Table.Briefing: China

Abstimmung zu EU-Ausgleichszöllen + Ishibas Sicherheitspakt

Liebe Leserin, lieber Leser,

heute ist der Tag, auf den nicht nur EU-China-Beobachter schon lange warten. Nachdem die Abstimmung Ende September verschoben wurde, werden die EU-Mitgliedsstaaten heute über die Ausgleichszölle auf chinesische E-Autos entscheiden.

In Berlin wurde bis zum Schluss darum gerungen, ob man sich enthalten soll, oder gegen die Zölle stimmt. Am Abend drang dann durch, dass Deutschland mit “Nein” stimmen wird. Auch Vizekanzler Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock, die für eine Enthaltung plädiert hatten, sollen das “Nein” nach Informationen von Table.Briefings mittragen.

Wie sich Deutschland positioniert, ist auch ein generelles Signal an die EU und die China-Politik aus Brüssel, das sicherlich noch für Diskussionen sorgen wird – nicht nur zwischen Deutschland und Frankreich, sondern auch in der Ampel-Koalition.

In unserer zweiten Analyse unterzieht Angela Köckritz die Idee des neuen japanischen Ministerpräsidenten Shigeru Ishiba, eine asiatische Nato zu gründen, einem Reality-Check. Die Resonanz auf die Idee ist bisher verhalten, schreibt Köckritz, die mit Analysten dazu gesprochen hat. Indes formen sich andere Sicherheitspakte im indopazifischen Raum. 

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Amelie Richter
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Analyse

EU-Zusatzzölle: “Nein” aus Berlin – gegen Frankreich

Einigkeit für das Foto, aber große Meinungsverschiedenheit bei den EU-Zusatzzöllen: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz. 

Vor der Abstimmung zu den Zusatzzöllen auf chinesische Elektro-Fahrzeuge zeigte sich in Berlin der Zwist zwischen den beiden größten EU-Staaten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nutzte seinen Auftritt beim Berlin Global Dialogue diese Woche in der Hauptstadt, um für die von der EU geplanten Ausgleichszölle gegen chinesische E-Auto-Importe zu werben – doch die Bundesregierung kann sich nicht für diesen Kurs erwärmen.  

Obwohl das von den Grünen geführte Wirtschaftsministerium mitgegangen wäre, hat Kanzler Olaf Scholz in finalen Gesprächen der Koalitionsspitzen von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht und durchgesetzt, dass Deutschland bei der Abstimmung am Freitag mit “Nein” stimmen wird. Finanzminister Christian Lindner unterstützte das; Vizekanzler Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock hatten zunächst für eine Enthaltung plädiert, tragen das “Nein” aber nach Informationen von Table.Briefings nun mit.  

Nicht der Autoindustrie in den Rücken fallen

In der FDP hatte es zuvor geheißen, eine Enthaltung helfe niemandem. Man dürfe der Autoindustrie, einer Schlüsselindustrie im Land mit Millionen von Arbeitsplätzen, durch einen Handelskonflikt mit China nicht in den Rücken fallen. Die Zölle sollten daher klar abgelehnt werden. Ähnlich argumentiert der Kanzler. 

Macron dagegen hatte in der Hochschule ESMT am Mittwoch für ein “level playing field” geworben und auf die 100-prozentigen Strafzölle der USA gegen China hingewiesen. Auch China habe ja mit Zöllen gegen Branntwein gedroht, sagte der Präsident und erinnerte an die Cognac-Nation Frankreich.  

Grünen-Wirtschaftsminister Habeck betonte diese Woche, dass er Strafzölle ablehne und man eine politische Lösung mit China finden müsse. “Ich bin komplett gegen die Zölle”, hatte der Wirtschaftsminister beim Berlin Global Dialogue erklärt. Er bevorzuge eine Verhandlungslösung, etwa in Form von Mindestpreisen für chinesische E-Autos.

Zölle dürften dennoch kommen

“Die Frage ist, auf welchem Weg können wir in dieser konkreten Situation eine politische Lösung finden?”, sagte Habeck. Zugleich mahnte er, dass die EU geschlossen gegenüber Peking auftreten müsse. Wohl auch deshalb lehnte Habeck ein Nein – wie von Lindner gefordert – zunächst ab.

Aller Voraussicht nach wird jedoch ein Nein aus Deutschland die Zölle nicht aufhalten können, weil genügend EU-Staaten am Freitag für die Strafzölle stimmen dürfte. 

VDA: Risiko eines globalen Handelskonflikts wächst

Die Autoindustrie ist für ein “Nein”. Mercedes-Chef Ola Källenius sagte am Mittwoch: “Wenn ich Deutschland wäre, würde ich mit Nein stimmen. Nicht, um unsere Verhandlungsposition zu schwächen, sondern um zu signalisieren, dass wir über eine faire Win-Win-Situation mit fairen Wettbewerbsbedingungen verhandeln wollen.” Die Zölle gefährdeten auch das Geschäft von Mercedes, Fahrzeuge in China zu produzieren und nach Europa zu exportieren. Der Verband der Autoindustrie warnt davor, dass die Zusatzzölle die Wettbewerbsfähigkeit der ohnehin kriselnden europäischen Autoindustrie gefährden könnten.  

“Ein Votum der EU-Staaten, ab Ende Oktober hohe zusätzliche Zölle auf E-Pkw aus China zu erheben, wäre ein weiterer Schritt weg von globaler Zusammenarbeit“, sagte VDA-Präsidentin Hildegard Müller der Deutschen Presse-Agentur. “Durch diese Maßnahme wächst das Risiko eines globalen Handelskonfliktes weiter an.” Müller forderte, dass die Bundesregierung klar Stellung gegen die Strafzölle beziehen müsse. Eine Enthaltung sei keine Option. 

Caspary: “Niemand will Streit mit China”

“Niemand will Streit mit China. Aber es ist offensichtlich, dass chinesische Elektroautos subventioniert werden, was zu einer massiven Marktverzerrung in Europa führt”, sagte Daniel Caspary (CDU), Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. “Eine Verhandlungslösung ist weiterhin unser bevorzugtes Ziel. Sollten diese Gespräche jedoch zu keiner fairen Lösung führen, bleibt der EU nichts anderes übrig, als Maßnahmen zu ergreifen.” 

Die Zusatzzölle sind in einer Höhe von 7,8 Prozent für Tesla bis 35,3 Prozent für SAIC veranschlagt. Andere Hersteller wie BYD und Geely liegen dazwischen. Dazu kommen zehn Prozent Zoll, die ohnehin schon gelten. Rückwirkend werden die seit Juli geltenden Zusatzzölle in Form von Bankgarantien nicht eingeholt. Das hatte die EU-Kommission bereits mitgeteilt. Nach den EU-Vorschriften kann die EU-Kommission die Zölle für die nächsten fünf Jahre verhängen, sofern nicht eine qualifizierte Mehrheit von 15 EU-Ländern, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, gegen den Plan stimmt.

Zustimmung sehr wahrscheinlich

Laut EU-Kreisen werden Frankreich, Griechenland, Italien und Polen für die Zölle stimmen – allein diese Länder repräsentieren zusammen bereits rund 39 Prozent der EU-Bevölkerung. Auch die Niederlande, Dänemark und Belgien werden sich demnach dafür aussprechen. Im Juli stimmten auch Litauen, Lettland und Bulgarien dafür – ebenso Spanien. Sollte die Abstimmung wieder so ausfallen, sind 60 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentiert. Ohne Spanien wären es rund 50 Prozent. Dass die “Nein”-Seite also die nötigen 65 Prozent erreicht, ist sehr unwahrscheinlich. 

