heute beginnt es tatsächlich: das längst überfällige Dritte Plenum. Eigentlich war diese Vollversammlung des Zentralkomitees der KP schon für den Herbst erwartet worden. Über die Gründe für Verschleppung der Veranstaltung, auf der die Weichen für die künftige Wirtschaftspolitik gestellt werden, ist viel spekuliert worden. Nun geht es darum, was die Machtriege um Xi Jinping de facto verabschieden wird. Denn das ist auch für die deutsche Wirtschaft wichtig. Auf welche Punkte beim mächtigen Wirtschaftstreffen genau zu achten sein wird und warum das Wort “Reform” seine Bedeutung inzwischen komplett verloren hat, hat Finn Mayer-Kuckuk aufgeschrieben.
Chinas Einfluss wächst gerade in den Ländern des Globalen Südens. Auch deswegen und mit Blick auf den schwindenden Etat des BMZ hat der BDI eine Zeitenwende in der Entwicklungspolitik gefordert. Unter anderem plädiert der Verband dafür, subventionierte chinesische Staatsunternehmen von internationalen Vergabeprozessen auszuschließen. Warum deutsche und europäische Unternehmen ansonsten keine reale Chance mehr haben, erklärt BDI-Expertin Vanessa Wannicke im Gespräch mit Arne Schütte.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag und die Woche.
Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas trifft sich von Montag bis Donnerstag zum Dritten Plenum, einer der seltenen Vollversammlungen mit allen 276 Mitgliedern. Thema ist die künftige Steuerung der Wirtschaft. Es stehen vor allem zwei Verlautbarungen an:
Beide Papiere werden ausschließlich in stark verklausuliertem Parteisprech abgefasst sein. Es lohnt sich, genau draufzuschauen. Von den wirtschaftspolitischen Ideen der KP hängt dabei auch für die deutsche Wirtschaft viel ab. Auf diese Punkte sollte man achten:
Die Zeit, als in der Partei verschiedene Gruppierungen von Neoliberalen bis echten Sozialisten um die Vorherrschaft und um Kompromisse kämpften, ist vorbei. Es gibt nur noch eine mächtige Gruppe, und das ist die um Xi Jinping. Auch das Dritte Plenum wird also zur Xi-Jinping-Show.
Das macht ein Umdenken im Hinblick auf den inhaltlichen Wert von ZK-Treffen nötig. Nach legendären Dritten Plenen wie dem von 1978 (“Reform und Öffnung”, Verdammung der Kulturrevolution) oder dem von 1993 (Einführung der “Sozialistischen Marktwirtschaft”) hatte sich das Format bei China-Beobachtern mit der Hoffnung auf liberale Formen verbunden.
Auch wenn es in der Partei durchaus noch Nester des Widerstands geben dürfte: Am Ende kann nur das herauskommen, was Xi will und was man von ihm schon kennt. Zumal der Entwurf des Abschlussdokuments längst vorliegt und nur noch abgesegnet werden muss. Xis Prioritäten:
Generell wird es wieder eine wilde Mischung aus marxistischen Phrasen mit solchen aus der Mao-Zeit plus etwas Konfuzianismus und Neuerfindungen von Xi Jinping geben. Übergreifendes Ziel der Propagandaanstrengungen ist es, die Leute trotz schwieriger Zeiten gefügig und loyal zu halten.
Daraus ergeben sich erste Schlussfolgerungen. Xi Jinping ist in erster Linie Machtpolitiker. Er hat sein Land gegen die westlichen Länder in Stellung gebracht und will es konfliktfähiger machen. Xi neigt daher dazu, wirtschaftliche Eigenständigkeit zu betonen. Schon sein Konzept “Dual Circulation” sieht inneren Kreislauf vor, in dem Chinas Volkswirtschaft ein eigener Planet ist, der zunächst einmal alles selbst kann. Der Handel mit dem Rest der Welt kommt als zweiter Kreislauf noch dazu. Statt mehr Chancen für internationale Unternehmen wird auch diesmal eine Tendenz zu mehr Autarkie im Vordergrund stehen. Die USA mit ihren Technik-Sanktionen bestärken diese Auffassung und rechtfertigen sie.
In dem Abschlussdokument wird zwar viel von Reform die Rede sein. Und Wirtschaftsvertreter werden viele Formulierungen finden, die in ihren Ohren erfolgversprechend klingen. Doch “Reform” im heutigen Sprachgebrauch bedeutet nicht unbedingt eine Veränderung, sondern kann auch ein Weiter-so beinhalten. Anders gesagt: Das Wort ist völlig seiner Bedeutung entkleidet und eine Art religiöse Formel geworden.
Als Faustregel darf gelten: Versprechen von Öffnung und Deregulierung sind nur die schöne Fassade, während alles, was auf Zentralisierung und Kontrolle hindeutet, für bare Münze zu nehmen ist.
Doch natürlich gibt es derzeit auch ein ernstzunehmendes wirtschaftspolitisches Programm. Die technologische Spitzenstellung Chinas zeigt den durchschlagenden Erfolg des Aufholprogramms “Made in China 2025”, das freilich von Xis wirtschaftspolitisch versiertem Rivalen Li Keqiang als Premier angestoßen wurde.
Der Zusammenbruch des Immobilienmarktes mit seinen negativen Auswirkungen auf die Stimmung der Wirtschaft, den Arbeitsmarkt, das Bruttoinlandprodukt und den Konsum macht eigentlich ein wachstumsorientiertes Programm nötig. Hier setzt Xi aller Wahrscheinlichkeit nach auf weitere Investitionen in Technik-Branchen, weil das bisher als Alternative zum Bau halbwegs funktioniert hat.
Zu den Folgen gehören allerdings weiterhin hohe Kapazitäten in hochwertigen Branchen, in denen Deutschland eine Spitzenstellung zu verteidigen hat. Denn Investitionen meinen konkret mehr Forschung und größere Fabriken – also noch härtere Konkurrenz für Deutschland.
Konkret bekannt sind folgende Ziele, die die Propagandamedien schon als zu erwartende Ergebnisse des Plenums angekündigt haben:
Auch dahinter verbirgt sich die “Industrialisierung des neuen Typs” 新型工业化, ein Konzept von 2002. Das sind die Eckpunkte:
Wer auf mehr Öffnung gegenüber dem Ausland hofft, wird also vermutlich enttäuscht werden.
Die Finanzierung der Gebietskörperschaften wie Provinzen, Städten und Gemeinden ist längst aus dem Gleichgewicht geraten. Der Staat braucht in der Fläche neue Einnahmequellen. Bisher waren das Landverkäufe zu immer höheren Preisen, doch diese Blase ist geplatzt. Zugleich will die KP die wirtschaftliche Dynamik nicht durch zu hohe Abgaben abwürgen. Das Plenum wird sich hier an der Quadratur des Kreises versuchen.
