitte ich beispielsweise oft beide Seiten, den Standpunkt der anderen Seite in gutem Glauben darzulegen. Das führt zu produktiveren und zivilisierteren Gesprächen.
Sie sagen also, es ist möglich, gleichzeitig kritisch und offen gegenüber China zu sein?
Ich versuche es. Selbst wenn ich bestimmte staatliche Darstellungen entsetzlich finde – wie die Russlands im Ukraine-Krieg -, halte ich es für wichtig zu verstehen, was Putin glaubt und warum seine Botschaft bei Teilen der russischen Bevölkerung Anklang findet.
Was genau ist Ihr Plan in Peking und für Ihre Zukunft als China-Beobachter?
Ich habe nicht vor, in Peking als Journalist zu arbeiten, aber ich möchte mit Menschen sprechen und vielleicht sogar Podcasts aufnehmen – allerdings wahrscheinlich eher mit Amerikanern außerhalb Chinas. Das Hauptziel vor Ort ist es, die chinesische Gesellschaft auf sinnvolle Weise wieder kennenzulernen. Man kann nur dann wirklich verstehen, was die Leute denken, wenn man vor Ort ist, Gespräche hört und sich mit Freunden bei einem Drink unterhält. Außerdem genieße ich es wirklich, in China zu sein – das Essen, die Leichtigkeit des Alltags und das Reisen machen das Land für mich noch immer zu einem wunderbaren Ort.
Kaiser Kuo wurde 1966 im Bundesstaat New York geboren. Seine Eltern stammen aus Familien, die einst als Guomindang-Anhänger nach Taiwan flüchteten. Er ist heute einer der bekanntesten China-Beobachter der USA und Mitbegründer des Sinica-Podcasts und der Experten-Plattform The China Project. Zuvor arbeitete Kuo für Baidu und Ogilvy. Er war zudem Leadgitarrist der legendären chinesischen Heavy-Metal-Band Tang Dynasty.
Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass neue Verstimmungen im EU-Handel mit China vor der Tür stehen. Schuld diesmal: der europäische Ausgleichsmechanismus für Emissionen, CBAM, den China bereits als “grünen Protektionismus” verurteilt.
Und darum geht es: Der Cross Border Carbon Adjustment Mechanism (CBAM) soll CO₂-Emissionen von Importen in die EU bepreisen. Die Idee dahinter ist leicht nachvollziehbar und fast zwingend: Wenn Europa den CO₂-Ausstoß durch seinen Emissionshandel verteuert, dürfen schmutziger hergestellte Waren aus anderen Ländern nicht billiger sein.
Um die Preisvorteile durch günstigere Emissionen auszugleichen, erhebt die EU ab Oktober einen Zuschlag, der dem Kostenvorteil entsprechen soll. Es läuft bereits die Einführungsphase. China ist besonders betroffen: Es ist der größte Produktionsstandort der Welt und stößt gerade daher am meisten Treibhausgase aus. Doch zugleich lehnt das Land eine Verteuerung seiner Exporte in die EU genauso ab wie Einmischung in seine Klimastrategie.
“Die Stimme Chinas kann nicht vernachlässigt werden“, sagt Corinne Abele, die Repräsentantin der GTAI in Shanghai. Schließlich ist China weiterhin einer von Deutschlands wichtigsten Handelspartnern. Abele war Hauptrednerin bei der einer Veranstaltung aus der Reihe China.Table-Toolbox zum Thema “CBAM: Protektionismus oder Klimaschutz? Auswirkungen auf den internationalen Handel”, die die Germany Trade and Invest (GTAI) als Kooperationspartner begleitete.
Vom CBAM betroffen sind Eisen, Stahl, Aluminium, Strom, Düngemittel und Zement. Es gehören auch Produkte dazu, die aus den Metallen hergestellt sind, wie Rohre, Bleche, Rohre oder Profile. Diese kommen vor allem von Großunternehmen, viele davon sind Staatsbetriebe. “Diese werden in vielen Fällen keinen Grund sehen, die nötigen Emissionsdaten herauszugeben“, sagt Abele. In Teilen der chinesischen Wirtschaft gelten solche Informationen als Betriebs- oder sogar Staatsgeheimnis.