Wie sich Spanien entscheiden wird, war zwischenzeitlich offen: Nach einem Besuch von Pedro Sánchez in Peking erklärte der spanische Ministerpräsident, dass Zusatzzölle keine favorisierte Lösung seien. Später ruderte Madrid zurück und betonte, sich noch nicht entschieden zu haben. Bei der Abstimmung im Juli stimmten Ungarn, Malta, Zypern, und die Slowakei mit “Nein”. Das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dieses Mal so sein. Enthalten hatten sich im Juli neben Deutschland: Schweden, Österreich, Kroatien, Estland, Finnland, Irland, Luxemburg, Portugal, Rumänien und Slowenien

Auch wenn die Entscheidung getroffen ist, gehen die Verhandlungen zwischen der EU und China noch weiter. Dabei geht es beispielsweise um die Festlegung von Mindestpreisen für chinesische E-Autos. Chinesische Hersteller hatten dazu Angebote bei der EU-Kommission eingereicht. Das erste Angebot war mit der Begründung einer abgelaufenen zeitlichen Frist abgelehnt worden. Über einen zweiten Vorschlag wird noch gesprochen. Details sind bisher nicht bekannt. Die Preisverpflichtung könnte neben einem Mindestimportpreis auch eine Mengenbegrenzung umfassen

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Japan: Wie realistisch die “asiatische Nato” ist

Der neue japanische Ministerpräsident Shigeru Ishiba.

Es war eine aufsehenerregende Idee, die Shigeru Ishiba vergangene Woche lancierte, kurz bevor er zum Chef der Regierungspartei LDP gekürt wurde und am Dienstag sein Amt als neuer Premierminister Japans antrat: Ishiba forderte ein kollektives asiatisches Verteidigungsbündnis, eine Art asiatische Nato. “Was heute die Ukraine ist, könnte morgen Asien sein. Man muss nur Russland mit China und die Ukraine mit Taiwan ersetzen. Die Abwesenheit eines kollektiven Selbstverteidigungssystems wie der Nato in Asien könnte bedeuten, dass es leichter zu Kriegen kommt, weil es keine Verpflichtung zur gegenseitigen Verteidigung gibt. Unter diesen Umständen ist die Schaffung einer asiatischen Version der Nato essenziell, um China abzuschrecken“, schreibt Ishiba in einem Artikel für das Hudson Institut. 

Nachdem sowohl die USA als auch Indien den Vorschlag zurückgewiesen hatten, ruderten der japanische Außen- und Verteidigungsminister am Mittwoch zurück. “Es ist nur eine Idee für die Zukunft”, versicherte Außenminister Takeshi Iwaya, die sich gegen kein spezifisches Land richte. 

“Gefühl der Panik breitet sich in LDP aus”

So wenig aussichtsreich ein solches Bündnis in naher Zukunft erscheint, verraten Ishibas Überlegungen nicht nur einiges über seine politischen Ambitionen – er möchte in der Tradition eines Shinzō Abe als außenpolitischer Visionär verstanden werden – sondern vor allem über das Gefühl der “Krise, ja Panik, die sich in Teilen der LDP ausbreitet“, sagt Jagannath Panda, der das Stockholm Center for South Asian and Indo-Pacific Affairs leitet, zu Table.Briefings. “Die Verbindung der autoritären Staaten China, Russland und Nordkorea, die allesamt in Japans Nachbarschaft liegen, ist in jüngster Zeit immer stärker geworden.”

Zudem müsse man sich anschauen, “was zuletzt in einem Zeitraum von weniger als zwei Monaten alles passiert ist”, sagt Masahiro Matsumura, Professor an der St Andrew’s Universität in Osaka. Ein chinesisches Spionageflugzeug drang in den japanischen Luftraum ein, zwei chinesische Überwachungsschiffe durchkreuzten japanische Gewässer, der chinesische Flugzeugträger Liaoning bahnte sich seinen Weg zwischen zwei japanischen Inseln, ein russisches Militärflugzeug verletzte den japanischen Luftraum während gemeinsamer chinesisch-russischer Militärübungen. 

Noch immer erachten sich die meisten Japaner aufgrund ihrer geografischen Lage als relativ geschützt und doch fühlen sich viele wie “der Frosch im kochenden Wasser”, der aufgrund der langsam steigenden Temperatur gar nicht merke, dass es ihm an den Kragen gehe, sagt Masahiro Matsumura. “Das chinesische Verhalten ist in den vergangenen zehn, 20 Jahren graduell aggressiver geworden.”

Asien ist zu divers für ein starres Verteidigungsbündnis

Er glaubt, dass Ishiba mit seinem Vorstoß versuche, sich gegen die Unsicherheit abzufedern, die die anstehende US-Wahl mit sich bringe. Das gilt vor allem für einen potenziellen Präsidenten Donald Trump, doch auch unter Kamala Harris könnte das außenpolitische Engagement der USA zurückgehen. 

Heikel ist das, weil die Sicherheit der US-Verbündeten in Asien vor allem auf den USA beruht. Ein kollektives Verteidigungsbündnis, die SEATO, die 1954 als “pazifisches Gegenstück zur Nato” unter der Federführung der USA gegründet wurde, scheiterte. Denn schon damals galt, was die Region heute noch prägt: “Die Länder Asiens teilen keine gleiche oder ähnliche Bedrohungslage”, sagt Mansi Kumari, Professorin an der Amity University in Delhi. “Asien ist zu groß und zu divers, um einen Konsens über eine ‘asiatische Nato’ zu finden.” 

Stattdessen bildete sich mit dem San-Francisco-System ein sogenanntes “Hub and Spokes”, ein Naben-und-Speichen-Modell heraus. Die USA sind dabei die “Nabe”, die mit den “Speichen” Japan, Südkorea, Taiwan, den Philippinen, Thailand, Australien und Neuseeland bilaterale politisch-militärische und wirtschaftliche Verpflichtungen eingehen. Seit einiger Zeit entwickelt sich dieses System zu einem sogenannten “Latticework”, einem Gitterwerk, weiter, indem pazifische Länder untereinander die bilaterale, trilaterale oder minilaterale Kooperation stärken wie etwa den Quadrilateral Security Dialogue zwischen Australien, Indien, Japan und den USA. Oder auch der trilateralen Zusammenarbeit zwischen Südkorea, USA und Japan oder verschiedene Abkommen mit den Philippinen. 

Sicherheitslage im Indopazifik bleibt komplex

Eine Art asiatische Nato sei auch deshalb nicht realistisch, weil sie sich gegen China richten würde, sagt Kumari Mansi. Die asiatischen Länder pflegten sehr unterschiedliche Beziehungen zu der Großmacht. Auch asiatische US-Verbündete und jene Länder, die in Territorialstreitigkeiten mit China verwickelt seien, wie Japan oder Indien, unterhielten bedeutende Handelsbeziehungen zu China. “Die Länder versuchen, ihre Interessen zu maximieren, indem sie sich im Machtkampf zwischen den USA und China möglichst auf keine Seite schlagen. Warum sollte man sich für ein Camp entscheiden, wenn man von beiden profitieren kann?” 

Auch Ken Jimbo, Direktor des International House of Japan in Tokio, glaubt, dass die indopazifische Sicherheitsarchitektur in Zukunft eher auf flexiblen Netzwerken denn auf festen Allianzen beruhen werde. Diese Arrangements “ermöglichen größere Anpassungsfähigkeit und erlauben Ländern wie Indien und Indonesien die Zusammenarbeit, ohne dass sie ihre Prinzipien von strategischer Autonomie und Blockfreiheit aufgeben müssen.” 

Angesichts der tektonischen geopolitischen Machtverschiebungen bleibt die Sicherheitslage im Indopazifik damit äußerst komplex und prekär. Unsicher ist bis auf Weiteres auch die politische Zukunft Shigeru Ishibas: Er hat Neuwahlen ausgerufen und muss sich am 27. Oktober der Volksabstimmung stellen. 