Das Dritte Plenum hat zwar das Image als Wirtschaftsplenum weg. Aber das ZK trifft sich im Schnitt nur rund einmal im Jahr. Klar, dass auf allen Plenen immer auch über aktuell wichtige Fragen gesprochen wird. Der Thinktank Merics weist darauf hin, dass Xi gerade das Thema der strafferen Organisation der Armee unter den Nägeln brennt. In Zeiten von Kriegen und Konflikten will China stark dastehen. Dazu kommen Xis eigene Ambitionen auf eine Herrschaft über Taiwan. Die Armee wird jedoch weiterhin von systemisch bedingten Korruptionsskandalen geplagt. Xis Gegenrezept auf dem Plenum wird vermutlich engere Kontrolle sein – nicht etwa mehr Transparenz. Bis heute geben die Rücktritte und Absetzungen der Generäle den Beobachtern im Inland und Ausland Rätsel auf.
Frau Wannicke, der BDI hat kürzlich ein Positionspapier veröffentlicht, in dem eine Neuausrichtung der deutschen Entwicklungspolitik gefordert wird. Was läuft Ihrer Ansicht nach schief?
Wir finden: Enden die EZ-Projekte, enden zu häufig auch ihre Erfolge. Für mehr Effektivität braucht es langfristigere Programme und Investitionen. Zudem hat sich der Kontext, in dem Entwicklungszusammenarbeit stattfindet, fundamental geändert. Darauf sollten wir reagieren. Es geht beispielsweise um die chinesische Dominanz bei internationalen Projektvergaben. Die Chinesen sind in Afrika sehr offensiv unterwegs und gewinnen zu häufig Ausschreibungen, die mit westlichen Geldern finanziert sind. Für uns stellt sich daher die Frage: Wie können wir die internationalen Vergabeverfahren so gestalten, dass deutsche und europäische Unternehmen im Wettbewerb wieder eine reale Chance haben?
Wie sieht die chinesische Dominanz aus?
Beispielsweise bewerben sich deutsche Unternehmen bei internationalen Vergaben, etwa über die KfW oder die Europäische Investitionsbank EIB. Wenn sie dann im Prozess sehen, dass auch eine gewisse Anzahl chinesischer Staatsunternehmen im Rennen ist, ziehen sie sich teilweise wieder zurück. Grund ist, dass sie mittlerweile aus Erfahrung wissen: Mit den subventionierten Unternehmen, die natürlich ganz andere Kostenstrukturen haben, können sie nicht mithalten.
Wie wollen Sie diese Vormachtstellung aufbrechen?
In unserem aktuellen Positionspapier fordern wir den Ausschluss subventionierter chinesischer Staatsunternehmen von diesen Vergabeprozessen. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Eigentümerstrukturen der sich bewerbenden Unternehmen genauer geprüft werden. Darauf sollten wir in Zeiten des globalen Systemwettbewerbs ein deutlich stärkeres Augenmerk legen.
Von deutscher Seite können Sie die Vergabeverfahren in afrikanischen Ländern doch gar nicht beeinflussen?
Wir könnten im Rahmen von Regierungsverhandlungen durchaus darauf bestehen, dass die ausschreibenden Stellen verbindliche Kriterien und Bedingungen einhalten, wenn Gelder aus Deutschland, aus Europa oder von multilateralen Institutionen wie der Weltbank genutzt werden. Generell sollten wir alle Spielräume der OECD für Lieferbindung (“tied aid”) nutzen. Offener Bieterwettbewerb (“untied aid”) ist an vielen Stellen nicht mehr zeitgemäß. Denn er setzt ein globales Level Playing Field voraus, das wir so heute nicht mehr haben.
Sehen Sie keine Risiken? Den Chinesen wird es sicher nicht gefallen, ausgeschlossen zu werden.
Es wäre nur konsequent, denn schließlich bindet auch China selbst seine Ausgaben größtenteils an die eigene Wirtschaft.
Gibt es auch noch weniger direkte Möglichkeiten?
Ein weiterer Hebel wäre, verbindliche Qualitätskriterien in Vergabeverfahren anzusetzen. Wir sind überzeugt, dass deutsche und europäische Unternehmen den Chinesen noch voraus sind, wenn es um Arbeits- und Umweltstandards sowie Lebenszykluskosten geht. Es ergibt wenig Sinn, europäischen Unternehmen Lieferkettensorgfaltspflichten aufzuerlegen und diese bei europäisch mitfinanzierten internationalen Ausschreibungen nicht oder nur eingeschränkt zu kontrollieren.
Welche Botschaft haben Sie an die Entscheider im BMZ?
Wir wünschen uns eine strategischere Entwicklungspolitik. Natürlich sollten wir den Interessen der Partnerländer dienen. Aber bitte auch unseren eigenen. Angesichts des Systemwettbewerbs, in dem wir uns befinden, ist das dringend nötig. Zudem braucht es eine deutlich engere Zusammenarbeit zwischen BMZ und BMWK, um die Verzahnung zwischen Entwicklungspolitik und Außenwirtschaftsförderung endlich entschlossen voranzutreiben. Wer privates Kapital zur Erreichung der Sustainable Development Goals mobilisieren möchte, muss insbesondere die Finanzierungs- und Absicherungsbedingungen noch wettbewerbsfähiger gestalten.
Vanessa Wannicke ist Referentin für Internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).
Die Bundesregierung wird sich bei der EU-internen Abstimmung über vorläufige Zölle auf Elektroautos aus China voraussichtlich enthalten. Die Bundesregierung werde am Montag fristgerecht ihre Stellungnahme zur Einführung vorläufiger Ausgleichszölle übermitteln, meldete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf einen Insider. Zwar sei die deutsche Position noch nicht final abgestimmt. Aber es laufe auf eine Enthaltung hinaus, weil die Prüfung der Untersuchungsergebnisse der EU-Kommission noch andauere. Zudem liefen auch noch Verhandlungen der Kommission mit der chinesischen Regierung. Ein zweiter Insider bestätigte, dass es auf eine Enthaltung hinauslaufe.
In der Bundesregierung stoßen die Zölle auf Vorbehalte, weil befürchtet wird, dass unter den Auswirkungen oder möglichen Gegenmaßnahmen Chinas deutsche Autobauer und die Wirtschaft insgesamt leiden könnten. Daher wird gehofft, dass die EU-Kommission in den nächsten Monaten mit China eine Einigung erreicht. Die EU-Kommission hatte Anfang Juli Zölle von bis zu 37,6 Prozent gegen E-Autos aus China verhängt, weil sie der Volksrepublik unfaire Wettbewerbsvorteile durch hohe Subventionen vorwirft.