Zudem erschwert er den Unternehmen das Leben, wenn sie den Mechanismus auf einen großen Beschaffungsmarkt anwenden müssen, der die Idee des CBAM nicht unbedingt unterstützt. Die Firmen empfinden den CBAM als kompliziert, bürokratisch und teuer. Gerade Mittelständler und Kleinunternehmen werden jedoch im China-Handel vor der Schwierigkeit stehen, die nötigen Emissionsdaten zu beschaffen. Noch sei unklar, wie hoch die Fähigkeit und Bereitschaft chinesischer Lieferanten ist, diese Informationen bereitzustellen, sagt Abele.
Zwischenhändler und kleine chinesische Produzenten haben ebenfalls oft keinen Zugriff auf die nötigen Daten, schließlich müssten sie viel über die Herstellungsvorgänge der Ausgangsstoffe wissen. Viele von ihnen wollen ihre Rohstoffquellen nicht offenlegen, weil sie dann einen Wettbewerbsvorteil verlieren.
Was kann jetzt ein deutsches, mittelständisches Unternehmen konkret tun? “Es muss am Ende seine Lieferanten aufklären und sie notfalls entsprechend auswählen”, sagt Abele. Das verringert eventuell den Kreis der möglichen Geschäftspartner auf diejenigen, die in der Lage sind, Emissionsdaten zu Ihren Produkten zu teilen.
Im Gesprächsteil der China.Table-Toolbox-Veranstaltung kam denn auch große Unzufriedenheit mit dem Aufwand zum Ausdruck, die der CBAM für das alltägliche Geschäft bringt. Die Beschaffung der Daten gilt auch in anderen Märkten als schwierig bis unmöglich. Das Instrument wird in den Unternehmen daher in seiner derzeitigen Ausprägung als praxisfern eingestuft.
In einem günstigen Szenario werden sich diese Probleme jedoch in der nahen Zukunft zumindest im Umgang mit China verringern. Denn zumindest theoretisch lassen sich chinesische Systeme mit den EU-Strukturen verschränken. “China sieht eben auch den gemeinsamen Nutzen darin, die globalen CO₂ Emissionen zu reduzieren und beteiligt sich daran”, sagt Abele.
China hat eigene Ziele zur Reduzierung der CO₂-Emissionen, etwa die Erreichung der CO₂-Neutralität bis 2060. Zudem hat China 2021 ein nationales Emissionshandelssystem (ETS) eingeführt. Es umfasst derzeit zwar nur den Energiesektor, aber eine Ausweitung auf Stahl, Zement und Aluminium ist im Gespräch. Vor allem beim Aluminium laufen dazu offenbar bereits Vorbereitungen.
Sobald in einem Partnermarkt ein eigener, ausgefeilter Emissionshandel für die CBAM-Warengruppen existiert, ist die Berechnung der Differenz zum CO₂-Preis in der EU vergleichsweise einfach. Es gibt auch bereits Projekte, die die Möglichkeit erkunden, die CBAM-Berichtspflichten digital und zum Teil automatisch abhaken zu können.
Die Frage ist, ob China überhaupt bereit ist, mitzumachen – oder ob es der CBAM-Einbindung nicht stattdessen Steine in den Weg legt. Denn der gegenseitige gute Wille ist derzeit wegen geopolitischen Verwerfungen, Zöllen und anderen Differenzen ziemlich aufgebraucht.
Dazu kommt, dass die EU sich mit dem CBAM in fachliche Details verrannt hat, ohne das Gesamtbild im Blick zu halten. Es wurde von Expertinnen und Experten für Emissionen entwickelt und als Umweltinstrument gedacht. Herausgekommen ist aber – vielleicht etwas unfreiwillig – ein Handelsinstrument. Und als solches nimmt es China auch wahr. Schließlich werden Importe mit einem Preis belegt, wie ein Zoll.