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Termine

07.10.2024, 18:00 Uhr (00:00 Uhr Beijing time)
SOAS China Institute, Webinar: Surveillance in a Leninist regime – Understanding China’s surveillance state Mehr

08.10.2024, 21:30 Uhr (03:30 Uhr Beijing time)
Freeman Chair in China Studies, Webinar: Defining Success – Does the U.S. Need an ‘End State’ for its China Policy? Mehr

09.10.2024, 10:00 Uhr (16:00 Uhr Beijing time)
IHK Pfalz + IHK Rheinhessen, Webinar: Entsendung von Mitarbeitern – Einsätze in China Mehr

09.10.2024, 17:00 Uhr Beijing time
German Centre Shanghai, Expertenrunde vor Ort: Deutschsprachiger Journalismus in China – Berichten am Limit Mehr

10.10.2024, 9:00 Uhr (15:00 Uhr Beijing time)
Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg und e-mobil BW, vor Ort im Neckar Forum Esslingen: Zulieferertag Automobilwirtschaft BW Mehr

10.10.2024, 11:00 Uhr (17:00 Uhr Beijing time)
Global China Conversations, Webinar (Medienpartner: Table.Briefings): China und die Zukunft der deutschen Automobilindustrie – Wie können deutsche Hersteller im globalen Wettbewerb bestehen? Mehr

10.10.2024, 18:30 Uhr
Konfuzius-Institut Metropole Ruhr, Vortrag vor Ort in Duisburg: Nachhaltiges Unternehmertum aus China? Beispiele aus der Praxis Mehr

News

EU-Parlament: Wer der China-Delegation vorsitzt

Freie Wähler-Europapolitiker Engin Eroglu.

Der deutsche Europapolitiker Engin Eroglu ist neuer Vorsitzender der China-Delegation des Europaparlaments. Eroglu (Freie Wähler) wurde am Donnerstag in das Amt gewählt. Eroglu ist stellvertretender Bundesvorsitzer und Landesvorsitzender der Freien Wähler in Hessen und seit 2019 für die Partei im Europaparlament. Er hat sich in der Vergangenheit deutlich gegen Menschenrechtsverletzungen in China ausgesprochen. Im Frühjahr dieses Jahres wurde bekannt, dass Eroglu Ziel einer chinesischen Cyberattacke war. 

“Die China-Delegation ist eine der wichtigsten Delegationen des Parlaments, und als ihr Vorsitzender werde ich natürlich daran arbeiten, die China-Diskussion im Parlament mitzugestalten”, sagte Eroglu Table.Briefings. In den vergangenen Jahren habe das Parlament eine wichtige Rolle in der Brüsseler China-Diskussion gespielt. “Eine unserer Aufgaben wird es sein, unsere China-Kompetenz weiter zu schärfen und auszubauen.”

Als Stellvertreterin wurde Markéta Gregorová von der tschechischen Piratenpartei gewählt. Gregorová ist Mitinitiatorin der Taiwan-Freundschaftsgruppe des EU-Parlaments und sitzt auch im Handelsausschuss. Ebenfalls stellvertretender Vorsitzender ist der deutsche SPD-Europapolitiker René Repasi. Repasi war bereits in der vergangenen Amtsperiode stellvertretender Vorsitzender der Delegation. Er ist auch Vorsitzender der deutschen SPD-Abgeordneten im Europaparlament. Die China-Delegation besteht aus 38 Vollmitgliedern. Derzeit reist das Gremium nicht in die Volksrepublik, da einige Mitglieder noch unter chinesischen Sanktionen stehen. ari

  • Europäisches Parlament

EU-Kommission: Tiktok muss sich Fragen zu Empfehlungs-Algorithmen stellen

Tiktok, die Kurzvideo-App des chinesischen Techriesen Bytedance, muss der EU-Kommission Fragen über dessen Algorithmen und Empfehlungssysteme beantworten. Die Anfrage richte sich auch an die US-Plattformen YouTube und Snapchat, hieß es in einer Erklärung am Mittwoch. Demnach will die Brüsseler Behörde wissen, welche Sicherheitsvorkehrungen die Plattformen treffen, um die Verbreitung schädlicher Inhalte zu verhindern. Ein hochrangiger EU-Beamter bezeichnete die Untersuchung als Weckruf für die Plattformen”, ihr Verhalten zu ändern – etwa, indem sie den Nutzern erlauben, bestimmte Arten von Videos zu verbergen.

In der Untersuchung geht es auch um die Frage, ob gefährdeten Menschen Inhalte, die Essstörungen, Depressionen und Drogenmissbrauch verherrlichen, sowie Fake News vorgeschlagen werden. Auch die Auswirkungen von Funktionen wie Autoplay und Endlos-Scrolling sollen untersucht werden. Die Kommission will außerdem von Tiktok wissen, “was das Unternehmen bisher getan hat, um Menschen davor abzuhalten, die App zu missbrauchen und die Risiken im Zusammenhang mit Wahlen und dem zivilen Diskurs zu minimieren”. Als Strafe könnten die Tech-Giganten mit Geldstrafen belegt werden.

Die Anfrage basiert auf dem Digital Services Act (DSA). Die EU hatte im Frühjahr bereits gegen Tiktok formelle Ermittlungen eingeleitet, weil das Unternehmen mutmaßlich nicht genug für den Jugendschutz tue. Auch hier stand das Empfehlungssystem im Mittelpunkt. Im Sommer dieses Jahres zog Tiktok nach Druck aus Brüssel das umstrittene Bonusprogramm “Tiktok Lite Rewards” zurück. Mit dem Reward-Programm belohnte Tiktok Content-Interaktionen mit virtueller Währung, die gegen echte Gutscheine eintauschbar war. Die EU-Kommission argumentierte unter anderem, dass das Programm süchtig machen könne. mcl

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  • EU-Kommission
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  • Tiktok

Neue Schifffahrtsrouten: China patrouilliert erstmals mit Russland in der Arktis

Die chinesische Küstenwache hat am Dienstag erstmals eine Patrouille in der Arktis unternommen. Wie chinesische Staatsmedien berichteten, fand der Vorstoß im Rahmen einer gemeinsamen Übung mit Russland statt. Vier Schiffe beider Länder seien dabei aus dem Nordpazifik in die Arktis gereist. Laut dem Staatssender CCTV erklärte Chinas Küstenwache, dass man so das “das Spektrum der Offshore-Einsätze erheblich erweitert” und “die Fähigkeit der Schiffe zur Durchführung von Missionen in unbekannten Gewässern gründlich getestet” habe.

Russland und China arbeiten seit einer Weile an der Entwicklung von Seerouten, die sich durch die globale Erwärmung und das Abschmelzen der arktischen Eisdecke eröffnen könnten. Bislang lässt sich der nördliche Seeweg nur in den Sommermonaten befahren. Das vom Westen sanktionierte Moskau hofft auf diesem Wege, mehr Öl und Gas nach China liefern zu können, während Peking unter dem Motto einer “polaren Seidenstraße” nach alternativen Schifffahrtsrouten für die Straße von Malakka sucht, die im Falle eines Konflikts mit den USA zum Choke-Point werden könnte. Im August unterzeichneten der chinesische Ministerpräsident Li Qiang und sein russischer Amtskollege Michail Mischustin ein gemeinsames Kommuniqué, in dem sie den Ausbau der arktischen Schifffahrtsrouten vereinbarten.

