Table.Briefing: China

Seidenstraßen-Gipfel + Borrell in China

Liebe Leserin, lieber Leser,

am kommenden Dienstag und Mittwoch begeht Xi Jinping mit einem Gipfel in Peking das zehnjährige Jubiläum seines “Jahrhundertprojekts” der Neuen Seidenstraße. In einem vorab veröffentlichten Weißbuch lobt Peking blumig die Fortschritte der Belt and Road-Initiative, wie sie offiziell heißt. “Wie Samen, die in ein Feld gesät werden” entfalteten die Infrastrukturmaßnahmen in mehr als 150 Ländern “nach und nach einen umfassenden und langfristigen Nutzen”. Pekings Neue Seidenstraße – ein Segen für die Welt.

Warum die BRI-Pläne tatsächlich längst nicht mehr segensreich verlaufen, hat Jörn Petring vor dem Gipfel zusammengefasst. Die Corona-Pandemie und die aufflammenden Krisenherde in der Ukraine und nun auch im Nahen Osten werfen viele BRI-Projekte zurück. Hinzukommt, dass die Schuldenlast vieler Staaten dem selbsternannten Win-Win-Projekt” einen enormen Imageschaden verpasst hat. Ebenfalls ein Dämpfer für die BRI-Begeisterung:

Die Zahl der Staats- und Regierungschefs, die zum Forum reisen, fällt deutlich geringer aus als beim letzten Treffen im Jahr 2019. Der prominenteste Staatsgast in Peking ist ausgerechnet der russische Präsident Wladimir Putin. Die Entscheidung, dem Forum fernzubleiben, fällt den Europäern dadurch umso leichter.

Unterdessen holt EU-Chefdiplomat Josep Borrell seine lange geplante China-Reise nach. Noch bis Samstag will er in Shanghai und Peking mit Firmenvertretern, Wissenschaftlern und Politikern in den Dialog kommen. Angesichts drohender Handelskonflikte zwischen China und der EU ist der Gesprächsbedarf gerade besonders hoch, schreibt Finn Mayer-Kuckuk.

Vor allem die geplanten Zölle auf E-Autos haben das Potenzial, eine Gegenreaktion Chinas auszulösen. Als Außenbeauftragter der EU will Borrell Peking zudem klarzumachen, dass Europa seine eigenen Entscheidungen trifft. In China ist die Annahme, Europa sei nur ein Anhängsel der USA, immer noch weit verbreitet.

Ihr
Fabian Peltsch
Bild von Fabian  Peltsch

Analyse

Weniger Staatschefs beim Seidenstraßen-Forum

Damals war die Stimmung noch besser: Chinas Präsident Xi Jinping, umringt von Staatsgästen beim zweiten Belt and Road Forum” im Jahr 2019.

China will das zehnjährige Bestehen seiner Belt and Road Initiative (BRI) gebührend feiern. Staats- und Parteichef Xi Jinping lädt deshalb am kommenden Dienstag und Mittwoch zum Seidenstraßen-Gipfel nach Peking ein. Nach 2017 und 2019 ist es das dritte Forum dieser Art. 

Noch bevor die Staatsgäste eintreffen, hat sich Peking mit einem Weißbuch zur BRI kräftig selbst gelobt. Die an der BRI beteiligten Länder hätten “beträchtliche Fortschritte beim Bau von Eisenbahnen, Autobahnen, Pipelines, Wasserstraßen, Energie- und Kommunikationsnetzen und anderen grundlegenden öffentlichen Einrichtungen gemacht”, heißt es darin. Viele Projekte seien “wie Samen, die in ein Feld gesät werden und nach und nach einen umfassenden und langfristigen Nutzen bringen”.

Eine Billion Dollar investiert

Tatsächlich kann China für sich in Anspruch nehmen, mit seinem “Jahrhundertprojekt” einen weltweiten Bauboom ausgelöst zu haben. Mehr als 150 Länder und 32 internationale Organisationen haben sich der BRI angeschlossen. Laut dem Belt and Road Portal, Chinas offizieller Website zur Förderung der BRI, sind derzeit mehr als 200 Abkommen in Vorbereitung oder bereits abgeschlossen. Fast eine Billion US-Dollar sind investiert worden. Vor allem in die Entwicklungsländer Afrikas, Zentral- und Südostasiens sind viele dieser Gelder geflossen. 

Aus Sicht Pekings ist die BRI-Initiative auch ein Projekt, um den Welthandel gerechter zu machen. Viele Entwicklungsländer hätten von der wirtschaftlichen Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte nur wenig profitiert und dadurch ihre Fähigkeit zur eigenständigen Entwicklung eingebüßt, heißt es im Weißbuch. “Es ist nicht länger hinnehmbar, dass nur einige wenige Länder die globale Wirtschaftsentwicklung dominieren, die Wirtschaftsregeln kontrollieren und die Früchte der Entwicklung genießen”, gibt sich Peking kämpferisch.

Skepsis gegenüber der Initiative

Was das Weißbuch naturgemäß verschweigt, ist die Tatsache, dass die BRI selbst in die Kritik geraten ist. Auch andere Probleme der Initiative werden ausgeblendet. So haben etwa Unterbrechungen durch die Corona-Pandemie viele BRI-Projekte zurückgeworfen. Mitgliedsländer wie Sri Lanka und Pakistan haben Schwierigkeiten, geliehenes Geld zurückzuzahlen. Der Vorwurf, China locke die beteiligten Staaten in eine Schuldenfalle, hat Skepsis gegenüber der Initiative geschürt und ihrem Image geschadet. Und natürlich durchkreuzen der Krieg in der Ukraine und nun auch der aufflammende Krisenherd im Nahen Osten viele BRI-Pläne. Ohne politische Stabilität ist ein freier Warenverkehr durch und entlang dieser Regionen kaum möglich.

Als Xi Jinping 2013 die BRI ins Leben rief, war die Welt eine andere. Die geopolitischen Spannungen waren bei weitem nicht so ausgeprägt wie heute. Vor allem die europäischen Staaten schienen den Plänen Pekings noch wohlgesonnener. Doch auch das hat sich geändert. Erst kürzlich musste die BRI einen weiteren Rückschlag hinnehmen. Italien, das als einziges G7-Land 2019 beigetreten war, teilte China mit, dass es sich zurückziehen wolle.

Dass die BRI weltweit nicht nur auf Unterstützung stößt, zeigt sich jetzt auch im Vorfeld des Forums in der kommenden Woche. Während Xi Jinping beim letzten BRI-Gipfel 2019 noch 37 Staats- und Regierungschefs begrüßen konnte, scheint die Gästeliste diesmal kleiner auszufallen. Vor allem die Europäer wollen den Gipfel meiden. Vor vier Jahren waren noch sechs EU-Staaten und die Schweiz dabei. Doch diesmal musste Peking vor allem Absagen hinnehmen, wie das Wall Street Journal im Vorfeld berichtete

Sollte Netanjahu kommen?

Peking hatte sich offenbar auch um die Teilnahme des israelischen Staatspräsidenten Benjamin Netanjahu bemüht. Er selbst hatte im Juni bestätigt, zu einem Staatsbesuch eingeladen worden zu sein. Israelische Medien berichteten damals, die Reise solle vermutlich im Oktober stattfinden – also pünktlich zur BRI-Forum. Das ist in der aktuellen Situation ausgeschlossen. Und nach der Zurückhaltung, mit der Peking auf den Anschlag der Hamas reagiert hat, wird ein Besuch aus Israel wohl noch länger auf sich warten lassen.

Mit dabei ist dagegen der russische Präsident Wladimir Putin, der bereits im September seine Teilnahme am Forum zugesagt hatte. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić hatte schon im Juli die Einladung angenommen. Wie die South China Morning Post berichtete, werden zudem Staatschefs “strategischer Partner” aus Südostasien und Afrika erwartet, darunter Indonesiens Präsident Joko Widodo und Ägyptens Präsident Abdel Fattah el-Sisi.

Klar scheint schon jetzt, dass Peking das Programm des Forums strafft. Anders als 2019 sind nicht mehr drei, sondern nur noch zwei Tage für den Gipfel vorgesehen. Die Planer haben auch die Zahl der Podiumsdiskussionen reduziert, so die South China Morning Post weiter. Offenbar soll es auch nicht mehr wie bisher einen Runden Tisch der Staatschefs geben.

Borrell an China: “Nehmt die EU ernster!”

Der Hohe Vertreter Josep Borrell reist nach Shanghai und Peking.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ist bis Samstag in China. Am Donnerstag kam er in Shanghai an und hat gleich eine Reihe von Terminen absolviert: Er traf EU-Firmen, um sich deren Sorgen anzuhören, und diskutierte mit Wissenschaftlern am Shanghai Institute for International Studies. In den kommenden Tagen hat er dann Termine in Peking.