Abele hält diese Wahrnehmung aber für unzutreffend. Die EU verteuert durch den Emissionshandel und Mechanismen wie den CBAM insgesamt die Produktion im europäischen Inland. Vorrangiges Ziel ist der Klimaschutz; im internationalen Wettbewerb bringt das Vorgehen keine Vorteile. Dennoch sei es nachvollziehbar, dass China Vorbehalte hat, wenn die EU einseitig handelt.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe China.Table-Toolbox und beruht auf einer Online-Diskussion mit Corinne Abele zum Thema CBAM: Protektionismus oder Klimaschutz? – Auswirkungen auf den internationalen Handel in Zusammenarbeit mit der Germany Trade and Invest (GTAI). Die GTAI berät deutsche Unternehmen auch beim Umgang mit dem CBAM.
Die EU-Kommission hat am gestrigen Montag Beratungen bei der WTO über ein chinesisches Anti-Subventionsverfahren gegen Milchprodukte aus der EU beantragt. Am 21. August hatte die chinesische Regierung eine Untersuchung gegen flüssige Milch, Rahm mit einem Fettanteil über zehn Prozent und verschiedene Käsesorten gestartet. Diese Produkte würden durch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU und durch Maßnahmen auf nationaler Ebene übermäßig subventioniert, so das Argument Pekings.
In Brüssel geht man davon aus, dass das chinesische Vorgehen eine Reaktion auf die möglichen EU-Antisubventionszölle gegen chinesische Elektroautos sind, ähnlich wie die chinesischen Antidumpinguntersuchungen gegen europäisches Schweinefleisch und Brandy.
Die Kommission betont, es sei das erste Mal, dass sie so schnell gegen Untersuchungen von Drittstaaten vorgehe. “Wir beobachten ein Muster, dass China Handelsschutzmaßnahmen auf der Basis von fragwürdigen Anschuldigungen und ungenügender Evidenz startet”, sagt ein Kommissionssprecher. Die Kommission sei der Meinung, dass die chinesische Untersuchung gegen Milchprodukte nicht mit WTO-Regeln vereinbar sei. Zudem wolle man die Interessen der europäischen Milchbauern und die GAP vor “missbräuchlichen Verfahren” schützen.
Die beantragten Beratungen sind der erste Schritt im WTO-Streitschlichtungsverfahren. Führt dies nicht zum gewünschten Resultat, kann die EU nach 60 Tagen die Einrichtung eines Streitschlichtungspanels fordern. jaa
Die deutschen Exporte nach China sind im August eingebrochen. In die Volksrepublik wurden Waren im Wert von sieben Milliarden Euro geliefert und damit 15,2 Prozent weniger als ein Jahr zuvor, wie aus den am Montag veröffentlichten vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes hervorgeht.
Dafür gibt es vor allem zwei Gründe:
Deutschlands wichtigster Handelspartner sind inzwischen die USA. Doch auch das US-Geschäft schrumpfte im August. Dorthin wurden Waren im Wert von 12,6 Milliarden Euro geliefert. Das sind 3,2 Prozent weniger als im Vorjahresmonat. rtr
Die USA sind weiterhin die einflussreichste Macht in Asien. Das ist das Ergebnis des neuesten “Asia Power Index” des Lowy Institute, einem unabhängigen Thinktank mit Sitz in Sydney. Der aktuelle Bericht zeigt jedoch auch, dass China vor allem im Militärbereich stark aufholt. Der “Asia Power Index” bewertet den Einfluss von 27 Staaten in Asien und schlüsselt sie nach unterschiedlichen Bereichen auf wie Militär, Wirtschaft, Verteidigung oder Diplomatie. Der “Asia Power Index” wird seit 2018 einmal pro Jahr herausgegeben.
Demnach liegen die USA bei sechs von acht Indexwerten vor China – Washington verfüge im Vergleich zu Peking vor allem über stärkere Verteidigungsnetzwerke, kulturellen Einfluss und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Vor allem die erfolgreichen Bemühungen der Vereinigten Staaten, ihre Verteidigungsbeziehungen mit Verbündeten wie Japan, Australien und den Philippinen zu stärken, hätten die US-Macht in Asien gestärkt.