Ein Strategiebericht des Pentagons warnt ausdrücklich vor einer verstärkten chinesisch-russischen Zusammenarbeit im Polargebiet. Washington ist besorgt, da Russland seine militärische Präsenz in der Arktis in den letzten Jahren verstärkt habe, etwa indem es mehrere nach der Sowjetära aufgegebene Stützpunkte und Flugplätze wieder eröffnet und modernisiert hat. Seit der arktische Anrainerstaat Russland international isoliert ist, gewährt er China immer mehr Zu­gang zu seinen Häfen und Hoheitsgebieten. China hat mittlerweile selbst zwei Eisbrecherschiffe in Dienst gestellt und unterhält mehrere Polarstationen und Bodenstationen für Satelliten in der Region. fpe

  • Arktis
  • Militär
  • Russland

Presseschau

Handelsstreit mit China: Deutschland will gegen E-Auto-Strafzölle stimmen TAGESSCHAU
Strafzölle der EU gegen Chinas E-Autos sind schlecht begründet
FAZ
Chinesische Autos: Fast zwei Drittel der Deutschen erwägen Kauf MORGENPOST
Neue Vorstände: “Siemens spürt die chinesische Konkurrenz” WIWO
Chinas Wirtschaft: Der britische Ökonom Keynes soll Pekings Probleme richten WIWO
America is losing South-East Asia to China ECONOMIST
CIA expands online recruitment of informants to China, Iran, North Korea REUTERS
Deutsche Marine: “China hat ein maritimes Rüstungsprogramm von nie dagewesenem Ausmaß” WELT
Escalating contest over South China Sea disrupts international cable system WASHINGTON POST
Vietnam wirft China Gewalt gegen Fischer vor FAZ
China-Comeback: Aktien von Alibaba, Baidu, Tencent & Co. gehen durch die Decke HEISE
Keine Zukunft in der Stadt: Chinas Gen Z zieht sich wegen Jobkrise aufs Land zurück FOCUS
US bans steel, artificial sweetener imports from Chinese companies over forced labor allegations THE HILL
China stellt seine Raumanzüge für die Mondlandung vor GOLEM
Importe aus China: Die US-Politik verteufelt sie – die Bevölkerung liebt sie HANDELSBLATT
Taiwan: Tote und Verletzte durch Taifun “Krathon” TAGESSCHAU

Blick aus China

75 Jahre Volksrepublik: Welche schaurigen Begebenheiten in den Geschichtsbüchern fehlen

Chinesische Geschichtsbücher sind “voll von Kannibalismus”. So lautet eine in China wohlbekannte Aussage einer Figur in einer Kurzgeschichte von Lu Xun (1881 – 1936), einem der größten chinesischen Schriftsteller aller Zeiten. Lu verwendete dies als Metapher für die Gewalt und Brutalität in der chinesischen Geschichte.

Wie in vielen Kulturen kam es auch in der langen Geschichte der chinesischen Zivilisation zu echtem Kannibalismus. Bemerkenswert ist jedoch, dass dieser auch in der Geschichte des kommunistischen China vorkam – nicht als Gräueltaten verrückter Psychopathen, sondern in Fällen von Mensch-gegen-Mensch in Folge von selbst herbeigeführten Katastrophen und als Ausdruck von Grausamkeit in regierungsgesteuerten Kampagnen des “Klassenkampfes.”

Die Volksrepublik China feierte am Dienstag den 75. Jahrestag ihrer Gründung. Wenn Xi Jinping die “Errungenschaften” des kommunistischen Regimes während des vergangenen Dreivierteljahrhunderts in den höchsten Tönen lobt, sollte man auch die dunklen Geschichten erzählen, die die kommunistische Partei mit größter Anstrengung zu verbergen und auszulöschen versucht hat. Die Erinnerung an die schmerzvollen Grausamkeiten der Vergangenheit müssen bewahrt werden und stets als Mahnmal an das Wesen des Regimes dienen. Dieses zeigt sich auch heute noch, beispielsweise in den unmenschlichen Corona-Lockdowns, die Leid und Tod zur Folge hatten, in Folterungen und Misshandlungen von Dissidenten und ihren Familien oder in den “Umerziehungslagern” in Xinjiang.

Kannibalismus während der Hungersnot 1958 – 1961

In Regierungsunterlagen fanden sich Tausende von Fällen des Verzehrs und Verkaufs von Menschenfleisch während der Zeit, die offiziell als “drei Jahre der Naturkatastrophen” bezeichnet wurde. Die Katastrophen waren in Wirklichkeit das Resultat des “Großen Sprungs nach vorn”, eines wahnwitzigen, epischen politischen Versagens unter der Führung von Mao Zedong. Laut journalistischen Recherchen und verschiedenen wissenschaftlichen Untersuchungen verhungerten in dieser Zeit mindestens 30 Millionen Menschen. In offiziellen Dokumenten wurde von Kannibalismus in mindestens sechs Provinzen berichtet.

In einer berühmten Episode tadelte der damalige Präsident Liu Shaoqi das Versagen Maos und dessen katastrophalen Führungsstil: “Die Menschen haben sich gegenseitig aufgefressen, dafür wird man in den Geschichtsbüchern über uns schreiben!” Liu wurde später abgesetzt und starb einsam und elendig im Gefängnis.

Den “Klassenfeind” wortwörtlich auffressen

Die Kulturrevolution (1966 – 1976), die Mao zur Festigung seiner Macht und zur Umsetzung seiner Theorie der “kontinuierlichen Revolution” ins Leben rief, hatte die Verfolgung von zig Millionen Menschen und Gräueltaten zur Folge, deren Grausamkeiten die des sowjetischen Gulag und der Roten Khmer noch übertrafen. Vielerorts kam es im Land zu Massakern und grausamen Tötungen. Die bekanntesten Fälle ereigneten sich im Pekinger Vorort Daxing, in Daoxian in der Provinz Hunan und in Bezirken von Guangxi.

Offiziellen Aufzeichnungen zufolge wurden zwischen 1967 und 1968 etwa 100.000 bis 150.000 “Klassenfeinde” in Guangxi ermordet oder gezwungen, sich selbst zu töten. Zu den Tötungsmethoden gehörten Enthauptung, lebendiges Begraben, Steinigung, Ertränken, Verbrühen und Ausweiden. In mehr als 30 Bezirken sollen Menschen verspeist worden sein, um die Ermordeten weiter zu peinigen. Tausende von Menschen sollen sich an dem Verzehr von zwischen 100 und 400 Menschen beteiligt haben.

Viele weitere Geschichten über Grausamkeiten

In den Entscheidungsschlachten des Bürgerkriegs zwischen den Kommunisten und den Nationalisten von Chiang Kai-shek belagerte Mao Zedongs Volksbefreiungsarmee von Juni bis Oktober 1948 die strategisch wichtige Stadt Changchun im Nordosten und raffte so mindestens 100.000 Menschen in den Hungertod.

Außerhalb Chinas ist der bekannteste Fall kommunistischer Grausamkeit das Tiananmen-Massaker von 1989. Gemessen an der Zahl der getöteten Menschen und dem Ausmaß der Brutalität war dies jedoch ein vergleichsweise kleiner Vorfall. In jeder der zahllosen politischen Kampagnen, die bis vor der Gründung des Neuen China zurückreichen, wurden Tausende bis Millionen von Menschen misshandelt, verfolgt oder hingerichtet.

Strikte Überwachung der offiziellen Archive

Einige wichtige historische Dokumente des kommunistischen Chinas wurden von der Regierung oder von Politikern und ihren Verwandten, wie von der Ehefrau des verstorbenen Ministerpräsidenten Zhou Enlai, absichtlich und systematisch vernichtet. Zhou selbst ließ auch einen Bericht über die Zahl der Hungertoten in den Jahren 1958 bis 1961 vernichten, wie Yang Jisheng, ein regimekritischer Journalist der Nachrichtenagentur Xinhua und Autor eines Buches über die Hungersnot, berichtet. Das Buch ist natürlich in China verboten.

Chinas Kommunisten wussten schon immer um die Macht der Narrative und wie wichtig es ist, die Kontrolle über Informationen zu haben. Zwar gelingt es Forschern und Journalisten auf verschiedenen Wegen, Zugang zu den offiziellen Archiven zu erhalten. Diese sind jedoch in der Regel streng überwacht und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.

Die “korrekte Erinnerung” an die Geschichte

Gegen Ende der Corona-Lockdowns erkannten die Regierungsvertreter bereits, dass die Maßnahmen ein Misserfolg und äußerst unbeliebt waren. Während sie die offiziellen Propagandamaschinen klammheimlich anwiesen, nicht mehr über die Corona-Zeit zu sprechen, arbeitete die Regierung eine selbst beweihräuchernde Zusammenfassung ihres “Erfolgs” bei der Bekämpfung der Pandemie aus. Dies solle der Öffentlichkeit helfen, “das korrekte kollektive Gedächtnis” über diese Zeit zu bilden, sagte die Sprecherin des Außenministeriums Hua Chunying.