Angesichts drohender Handelskonflikte zwischen China und der EU erhält die Reise viel Beachtung. Sie war zudem mit Spannung erwartet worden: Im April und im Juli war sie jeweils ausgefallen, einmal wegen Krankheit und einmal nach Absage durch Peking. Die Mission hatte also bereits einen schlechten Start.

Zahlreiche Konfliktlinien aufgerissen

Zwischen China und der EU ist die Stimmung aus mehreren Gründen schlecht. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat auf mehreren Feldern die Initiative ergriffen, um ihre De-Risking-Strategie voranzutreiben.

Gerade die geplanten Zölle haben das Potenzial, eine Gegenreaktion Chinas auszulösen. Auch im Handelskonflikt mit den USA hat China keine Handelsmaßnahme auf sich sitzen lassen und jeweils mit einer ungefähr gleichartigen Sanktion reagiert.

Borrell: EU ist eigener geopolitischer Spieler

In einem Interview mit der South China Morning Post hat Borrell vor Abflug einige Positionen festgelegt, die er in China vertreten will.

  • Europa nehme China ernst, aber China soll umgekehrt auch die EU als eigenständigen Spieler ernst nehmen.
  • Hier geht es vor allem um die von China oft gehörte Unterstellung, Europa handele nur auf Anweisung der USA. “Europa hat keinen geheimen Plan, um Chinas Aufstieg zu sabotieren”, betont Borrell. China solle aufhören, “uns durch die Linse von Beziehungen zu anderen zu sehen”.
  • Der Krieg in der Ukraine habe das außenpolitische Profil der EU geschärft, so Borrell. Sie sei nicht mehr nur Wirtschaftsmacht, sondern verstehe sich mehr als geopolitischer Akteur.

Tatsächlich ist “europäische Unabhängigkeit” eine Schlüsselphrase in der chinesischen EU-Politik. Sie unterstellt, Brüssel und die Mitgliedsstaaten handelten auf Geheiß Washingtons und zeigten sich daher in den vergangenen Jahren ablehnend gegenüber China. Die implizite Aufforderung, sich doch endlich von der US-Knute zu befreien und sich “unabhängig” wieder China zuzuwenden, wird auch bei Spitzengesprächen immer wieder vorgebracht.

Chinas Fixierung auf die USA

Diese Sicht mag damit zusammenhängen, dass China generell sehr auf die USA als dominierende Großmacht fixiert ist, der es beikommen will. Die EU als militärisch bedeutungsloser Spieler schließt sich in diesem simplen Weltbild entweder den USA oder China an. In China ist die Annahme, Europa sei nur ein Anhängsel der USA, dermaßen verbreitet, dass sie kaum hinterfragt wird.

Nun wendet sich Borrell ausdrücklich gegen dieses Denkschema. Aus Sicht der Kommission in Brüssel unterschätzt Peking damit bei weitem, wie viel eigene Gedanken sich Europa über die Welt macht – und wie viele Ressentiments in Europa gegenüber den USA bestehen.

Der Außenbeauftragte der EU ist so etwas wie der Außenminister des europäischen Bündnisses. Er ist damit der Chefdiplomat der EU-Kommission. Zugleich ist er Vizepräsident der Kommission. Borrell ist Spanier und gehört den dortigen Sozialdemokraten an.

  • EU
  • Geopolitik
  • Josep Borrell

Termine

17.10.2023, 8:30 Uhr (14:30 Uhr Beijing time)
CNBW, Working group “Sino-German Corporate Communications”: How can a global organization establish a robust and efficient internal communication framework? Mehr

17.10.2023, 9:30 Uhr Beijing time
Global Advanced Manufacturing Institute / KIT – Karlsruhe Institute of Technology, Event (in Suzhou): Opening of Remanufacturing Technology Innovation Center Mehr

19.10.2023, 11:00 Uhr (17:00 Uhr Beijing time)
German Centre Beijing, Seminarreihe China MedTech: Digitalization in MedTech Mehr

19.10.2023, 12:00 Uhr (18:00 Uhr Beijing time)
Dezan Shira & Associates / German Chamber of Commerce Hong Kong, Hybrid Seminar: Unveiling the Benefits and Realities of Applying for Offshore Status in Hong Kong Mehr

19.10.2023, 18:00 Uhr Beijing time
German Chamber of Commerce Shanghai, October Chamber Meeting (in Shanghai): China’s Auto Industry: The Race to a Sustainable Future Mehr

19.10.2023, 19:00 Uhr
Konfuzius Institut Universität Heidelberg, Lesung mit Chen Qiufan (in Heidelberg): Artificial Intelligence, Virtual Realities, and Disrupted Futures – Literary Visions of Chinese Science-Fiction Mehr

21.10.2023, 17:00 Uhr
Konfuzius-Institut Frankfurt / Frankfurter Buchmesse, Gespräch: Wie China zur Weltmacht wurde – mit Johnny Erling Mehr

22.-25.10.2023, 13:00 Uhr Beijing time
stars – for Leaders of the Next Generation, Konferenz (in Shenzhen): stars China Symposium 2023 Mehr

News

Gerüchte um neuen Verteidigungsminister

Peking könnte laut Reuters bald einen Nachfolger für den geschassten Verteidigungsminister Li Shangfu vorstellen. Li ist seit Wochen aus der Öffentlichkeit verschwunden und wurde aller Wahrscheinlichkeit nach wegen Korruptionsvorwürfen aus dem Verkehr gezogen. Sein Nachfolger könnte demnach General Liu Zhenli sein.

Der 59-Jährige ist Leiter des Joint Staff Departments of the Central Military Commission (JSDCMC), Chinas oberstem Entscheidungsgremium im Verteidigungsbereich. Die Behörde ist unter anderem für die Planung von Kampfeinsätzen zuständig. Sie wurde im Januar 2016 im Rahmen von Xi Jinpings Militärreformen eingerichtet. Xi ist Vorsitzender der Central Military Commission (CMC) und Oberbefehlshaber der Streitkräfte.

Reuters zitiert dabei mehrere anonyme Quellen, darunter eine Person, die direkt mit der Angelegenheit vertraut sein soll, sowie zwei dem Militär nahestehende Personen und zwei regionale Beamte. Ihnen zufolge könnte die Bekanntgabe der Personalie noch vor einem internationalen Sicherheitsforum in Peking Ende Oktober erfolgen. rtr/fpe

  • Li Shangfu
  • Militär

Neue Runde im Kampf gegen Korruption

China hat eine neue Runde von Korruptionsinspektionen eingeleitet, um “potenzielle Großrisiken” aufzuspüren. Li Xi, Leiter der Zentralen Kommission für Disziplinarinspektion (CCDI), erklärte diese Woche, die oberste Korruptionsbekämpfungsbehörde des Landes werde sich bei den kommenden Untersuchungen auf fünf Ministerien und 26 staatliche Unternehmen konzentrieren.

Die Liste der zu untersuchenden Behörden, die von der CCDI nach einer Sitzung am Dienstag veröffentlicht wurde, legt nahe, dass der Schwerpunkt auf dem Technologiesektor liegt. Es handelt sich um die zweite Inspektionsrunde seit dem Nationalkongress der Kommunistischen Partei im Oktober letzten Jahres. Li sagte, die Inspektionen sollten dazu beitragen, größere Sicherheitsrisiken zu entschärfen. Auf einer Sitzung des Politbüros im vergangenen Monat erklärte die Führung in Peking, dass Korruptionsinspektionen ein wirksames Mittel” seien, um Probleme zu finden, und dass sie fortgesetzt werden müssten. Seit Xis Amtsantritt im Jahr 2012 wurden durch umfassende Anti-Korruptionskampagnen Zehntausende von Beamten aus dem Verkehr gezogen, darunter auch Xis politische Rivalen.

Die jüngste Razzia, die von März bis September dieses Jahres stattfand, zielte auf den Finanz-, Sport- und Medizinsektor ab. Mehr als 140 Beamte staatlicher Unternehmen wurden zur Untersuchung festgenommen. Gegen mindestens 36 hochrangige Kader – Beamte ab dem Rang eines Vizeministers – wurden in diesem Jahr Ermittlungen eingeleitet. fpe

  • Korruption

Mehrere chinesische Opfer in Israel

Durch die Angriffe der Hamas auf Israel sind bisher mindestens drei chinesische Staatsangehörige getötet worden. Das berichtet das Nachrichtenportal Caixin unter Bezug auf eine Meldung des Außenministeriums in Peking.

Zwei chinesische Staatsangehörige werden zudem noch vermisst, weitere seien verwundet, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Wang Wenbin. Die chinesischen diplomatischen Vertretungen seien dabei, die medizinische Versorgung der verletzten Chinesen zu koordinieren und Vorkehrungen für die Rückführung der Verstorbenen zu treffen. jul

  • Israel

Taiwan will Lehren aus Israel-Angriff ziehen

Taiwan hat eine Taskforce eingerichtet, um Lehren aus dem Überraschungsangriff der Hamas auf Israel zu ziehen. Das erklärte Taiwans Verteidigungsminister Chiu Kuo-cheng am Donnerstag auf eine Reporteranfrage im Parlament. “Die erste Lektion ist, dass Aufklärungsarbeit sehr wichtig ist. Mit nachrichtendienstlichen Erkenntnissen lassen sich viele Gegenmaßnahmen ergreifen. Ein Krieg kann sogar vermieden werden”, sagte Chiu.