Chinas Macht hingegen stagniere. So heißt es in dem Bericht: “Chinas Macht ist weder im Aufschwung, noch im Abschwung. Sie stagniert auf einem Niveau unterhalb der USA, aber immer noch deutlich über allen asiatischen Konkurrenten.” Als Gründe werden vor allem das langsamere Wirtschaftswachstum und längerfristige strukturelle Herausforderungen wie die alternde Bevölkerung aufgeführt. Auf Rang drei liegt inzwischen Indien, das Japan überholt hat. Allerdings bleibe Indiens Einfluss noch immer hinter dem Potenzial zurück, das seine Ressourcen versprechen. rad
In Berlin ist am Montag die SPD-Spitze, darunter Co-Parteichef Lars Klingbeil, Vize Anke Rehlinger, Fraktionschef Rolf Mützenich und mehrere Bundestagsabgeordnete, mit Vertretern der KP China zusammengekommen. Themen waren unter anderem der Ukrainekrieg, die Rolle Chinas als möglicher Vermittler, aber auch die Transformation und Rechtsstaatsfragen.
“Ich suche das Gespräch auch in Ländern und mit Partnern, die nicht zu 100 Prozent unserer Meinung sind”, hatte Klingbeil vor Kurzem solche Treffen gegenüber Table.Briefings begründet. Seine Erfahrung sei, “dass man nach mehreren Aufeinandertreffen Sachen viel deutlicher aussprechen kann”. Er sagte aber auch: “Man kann in diese Gespräche nicht ohne Haltung gehen.”
Im vergangenen Jahr war Klingbeil von Premierminister Li Qiang in Peking empfangen worden, Rolf Mützenich vor wenigen Wochen erst von Außenminister Wang Yi. Seit 1984, damals initiiert von Willy Brandt und Deng Xiaoping, pflegt die SPD den Dialog mit der KP China. Horand Knaup
Am zehnten Jahrestag der Verurteilung des uigurischen Ökonomen Ilham Tohti fordert die Europäische Union dessen “sofortige und bedingungslose Freilassung”. Der Wirtschaftswissenschaftler war wegen Separatismusvorwürfen im Herbst 2014 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Seine Inhaftierung stehe “stellvertretend für die äußerst besorgniserregende Menschenrechtslage in Xinjiang, die in zahlreichen Berichten von UN-Vertragsorganen und Sonderberichterstattern und insbesondere im Bewertungsbericht 2022 des Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte hervorgehoben wurde”, heißt es in der Stellungnahme des Auswärtigen Dienstes der EU.
Ilham Tohti hatte sich bis zu seiner Festnahme zwei Jahrzehnte lang für den Dialog zwischen Uiguren und Han-Chinesen eingesetzt. Tohti wurde zunächst im Januar 2014 verhaftet. Sein Prozess dauerte nur zwei Tage. Das PEN American Center bezeichnete ihn als “Farce”. Amnesty International sprach von einem “bedauerlichen Urteil”, das “keine Grundlage in der Realität” habe, Human Rights Watch von einer “eine Ungerechtigkeit höchsten Grades”.
Die EU forderte China auch zur Freilassung anderer inhaftierter Menschenrechtsverteidiger, Rechtsanwälte und Intellektueller auf. Nach Angaben des Uyghur Human Rights Project wurden seit 2016 mehr als 300 Fälle allein von uigurischen Intellektuellen dokumentiert, die inhaftiert oder verschwunden sind. grz
Die EU-Kommission hat im Juli 2024 vorläufige Ausgleichszölle auf E-Autos aus China erhoben. Diese belaufen sich im Schnitt auf etwa 21 Prozent. Dauerhaft für eine Periode von fünf Jahren werden sie erst erhoben, wenn sich der Rat dazu positioniert hat. Dabei gilt das Prinzip der umgekehrten qualifizierten Mehrheit: Um die Kommission und damit die Zölle zu stoppen, bedarf es 15 Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.