Die “korrekte Erinnerung” soll verdeutlichen, wie großartig die Partei und ihre Führer waren und sind. Und tatsächlich haben die Kontrolle der Informationen durch die Partei und ihre Zwangsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Chinesen nichts über die wahren Taten der kommunistischen Partei aus der Vergangenheit und der Gegenwart wissen oder sie nicht kennen wollen. Auch das Wirtschaftswunder des Landes half der Partei, ihr eigenes Narrativ zu verbreiten. Doch die wahre Geschichte darf niemals in Vergessenheit geraten.

  • Geschichte
  • Gesellschaft
  • Tiananmen-Massaker
  • Xi Jinping
  • Xinhua

Personalien

Volker Krupa ist seit September Manager in der Transportlogistik bei Mercedes-Benz China. Krupa war zwischen September 2019 und Januar 2023 schon einmal für Daimler in China. Zuletzt war der Diplom-Ingenieur jedoch für den deutschen Autobauer im Qualitätsmanagement in Mexiko tätig.

Evian Gu ist seit August General Manager im Shanghaier Büro von Messe Düsseldorf. Gu ist seit mehr als neun Jahren für den Veranstalter tätig, zuletzt als Division Director, ebenfalls in Shanghai.

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Dessert

Etwas überreif ist dieser Käse, der in einem bronzezeitlichen Grab im nordwestchinesischen Xiaohe gefunden wurde. Die gut 3.500 Jahre alten Käsenuggets waren schon vor zwei Jahrzehnten an den Hälsen dreier Mumien entdeckt worden. Doch erst jetzt konnten Forscher von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften mit neuesten wissenschaftlichen Methoden Fakten schaffen. Sie fanden in den Proben Hinweise auf Ziegen- und Kuhmilch und identifizierten das Endprodukt als eine Art frühzeitlicher Kefir. Das verwundert, den das Volk der Xiaohe war genetisch bedingt laktoseintolerant. Durch gezielte Fermentation konnten sie Milch und Käse aber offenbar bekömmlich genug machen, um sie in die Ernährungsgewohnheiten zu integrieren.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    In Berlin wurde bis zum Schluss darum gerungen, ob man sich enthalten soll, oder gegen die Zölle stimmt. Am Abend drang dann durch, dass Deutschland mit “Nein” stimmen wird. Auch Vizekanzler Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock, die für eine Enthaltung plädiert hatten, sollen das “Nein” nach Informationen von Table.Briefings mittragen.

    Wie sich Deutschland positioniert, ist auch ein generelles Signal an die EU und die China-Politik aus Brüssel, das sicherlich noch für Diskussionen sorgen wird – nicht nur zwischen Deutschland und Frankreich, sondern auch in der Ampel-Koalition.

    In unserer zweiten Analyse unterzieht Angela Köckritz die Idee des neuen japanischen Ministerpräsidenten Shigeru Ishiba, eine asiatische Nato zu gründen, einem Reality-Check. Die Resonanz auf die Idee ist bisher verhalten, schreibt Köckritz, die mit Analysten dazu gesprochen hat. Indes formen sich andere Sicherheitspakte im indopazifischen Raum. 

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    EU-Zusatzzölle: “Nein” aus Berlin – gegen Frankreich

    Einigkeit für das Foto, aber große Meinungsverschiedenheit bei den EU-Zusatzzöllen: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz. 

    Vor der Abstimmung zu den Zusatzzöllen auf chinesische Elektro-Fahrzeuge zeigte sich in Berlin der Zwist zwischen den beiden größten EU-Staaten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nutzte seinen Auftritt beim Berlin Global Dialogue diese Woche in der Hauptstadt, um für die von der EU geplanten Ausgleichszölle gegen chinesische E-Auto-Importe zu werben – doch die Bundesregierung kann sich nicht für diesen Kurs erwärmen.  

    Obwohl das von den Grünen geführte Wirtschaftsministerium mitgegangen wäre, hat Kanzler Olaf Scholz in finalen Gesprächen der Koalitionsspitzen von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht und durchgesetzt, dass Deutschland bei der Abstimmung am Freitag mit “Nein” stimmen wird. Finanzminister Christian Lindner unterstützte das; Vizekanzler Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock hatten zunächst für eine Enthaltung plädiert, tragen das “Nein” aber nach Informationen von Table.Briefings nun mit.  

    Nicht der Autoindustrie in den Rücken fallen

    In der FDP hatte es zuvor geheißen, eine Enthaltung helfe niemandem. Man dürfe der Autoindustrie, einer Schlüsselindustrie im Land mit Millionen von Arbeitsplätzen, durch einen Handelskonflikt mit China nicht in den Rücken fallen. Die Zölle sollten daher klar abgelehnt werden. Ähnlich argumentiert der Kanzler. 

    Macron dagegen hatte in der Hochschule ESMT am Mittwoch für ein “level playing field” geworben und auf die 100-prozentigen Strafzölle der USA gegen China hingewiesen. Auch China habe ja mit Zöllen gegen Branntwein gedroht, sagte der Präsident und erinnerte an die Cognac-Nation Frankreich.  

    Grünen-Wirtschaftsminister Habeck betonte diese Woche, dass er Strafzölle ablehne und man eine politische Lösung mit China finden müsse. “Ich bin komplett gegen die Zölle”, hatte der Wirtschaftsminister beim Berlin Global Dialogue erklärt. Er bevorzuge eine Verhandlungslösung, etwa in Form von Mindestpreisen für chinesische E-Autos.

    Zölle dürften dennoch kommen

    “Die Frage ist, auf welchem Weg können wir in dieser konkreten Situation eine politische Lösung finden?”, sagte Habeck. Zugleich mahnte er, dass die EU geschlossen gegenüber Peking auftreten müsse. Wohl auch deshalb lehnte Habeck ein Nein – wie von Lindner gefordert – zunächst ab.

    Aller Voraussicht nach wird jedoch ein Nein aus Deutschland die Zölle nicht aufhalten können, weil genügend EU-Staaten am Freitag für die Strafzölle stimmen dürfte. 

    VDA: Risiko eines globalen Handelskonflikts wächst

    Die Autoindustrie ist für ein “Nein”. Mercedes-Chef Ola Källenius sagte am Mittwoch: “Wenn ich Deutschland wäre, würde ich mit Nein stimmen. Nicht, um unsere Verhandlungsposition zu schwächen, sondern um zu signalisieren, dass wir über eine faire Win-Win-Situation mit fairen Wettbewerbsbedingungen verhandeln wollen.” Die Zölle gefährdeten auch das Geschäft von Mercedes, Fahrzeuge in China zu produzieren und nach Europa zu exportieren. Der Verband der Autoindustrie warnt davor, dass die Zusatzzölle die Wettbewerbsfähigkeit der ohnehin kriselnden europäischen Autoindustrie gefährden könnten.  

    “Ein Votum der EU-Staaten, ab Ende Oktober hohe zusätzliche Zölle auf E-Pkw aus China zu erheben, wäre ein weiterer Schritt weg von globaler Zusammenarbeit“, sagte VDA-Präsidentin Hildegard Müller der Deutschen Presse-Agentur. “Durch diese Maßnahme wächst das Risiko eines globalen Handelskonfliktes weiter an.” Müller forderte, dass die Bundesregierung klar Stellung gegen die Strafzölle beziehen müsse. Eine Enthaltung sei keine Option. 

    Caspary: “Niemand will Streit mit China”

    “Niemand will Streit mit China. Aber es ist offensichtlich, dass chinesische Elektroautos subventioniert werden, was zu einer massiven Marktverzerrung in Europa führt”, sagte Daniel Caspary (CDU), Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. “Eine Verhandlungslösung ist weiterhin unser bevorzugtes Ziel. Sollten diese Gespräche jedoch zu keiner fairen Lösung führen, bleibt der EU nichts anderes übrig, als Maßnahmen zu ergreifen.” 