Obwohl es große Unterschiede zwischen der Bedrohung Taiwans durch China und den Ereignissen zwischen Israel und der Hamas gibt – China müsste beispielsweise die Taiwanstraße überqueren, um auf die Insel vorzudringen – hat der Angriff abermals die Aufmerksamkeit der Taiwaner auf die Möglichkeit eines chinesischen Angriffs gelenkt.

Die taiwanesische Regierung hatte den Angriff der Hamas umgehend verurteilt. Präsidentin Tsai Ing-wen erklärte, Taiwan bleibe “verpflichtet, mit gleichgesinnten Ländern zusammenzuarbeiten, um Bedrohungen und Gewalt zu bekämpfen und Freiheit und Demokratie zu schützen”. Am Sonntag sagte der KMT-Vorsitzende Eric Chu, die Ereignisse in Israel hätten “jeden spüren lassen, was es heißt, von einem Krieg bedroht zu sein”. rtr

EU-Energie-Kommissarin in Peking

Kadri Simson, estnische EU-Kommissarin für Energie, hat China bei Gesprächen in Peking dazu angehalten, sich zu Zielen für den Ausbau erneuerbarer Energien sowie der Reduzierung von Methan zu verpflichten. In Peking traf sie mit Zhang Jianhua zusammen, Direktor von Chinas nationaler Energiebehörde. Es waren die ersten persönlichen EU-China-Gespräche im Energiebereich seit 2019.

Simson forderte von China, sich einem globalen Plan zur Reduzierung von Methan anzuschließen und einer Verdreifachung der Kapazität erneuerbarer Energien bis 2030 zuzusagen. Bei den Gesprächen ging es auch um Verpflichtungen zur CO₂-Neutralität, allerdings verlangte Simson hierbei von China keine ambitionierteren Anstrengungen.

“Ich glaube, dass es möglich sein wird, viel früher als 2060 zu dekarbonisieren, aber jede Regierung hat das Recht, ihren eigenen Weg zu wählen”, sagte sie auf einer Pressekonferenz und bezog sich dabei auf Chinas Netto-Null-Ziel, das ein Jahrzehnt später liegt als das 2050-Ziel der EU.

Das Treffen findet wenigen Wochen vor der UN-Klimakonferenz COP28 in Dubai statt. Dort wird es darum gehen, ob sich China und andere wichtige Akteure, darunter die USA und die EU, auf zentrale Fragen einigen können. rtr/jul

Presseschau

EU foreign policy chief begins visit to China amid tensions over trade and Ukraine war IRISHTIMES
Drohungen aus China: Taiwan analysiert Hamas-Angriff auf Israel für eigene Zwecke KSTA
China criticizes US Navy patrol aircraft’s transit of Taiwan Strait NHK
US “ill-prepared” for nuclear challenge from China and Russia, says report FT
Prigoschins Spionage-Satelliten: Söldnertruppe Wagner machte Millionen-Deal mit China MERKUR
US calls for China to “confirm” location of rights lawyer RFA
Release of journalist unlikely to shift Australia’s China policy REUTERS
China has sentenced Rahile Dawut to life in prison and would like the world to forget her. We must not THEGUARDIAN
Gegen USA und China: Kommissar Breton befürwortet Telekom-Investitionen EURACTIV
China births slid 10% last year to record low NIKKEI
Babysitting duties are stressing China’s grandparents ECONOMIST
Sri Lanka confirms major debt deal with China THEHINDU
China Refuses “Sustained Conversation” with US on Fentanyl Crisis, Ambassador Says VOANEWS
In Xis China sollten sich westliche Manager nicht zu sicher fühlen CAPITAL
China warns EU steel probe will disrupt global supply chains, push up costs BUSINESS-STANDARD
BMW-Finanzchef sieht Strafzölle auf China-Elektroautos kritisch ECOMENTO
China’s CATL, BYD Dominate EV Battery Market as Demand Grows BLOOMBERG
China-Verkaufszahlen enttäuschen: Teslas aus China verkaufen sich deutlich schlechter FINANZEN
BEV und PHEV: China verdoppelt Tempo bei Elektro-Exporten AUTOMOBILWOCHE
US Trade Data Overstates Decoupling From China, Report Says BNNBLOOMBERG
Russia’s InterRAO says China agrees to higher electricity price REUTERS
Chinesen sollen stärker in Aktien investieren HANDELSBLATT
Chinas neues Wirtschaftsmodell: “Am liebsten würden sie ihr Geld außer Landes bringen” SPIEGEL
China builds world’s largest deep sea telescope to hunt for cosmic neutrinos SCMP

Standpunkt

China rockt

Johnny Erling
Johnny Erling schreibt die Kolumne für die China.Table Professional Briefings

Hebeis Provinzhauptstadt Shijiazhuang ist eine von Dutzenden Großstädten der Volksrepublik, in der mehr Menschen leben als in Europas größten Metropolen, die im Ausland aber weithin unbekannt sind. Zum Stichtag der Volkszählung 2020 zählte das frühere Schwerindustriezentrum, mit dem Highspeed-Zug 85 Minuten von Peking entfernt, mehr als 11,2 Millionen Einwohner. Auch in chinesischen Ohren klingt der Name der Stadt so bieder, dass sich Blogger in Online-Foren aufregten: Shijiazhuang hätte “längst seinen Namen ändern sollen, um nicht so hinterwäldlerisch zu wirken” (早就该改名了,太土了).

Die Blogger fühlten sich durch eine Entscheidung der Stadtregierung provoziert, die am 13. Juli beschlossen hatte, Shijiazhuang zu Chinas “Heimat des Rock’n’Roll” zu erklären (搖滾之城) und in großem Stil als solche zu vermarkten. In Chinas Internet zog die Entscheidung Spott auf sich, im Ausland amüsiertes Kopfschütteln. Der Name Shijiazhuang (石家庄) passe nicht zum Anspruch einer Rockstadt. Wörtlich übersetzt stehen die Schriftzeichen (石) zwar für Stein und (家) für Familie, aber (莊) eben nur für Dorf.

China im Konzertfieber: Rockveranstaltungen im ganzen Land.

Shijiazhuang kurbelt den Rocktourismus an

Doch die Stadt will es nun allen zeigen: Drei Monate lang, bis zum Oktober, feierte sie ihre neue Rolle als Rockparadies Chinas mit Dutzenden Musikfestivals. Sie funktionierte ihr modernstes Einkaufszentrum zur Bühne für heiße Musik um, ließ Rockbands in ihrer U-Bahn und in Bussen (摇滚巴士摇滚地铁) scheinbar spontan zur Session mit den Fahrgästen auftreten.

Am 9. September reiste auch der legendäre, inzwischen 62-jährige Pekinger Altrocker Cui Jian zum Gastspiel an. Einst war er der musikalische Wortführer des kulturellen Umbruchs, erhielt 1990 Auftrittsverbot, als die Tiananmen-Studenten 1989 seinen Kultsong: “Wir sind alle Habenichte” (一无所有) sangen. Dann aber durfte er wieder loslegen.

Zudem beanspruchen die Funktionäre, das Erbe der Stadt fortzuführen, die schon vor 30 Jahren den Rock für sich entdeckt und landesweit popularisiert hätte. Allerdings erinnern sie nicht daran, dass sie es damals waren, die die aus dem Westen kommende Untergrund- und Protestmusik zu unterdrücken versuchten.

Das Kalkül der Stadt, mit Rocktourismus einen Marktcoup zu landen, die Jugend anzulocken und in einer desolaten wirtschaftlichen Lage neue Nachfrage zu generieren, ging imagemäßig zumindest auf, plötzlich war Shijiazhuang nicht nur Thema in Chinas sozialen Medien, sondern fand auch in der internationalen Presse Erwähnung. Hongkongs “South China Morning Post“, Medien in Japan oder den USA wunderten sich, dass China in der Ära des Ideologen Xi Jinping offenbar noch nicht kulturell erstarrt sei, sondern lautstark rockt und rollt.

Rock ‘n’ Roll ohne subversive Kante

Freilich berichteten die westlichen Medien nicht immer so darüber, wie es sich Chinas Propagandisten erhoffen. So fanden im August zwei chinesische Kolumnistinnen der New York Times heraus, dass sich die Partei vorbereitet hatte, die subversive Natur des Rocks zu entschärfen. Sie ließ etwa ein bekanntes Rock-Kultlied von der kommunistischen Jugendliga umschreiben. Den Titel der Rockballade “Bring diesen Kerl aus Shijiazhuang um” (杀死那个石家庄人) veränderten sie zu: “Der nicht umbringbare Kerl aus Shijiazhuang” (杀不死的石家庄人). Der 2010 entstandene Song beklagte einst die Folgen von Chinas Modernisierung, den Zusammenbruch der städtischen Industrien, die Zerstörung der Umwelt und den Frust der Jugend Shijiazhuangs. “Rock’n’Roll nach Art der Kommunistischen Partei” nannte die New York Times die (fast völlige) Umschreibung des Liedes, durch die “positive Energie” für den sozialistischen Aufbau der Stadt geweckt werden soll. “Der eine Text ist trost- und mutlos. Der andere sprüht vor Optimismus.” Chinas soziale Medien posteten sarkastisch: Nach vorherrschender Meinung sei “die neue Version irgendwie noch deprimierender als die alte.”