Die ab dem 5. Juli wirksamen Zölle sind vorläufig. Innerhalb von vier Monaten muss eine Entscheidung fallen, ob die Zölle für bis zu fünf Jahre verhängt werden. Bis zur kommenden Woche müssen die EU-Mitgliedstaaten im sogenannten Beratungsverfahren in einer nicht bindenden Abstimmung ihre Stellungnahme dazu abgeben. Diese legt nicht fest, wie die Staaten bei einer späteren Abstimmung verhalten.
Bundeskanzler Olaf Scholz setzt derweil auf eine Einigung zwischen der EU und China. “Wir gehen davon aus, dass die Zielsetzung der Europäischen Kommission gelingen wird, zu einer Verständigung in China über die Frage der Elektromobilität zu kommen”, sagte Scholz am Freitagabend. Auch die EU-Kommission habe festgestellt, dass es gegenwärtig keine Probleme gebe. “Aber es könnten Probleme auftreten und deshalb soll der Verhandlungsprozess, der jetzt durch die Entscheidung der Europäischen Union auf den Weg gebracht worden ist, genutzt werden, eine solche Verständigung herbeizuführen.” Deutsche E-Autos bräuchten weltweit keinen Wettbewerb zu scheuen. Aber natürlich werde Deutschland “immer darauf bestehen, dass die Bedingungen auf allen Seiten fair sind und das ist der Gegenstand der jetzt laufenden Gespräche zwischen der Europäischen Union und China”.
Die endgültigen Zölle können nur mit einer qualifizierten Mehrheit gekippt werden. Dazu kam es bei Zöllen selten, die Schwelle ist hoch: Es müssten 15 der 27 Mitgliedsstaaten mit einem Anteil von zusammen 65 Prozent der Bevölkerung dagegen stimmen. rtr
Cai Run soll der neue chinesische Botschafter bei der EU werden. Das bestätigten EU-Kreise Table.Briefings am Freitag. Zuerst hatte South China Morning Post (SCMP) über die Personalie berichtet. Cai folgt damit auf Fu Cong, der seit dem Frühjahr China bei den Vereinten Nationen repräsentiert. Cai ist seit 2021 Botschafter in Israel. Cai hatte bereits eine längere Station in Europa: Zwischen 2015 und 2020 war er Chinas Gesandter in Portugal. Zuvor hatte er verschiedene Posten im chinesischen Außenministerium inne. Zwischen 2005 und 2008 war er als Gesandter-Botschaftsrat (Minister counselor) in der Botschaft in den USA tätig.
Cai werde ab September, also nach der Sommerpause, den Job in Brüssel antreten, berichtet SCMP. Cai wurde im Juni 1967 in der chinesischen Provinz Shandong geboren. Er hat einen Masterabschluss in Rechtswissenschaften. Fu Cong hatte den Posten als EU-Botschafter nach einer fast einjährigen Vakanz übernommen und war nach gut 18 Monaten nach New York gewechselt. ari
Die chinesische und die russische Marine haben zum vierten Mal eine gemeinsame Seepatrouille abgehalten. Sie fand im westlichen und nördlichen Pazifik statt, berichtet der chinesische Staatssender CCTV. Die Patrouille sei Teil einer jährlichen Vereinbarung zwischen den beiden Flotten und ziele nicht auf Dritte ab, vermeldete CCTV. Sie habe nichts mit der aktuellen internationalen und regionalen Situation zu tun.
[Die Übungen unter dem Namen “Joint Sea-2024” hätten Anfang Juli begonnen und würden bis Mitte des Monats andauern, hatte das chinesische Verteidigungsministerium am Freitag erklärt. Die Übungen fanden demnach im Meer und im Luftraum statt. Sie solleen “die umfassende strategische Partnerschaft zwischen China und Russland für die neue Ära weiter vertiefen“. rtr/cyb
Nach dem mutmaßlichen Anschlag auf Donald Trump hat auch Chinas Regierung sich besorgt gezeigt. “Präsident Xi Jinping hat dem ehemaligen Präsidenten Trump seine Anteilnahme ausgesprochen”, heißt es in der Erklärung des Außenministeriums in Peking. Die Attacke auf den republikanischen US-Präsidentschaftsbewerber war auf Chinas sozialen Medien das dominierende Thema. rtr/cyb
Arnaud Boehmann ist seit Juli Policy Officer im Auswärtigen Amt. Boehmann hat in Hamburg und Chengdu Sinologie studiert und freiberuflich zu China-Themen publiziert. Seine Schwerpunkte sind Klima- und Security-Fragen.
Ashleigh Lynch ist seit Juni Vice President Off-Wing Maintenance Repair and Overhaul (MRO) Asia Pacific & Greater China bei Rolls-Royce. Lynch arbeitet seit über elf Jahren für den britischen Autobauer, zuletzt als Head of MRO, Europe, Middle East & Africa.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
Seien wir doch mal ehrlich: In uns allen stecken kleine Marketingstrategen, die sich darauf verstehen, sich gut zu verkaufen. Und in der Regel wissen wir auch ganz genau, welchem Klientel in unserem Umfeld wir welches Produkt am besten unterjubeln. Bei asiatischen Männern – inklusive Chinesen – lässt sich 萌 méng – also “Niedlichkeit” – prima absetzen, zumindest wenn diese von Verkäuferinnen vertrieben wird. Will heißen: Wer sich süß stellt, kokettiert, possierlich dreinblickt, auf schnuckelig macht, hat gute Chancen, selbst Muskelmänner im Handumdrehen um den Finger zu wickeln. Auf Chinesisch heißt diese Sales-Strategie 卖萌 màiméng – wörtlich “Niedlichkeit verkaufen”. Gemeint ist, sich bewusst süß zu stellen, um seine Ziele zu erreichen.
卖萌 màiméng ist neben 撒娇 sājiāo (die Kunst, sich wie ein verwöhntes Kind aufzuführen) die zweite Bezirz-Bazooka der chinesischen Damenwelt. Beide Produkte ziehen übrigens auch prima bei Erziehungsberechtigten (wenn Kinder am Werk sind) und Haustierbesitzern (aus Perspektive von Wauwau und Mieze). Kein Wunder daher, dass der WeChat-Automodus einen knuffigen Hundekopf mit raus gestreckter Zunge als Standard-Meme ausspuckt, wenn man das Stichwort 卖萌 màiméng ins Chatfenster eintippt.