Diese Entscheidung ist besonders brisant, weil sie zeitlich mit dem Draghi-Report zusammenfällt: Auf vierhundert Seiten argumentiert der ehemalige italienische Ministerpräsident und EZB-Chef, dass die EU ihre Wettbewerbsfähigkeit nur dann stärken kann, wenn sie ihre Werkzeuge geschickt kombiniert: zum Beispiel die Handels- und die Industriepolitik. Das gilt insbesondere im Bereich Elektromobilität, in dem die Schwäche der europäischen Industrie direkt mit unfairem Wettbewerb aus China zusammenhängt.
Wenn die EU-Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland, mit Blick auf die E-Auto-Zölle nicht an einem Strang ziehen, riskiert die EU nicht nur, bei Schlüsseltechnologien noch weiter hinter China und die USA zurückzufallen, sondern auch ihre handelspolitische Glaubwürdigkeit.
Im EU- und WTO-Recht sind die Hürden für solche Zölle hoch, gerade um politischen Missbrauch zu verhindern. Die Entscheidung der EU-Kommission folgt deshalb auf eine detaillierte Anti-Subventionsuntersuchung auf Basis von Unternehmensdaten. Diese zeigen, dass in China produzierte Elektroautos durch Subventionen, die nach den Regeln der WTO rechtswidrig sind, Marktvorteile haben.
Im Gegensatz zu anderen Staaten, wie etwa den USA oder der Türkei, die – anscheinend ohne vergleichbare Untersuchungen – Zölle in Höhe von 100 Prozent beziehungsweise zwischenzeitlich zusätzlichen 40 Prozent auf E-Autos aus China erhoben haben, plant die EU hier also eine sachlich gut begründbare Maßnahme gegen unfairen Wettbewerb, die sich im internationalen Vergleich eher maßvoll ausnimmt.
Die EU hat in den vergangenen Monaten zudem mit der chinesischen Regierung und E-Auto-Herstellern Gespräche geführt, um eine alternative Lösung zu finden. Ein Angebot chinesischer E-Auto-Hersteller über Preisverpflichtungen, die die Subventionen ausgleichen sollten, lehnte die Kommission nach eingehender Prüfung jedoch als unzureichend ab. Beim Treffen zwischen dem chinesischen Handelsminister Wang Wentao und EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis am 19. September in Brüssel wurde zwar ebenfalls keine politische Einigung erzielt.
Jedoch hat die Kommission die bereits abgelaufene Frist für die Einreichung von Preisverpflichtungen der Hersteller nochmals verlängert. Legen diese ein ausreichendes Angebot vor, kann die Kommission das Verfahren einstellen, ansonsten ist der nächste Schritt die Abstimmung der Mitgliedstaaten über die Ausgleichszölle, die vor dem 31. Oktober stattfinden muss.
Aktuell versuchen mehrere Mitgliedstaaten, darunter wenig überraschend Ungarn, aber auch Deutschland und Spanien aktiv, die Zölle zu stoppen. Hier wird nur allzu deutlich, dass die vielfach beschworene und dringliche Einigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten gegenüber China bisher eine Illusion bleibt: China schafft es immer wieder, die EU in handels- und industriepolitischen Schlüsselfragen auseinanderzudividieren – und die EU schafft es gleichzeitig nicht, aus eigener Kraft zusammenzubleiben.
In Deutschland ist es die Sorge vor Vergeltungsmaßnahmen gegen die stark vom Chinageschäft abhängige Automobilindustrie, die Bundeskanzler Olaf Scholz dazu bringt, sich gegen die Zölle stark zu machen. In Spanien ist es die Hoffnung auf eine chinesische Milliardeninvestition nach einer Peking-Reise von Ministerpräsident Pedro Sánchez Anfang September und auf die Verschonung der spanischen Schweinefleischindustrie. Ungarn begibt sich seit geraumer Zeit ohnehin gerne in die Rolle eines “trojanischen Pferdes” für chinesische Interessen in der EU.
Sollten sich die Mitgliedstaaten trotz deutlicher Evidenz für Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten Europas gegen die Ausgleichszölle aussprechen und stattdessen ihre wirtschaftlichen Partikularinteressen in den Vordergrund stellen, würde das die Glaubwürdigkeit der handels- und industriepolitischen Agenda der EU zutiefst erschüttern. Es wäre eine regelrechte Einladung für Drittstaaten: Effektive Politik im EU-Interesse kann über europäische Hauptstädte ausgehebelt werden.