Werbeplakat für den Auftritt einer Legende: Chinas Rockveteran Cui Jian (Jahrgang 1961), der auf dem Rockfestival von Shijiazhuang am 9. September 2023 gastierte.

Andere Blogger enthüllten, dass auf der städtischen Konferenz, die im Juli Shijiazhuang zur Heimat des Rocks erkor, unter den 21 Teilnehmern 15 Parteifunktionäre waren, aber nur sechs Vertreter von Rockbands aus der Region. Die Chinas Punk- und Rockszene gewidmete Webseite “Scream for Life” zeichnete daraufhin Shijiazhuang als erste “staatlich genehmigte Heimatstadt des Rocks” aus.

Pekings englischsprachige Propaganda-Medien rühren die Werbetrommel für ein spontan rockendes Shijiazhuang getreu dem Motto Xi Jinpings, das negative Narrativ des Westens zu brechen und positive Geschichten über China zu erzählen. Reporter der China Daily oder Global Times lobten: “Der Rock kehrt nach Hause zurück.” 

Hintergründiger berichtete nur die Beijing Review: über den harten Wettbewerb zwischen Städten und Regionen Chinas, die sich mit allen Mitteln profilieren müssen, um den Konsum zu stimulieren. Daher sei wohl auch Shijiazhuang auf die Idee gekommen, sich als Stadt des Rocks anzupreisen. China würde derzeit von einer “Welle von Musikfestivals” überschwemmt. 2023 spülte diese allein bis Ende Mai über 1,2 Milliarden Yuan in die klammen Kassen und lockten über 2,5 Millionen Besucher an. Auch die Zeitung (每日经济新闻) zählte im ersten Halbjahr 2023 bis Juli bereits landesweit 150 Rock- und Pop-Musikfestivals. Eine Online-Übersichtskarte zeigt, dass überall in China bis April Großkonzerte veranstaltet wurden.

Leitliteratur für die Subkultur

Shijiazhuang punktet mit seiner Rock-Tradition. Ausgerechnet das für seine sozialistische Indoktrination verrufene Parteiblatt Global Times pries zwei Kultmagazine, die in den 1990er Jahren in der Stadt erschienen. “Sie wurden Leitliteratur des Rocks für die Mehrheit der Musikfans Chinas.” Beide spielten eine “entscheidende Rolle, um die Rockmusik zu popularisieren.”

Was ihre Laudatio nicht erwähnt: Das “Schlager-Magazin” (通俗歌曲) und die ab 1999 bis 2013 jeweils mit einer eingelegten CD erschienene Zeitschrift “Ich liebe Rockmusik” (我爱摇滚乐), auf die nun alle so stolz sind, wurden gegen Widerstände der Parteibehörden zu den bissigsten Hardrock- und Satiremagazinen des Landes. Im Rückblick erscheint diese Ära vor Xi Jinpings Machtantritt 2013 geradezu tolerant gewesen zu sein.

Die provokanten Titel des Magazins “Ich liebe Rockmusik hingen an Zeitungskiosken offen aus.

Zusammen mit der ARD-Rundfunkkorrespondentin Eva Corell besuchte ich 2005 die acht jungen Mitarbeiter um den damaligen Chefredakteur Xiao Zhu in ihrer Wohnung im siebten Stock eines Mietshauses in Shijiazhuang. Dort produzierten sie allmonatlich auf sechs Computern und dank ihres Zugangs zum World Wide Web ihre 80 Seiten starke Zeitschrift. “Wir sind die Desperados der Untergrund-Verlagsindustrie”, sagte Xiao Zhu.

135 Ausgaben erschienen, bis sie 2013 die Zeitschrift einstellen mussten, um den Behörden unter dem neuen Parteichef Xi zuvorzukommen. Ihre professionell designten Titelseiten sind heute noch so provozierend, dass jeder, der sie nachdruckt, verhaftet werden könnte. Immer wieder wurde die Redaktion drangsaliert, mit Geldstrafen belegt, ihre Computer beschlagnahmt oder die Mitarbeitenden gar einige Tage festgenommen. Doch sie fingen immer wieder neu an und schafften es, ihre Zeitschriften an Zeitungskioske in Dutzenden Städten Chinas auszuliefern, wo sie offen aushingen. Ihr Geheimnis: Sie druckten nie mehr als 10.000 Exemplare, da nur Zeitschriften mit Auflagen darüber routinemäßig von der Zensur kontrolliert wurden. Sie besaßen auch keine Lizenz zur Herausgabe einer Zeitschrift, sondern verschafften sich eine Handelserlaubnis für Musik-CDs. Ihre Zeitschrift meldeten sie als Begleitheft zur Erklärung der Musik-CD an.

Ihre Leser lachten, als “Ich liebe Rockmusik” dem mit Warenzeichen geschützten Maskottchen für Olympia 2008 – ein als Läufer stilisiertes Strichmännchen – Rock oder Hose anzogen und sie als neue Toilettenwegweiser für Peking deklarierten, oder als sie ihr satirisches Drehbuch zur pompösen Olympia-Eröffnungsfeier veröffentlichten. In ihrer Rubrik “Absolute Wahrheit” druckten sie Meldungen über sensationelle Entdeckungen frühsteinzeitlicher Höhleninschriften. Archäologen hätten verwitterte Worte über Chinas Partei entziffert – der lang gesuchte Beweis, dass es die KP seit mindestens 270 Millionen Jahren gibt. 

Verzweifelte Suche nach Freiräumen

Chinas gehypte Renaissance der Rockmusik, selbst wenn sie nur als Coup zur Belebung des Marktes gemeint ist, wirkt vor dem jetzigen politischen Hintergrund als verzweifelte dezentrale Suche nach neuen Freiräumen.

Titel des Magazins “Ich liebe Rockmusik” Nr. 2009/4 (Mitte): Es zeigt das Ai Weiwei-Kultmaskottchen mit dem Fantasieschriftzeichen Cao-ni-ma “Grasschlammpferd”, ein Symbol des Widerstands.

Peking ist nicht bereit, sie zu gewähren. Xi Jinping ließ gerade am 7. und 8. Oktober von einer alle fünf Jahre zusammenkommenden “Nationalen Konferenz” bestätigen, wie sich Kommunikation, Kultur und Ideologie noch engmaschiger kontrollieren lassen. 2013 hatte er das erste Treffen dazu einberufen. Nun seien “zum ersten Mal Xi Jinpings Gedanken zur Kultur” (习近平文化思想) vervollständigt worden, hieß es in der Parteipresse. Sie zitierte Xi: Trotz der derzeitigen Wirtschaftsprobleme hätten Kontrolle und Überwachung absolute Priorität. “Während wir uns auf den wirtschaftlichen Aufbau konzentrieren, dürfen wir die ideologische Arbeit keinen Moment vernachlässigen oder schwächen…sonst machen wir einen unumkehrbaren, historischer Fehler.” (在集中精力进行经济建设的同时,一刻也不能放松和削弱意识形态工作…,否则就要犯无可挽回的历史性错误”).

Die Zeiten werden noch härter, selbst für Steine, die nur rollen wollen.

Personalien

Chinas Staatsrat hat am Mittwoch die Ernennung mehrerer Beamter bekannt gegeben:

Qian Yi wurde zum stellvertretenden Leiter der Nationalen Behörde für Lebensmittel und strategische Reserven ernannt. Shen Zhulin wird stellvertretender Leiter der Nationalen Datenverwaltung. Lu Jie wird stellvertretender Leiter der Staatlichen Tabakmonopolverwaltung. Ma Bing wird stellvertretender Leiter der chinesischen Zivilluftfahrtbehörde.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

Dessert

Noch bis zum 16. Oktober präsentieren die bekanntesten Modedesigner der Welt auf der Shanghai Fashion Week ihre Kollektionen für die kommende Frühlings- und Sommersaison 2024. Das weit über Chinas Grenzen hinaus bekannte Mode-Event legt dieses Jahr einen besonderen Fokus auf chinesische Marken und schickte auch bekannte chinesische Supermodels der ersten Generation zurück auf den Laufsteg, darunter Qu Ying, Ma Yanli und Tong Chenjie. Die Eröffnungs-Show wurde von den Shanghaier Newcomern Icicle bestritten.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    am kommenden Dienstag und Mittwoch begeht Xi Jinping mit einem Gipfel in Peking das zehnjährige Jubiläum seines “Jahrhundertprojekts” der Neuen Seidenstraße. In einem vorab veröffentlichten Weißbuch lobt Peking blumig die Fortschritte der Belt and Road-Initiative, wie sie offiziell heißt. “Wie Samen, die in ein Feld gesät werden” entfalteten die Infrastrukturmaßnahmen in mehr als 150 Ländern “nach und nach einen umfassenden und langfristigen Nutzen”. Pekings Neue Seidenstraße – ein Segen für die Welt.