Doch im Begriffsbauchladen der beliebten chinesischen Vokabel-Blaupausen ist “méng” längst nicht das einzige Schriftzeichen, das sich im Alltag verramschen lässt. Auf dem Grabbeltisch des sprachlichen Ausverkaufs finden sich noch zahlreiche andere Dinge, die sich im Kommunikationsalltag an den Mann respektive die Frau bringen lassen. Zu den manipulativen Psychoprodukten zählen dabei neben 卖萌 màiméng auch noch 卖惨 màicǎn “Elend verkaufen” (auf Deutsch: nach Mitleid heischen / auf die Tränendrüse drücken) und 卖傻 màishǎ “Dummheit verkaufen” (sich blöd stellen).
Wer es vermag, virtuos mit all diesen Vokabeln zu jonglieren, der fühlt sich vielleicht versucht, “Klugheit zu verhökern” (卖乖 màiguāi), sprich den Schlaumeier heraushängen zu lassen, oder seinen “Mund zu verkaufen” (卖嘴 màizuǐ), sprich zu prahlen und anzugeben.
Auf dem Arbeitsmarkt werden dagegen andere Talente feilgeboten. Dort kann man laut chinesischem Wörterbuch “Kunst verkaufen” (卖艺 màiyì – von der Kunst leben), zum Beispiel Sangeskunst (卖唱 màichàng – sich als Sänger verdingen / vom Singen leben) oder Schreib- beziehungsweise Dichtkunst (卖文 màiwén – vom Schreiben leben, zur schreibenden Zunft zählen). Wer groß rauskommt, verkauft am Ende hoffentlich auch Sitzplätze (卖座 màizuò – sich (beim Publikum) verkaufen, ein Kassenschlager sein). Wer dagegen weniger Glück hat, dem bleibt nur übrig, schweißtreibende Maloche zu versilbern (卖苦力 mài kǔlì – sich für sein Geld körperlich abrackern), wenn nicht gar schlimmstenfalls sein Leben zu verscherbeln (卖命 màimìng – sich bis aufs Letzte abrackern, sich völlig aufopfern, wörtlich: “sein Leben verkaufen”).
Eine Abkürzung zum schnellen Geld wähnen da manche in unlauteren Deals. Auf zwielichtiges Marktgelände bewegen wir uns mit Verkaufsvokabular wie 卖狗皮膏药 mài gǒupí gāoyào – wörtlich dem Verkaufen von Hundelederpflastern. Was hat es damit nun wieder auf sich? Nun, ursprünglich nannte man so in China windige Wanderheiler, die Heilpflaster mit wundersamer Wirkung anpriesen, angeblich gefertigt aus Hundehaut. Mit der Zeit hat dieser Ausdruck eine abwertende Bedeutung angenommen und beschreibt heute gaunerische Geschäftemacher, die gefälschte oder völlig wirkungslose Waren unters Volk bringen und damit die Konsumenten an der Nase herumführen. Im Deutschen kennen wir hierfür den ähnlich bildhaften (allerdings etwas aus der Mode gekommenen) Ausdruck “Schlangenöl verkaufen”.
Moneten lassen sich im Mandarin aber auch mit dem Verschachern von “Gelenken” scheffeln. Wer schon einmal eine Knieverletzung hatte oder sich das Hüftgelenk ausgerenkt hat, der weiß: Nur wenn die Gelenke geschmeidig sind, läuft alles rund. Mit “Gelenkverkauf” (卖关节 mài guānjié von 关节 guānjié “Gelenk”) kann man hier aus Warte des Chinesischen etwas nachhelfen – zumindest wenn es um Geschäftsbeziehungen geht. Die Rede ist hier nämlich nicht von Hüft- oder Kniegelenken, sondern von Beziehungsscharnieren. Um es kurz zu machen: Der Ausdruck ist einfach eine blumige Verklausulierung für Schmiergeldannahme und Korruption.
Noch blumiger wird es mit dem “Frühlingsverkauf”, ein Euphemismus für das älteste Gewerbe der Welt (卖春 màichūn – sich prostituieren, Prostitution, wörtlich “den Frühling verkaufen”). Oft ist in diesem Zusammenhang aber auch weniger blumig von “Fleischverkauf” (卖肉màiròu) die Rede. Ein Begriff, der ahnungslose Chinesischlerner und -lernerinnen nicht etwa an die Wursttheke führt, sondern schnurstracks ins Rotlichtmilieu. Endgültig mit den Strafverfolgungsbehörden bekommt man es dann zu tun, wenn man es wagt, das eigene Land zu verkaufen, genannt卖国 màiguó – das chinesische Sprachpendant zum “Staatsverrat”.
Bevor wir jetzt aber völlig in finstere Fänge abdriften, lieber zurück zu Verkaufsplätzen ganz legaler Natur. Wer in China überflüssigen Krimskrams zu Kohle machen will, der wirft das Zeug am besten in den Schlund des “müßigen Fischs”, auch bekannt als 闲鱼 Xiányú. So nämlich nennt sich die Handelsplattform der Alibaba-Gruppe, die sich auf den An- und Verkauf aus zweiter Hand (二手 èrshǒu – Secondhand) spezialisiert hat. Die Freifisch-App ist quasi Chinas Pendant zu Ebay und Online-Kleinanzeigen. Der tierische Name ist übrigens einer Anspielung auf das gleichlautende Wörtchen 闲余 xiányú “unbeschäftigt, müßig, Freizeit haben” zu verdanken. Und mal ehrlich: Was Sie nun in Ihrer Freizeit im Privaten so alles an- und verkaufen – ob Niedlichkeit oder gebrauchte Socken – ist ja glücklicherweise Privatsache. Solange man es Ihnen abkauft und Sie niemanden damit für dumm verkaufen: Lassen Sie Ihren Kauf- und Verkaufsgelüsten ruhig freien Lauf.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.