Dies hätte auch vor dem Hintergrund einer zunehmenden Geopolitisierung von Handelsbeziehungen und den Bestrebungen nach einem “De-risking” von China im Rahmen der 2023 von der Kommission vorgeschlagenen Strategie für wirtschaftliche Sicherheit eine starke politische Signalwirkung.
Zwar gibt es tragfähige wirtschaftspolitische Argumente gegen die Maßnahme: Zölle auf importierte Produkte schaffen für sich genommen keine wettbewerbsfähige Industrie in Europa. Sie gleichen lediglich unfaire Kostenvorteile aus, die durch Subventionen entstehen, und sollen so einen tatsächlichen Wettbewerb ermöglichen. Der Zeitraum, in dem die Zölle bestehen, muss daher kreativ und intelligent genutzt werden – sowohl von der Wirtschaft als auch von der Politik.
Gelingt dies nicht, zahlen Verbraucher in der EU unnötig höhere Preise. Unternehmen sollten daher alles daransetzen, in diesem Zeitraum ihre Wettbewerbsfähigkeit auf- und auszubauen. Kommission und Mitgliedstaaten sollten die Zölle mit weiteren Maßnahmen zur Förderung lokaler Hersteller flankieren – und sich dabei enger abstimmen als bisher.
Gegenwärtig drängt sich aber der Eindruck auf, dass die Mitgliedstaaten, die gegen die Zölle arbeiten, von anderen, deutlich weniger überzeugenden Gründen getrieben sind: Die Industrien, die China mit Zöllen bedroht, bilden starke und gut organisierte Interessengruppen, die weder Scholz noch Sánchez gegen sich aufbringen möchten. Im langfristigen europäischen Interesse ist eine solche partikulare Rücksichtnahme aber sicher nicht. Europas Zukunft sollte nicht von einzelnen Branchen oder gar Unternehmen entschieden werden.
Wer gegen die Zölle argumentiert, unterschätzt nicht zuletzt das Potenzial, China auf Augenhöhe zu begegnen. Angesichts großer struktureller Problemen – Jugendarbeitslosigkeit, Immobilienblase und eine generell schwächelnde Wirtschaft – sowie ungewissen Auswirkungen der US-Wahl auf die ohnehin strapazierten sino-amerikanischen Beziehungen braucht China die EU und den Zugang zum europäischen Markt.
Umso wichtiger ist es, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten in der Zollfrage konsequent bleiben und die handelspolitische Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der EU gegenüber China und anderen nicht aufs Spiel setzen. Die EU kann nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie sich gleichzeitig gegen Wettbewerbsverzerrungen durch Dritte wehren kann – so argumentiert auch der Draghi-Report. In diesem politischen Moment wäre ein Stopp bei den Zöllen auf in China hergestellte E-Autos genau das falsche Signal.
Cora Jungbluth ist seit August 2012 bei der Bertelsmann Stiftung tätig und dort Senior Expert China and Asia-Pacific. Etienne Höra ist seit Oktober 2023 Project Manager in der Bertelsmann Stiftung und beschäftigt sich mit strategischen Partnerschaften zwischen Europa und Asien.
Oliver Oehms wird am 1. Oktober neues geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in Nordchina. Er folgt auf Jens Hildebrandt, der die Kammer kürzlich verlassen hat. Oehms ist derzeit noch CEO der Deutsch-Emiratischen Industrie- und Handelskammer (AHK) in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Delegierter der Deutschen Wirtschaft im Irak.
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Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude. Und so können viele Chinesen offenbar den nahenden Jahrestag der Gründung der Volksrepublik kaum noch erwarten. Auf dem Tian’anmen-Platz in Peking werden jedenfalls schon fleißig Bilder geknipst. Es werden wohl einige Vor-Jahrestag-Bilder werden. Denn erst am kommenden Dienstag ist es dann auch offiziell so weit.