    Warum die BRI-Pläne tatsächlich längst nicht mehr segensreich verlaufen, hat Jörn Petring vor dem Gipfel zusammengefasst. Die Corona-Pandemie und die aufflammenden Krisenherde in der Ukraine und nun auch im Nahen Osten werfen viele BRI-Projekte zurück. Hinzukommt, dass die Schuldenlast vieler Staaten dem selbsternannten Win-Win-Projekt” einen enormen Imageschaden verpasst hat. Ebenfalls ein Dämpfer für die BRI-Begeisterung:

    Die Zahl der Staats- und Regierungschefs, die zum Forum reisen, fällt deutlich geringer aus als beim letzten Treffen im Jahr 2019. Der prominenteste Staatsgast in Peking ist ausgerechnet der russische Präsident Wladimir Putin. Die Entscheidung, dem Forum fernzubleiben, fällt den Europäern dadurch umso leichter.

    Unterdessen holt EU-Chefdiplomat Josep Borrell seine lange geplante China-Reise nach. Noch bis Samstag will er in Shanghai und Peking mit Firmenvertretern, Wissenschaftlern und Politikern in den Dialog kommen. Angesichts drohender Handelskonflikte zwischen China und der EU ist der Gesprächsbedarf gerade besonders hoch, schreibt Finn Mayer-Kuckuk.

    Vor allem die geplanten Zölle auf E-Autos haben das Potenzial, eine Gegenreaktion Chinas auszulösen. Als Außenbeauftragter der EU will Borrell Peking zudem klarzumachen, dass Europa seine eigenen Entscheidungen trifft. In China ist die Annahme, Europa sei nur ein Anhängsel der USA, immer noch weit verbreitet.

    Ihr
    Fabian Peltsch
    Bild von Fabian  Peltsch

    Analyse

    Weniger Staatschefs beim Seidenstraßen-Forum

    Damals war die Stimmung noch besser: Chinas Präsident Xi Jinping, umringt von Staatsgästen beim zweiten Belt and Road Forum” im Jahr 2019.

    China will das zehnjährige Bestehen seiner Belt and Road Initiative (BRI) gebührend feiern. Staats- und Parteichef Xi Jinping lädt deshalb am kommenden Dienstag und Mittwoch zum Seidenstraßen-Gipfel nach Peking ein. Nach 2017 und 2019 ist es das dritte Forum dieser Art. 

    Noch bevor die Staatsgäste eintreffen, hat sich Peking mit einem Weißbuch zur BRI kräftig selbst gelobt. Die an der BRI beteiligten Länder hätten “beträchtliche Fortschritte beim Bau von Eisenbahnen, Autobahnen, Pipelines, Wasserstraßen, Energie- und Kommunikationsnetzen und anderen grundlegenden öffentlichen Einrichtungen gemacht”, heißt es darin. Viele Projekte seien “wie Samen, die in ein Feld gesät werden und nach und nach einen umfassenden und langfristigen Nutzen bringen”.

    Eine Billion Dollar investiert

    Tatsächlich kann China für sich in Anspruch nehmen, mit seinem “Jahrhundertprojekt” einen weltweiten Bauboom ausgelöst zu haben. Mehr als 150 Länder und 32 internationale Organisationen haben sich der BRI angeschlossen. Laut dem Belt and Road Portal, Chinas offizieller Website zur Förderung der BRI, sind derzeit mehr als 200 Abkommen in Vorbereitung oder bereits abgeschlossen. Fast eine Billion US-Dollar sind investiert worden. Vor allem in die Entwicklungsländer Afrikas, Zentral- und Südostasiens sind viele dieser Gelder geflossen. 

    Aus Sicht Pekings ist die BRI-Initiative auch ein Projekt, um den Welthandel gerechter zu machen. Viele Entwicklungsländer hätten von der wirtschaftlichen Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte nur wenig profitiert und dadurch ihre Fähigkeit zur eigenständigen Entwicklung eingebüßt, heißt es im Weißbuch. “Es ist nicht länger hinnehmbar, dass nur einige wenige Länder die globale Wirtschaftsentwicklung dominieren, die Wirtschaftsregeln kontrollieren und die Früchte der Entwicklung genießen”, gibt sich Peking kämpferisch.

    Skepsis gegenüber der Initiative

    Was das Weißbuch naturgemäß verschweigt, ist die Tatsache, dass die BRI selbst in die Kritik geraten ist. Auch andere Probleme der Initiative werden ausgeblendet. So haben etwa Unterbrechungen durch die Corona-Pandemie viele BRI-Projekte zurückgeworfen. Mitgliedsländer wie Sri Lanka und Pakistan haben Schwierigkeiten, geliehenes Geld zurückzuzahlen. Der Vorwurf, China locke die beteiligten Staaten in eine Schuldenfalle, hat Skepsis gegenüber der Initiative geschürt und ihrem Image geschadet. Und natürlich durchkreuzen der Krieg in der Ukraine und nun auch der aufflammende Krisenherd im Nahen Osten viele BRI-Pläne. Ohne politische Stabilität ist ein freier Warenverkehr durch und entlang dieser Regionen kaum möglich.

    Als Xi Jinping 2013 die BRI ins Leben rief, war die Welt eine andere. Die geopolitischen Spannungen waren bei weitem nicht so ausgeprägt wie heute. Vor allem die europäischen Staaten schienen den Plänen Pekings noch wohlgesonnener. Doch auch das hat sich geändert. Erst kürzlich musste die BRI einen weiteren Rückschlag hinnehmen. Italien, das als einziges G7-Land 2019 beigetreten war, teilte China mit, dass es sich zurückziehen wolle.

    Dass die BRI weltweit nicht nur auf Unterstützung stößt, zeigt sich jetzt auch im Vorfeld des Forums in der kommenden Woche. Während Xi Jinping beim letzten BRI-Gipfel 2019 noch 37 Staats- und Regierungschefs begrüßen konnte, scheint die Gästeliste diesmal kleiner auszufallen. Vor allem die Europäer wollen den Gipfel meiden. Vor vier Jahren waren noch sechs EU-Staaten und die Schweiz dabei. Doch diesmal musste Peking vor allem Absagen hinnehmen, wie das Wall Street Journal im Vorfeld berichtete

    Sollte Netanjahu kommen?

    Peking hatte sich offenbar auch um die Teilnahme des israelischen Staatspräsidenten Benjamin Netanjahu bemüht. Er selbst hatte im Juni bestätigt, zu einem Staatsbesuch eingeladen worden zu sein. Israelische Medien berichteten damals, die Reise solle vermutlich im Oktober stattfinden – also pünktlich zur BRI-Forum. Das ist in der aktuellen Situation ausgeschlossen. Und nach der Zurückhaltung, mit der Peking auf den Anschlag der Hamas reagiert hat, wird ein Besuch aus Israel wohl noch länger auf sich warten lassen.

    Mit dabei ist dagegen der russische Präsident Wladimir Putin, der bereits im September seine Teilnahme am Forum zugesagt hatte. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić hatte schon im Juli die Einladung angenommen. Wie die South China Morning Post berichtete, werden zudem Staatschefs “strategischer Partner” aus Südostasien und Afrika erwartet, darunter Indonesiens Präsident Joko Widodo und Ägyptens Präsident Abdel Fattah el-Sisi.

    Klar scheint schon jetzt, dass Peking das Programm des Forums strafft. Anders als 2019 sind nicht mehr drei, sondern nur noch zwei Tage für den Gipfel vorgesehen. Die Planer haben auch die Zahl der Podiumsdiskussionen reduziert, so die South China Morning Post weiter. Offenbar soll es auch nicht mehr wie bisher einen Runden Tisch der Staatschefs geben.

    Borrell an China: “Nehmt die EU ernster!”

    Der Hohe Vertreter Josep Borrell reist nach Shanghai und Peking.

    Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ist bis Samstag in China. Am Donnerstag kam er in Shanghai an und hat gleich eine Reihe von Terminen absolviert: Er traf EU-Firmen, um sich deren Sorgen anzuhören, und diskutierte mit Wissenschaftlern am Shanghai Institute for International Studies. In den kommenden Tagen hat er dann Termine in Peking.

    Angesichts drohender Handelskonflikte zwischen China und der EU erhält die Reise viel Beachtung. Sie war zudem mit Spannung erwartet worden: Im April und im Juli war sie jeweils ausgefallen, einmal wegen Krankheit und einmal nach Absage durch Peking. Die Mission hatte also bereits einen schlechten Start.