Als sich China in den späten Achtzigerjahren immer mehr dem Westen öffnete, fanden auch subkulturelle Strömungen ihren Weg in die Volksrepublik. Eine recht lebendige Nische ist bis heute der Punkrock geblieben, der je nach Gründungslegende entweder in Peking oder Wuhan seinen Anfang nahm. Mittlerweile ist er sogar ein kleiner Kulturexport. Seit Jahren touren chinesische Bands, gestützt von einem stabilen Veranstalter-Netzwerk, durch die Welt. Diesen Monat sind gleich zwei Gruppen unabhängig voneinander in Deutschland unterwegs: Dummy Toys aus Qingdao und Gum Bleed aus Peking.
heute beginnt es tatsächlich: das längst überfällige Dritte Plenum. Eigentlich war diese Vollversammlung des Zentralkomitees der KP schon für den Herbst erwartet worden. Über die Gründe für Verschleppung der Veranstaltung, auf der die Weichen für die künftige Wirtschaftspolitik gestellt werden, ist viel spekuliert worden. Nun geht es darum, was die Machtriege um Xi Jinping de facto verabschieden wird. Denn das ist auch für die deutsche Wirtschaft wichtig. Auf welche Punkte beim mächtigen Wirtschaftstreffen genau zu achten sein wird und warum das Wort “Reform” seine Bedeutung inzwischen komplett verloren hat, hat Finn Mayer-Kuckuk aufgeschrieben.
Chinas Einfluss wächst gerade in den Ländern des Globalen Südens. Auch deswegen und mit Blick auf den schwindenden Etat des BMZ hat der BDI eine Zeitenwende in der Entwicklungspolitik gefordert. Unter anderem plädiert der Verband dafür, subventionierte chinesische Staatsunternehmen von internationalen Vergabeprozessen auszuschließen. Warum deutsche und europäische Unternehmen ansonsten keine reale Chance mehr haben, erklärt BDI-Expertin Vanessa Wannicke im Gespräch mit Arne Schütte.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag und die Woche.
Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas trifft sich von Montag bis Donnerstag zum Dritten Plenum, einer der seltenen Vollversammlungen mit allen 276 Mitgliedern. Thema ist die künftige Steuerung der Wirtschaft. Es stehen vor allem zwei Verlautbarungen an:
Beide Papiere werden ausschließlich in stark verklausuliertem Parteisprech abgefasst sein. Es lohnt sich, genau draufzuschauen. Von den wirtschaftspolitischen Ideen der KP hängt dabei auch für die deutsche Wirtschaft viel ab. Auf diese Punkte sollte man achten:
Die Zeit, als in der Partei verschiedene Gruppierungen von Neoliberalen bis echten Sozialisten um die Vorherrschaft und um Kompromisse kämpften, ist vorbei. Es gibt nur noch eine mächtige Gruppe, und das ist die um Xi Jinping. Auch das Dritte Plenum wird also zur Xi-Jinping-Show.
Das macht ein Umdenken im Hinblick auf den inhaltlichen Wert von ZK-Treffen nötig. Nach legendären Dritten Plenen wie dem von 1978 (“Reform und Öffnung”, Verdammung der Kulturrevolution) oder dem von 1993 (Einführung der “Sozialistischen Marktwirtschaft”) hatte sich das Format bei China-Beobachtern mit der Hoffnung auf liberale Formen verbunden.
Auch wenn es in der Partei durchaus noch Nester des Widerstands geben dürfte: Am Ende kann nur das herauskommen, was Xi will und was man von ihm schon kennt. Zumal der Entwurf des Abschlussdokuments längst vorliegt und nur noch abgesegnet werden muss. Xis Prioritäten:
Generell wird es wieder eine wilde Mischung aus marxistischen Phrasen mit solchen aus der Mao-Zeit plus etwas Konfuzianismus und Neuerfindungen von Xi Jinping geben. Übergreifendes Ziel der Propagandaanstrengungen ist es, die Leute trotz schwieriger Zeiten gefügig und loyal zu halten.
Daraus ergeben sich erste Schlussfolgerungen. Xi Jinping ist in erster Linie Machtpolitiker. Er hat sein Land gegen die westlichen Länder in Stellung gebracht und will es konfliktfähiger machen. Xi neigt daher dazu, wirtschaftliche Eigenständigkeit zu betonen. Schon sein Konzept “Dual Circulation” sieht inneren Kreislauf vor, in dem Chinas Volkswirtschaft ein eigener Planet ist, der zunächst einmal alles selbst kann. Der Handel mit dem Rest der Welt kommt als zweiter Kreislauf noch dazu. Statt mehr Chancen für internationale Unternehmen wird auch diesmal eine Tendenz zu mehr Autarkie im Vordergrund stehen. Die USA mit ihren Technik-Sanktionen bestärken diese Auffassung und rechtfertigen sie.
In dem Abschlussdokument wird zwar viel von Reform die Rede sein. Und Wirtschaftsvertreter werden viele Formulierungen finden, die in ihren Ohren erfolgversprechend klingen. Doch “Reform” im heutigen Sprachgebrauch bedeutet nicht unbedingt eine Veränderung, sondern kann auch ein Weiter-so beinhalten. Anders gesagt: Das Wort ist völlig seiner Bedeutung entkleidet und eine Art religiöse Formel geworden.
Als Faustregel darf gelten: Versprechen von Öffnung und Deregulierung sind nur die schöne Fassade, während alles, was auf Zentralisierung und Kontrolle hindeutet, für bare Münze zu nehmen ist.
Doch natürlich gibt es derzeit auch ein ernstzunehmendes wirtschaftspolitisches Programm. Die technologische Spitzenstellung Chinas zeigt den durchschlagenden Erfolg des Aufholprogramms “Made in China 2025”, das freilich von Xis wirtschaftspolitisch versiertem Rivalen Li Keqiang als Premier angestoßen wurde.
Der Zusammenbruch des Immobilienmarktes mit seinen negativen Auswirkungen auf die Stimmung der Wirtschaft, den Arbeitsmarkt, das Bruttoinlandprodukt und den Konsum macht eigentlich ein wachstumsorientiertes Programm nötig. Hier setzt Xi aller Wahrscheinlichkeit nach auf weitere Investitionen in Technik-Branchen, weil das bisher als Alternative zum Bau halbwegs funktioniert hat.
Zu den Folgen gehören allerdings weiterhin hohe Kapazitäten in hochwertigen Branchen, in denen Deutschland eine Spitzenstellung zu verteidigen hat. Denn Investitionen meinen konkret mehr Forschung und größere Fabriken – also noch härtere Konkurrenz für Deutschland.
Konkret bekannt sind folgende Ziele, die die Propagandamedien schon als zu erwartende Ergebnisse des Plenums angekündigt haben:
Auch dahinter verbirgt sich die “Industrialisierung des neuen Typs” 新型工业化, ein Konzept von 2002. Das sind die Eckpunkte:
Wer auf mehr Öffnung gegenüber dem Ausland hofft, wird also vermutlich enttäuscht werden.
Die Finanzierung der Gebietskörperschaften wie Provinzen, Städten und Gemeinden ist längst aus dem Gleichgewicht geraten. Der Staat braucht in der Fläche neue Einnahmequellen. Bisher waren das Landverkäufe zu immer höheren Preisen, doch diese Blase ist geplatzt. Zugleich will die KP die wirtschaftliche Dynamik nicht durch zu hohe Abgaben abwürgen. Das Plenum wird sich hier an der Quadratur des Kreises versuchen.