    Die Zusatzzölle sind in einer Höhe von 7,8 Prozent für Tesla bis 35,3 Prozent für SAIC veranschlagt. Andere Hersteller wie BYD und Geely liegen dazwischen. Dazu kommen zehn Prozent Zoll, die ohnehin schon gelten. Rückwirkend werden die seit Juli geltenden Zusatzzölle in Form von Bankgarantien nicht eingeholt. Das hatte die EU-Kommission bereits mitgeteilt. Nach den EU-Vorschriften kann die EU-Kommission die Zölle für die nächsten fünf Jahre verhängen, sofern nicht eine qualifizierte Mehrheit von 15 EU-Ländern, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, gegen den Plan stimmt.

    Zustimmung sehr wahrscheinlich

    Laut EU-Kreisen werden Frankreich, Griechenland, Italien und Polen für die Zölle stimmen – allein diese Länder repräsentieren zusammen bereits rund 39 Prozent der EU-Bevölkerung. Auch die Niederlande, Dänemark und Belgien werden sich demnach dafür aussprechen. Im Juli stimmten auch Litauen, Lettland und Bulgarien dafür – ebenso Spanien. Sollte die Abstimmung wieder so ausfallen, sind 60 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentiert. Ohne Spanien wären es rund 50 Prozent. Dass die “Nein”-Seite also die nötigen 65 Prozent erreicht, ist sehr unwahrscheinlich. 

    Wie sich Spanien entscheiden wird, war zwischenzeitlich offen: Nach einem Besuch von Pedro Sánchez in Peking erklärte der spanische Ministerpräsident, dass Zusatzzölle keine favorisierte Lösung seien. Später ruderte Madrid zurück und betonte, sich noch nicht entschieden zu haben. Bei der Abstimmung im Juli stimmten Ungarn, Malta, Zypern, und die Slowakei mit “Nein”. Das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dieses Mal so sein. Enthalten hatten sich im Juli neben Deutschland: Schweden, Österreich, Kroatien, Estland, Finnland, Irland, Luxemburg, Portugal, Rumänien und Slowenien

    Auch wenn die Entscheidung getroffen ist, gehen die Verhandlungen zwischen der EU und China noch weiter. Dabei geht es beispielsweise um die Festlegung von Mindestpreisen für chinesische E-Autos. Chinesische Hersteller hatten dazu Angebote bei der EU-Kommission eingereicht. Das erste Angebot war mit der Begründung einer abgelaufenen zeitlichen Frist abgelehnt worden. Über einen zweiten Vorschlag wird noch gesprochen. Details sind bisher nicht bekannt. Die Preisverpflichtung könnte neben einem Mindestimportpreis auch eine Mengenbegrenzung umfassen

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    Japan: Wie realistisch die “asiatische Nato” ist

    Der neue japanische Ministerpräsident Shigeru Ishiba.

    Es war eine aufsehenerregende Idee, die Shigeru Ishiba vergangene Woche lancierte, kurz bevor er zum Chef der Regierungspartei LDP gekürt wurde und am Dienstag sein Amt als neuer Premierminister Japans antrat: Ishiba forderte ein kollektives asiatisches Verteidigungsbündnis, eine Art asiatische Nato. “Was heute die Ukraine ist, könnte morgen Asien sein. Man muss nur Russland mit China und die Ukraine mit Taiwan ersetzen. Die Abwesenheit eines kollektiven Selbstverteidigungssystems wie der Nato in Asien könnte bedeuten, dass es leichter zu Kriegen kommt, weil es keine Verpflichtung zur gegenseitigen Verteidigung gibt. Unter diesen Umständen ist die Schaffung einer asiatischen Version der Nato essenziell, um China abzuschrecken“, schreibt Ishiba in einem Artikel für das Hudson Institut. 

    Nachdem sowohl die USA als auch Indien den Vorschlag zurückgewiesen hatten, ruderten der japanische Außen- und Verteidigungsminister am Mittwoch zurück. “Es ist nur eine Idee für die Zukunft”, versicherte Außenminister Takeshi Iwaya, die sich gegen kein spezifisches Land richte. 

    “Gefühl der Panik breitet sich in LDP aus”

    So wenig aussichtsreich ein solches Bündnis in naher Zukunft erscheint, verraten Ishibas Überlegungen nicht nur einiges über seine politischen Ambitionen – er möchte in der Tradition eines Shinzō Abe als außenpolitischer Visionär verstanden werden – sondern vor allem über das Gefühl der “Krise, ja Panik, die sich in Teilen der LDP ausbreitet“, sagt Jagannath Panda, der das Stockholm Center for South Asian and Indo-Pacific Affairs leitet, zu Table.Briefings. “Die Verbindung der autoritären Staaten China, Russland und Nordkorea, die allesamt in Japans Nachbarschaft liegen, ist in jüngster Zeit immer stärker geworden.”

    Zudem müsse man sich anschauen, “was zuletzt in einem Zeitraum von weniger als zwei Monaten alles passiert ist”, sagt Masahiro Matsumura, Professor an der St Andrew’s Universität in Osaka. Ein chinesisches Spionageflugzeug drang in den japanischen Luftraum ein, zwei chinesische Überwachungsschiffe durchkreuzten japanische Gewässer, der chinesische Flugzeugträger Liaoning bahnte sich seinen Weg zwischen zwei japanischen Inseln, ein russisches Militärflugzeug verletzte den japanischen Luftraum während gemeinsamer chinesisch-russischer Militärübungen. 

    Noch immer erachten sich die meisten Japaner aufgrund ihrer geografischen Lage als relativ geschützt und doch fühlen sich viele wie “der Frosch im kochenden Wasser”, der aufgrund der langsam steigenden Temperatur gar nicht merke, dass es ihm an den Kragen gehe, sagt Masahiro Matsumura. “Das chinesische Verhalten ist in den vergangenen zehn, 20 Jahren graduell aggressiver geworden.”

    Asien ist zu divers für ein starres Verteidigungsbündnis

    Er glaubt, dass Ishiba mit seinem Vorstoß versuche, sich gegen die Unsicherheit abzufedern, die die anstehende US-Wahl mit sich bringe. Das gilt vor allem für einen potenziellen Präsidenten Donald Trump, doch auch unter Kamala Harris könnte das außenpolitische Engagement der USA zurückgehen. 

    Heikel ist das, weil die Sicherheit der US-Verbündeten in Asien vor allem auf den USA beruht. Ein kollektives Verteidigungsbündnis, die SEATO, die 1954 als “pazifisches Gegenstück zur Nato” unter der Federführung der USA gegründet wurde, scheiterte. Denn schon damals galt, was die Region heute noch prägt: “Die Länder Asiens teilen keine gleiche oder ähnliche Bedrohungslage”, sagt Mansi Kumari, Professorin an der Amity University in Delhi. “Asien ist zu groß und zu divers, um einen Konsens über eine ‘asiatische Nato’ zu finden.” 

    Stattdessen bildete sich mit dem San-Francisco-System ein sogenanntes “Hub and Spokes”, ein Naben-und-Speichen-Modell heraus. Die USA sind dabei die “Nabe”, die mit den “Speichen” Japan, Südkorea, Taiwan, den Philippinen, Thailand, Australien und Neuseeland bilaterale politisch-militärische und wirtschaftliche Verpflichtungen eingehen. Seit einiger Zeit entwickelt sich dieses System zu einem sogenannten “Latticework”, einem Gitterwerk, weiter, indem pazifische Länder untereinander die bilaterale, trilaterale oder minilaterale Kooperation stärken wie etwa den Quadrilateral Security Dialogue zwischen Australien, Indien, Japan und den USA. Oder auch der trilateralen Zusammenarbeit zwischen Südkorea, USA und Japan oder verschiedene Abkommen mit den Philippinen. 