    Zahlreiche Konfliktlinien aufgerissen

    Zwischen China und der EU ist die Stimmung aus mehreren Gründen schlecht. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat auf mehreren Feldern die Initiative ergriffen, um ihre De-Risking-Strategie voranzutreiben.

    Gerade die geplanten Zölle haben das Potenzial, eine Gegenreaktion Chinas auszulösen. Auch im Handelskonflikt mit den USA hat China keine Handelsmaßnahme auf sich sitzen lassen und jeweils mit einer ungefähr gleichartigen Sanktion reagiert.

    Borrell: EU ist eigener geopolitischer Spieler

    In einem Interview mit der South China Morning Post hat Borrell vor Abflug einige Positionen festgelegt, die er in China vertreten will.

    • Europa nehme China ernst, aber China soll umgekehrt auch die EU als eigenständigen Spieler ernst nehmen.
    • Hier geht es vor allem um die von China oft gehörte Unterstellung, Europa handele nur auf Anweisung der USA. “Europa hat keinen geheimen Plan, um Chinas Aufstieg zu sabotieren”, betont Borrell. China solle aufhören, “uns durch die Linse von Beziehungen zu anderen zu sehen”.
    • Der Krieg in der Ukraine habe das außenpolitische Profil der EU geschärft, so Borrell. Sie sei nicht mehr nur Wirtschaftsmacht, sondern verstehe sich mehr als geopolitischer Akteur.

    Tatsächlich ist “europäische Unabhängigkeit” eine Schlüsselphrase in der chinesischen EU-Politik. Sie unterstellt, Brüssel und die Mitgliedsstaaten handelten auf Geheiß Washingtons und zeigten sich daher in den vergangenen Jahren ablehnend gegenüber China. Die implizite Aufforderung, sich doch endlich von der US-Knute zu befreien und sich “unabhängig” wieder China zuzuwenden, wird auch bei Spitzengesprächen immer wieder vorgebracht.

    Chinas Fixierung auf die USA

    Diese Sicht mag damit zusammenhängen, dass China generell sehr auf die USA als dominierende Großmacht fixiert ist, der es beikommen will. Die EU als militärisch bedeutungsloser Spieler schließt sich in diesem simplen Weltbild entweder den USA oder China an. In China ist die Annahme, Europa sei nur ein Anhängsel der USA, dermaßen verbreitet, dass sie kaum hinterfragt wird.

    Nun wendet sich Borrell ausdrücklich gegen dieses Denkschema. Aus Sicht der Kommission in Brüssel unterschätzt Peking damit bei weitem, wie viel eigene Gedanken sich Europa über die Welt macht – und wie viele Ressentiments in Europa gegenüber den USA bestehen.

    Der Außenbeauftragte der EU ist so etwas wie der Außenminister des europäischen Bündnisses. Er ist damit der Chefdiplomat der EU-Kommission. Zugleich ist er Vizepräsident der Kommission. Borrell ist Spanier und gehört den dortigen Sozialdemokraten an.

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    • Geopolitik
    • Josep Borrell

    Termine

    17.10.2023, 8:30 Uhr (14:30 Uhr Beijing time)
    CNBW, Working group “Sino-German Corporate Communications”: How can a global organization establish a robust and efficient internal communication framework? Mehr

    17.10.2023, 9:30 Uhr Beijing time
    Global Advanced Manufacturing Institute / KIT – Karlsruhe Institute of Technology, Event (in Suzhou): Opening of Remanufacturing Technology Innovation Center Mehr

    19.10.2023, 11:00 Uhr (17:00 Uhr Beijing time)
    German Centre Beijing, Seminarreihe China MedTech: Digitalization in MedTech Mehr

    19.10.2023, 12:00 Uhr (18:00 Uhr Beijing time)
    Dezan Shira & Associates / German Chamber of Commerce Hong Kong, Hybrid Seminar: Unveiling the Benefits and Realities of Applying for Offshore Status in Hong Kong Mehr

    19.10.2023, 18:00 Uhr Beijing time
    German Chamber of Commerce Shanghai, October Chamber Meeting (in Shanghai): China’s Auto Industry: The Race to a Sustainable Future Mehr

    19.10.2023, 19:00 Uhr
    Konfuzius Institut Universität Heidelberg, Lesung mit Chen Qiufan (in Heidelberg): Artificial Intelligence, Virtual Realities, and Disrupted Futures – Literary Visions of Chinese Science-Fiction Mehr

    21.10.2023, 17:00 Uhr
    Konfuzius-Institut Frankfurt / Frankfurter Buchmesse, Gespräch: Wie China zur Weltmacht wurde – mit Johnny Erling Mehr

    22.-25.10.2023, 13:00 Uhr Beijing time
    stars – for Leaders of the Next Generation, Konferenz (in Shenzhen): stars China Symposium 2023 Mehr

    News

    Gerüchte um neuen Verteidigungsminister

    Peking könnte laut Reuters bald einen Nachfolger für den geschassten Verteidigungsminister Li Shangfu vorstellen. Li ist seit Wochen aus der Öffentlichkeit verschwunden und wurde aller Wahrscheinlichkeit nach wegen Korruptionsvorwürfen aus dem Verkehr gezogen. Sein Nachfolger könnte demnach General Liu Zhenli sein.

    Der 59-Jährige ist Leiter des Joint Staff Departments of the Central Military Commission (JSDCMC), Chinas oberstem Entscheidungsgremium im Verteidigungsbereich. Die Behörde ist unter anderem für die Planung von Kampfeinsätzen zuständig. Sie wurde im Januar 2016 im Rahmen von Xi Jinpings Militärreformen eingerichtet. Xi ist Vorsitzender der Central Military Commission (CMC) und Oberbefehlshaber der Streitkräfte.

    Reuters zitiert dabei mehrere anonyme Quellen, darunter eine Person, die direkt mit der Angelegenheit vertraut sein soll, sowie zwei dem Militär nahestehende Personen und zwei regionale Beamte. Ihnen zufolge könnte die Bekanntgabe der Personalie noch vor einem internationalen Sicherheitsforum in Peking Ende Oktober erfolgen. rtr/fpe

    • Li Shangfu
    • Militär

    Neue Runde im Kampf gegen Korruption

    China hat eine neue Runde von Korruptionsinspektionen eingeleitet, um “potenzielle Großrisiken” aufzuspüren. Li Xi, Leiter der Zentralen Kommission für Disziplinarinspektion (CCDI), erklärte diese Woche, die oberste Korruptionsbekämpfungsbehörde des Landes werde sich bei den kommenden Untersuchungen auf fünf Ministerien und 26 staatliche Unternehmen konzentrieren.

    Die Liste der zu untersuchenden Behörden, die von der CCDI nach einer Sitzung am Dienstag veröffentlicht wurde, legt nahe, dass der Schwerpunkt auf dem Technologiesektor liegt. Es handelt sich um die zweite Inspektionsrunde seit dem Nationalkongress der Kommunistischen Partei im Oktober letzten Jahres. Li sagte, die Inspektionen sollten dazu beitragen, größere Sicherheitsrisiken zu entschärfen. Auf einer Sitzung des Politbüros im vergangenen Monat erklärte die Führung in Peking, dass Korruptionsinspektionen ein wirksames Mittel” seien, um Probleme zu finden, und dass sie fortgesetzt werden müssten. Seit Xis Amtsantritt im Jahr 2012 wurden durch umfassende Anti-Korruptionskampagnen Zehntausende von Beamten aus dem Verkehr gezogen, darunter auch Xis politische Rivalen.

    Die jüngste Razzia, die von März bis September dieses Jahres stattfand, zielte auf den Finanz-, Sport- und Medizinsektor ab. Mehr als 140 Beamte staatlicher Unternehmen wurden zur Untersuchung festgenommen. Gegen mindestens 36 hochrangige Kader – Beamte ab dem Rang eines Vizeministers – wurden in diesem Jahr Ermittlungen eingeleitet. fpe

    • Korruption

    Mehrere chinesische Opfer in Israel

    Durch die Angriffe der Hamas auf Israel sind bisher mindestens drei chinesische Staatsangehörige getötet worden. Das berichtet das Nachrichtenportal Caixin unter Bezug auf eine Meldung des Außenministeriums in Peking.

    Zwei chinesische Staatsangehörige werden zudem noch vermisst, weitere seien verwundet, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Wang Wenbin. Die chinesischen diplomatischen Vertretungen seien dabei, die medizinische Versorgung der verletzten Chinesen zu koordinieren und Vorkehrungen für die Rückführung der Verstorbenen zu treffen. jul

    • Israel

    Taiwan will Lehren aus Israel-Angriff ziehen

    Taiwan hat eine Taskforce eingerichtet, um Lehren aus dem Überraschungsangriff der Hamas auf Israel zu ziehen. Das erklärte Taiwans Verteidigungsminister Chiu Kuo-cheng am Donnerstag auf eine Reporteranfrage im Parlament. “Die erste Lektion ist, dass Aufklärungsarbeit sehr wichtig ist. Mit nachrichtendienstlichen Erkenntnissen lassen sich viele Gegenmaßnahmen ergreifen. Ein Krieg kann sogar vermieden werden”, sagte Chiu.