Das Dritte Plenum hat zwar das Image als Wirtschaftsplenum weg. Aber das ZK trifft sich im Schnitt nur rund einmal im Jahr. Klar, dass auf allen Plenen immer auch über aktuell wichtige Fragen gesprochen wird. Der Thinktank Merics weist darauf hin, dass Xi gerade das Thema der strafferen Organisation der Armee unter den Nägeln brennt. In Zeiten von Kriegen und Konflikten will China stark dastehen. Dazu kommen Xis eigene Ambitionen auf eine Herrschaft über Taiwan. Die Armee wird jedoch weiterhin von systemisch bedingten Korruptionsskandalen geplagt. Xis Gegenrezept auf dem Plenum wird vermutlich engere Kontrolle sein – nicht etwa mehr Transparenz. Bis heute geben die Rücktritte und Absetzungen der Generäle den Beobachtern im Inland und Ausland Rätsel auf.
Frau Wannicke, der BDI hat kürzlich ein Positionspapier veröffentlicht, in dem eine Neuausrichtung der deutschen Entwicklungspolitik gefordert wird. Was läuft Ihrer Ansicht nach schief?
Wir finden: Enden die EZ-Projekte, enden zu häufig auch ihre Erfolge. Für mehr Effektivität braucht es langfristigere Programme und Investitionen. Zudem hat sich der Kontext, in dem Entwicklungszusammenarbeit stattfindet, fundamental geändert. Darauf sollten wir reagieren. Es geht beispielsweise um die chinesische Dominanz bei internationalen Projektvergaben. Die Chinesen sind in Afrika sehr offensiv unterwegs und gewinnen zu häufig Ausschreibungen, die mit westlichen Geldern finanziert sind. Für uns stellt sich daher die Frage: Wie können wir die internationalen Vergabeverfahren so gestalten, dass deutsche und europäische Unternehmen im Wettbewerb wieder eine reale Chance haben?
Wie sieht die chinesische Dominanz aus?
Beispielsweise bewerben sich deutsche Unternehmen bei internationalen Vergaben, etwa über die KfW oder die Europäische Investitionsbank EIB. Wenn sie dann im Prozess sehen, dass auch eine gewisse Anzahl chinesischer Staatsunternehmen im Rennen ist, ziehen sie sich teilweise wieder zurück. Grund ist, dass sie mittlerweile aus Erfahrung wissen: Mit den subventionierten Unternehmen, die natürlich ganz andere Kostenstrukturen haben, können sie nicht mithalten.
Wie wollen Sie diese Vormachtstellung aufbrechen?
In unserem aktuellen Positionspapier fordern wir den Ausschluss subventionierter chinesischer Staatsunternehmen von diesen Vergabeprozessen. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Eigentümerstrukturen der sich bewerbenden Unternehmen genauer geprüft werden. Darauf sollten wir in Zeiten des globalen Systemwettbewerbs ein deutlich stärkeres Augenmerk legen.
Von deutscher Seite können Sie die Vergabeverfahren in afrikanischen Ländern doch gar nicht beeinflussen?
Wir könnten im Rahmen von Regierungsverhandlungen durchaus darauf bestehen, dass die ausschreibenden Stellen verbindliche Kriterien und Bedingungen einhalten, wenn Gelder aus Deutschland, aus Europa oder von multilateralen Institutionen wie der Weltbank genutzt werden. Generell sollten wir alle Spielräume der OECD für Lieferbindung (“tied aid”) nutzen. Offener Bieterwettbewerb (“untied aid”) ist an vielen Stellen nicht mehr zeitgemäß. Denn er setzt ein globales Level Playing Field voraus, das wir so heute nicht mehr haben.
Sehen Sie keine Risiken? Den Chinesen wird es sicher nicht gefallen, ausgeschlossen zu werden.
Es wäre nur konsequent, denn schließlich bindet auch China selbst seine Ausgaben größtenteils an die eigene Wirtschaft.
Gibt es auch noch weniger direkte Möglichkeiten?
Ein weiterer Hebel wäre, verbindliche Qualitätskriterien in Vergabeverfahren anzusetzen. Wir sind überzeugt, dass deutsche und europäische Unternehmen den Chinesen noch voraus sind, wenn es um Arbeits- und Umweltstandards sowie Lebenszykluskosten geht. Es ergibt wenig Sinn, europäischen Unternehmen Lieferkettensorgfaltspflichten aufzuerlegen und diese bei europäisch mitfinanzierten internationalen Ausschreibungen nicht oder nur eingeschränkt zu kontrollieren.
Welche Botschaft haben Sie an die Entscheider im BMZ?
Wir wünschen uns eine strategischere Entwicklungspolitik. Natürlich sollten wir den Interessen der Partnerländer dienen. Aber bitte auch unseren eigenen. Angesichts des Systemwettbewerbs, in dem wir uns befinden, ist das dringend nötig. Zudem braucht es eine deutlich engere Zusammenarbeit zwischen BMZ und BMWK, um die Verzahnung zwischen Entwicklungspolitik und Außenwirtschaftsförderung endlich entschlossen voranzutreiben. Wer privates Kapital zur Erreichung der Sustainable Development Goals mobilisieren möchte, muss insbesondere die Finanzierungs- und Absicherungsbedingungen noch wettbewerbsfähiger gestalten.
Vanessa Wannicke ist Referentin für Internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).
Die Bundesregierung wird sich bei der EU-internen Abstimmung über vorläufige Zölle auf Elektroautos aus China voraussichtlich enthalten. Die Bundesregierung werde am Montag fristgerecht ihre Stellungnahme zur Einführung vorläufiger Ausgleichszölle übermitteln, meldete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf einen Insider. Zwar sei die deutsche Position noch nicht final abgestimmt. Aber es laufe auf eine Enthaltung hinaus, weil die Prüfung der Untersuchungsergebnisse der EU-Kommission noch andauere. Zudem liefen auch noch Verhandlungen der Kommission mit der chinesischen Regierung. Ein zweiter Insider bestätigte, dass es auf eine Enthaltung hinauslaufe.
In der Bundesregierung stoßen die Zölle auf Vorbehalte, weil befürchtet wird, dass unter den Auswirkungen oder möglichen Gegenmaßnahmen Chinas deutsche Autobauer und die Wirtschaft insgesamt leiden könnten. Daher wird gehofft, dass die EU-Kommission in den nächsten Monaten mit China eine Einigung erreicht. Die EU-Kommission hatte Anfang Juli Zölle von bis zu 37,6 Prozent gegen E-Autos aus China verhängt, weil sie der Volksrepublik unfaire Wettbewerbsvorteile durch hohe Subventionen vorwirft.