    Sicherheitslage im Indopazifik bleibt komplex

    Eine Art asiatische Nato sei auch deshalb nicht realistisch, weil sie sich gegen China richten würde, sagt Kumari Mansi. Die asiatischen Länder pflegten sehr unterschiedliche Beziehungen zu der Großmacht. Auch asiatische US-Verbündete und jene Länder, die in Territorialstreitigkeiten mit China verwickelt seien, wie Japan oder Indien, unterhielten bedeutende Handelsbeziehungen zu China. “Die Länder versuchen, ihre Interessen zu maximieren, indem sie sich im Machtkampf zwischen den USA und China möglichst auf keine Seite schlagen. Warum sollte man sich für ein Camp entscheiden, wenn man von beiden profitieren kann?” 

    Auch Ken Jimbo, Direktor des International House of Japan in Tokio, glaubt, dass die indopazifische Sicherheitsarchitektur in Zukunft eher auf flexiblen Netzwerken denn auf festen Allianzen beruhen werde. Diese Arrangements “ermöglichen größere Anpassungsfähigkeit und erlauben Ländern wie Indien und Indonesien die Zusammenarbeit, ohne dass sie ihre Prinzipien von strategischer Autonomie und Blockfreiheit aufgeben müssen.” 

    Angesichts der tektonischen geopolitischen Machtverschiebungen bleibt die Sicherheitslage im Indopazifik damit äußerst komplex und prekär. Unsicher ist bis auf Weiteres auch die politische Zukunft Shigeru Ishibas: Er hat Neuwahlen ausgerufen und muss sich am 27. Oktober der Volksabstimmung stellen. 

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    Termine

    07.10.2024, 18:00 Uhr (00:00 Uhr Beijing time)
    SOAS China Institute, Webinar: Surveillance in a Leninist regime – Understanding China’s surveillance state Mehr

    08.10.2024, 21:30 Uhr (03:30 Uhr Beijing time)
    Freeman Chair in China Studies, Webinar: Defining Success – Does the U.S. Need an ‘End State’ for its China Policy? Mehr

    09.10.2024, 10:00 Uhr (16:00 Uhr Beijing time)
    IHK Pfalz + IHK Rheinhessen, Webinar: Entsendung von Mitarbeitern – Einsätze in China Mehr

    09.10.2024, 17:00 Uhr Beijing time
    German Centre Shanghai, Expertenrunde vor Ort: Deutschsprachiger Journalismus in China – Berichten am Limit Mehr

    10.10.2024, 9:00 Uhr (15:00 Uhr Beijing time)
    Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg und e-mobil BW, vor Ort im Neckar Forum Esslingen: Zulieferertag Automobilwirtschaft BW Mehr

    10.10.2024, 11:00 Uhr (17:00 Uhr Beijing time)
    Global China Conversations, Webinar (Medienpartner: Table.Briefings): China und die Zukunft der deutschen Automobilindustrie – Wie können deutsche Hersteller im globalen Wettbewerb bestehen? Mehr

    10.10.2024, 18:30 Uhr
    Konfuzius-Institut Metropole Ruhr, Vortrag vor Ort in Duisburg: Nachhaltiges Unternehmertum aus China? Beispiele aus der Praxis Mehr

    News

    EU-Parlament: Wer der China-Delegation vorsitzt

    Freie Wähler-Europapolitiker Engin Eroglu.

    Der deutsche Europapolitiker Engin Eroglu ist neuer Vorsitzender der China-Delegation des Europaparlaments. Eroglu (Freie Wähler) wurde am Donnerstag in das Amt gewählt. Eroglu ist stellvertretender Bundesvorsitzer und Landesvorsitzender der Freien Wähler in Hessen und seit 2019 für die Partei im Europaparlament. Er hat sich in der Vergangenheit deutlich gegen Menschenrechtsverletzungen in China ausgesprochen. Im Frühjahr dieses Jahres wurde bekannt, dass Eroglu Ziel einer chinesischen Cyberattacke war. 

    “Die China-Delegation ist eine der wichtigsten Delegationen des Parlaments, und als ihr Vorsitzender werde ich natürlich daran arbeiten, die China-Diskussion im Parlament mitzugestalten”, sagte Eroglu Table.Briefings. In den vergangenen Jahren habe das Parlament eine wichtige Rolle in der Brüsseler China-Diskussion gespielt. “Eine unserer Aufgaben wird es sein, unsere China-Kompetenz weiter zu schärfen und auszubauen.”

    Als Stellvertreterin wurde Markéta Gregorová von der tschechischen Piratenpartei gewählt. Gregorová ist Mitinitiatorin der Taiwan-Freundschaftsgruppe des EU-Parlaments und sitzt auch im Handelsausschuss. Ebenfalls stellvertretender Vorsitzender ist der deutsche SPD-Europapolitiker René Repasi. Repasi war bereits in der vergangenen Amtsperiode stellvertretender Vorsitzender der Delegation. Er ist auch Vorsitzender der deutschen SPD-Abgeordneten im Europaparlament. Die China-Delegation besteht aus 38 Vollmitgliedern. Derzeit reist das Gremium nicht in die Volksrepublik, da einige Mitglieder noch unter chinesischen Sanktionen stehen. ari

    • Europäisches Parlament

    EU-Kommission: Tiktok muss sich Fragen zu Empfehlungs-Algorithmen stellen

    Tiktok, die Kurzvideo-App des chinesischen Techriesen Bytedance, muss der EU-Kommission Fragen über dessen Algorithmen und Empfehlungssysteme beantworten. Die Anfrage richte sich auch an die US-Plattformen YouTube und Snapchat, hieß es in einer Erklärung am Mittwoch. Demnach will die Brüsseler Behörde wissen, welche Sicherheitsvorkehrungen die Plattformen treffen, um die Verbreitung schädlicher Inhalte zu verhindern. Ein hochrangiger EU-Beamter bezeichnete die Untersuchung als Weckruf für die Plattformen”, ihr Verhalten zu ändern – etwa, indem sie den Nutzern erlauben, bestimmte Arten von Videos zu verbergen.

    In der Untersuchung geht es auch um die Frage, ob gefährdeten Menschen Inhalte, die Essstörungen, Depressionen und Drogenmissbrauch verherrlichen, sowie Fake News vorgeschlagen werden. Auch die Auswirkungen von Funktionen wie Autoplay und Endlos-Scrolling sollen untersucht werden. Die Kommission will außerdem von Tiktok wissen, “was das Unternehmen bisher getan hat, um Menschen davor abzuhalten, die App zu missbrauchen und die Risiken im Zusammenhang mit Wahlen und dem zivilen Diskurs zu minimieren”. Als Strafe könnten die Tech-Giganten mit Geldstrafen belegt werden.

    Die Anfrage basiert auf dem Digital Services Act (DSA). Die EU hatte im Frühjahr bereits gegen Tiktok formelle Ermittlungen eingeleitet, weil das Unternehmen mutmaßlich nicht genug für den Jugendschutz tue. Auch hier stand das Empfehlungssystem im Mittelpunkt. Im Sommer dieses Jahres zog Tiktok nach Druck aus Brüssel das umstrittene Bonusprogramm “Tiktok Lite Rewards” zurück. Mit dem Reward-Programm belohnte Tiktok Content-Interaktionen mit virtueller Währung, die gegen echte Gutscheine eintauschbar war. Die EU-Kommission argumentierte unter anderem, dass das Programm süchtig machen könne. mcl

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    Neue Schifffahrtsrouten: China patrouilliert erstmals mit Russland in der Arktis

    Die chinesische Küstenwache hat am Dienstag erstmals eine Patrouille in der Arktis unternommen. Wie chinesische Staatsmedien berichteten, fand der Vorstoß im Rahmen einer gemeinsamen Übung mit Russland statt. Vier Schiffe beider Länder seien dabei aus dem Nordpazifik in die Arktis gereist. Laut dem Staatssender CCTV erklärte Chinas Küstenwache, dass man so das “das Spektrum der Offshore-Einsätze erheblich erweitert” und “die Fähigkeit der Schiffe zur Durchführung von Missionen in unbekannten Gewässern gründlich getestet” habe.