    Obwohl es große Unterschiede zwischen der Bedrohung Taiwans durch China und den Ereignissen zwischen Israel und der Hamas gibt – China müsste beispielsweise die Taiwanstraße überqueren, um auf die Insel vorzudringen – hat der Angriff abermals die Aufmerksamkeit der Taiwaner auf die Möglichkeit eines chinesischen Angriffs gelenkt.

    Die taiwanesische Regierung hatte den Angriff der Hamas umgehend verurteilt. Präsidentin Tsai Ing-wen erklärte, Taiwan bleibe “verpflichtet, mit gleichgesinnten Ländern zusammenzuarbeiten, um Bedrohungen und Gewalt zu bekämpfen und Freiheit und Demokratie zu schützen”. Am Sonntag sagte der KMT-Vorsitzende Eric Chu, die Ereignisse in Israel hätten “jeden spüren lassen, was es heißt, von einem Krieg bedroht zu sein”. rtr

    EU-Energie-Kommissarin in Peking

    Kadri Simson, estnische EU-Kommissarin für Energie, hat China bei Gesprächen in Peking dazu angehalten, sich zu Zielen für den Ausbau erneuerbarer Energien sowie der Reduzierung von Methan zu verpflichten. In Peking traf sie mit Zhang Jianhua zusammen, Direktor von Chinas nationaler Energiebehörde. Es waren die ersten persönlichen EU-China-Gespräche im Energiebereich seit 2019.

    Simson forderte von China, sich einem globalen Plan zur Reduzierung von Methan anzuschließen und einer Verdreifachung der Kapazität erneuerbarer Energien bis 2030 zuzusagen. Bei den Gesprächen ging es auch um Verpflichtungen zur CO₂-Neutralität, allerdings verlangte Simson hierbei von China keine ambitionierteren Anstrengungen.

    “Ich glaube, dass es möglich sein wird, viel früher als 2060 zu dekarbonisieren, aber jede Regierung hat das Recht, ihren eigenen Weg zu wählen”, sagte sie auf einer Pressekonferenz und bezog sich dabei auf Chinas Netto-Null-Ziel, das ein Jahrzehnt später liegt als das 2050-Ziel der EU.

    Das Treffen findet wenigen Wochen vor der UN-Klimakonferenz COP28 in Dubai statt. Dort wird es darum gehen, ob sich China und andere wichtige Akteure, darunter die USA und die EU, auf zentrale Fragen einigen können. rtr/jul

    Presseschau

    EU foreign policy chief begins visit to China amid tensions over trade and Ukraine war IRISHTIMES
    Drohungen aus China: Taiwan analysiert Hamas-Angriff auf Israel für eigene Zwecke KSTA
    China criticizes US Navy patrol aircraft’s transit of Taiwan Strait NHK
    US “ill-prepared” for nuclear challenge from China and Russia, says report FT
    Prigoschins Spionage-Satelliten: Söldnertruppe Wagner machte Millionen-Deal mit China MERKUR
    US calls for China to “confirm” location of rights lawyer RFA
    Release of journalist unlikely to shift Australia’s China policy REUTERS
    China has sentenced Rahile Dawut to life in prison and would like the world to forget her. We must not THEGUARDIAN
    Gegen USA und China: Kommissar Breton befürwortet Telekom-Investitionen EURACTIV
    China births slid 10% last year to record low NIKKEI
    Babysitting duties are stressing China’s grandparents ECONOMIST
    Sri Lanka confirms major debt deal with China THEHINDU
    China Refuses “Sustained Conversation” with US on Fentanyl Crisis, Ambassador Says VOANEWS
    In Xis China sollten sich westliche Manager nicht zu sicher fühlen CAPITAL
    China warns EU steel probe will disrupt global supply chains, push up costs BUSINESS-STANDARD
    BMW-Finanzchef sieht Strafzölle auf China-Elektroautos kritisch ECOMENTO
    China’s CATL, BYD Dominate EV Battery Market as Demand Grows BLOOMBERG
    China-Verkaufszahlen enttäuschen: Teslas aus China verkaufen sich deutlich schlechter FINANZEN
    BEV und PHEV: China verdoppelt Tempo bei Elektro-Exporten AUTOMOBILWOCHE
    US Trade Data Overstates Decoupling From China, Report Says BNNBLOOMBERG
    Russia’s InterRAO says China agrees to higher electricity price REUTERS
    Chinesen sollen stärker in Aktien investieren HANDELSBLATT
    Chinas neues Wirtschaftsmodell: “Am liebsten würden sie ihr Geld außer Landes bringen” SPIEGEL
    China builds world’s largest deep sea telescope to hunt for cosmic neutrinos SCMP

    Standpunkt

    China rockt

    Johnny Erling
    Johnny Erling schreibt die Kolumne für die China.Table Professional Briefings

    Hebeis Provinzhauptstadt Shijiazhuang ist eine von Dutzenden Großstädten der Volksrepublik, in der mehr Menschen leben als in Europas größten Metropolen, die im Ausland aber weithin unbekannt sind. Zum Stichtag der Volkszählung 2020 zählte das frühere Schwerindustriezentrum, mit dem Highspeed-Zug 85 Minuten von Peking entfernt, mehr als 11,2 Millionen Einwohner. Auch in chinesischen Ohren klingt der Name der Stadt so bieder, dass sich Blogger in Online-Foren aufregten: Shijiazhuang hätte “längst seinen Namen ändern sollen, um nicht so hinterwäldlerisch zu wirken” (早就该改名了,太土了).

    Die Blogger fühlten sich durch eine Entscheidung der Stadtregierung provoziert, die am 13. Juli beschlossen hatte, Shijiazhuang zu Chinas “Heimat des Rock’n’Roll” zu erklären (搖滾之城) und in großem Stil als solche zu vermarkten. In Chinas Internet zog die Entscheidung Spott auf sich, im Ausland amüsiertes Kopfschütteln. Der Name Shijiazhuang (石家庄) passe nicht zum Anspruch einer Rockstadt. Wörtlich übersetzt stehen die Schriftzeichen (石) zwar für Stein und (家) für Familie, aber (莊) eben nur für Dorf.

    China im Konzertfieber: Rockveranstaltungen im ganzen Land.

    Shijiazhuang kurbelt den Rocktourismus an

    Doch die Stadt will es nun allen zeigen: Drei Monate lang, bis zum Oktober, feierte sie ihre neue Rolle als Rockparadies Chinas mit Dutzenden Musikfestivals. Sie funktionierte ihr modernstes Einkaufszentrum zur Bühne für heiße Musik um, ließ Rockbands in ihrer U-Bahn und in Bussen (摇滚巴士摇滚地铁) scheinbar spontan zur Session mit den Fahrgästen auftreten.

    Am 9. September reiste auch der legendäre, inzwischen 62-jährige Pekinger Altrocker Cui Jian zum Gastspiel an. Einst war er der musikalische Wortführer des kulturellen Umbruchs, erhielt 1990 Auftrittsverbot, als die Tiananmen-Studenten 1989 seinen Kultsong: “Wir sind alle Habenichte” (一无所有) sangen. Dann aber durfte er wieder loslegen.

    Zudem beanspruchen die Funktionäre, das Erbe der Stadt fortzuführen, die schon vor 30 Jahren den Rock für sich entdeckt und landesweit popularisiert hätte. Allerdings erinnern sie nicht daran, dass sie es damals waren, die die aus dem Westen kommende Untergrund- und Protestmusik zu unterdrücken versuchten.

    Das Kalkül der Stadt, mit Rocktourismus einen Marktcoup zu landen, die Jugend anzulocken und in einer desolaten wirtschaftlichen Lage neue Nachfrage zu generieren, ging imagemäßig zumindest auf, plötzlich war Shijiazhuang nicht nur Thema in Chinas sozialen Medien, sondern fand auch in der internationalen Presse Erwähnung. Hongkongs “South China Morning Post“, Medien in Japan oder den USA wunderten sich, dass China in der Ära des Ideologen Xi Jinping offenbar noch nicht kulturell erstarrt sei, sondern lautstark rockt und rollt.