Die ab dem 5. Juli wirksamen Zölle sind vorläufig. Innerhalb von vier Monaten muss eine Entscheidung fallen, ob die Zölle für bis zu fünf Jahre verhängt werden. Bis zur kommenden Woche müssen die EU-Mitgliedstaaten im sogenannten Beratungsverfahren in einer nicht bindenden Abstimmung ihre Stellungnahme dazu abgeben. Diese legt nicht fest, wie die Staaten bei einer späteren Abstimmung verhalten.
Bundeskanzler Olaf Scholz setzt derweil auf eine Einigung zwischen der EU und China. “Wir gehen davon aus, dass die Zielsetzung der Europäischen Kommission gelingen wird, zu einer Verständigung in China über die Frage der Elektromobilität zu kommen”, sagte Scholz am Freitagabend. Auch die EU-Kommission habe festgestellt, dass es gegenwärtig keine Probleme gebe. “Aber es könnten Probleme auftreten und deshalb soll der Verhandlungsprozess, der jetzt durch die Entscheidung der Europäischen Union auf den Weg gebracht worden ist, genutzt werden, eine solche Verständigung herbeizuführen.” Deutsche E-Autos bräuchten weltweit keinen Wettbewerb zu scheuen. Aber natürlich werde Deutschland “immer darauf bestehen, dass die Bedingungen auf allen Seiten fair sind und das ist der Gegenstand der jetzt laufenden Gespräche zwischen der Europäischen Union und China”.
Die endgültigen Zölle können nur mit einer qualifizierten Mehrheit gekippt werden. Dazu kam es bei Zöllen selten, die Schwelle ist hoch: Es müssten 15 der 27 Mitgliedsstaaten mit einem Anteil von zusammen 65 Prozent der Bevölkerung dagegen stimmen. rtr
Cai Run soll der neue chinesische Botschafter bei der EU werden. Das bestätigten EU-Kreise Table.Briefings am Freitag. Zuerst hatte South China Morning Post (SCMP) über die Personalie berichtet. Cai folgt damit auf Fu Cong, der seit dem Frühjahr China bei den Vereinten Nationen repräsentiert. Cai ist seit 2021 Botschafter in Israel. Cai hatte bereits eine längere Station in Europa: Zwischen 2015 und 2020 war er Chinas Gesandter in Portugal. Zuvor hatte er verschiedene Posten im chinesischen Außenministerium inne. Zwischen 2005 und 2008 war er als Gesandter-Botschaftsrat (Minister counselor) in der Botschaft in den USA tätig.
Cai werde ab September, also nach der Sommerpause, den Job in Brüssel antreten, berichtet SCMP. Cai wurde im Juni 1967 in der chinesischen Provinz Shandong geboren. Er hat einen Masterabschluss in Rechtswissenschaften. Fu Cong hatte den Posten als EU-Botschafter nach einer fast einjährigen Vakanz übernommen und war nach gut 18 Monaten nach New York gewechselt. ari
Die chinesische und die russische Marine haben zum vierten Mal eine gemeinsame Seepatrouille abgehalten. Sie fand im westlichen und nördlichen Pazifik statt, berichtet der chinesische Staatssender CCTV. Die Patrouille sei Teil einer jährlichen Vereinbarung zwischen den beiden Flotten und ziele nicht auf Dritte ab, vermeldete CCTV. Sie habe nichts mit der aktuellen internationalen und regionalen Situation zu tun.
[Die Übungen unter dem Namen “Joint Sea-2024” hätten Anfang Juli begonnen und würden bis Mitte des Monats andauern, hatte das chinesische Verteidigungsministerium am Freitag erklärt. Die Übungen fanden demnach im Meer und im Luftraum statt. Sie solleen “die umfassende strategische Partnerschaft zwischen China und Russland für die neue Ära weiter vertiefen“. rtr/cyb
Nach dem mutmaßlichen Anschlag auf Donald Trump hat auch Chinas Regierung sich besorgt gezeigt. “Präsident Xi Jinping hat dem ehemaligen Präsidenten Trump seine Anteilnahme ausgesprochen”, heißt es in der Erklärung des Außenministeriums in Peking. Die Attacke auf den republikanischen US-Präsidentschaftsbewerber war auf Chinas sozialen Medien das dominierende Thema. rtr/cyb
Arnaud Boehmann ist seit Juli Policy Officer im Auswärtigen Amt. Boehmann hat in Hamburg und Chengdu Sinologie studiert und freiberuflich zu China-Themen publiziert. Seine Schwerpunkte sind Klima- und Security-Fragen.
Ashleigh Lynch ist seit Juni Vice President Off-Wing Maintenance Repair and Overhaul (MRO) Asia Pacific & Greater China bei Rolls-Royce. Lynch arbeitet seit über elf Jahren für den britischen Autobauer, zuletzt als Head of MRO, Europe, Middle East & Africa.
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Seien wir doch mal ehrlich: In uns allen stecken kleine Marketingstrategen, die sich darauf verstehen, sich gut zu verkaufen. Und in der Regel wissen wir auch ganz genau, welchem Klientel in unserem Umfeld wir welches Produkt am besten unterjubeln. Bei asiatischen Männern – inklusive Chinesen – lässt sich 萌 méng – also “Niedlichkeit” – prima absetzen, zumindest wenn diese von Verkäuferinnen vertrieben wird. Will heißen: Wer sich süß stellt, kokettiert, possierlich dreinblickt, auf schnuckelig macht, hat gute Chancen, selbst Muskelmänner im Handumdrehen um den Finger zu wickeln. Auf Chinesisch heißt diese Sales-Strategie 卖萌 màiméng – wörtlich “Niedlichkeit verkaufen”. Gemeint ist, sich bewusst süß zu stellen, um seine Ziele zu erreichen.
卖萌 màiméng ist neben 撒娇 sājiāo (die Kunst, sich wie ein verwöhntes Kind aufzuführen) die zweite Bezirz-Bazooka der chinesischen Damenwelt. Beide Produkte ziehen übrigens auch prima bei Erziehungsberechtigten (wenn Kinder am Werk sind) und Haustierbesitzern (aus Perspektive von Wauwau und Mieze). Kein Wunder daher, dass der WeChat-Automodus einen knuffigen Hundekopf mit raus gestreckter Zunge als Standard-Meme ausspuckt, wenn man das Stichwort 卖萌 màiméng ins Chatfenster eintippt.
Doch im Begriffsbauchladen der beliebten chinesischen Vokabel-Blaupausen ist “méng” längst nicht das einzige Schriftzeichen, das sich im Alltag verramschen lässt. Auf dem Grabbeltisch des sprachlichen Ausverkaufs finden sich noch zahlreiche andere Dinge, die sich im Kommunikationsalltag an den Mann respektive die Frau bringen lassen. Zu den manipulativen Psychoprodukten zählen dabei neben 卖萌 màiméng auch noch 卖惨 màicǎn “Elend verkaufen” (auf Deutsch: nach Mitleid heischen / auf die Tränendrüse drücken) und 卖傻 màishǎ “Dummheit verkaufen” (sich blöd stellen).
Wer es vermag, virtuos mit all diesen Vokabeln zu jonglieren, der fühlt sich vielleicht versucht, “Klugheit zu verhökern” (卖乖 màiguāi), sprich den Schlaumeier heraushängen zu lassen, oder seinen “Mund zu verkaufen” (卖嘴 màizuǐ), sprich zu prahlen und anzugeben.
Auf dem Arbeitsmarkt werden dagegen andere Talente feilgeboten. Dort kann man laut chinesischem Wörterbuch “Kunst verkaufen” (卖艺 màiyì – von der Kunst leben), zum Beispiel Sangeskunst (卖唱 màichàng – sich als Sänger verdingen / vom Singen leben) oder Schreib- beziehungsweise Dichtkunst (卖文 màiwén – vom Schreiben leben, zur schreibenden Zunft zählen). Wer groß rauskommt, verkauft am Ende hoffentlich auch Sitzplätze (卖座 màizuò – sich (beim Publikum) verkaufen, ein Kassenschlager sein). Wer dagegen weniger Glück hat, dem bleibt nur übrig, schweißtreibende Maloche zu versilbern (卖苦力 mài kǔlì – sich für sein Geld körperlich abrackern), wenn nicht gar schlimmstenfalls sein Leben zu verscherbeln (卖命 màimìng – sich bis aufs Letzte abrackern, sich völlig aufopfern, wörtlich: “sein Leben verkaufen”).
Eine Abkürzung zum schnellen Geld wähnen da manche in unlauteren Deals. Auf zwielichtiges Marktgelände bewegen wir uns mit Verkaufsvokabular wie 卖狗皮膏药 mài gǒupí gāoyào – wörtlich dem Verkaufen von Hundelederpflastern. Was hat es damit nun wieder auf sich? Nun, ursprünglich nannte man so in China windige Wanderheiler, die Heilpflaster mit wundersamer Wirkung anpriesen, angeblich gefertigt aus Hundehaut. Mit der Zeit hat dieser Ausdruck eine abwertende Bedeutung angenommen und beschreibt heute gaunerische Geschäftemacher, die gefälschte oder völlig wirkungslose Waren unters Volk bringen und damit die Konsumenten an der Nase herumführen. Im Deutschen kennen wir hierfür den ähnlich bildhaften (allerdings etwas aus der Mode gekommenen) Ausdruck “Schlangenöl verkaufen”.
Moneten lassen sich im Mandarin aber auch mit dem Verschachern von “Gelenken” scheffeln. Wer schon einmal eine Knieverletzung hatte oder sich das Hüftgelenk ausgerenkt hat, der weiß: Nur wenn die Gelenke geschmeidig sind, läuft alles rund. Mit “Gelenkverkauf” (卖关节 mài guānjié von 关节 guānjié “Gelenk”) kann man hier aus Warte des Chinesischen etwas nachhelfen – zumindest wenn es um Geschäftsbeziehungen geht. Die Rede ist hier nämlich nicht von Hüft- oder Kniegelenken, sondern von Beziehungsscharnieren. Um es kurz zu machen: Der Ausdruck ist einfach eine blumige Verklausulierung für Schmiergeldannahme und Korruption.
Noch blumiger wird es mit dem “Frühlingsverkauf”, ein Euphemismus für das älteste Gewerbe der Welt (卖春 màichūn – sich prostituieren, Prostitution, wörtlich “den Frühling verkaufen”). Oft ist in diesem Zusammenhang aber auch weniger blumig von “Fleischverkauf” (卖肉màiròu) die Rede. Ein Begriff, der ahnungslose Chinesischlerner und -lernerinnen nicht etwa an die Wursttheke führt, sondern schnurstracks ins Rotlichtmilieu. Endgültig mit den Strafverfolgungsbehörden bekommt man es dann zu tun, wenn man es wagt, das eigene Land zu verkaufen, genannt卖国 màiguó – das chinesische Sprachpendant zum “Staatsverrat”.
Bevor wir jetzt aber völlig in finstere Fänge abdriften, lieber zurück zu Verkaufsplätzen ganz legaler Natur. Wer in China überflüssigen Krimskrams zu Kohle machen will, der wirft das Zeug am besten in den Schlund des “müßigen Fischs”, auch bekannt als 闲鱼 Xiányú. So nämlich nennt sich die Handelsplattform der Alibaba-Gruppe, die sich auf den An- und Verkauf aus zweiter Hand (二手 èrshǒu – Secondhand) spezialisiert hat. Die Freifisch-App ist quasi Chinas Pendant zu Ebay und Online-Kleinanzeigen. Der tierische Name ist übrigens einer Anspielung auf das gleichlautende Wörtchen 闲余 xiányú “unbeschäftigt, müßig, Freizeit haben” zu verdanken. Und mal ehrlich: Was Sie nun in Ihrer Freizeit im Privaten so alles an- und verkaufen – ob Niedlichkeit oder gebrauchte Socken – ist ja glücklicherweise Privatsache. Solange man es Ihnen abkauft und Sie niemanden damit für dumm verkaufen: Lassen Sie Ihren Kauf- und Verkaufsgelüsten ruhig freien Lauf.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.
Als sich China in den späten Achtzigerjahren immer mehr dem Westen öffnete, fanden auch subkulturelle Strömungen ihren Weg in die Volksrepublik. Eine recht lebendige Nische ist bis heute der Punkrock geblieben, der je nach Gründungslegende entweder in Peking oder Wuhan seinen Anfang nahm. Mittlerweile ist er sogar ein kleiner Kulturexport. Seit Jahren touren chinesische Bands, gestützt von einem stabilen Veranstalter-Netzwerk, durch die Welt. Diesen Monat sind gleich zwei Gruppen unabhängig voneinander in Deutschland unterwegs: Dummy Toys aus Qingdao und Gum Bleed aus Peking.