    Rock ‘n’ Roll ohne subversive Kante

    Freilich berichteten die westlichen Medien nicht immer so darüber, wie es sich Chinas Propagandisten erhoffen. So fanden im August zwei chinesische Kolumnistinnen der New York Times heraus, dass sich die Partei vorbereitet hatte, die subversive Natur des Rocks zu entschärfen. Sie ließ etwa ein bekanntes Rock-Kultlied von der kommunistischen Jugendliga umschreiben. Den Titel der Rockballade “Bring diesen Kerl aus Shijiazhuang um” (杀死那个石家庄人) veränderten sie zu: “Der nicht umbringbare Kerl aus Shijiazhuang” (杀不死的石家庄人). Der 2010 entstandene Song beklagte einst die Folgen von Chinas Modernisierung, den Zusammenbruch der städtischen Industrien, die Zerstörung der Umwelt und den Frust der Jugend Shijiazhuangs. “Rock’n’Roll nach Art der Kommunistischen Partei” nannte die New York Times die (fast völlige) Umschreibung des Liedes, durch die “positive Energie” für den sozialistischen Aufbau der Stadt geweckt werden soll. “Der eine Text ist trost- und mutlos. Der andere sprüht vor Optimismus.” Chinas soziale Medien posteten sarkastisch: Nach vorherrschender Meinung sei “die neue Version irgendwie noch deprimierender als die alte.”

    Werbeplakat für den Auftritt einer Legende: Chinas Rockveteran Cui Jian (Jahrgang 1961), der auf dem Rockfestival von Shijiazhuang am 9. September 2023 gastierte.

    Andere Blogger enthüllten, dass auf der städtischen Konferenz, die im Juli Shijiazhuang zur Heimat des Rocks erkor, unter den 21 Teilnehmern 15 Parteifunktionäre waren, aber nur sechs Vertreter von Rockbands aus der Region. Die Chinas Punk- und Rockszene gewidmete Webseite “Scream for Life” zeichnete daraufhin Shijiazhuang als erste “staatlich genehmigte Heimatstadt des Rocks” aus.

    Pekings englischsprachige Propaganda-Medien rühren die Werbetrommel für ein spontan rockendes Shijiazhuang getreu dem Motto Xi Jinpings, das negative Narrativ des Westens zu brechen und positive Geschichten über China zu erzählen. Reporter der China Daily oder Global Times lobten: “Der Rock kehrt nach Hause zurück.” 

    Hintergründiger berichtete nur die Beijing Review: über den harten Wettbewerb zwischen Städten und Regionen Chinas, die sich mit allen Mitteln profilieren müssen, um den Konsum zu stimulieren. Daher sei wohl auch Shijiazhuang auf die Idee gekommen, sich als Stadt des Rocks anzupreisen. China würde derzeit von einer “Welle von Musikfestivals” überschwemmt. 2023 spülte diese allein bis Ende Mai über 1,2 Milliarden Yuan in die klammen Kassen und lockten über 2,5 Millionen Besucher an. Auch die Zeitung (每日经济新闻) zählte im ersten Halbjahr 2023 bis Juli bereits landesweit 150 Rock- und Pop-Musikfestivals. Eine Online-Übersichtskarte zeigt, dass überall in China bis April Großkonzerte veranstaltet wurden.

    Leitliteratur für die Subkultur

    Shijiazhuang punktet mit seiner Rock-Tradition. Ausgerechnet das für seine sozialistische Indoktrination verrufene Parteiblatt Global Times pries zwei Kultmagazine, die in den 1990er Jahren in der Stadt erschienen. “Sie wurden Leitliteratur des Rocks für die Mehrheit der Musikfans Chinas.” Beide spielten eine “entscheidende Rolle, um die Rockmusik zu popularisieren.”

    Was ihre Laudatio nicht erwähnt: Das “Schlager-Magazin” (通俗歌曲) und die ab 1999 bis 2013 jeweils mit einer eingelegten CD erschienene Zeitschrift “Ich liebe Rockmusik” (我爱摇滚乐), auf die nun alle so stolz sind, wurden gegen Widerstände der Parteibehörden zu den bissigsten Hardrock- und Satiremagazinen des Landes. Im Rückblick erscheint diese Ära vor Xi Jinpings Machtantritt 2013 geradezu tolerant gewesen zu sein.

    Die provokanten Titel des Magazins “Ich liebe Rockmusik hingen an Zeitungskiosken offen aus.

    Zusammen mit der ARD-Rundfunkkorrespondentin Eva Corell besuchte ich 2005 die acht jungen Mitarbeiter um den damaligen Chefredakteur Xiao Zhu in ihrer Wohnung im siebten Stock eines Mietshauses in Shijiazhuang. Dort produzierten sie allmonatlich auf sechs Computern und dank ihres Zugangs zum World Wide Web ihre 80 Seiten starke Zeitschrift. “Wir sind die Desperados der Untergrund-Verlagsindustrie”, sagte Xiao Zhu.

    135 Ausgaben erschienen, bis sie 2013 die Zeitschrift einstellen mussten, um den Behörden unter dem neuen Parteichef Xi zuvorzukommen. Ihre professionell designten Titelseiten sind heute noch so provozierend, dass jeder, der sie nachdruckt, verhaftet werden könnte. Immer wieder wurde die Redaktion drangsaliert, mit Geldstrafen belegt, ihre Computer beschlagnahmt oder die Mitarbeitenden gar einige Tage festgenommen. Doch sie fingen immer wieder neu an und schafften es, ihre Zeitschriften an Zeitungskioske in Dutzenden Städten Chinas auszuliefern, wo sie offen aushingen. Ihr Geheimnis: Sie druckten nie mehr als 10.000 Exemplare, da nur Zeitschriften mit Auflagen darüber routinemäßig von der Zensur kontrolliert wurden. Sie besaßen auch keine Lizenz zur Herausgabe einer Zeitschrift, sondern verschafften sich eine Handelserlaubnis für Musik-CDs. Ihre Zeitschrift meldeten sie als Begleitheft zur Erklärung der Musik-CD an.

    Ihre Leser lachten, als “Ich liebe Rockmusik” dem mit Warenzeichen geschützten Maskottchen für Olympia 2008 – ein als Läufer stilisiertes Strichmännchen – Rock oder Hose anzogen und sie als neue Toilettenwegweiser für Peking deklarierten, oder als sie ihr satirisches Drehbuch zur pompösen Olympia-Eröffnungsfeier veröffentlichten. In ihrer Rubrik “Absolute Wahrheit” druckten sie Meldungen über sensationelle Entdeckungen frühsteinzeitlicher Höhleninschriften. Archäologen hätten verwitterte Worte über Chinas Partei entziffert – der lang gesuchte Beweis, dass es die KP seit mindestens 270 Millionen Jahren gibt. 

    Verzweifelte Suche nach Freiräumen

    Chinas gehypte Renaissance der Rockmusik, selbst wenn sie nur als Coup zur Belebung des Marktes gemeint ist, wirkt vor dem jetzigen politischen Hintergrund als verzweifelte dezentrale Suche nach neuen Freiräumen.

    Titel des Magazins “Ich liebe Rockmusik” Nr. 2009/4 (Mitte): Es zeigt das Ai Weiwei-Kultmaskottchen mit dem Fantasieschriftzeichen Cao-ni-ma “Grasschlammpferd”, ein Symbol des Widerstands.

    Peking ist nicht bereit, sie zu gewähren. Xi Jinping ließ gerade am 7. und 8. Oktober von einer alle fünf Jahre zusammenkommenden “Nationalen Konferenz” bestätigen, wie sich Kommunikation, Kultur und Ideologie noch engmaschiger kontrollieren lassen. 2013 hatte er das erste Treffen dazu einberufen. Nun seien “zum ersten Mal Xi Jinpings Gedanken zur Kultur” (习近平文化思想) vervollständigt worden, hieß es in der Parteipresse. Sie zitierte Xi: Trotz der derzeitigen Wirtschaftsprobleme hätten Kontrolle und Überwachung absolute Priorität. “Während wir uns auf den wirtschaftlichen Aufbau konzentrieren, dürfen wir die ideologische Arbeit keinen Moment vernachlässigen oder schwächen…sonst machen wir einen unumkehrbaren, historischer Fehler.” (在集中精力进行经济建设的同时,一刻也不能放松和削弱意识形态工作…,否则就要犯无可挽回的历史性错误”).

    Die Zeiten werden noch härter, selbst für Steine, die nur rollen wollen.

    Personalien

    Chinas Staatsrat hat am Mittwoch die Ernennung mehrerer Beamter bekannt gegeben:

    Qian Yi wurde zum stellvertretenden Leiter der Nationalen Behörde für Lebensmittel und strategische Reserven ernannt. Shen Zhulin wird stellvertretender Leiter der Nationalen Datenverwaltung. Lu Jie wird stellvertretender Leiter der Staatlichen Tabakmonopolverwaltung. Ma Bing wird stellvertretender Leiter der chinesischen Zivilluftfahrtbehörde.

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    Dessert

    Noch bis zum 16. Oktober präsentieren die bekanntesten Modedesigner der Welt auf der Shanghai Fashion Week ihre Kollektionen für die kommende Frühlings- und Sommersaison 2024. Das weit über Chinas Grenzen hinaus bekannte Mode-Event legt dieses Jahr einen besonderen Fokus auf chinesische Marken und schickte auch bekannte chinesische Supermodels der ersten Generation zurück auf den Laufsteg, darunter Qu Ying, Ma Yanli und Tong Chenjie. Die Eröffnungs-Show wurde von den Shanghaier Newcomern Icicle bestritten.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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