    Russland und China arbeiten seit einer Weile an der Entwicklung von Seerouten, die sich durch die globale Erwärmung und das Abschmelzen der arktischen Eisdecke eröffnen könnten. Bislang lässt sich der nördliche Seeweg nur in den Sommermonaten befahren. Das vom Westen sanktionierte Moskau hofft auf diesem Wege, mehr Öl und Gas nach China liefern zu können, während Peking unter dem Motto einer “polaren Seidenstraße” nach alternativen Schifffahrtsrouten für die Straße von Malakka sucht, die im Falle eines Konflikts mit den USA zum Choke-Point werden könnte. Im August unterzeichneten der chinesische Ministerpräsident Li Qiang und sein russischer Amtskollege Michail Mischustin ein gemeinsames Kommuniqué, in dem sie den Ausbau der arktischen Schifffahrtsrouten vereinbarten.

    Ein Strategiebericht des Pentagons warnt ausdrücklich vor einer verstärkten chinesisch-russischen Zusammenarbeit im Polargebiet. Washington ist besorgt, da Russland seine militärische Präsenz in der Arktis in den letzten Jahren verstärkt habe, etwa indem es mehrere nach der Sowjetära aufgegebene Stützpunkte und Flugplätze wieder eröffnet und modernisiert hat. Seit der arktische Anrainerstaat Russland international isoliert ist, gewährt er China immer mehr Zu­gang zu seinen Häfen und Hoheitsgebieten. China hat mittlerweile selbst zwei Eisbrecherschiffe in Dienst gestellt und unterhält mehrere Polarstationen und Bodenstationen für Satelliten in der Region. fpe

    • Arktis
    • Militär
    • Russland

    Presseschau

    Handelsstreit mit China: Deutschland will gegen E-Auto-Strafzölle stimmen TAGESSCHAU
    Strafzölle der EU gegen Chinas E-Autos sind schlecht begründet
    FAZ
    Chinesische Autos: Fast zwei Drittel der Deutschen erwägen Kauf MORGENPOST
    Neue Vorstände: “Siemens spürt die chinesische Konkurrenz” WIWO
    Chinas Wirtschaft: Der britische Ökonom Keynes soll Pekings Probleme richten WIWO
    America is losing South-East Asia to China ECONOMIST
    CIA expands online recruitment of informants to China, Iran, North Korea REUTERS
    Deutsche Marine: “China hat ein maritimes Rüstungsprogramm von nie dagewesenem Ausmaß” WELT
    Escalating contest over South China Sea disrupts international cable system WASHINGTON POST
    Vietnam wirft China Gewalt gegen Fischer vor FAZ
    China-Comeback: Aktien von Alibaba, Baidu, Tencent & Co. gehen durch die Decke HEISE
    Keine Zukunft in der Stadt: Chinas Gen Z zieht sich wegen Jobkrise aufs Land zurück FOCUS
    US bans steel, artificial sweetener imports from Chinese companies over forced labor allegations THE HILL
    China stellt seine Raumanzüge für die Mondlandung vor GOLEM
    Importe aus China: Die US-Politik verteufelt sie – die Bevölkerung liebt sie HANDELSBLATT
    Taiwan: Tote und Verletzte durch Taifun “Krathon” TAGESSCHAU

    Blick aus China

    75 Jahre Volksrepublik: Welche schaurigen Begebenheiten in den Geschichtsbüchern fehlen

    Chinesische Geschichtsbücher sind “voll von Kannibalismus”. So lautet eine in China wohlbekannte Aussage einer Figur in einer Kurzgeschichte von Lu Xun (1881 – 1936), einem der größten chinesischen Schriftsteller aller Zeiten. Lu verwendete dies als Metapher für die Gewalt und Brutalität in der chinesischen Geschichte.

    Wie in vielen Kulturen kam es auch in der langen Geschichte der chinesischen Zivilisation zu echtem Kannibalismus. Bemerkenswert ist jedoch, dass dieser auch in der Geschichte des kommunistischen China vorkam – nicht als Gräueltaten verrückter Psychopathen, sondern in Fällen von Mensch-gegen-Mensch in Folge von selbst herbeigeführten Katastrophen und als Ausdruck von Grausamkeit in regierungsgesteuerten Kampagnen des “Klassenkampfes.”

    Die Volksrepublik China feierte am Dienstag den 75. Jahrestag ihrer Gründung. Wenn Xi Jinping die “Errungenschaften” des kommunistischen Regimes während des vergangenen Dreivierteljahrhunderts in den höchsten Tönen lobt, sollte man auch die dunklen Geschichten erzählen, die die kommunistische Partei mit größter Anstrengung zu verbergen und auszulöschen versucht hat. Die Erinnerung an die schmerzvollen Grausamkeiten der Vergangenheit müssen bewahrt werden und stets als Mahnmal an das Wesen des Regimes dienen. Dieses zeigt sich auch heute noch, beispielsweise in den unmenschlichen Corona-Lockdowns, die Leid und Tod zur Folge hatten, in Folterungen und Misshandlungen von Dissidenten und ihren Familien oder in den “Umerziehungslagern” in Xinjiang.

    Kannibalismus während der Hungersnot 1958 – 1961

    In Regierungsunterlagen fanden sich Tausende von Fällen des Verzehrs und Verkaufs von Menschenfleisch während der Zeit, die offiziell als “drei Jahre der Naturkatastrophen” bezeichnet wurde. Die Katastrophen waren in Wirklichkeit das Resultat des “Großen Sprungs nach vorn”, eines wahnwitzigen, epischen politischen Versagens unter der Führung von Mao Zedong. Laut journalistischen Recherchen und verschiedenen wissenschaftlichen Untersuchungen verhungerten in dieser Zeit mindestens 30 Millionen Menschen. In offiziellen Dokumenten wurde von Kannibalismus in mindestens sechs Provinzen berichtet.

    In einer berühmten Episode tadelte der damalige Präsident Liu Shaoqi das Versagen Maos und dessen katastrophalen Führungsstil: “Die Menschen haben sich gegenseitig aufgefressen, dafür wird man in den Geschichtsbüchern über uns schreiben!” Liu wurde später abgesetzt und starb einsam und elendig im Gefängnis.

    Den “Klassenfeind” wortwörtlich auffressen

    Die Kulturrevolution (1966 – 1976), die Mao zur Festigung seiner Macht und zur Umsetzung seiner Theorie der “kontinuierlichen Revolution” ins Leben rief, hatte die Verfolgung von zig Millionen Menschen und Gräueltaten zur Folge, deren Grausamkeiten die des sowjetischen Gulag und der Roten Khmer noch übertrafen. Vielerorts kam es im Land zu Massakern und grausamen Tötungen. Die bekanntesten Fälle ereigneten sich im Pekinger Vorort Daxing, in Daoxian in der Provinz Hunan und in Bezirken von Guangxi.

    Offiziellen Aufzeichnungen zufolge wurden zwischen 1967 und 1968 etwa 100.000 bis 150.000 “Klassenfeinde” in Guangxi ermordet oder gezwungen, sich selbst zu töten. Zu den Tötungsmethoden gehörten Enthauptung, lebendiges Begraben, Steinigung, Ertränken, Verbrühen und Ausweiden. In mehr als 30 Bezirken sollen Menschen verspeist worden sein, um die Ermordeten weiter zu peinigen. Tausende von Menschen sollen sich an dem Verzehr von zwischen 100 und 400 Menschen beteiligt haben.

    Viele weitere Geschichten über Grausamkeiten

    In den Entscheidungsschlachten des Bürgerkriegs zwischen den Kommunisten und den Nationalisten von Chiang Kai-shek belagerte Mao Zedongs Volksbefreiungsarmee von Juni bis Oktober 1948 die strategisch wichtige Stadt Changchun im Nordosten und raffte so mindestens 100.000 Menschen in den Hungertod.

    Außerhalb Chinas ist der bekannteste Fall kommunistischer Grausamkeit das Tiananmen-Massaker von 1989. Gemessen an der Zahl der getöteten Menschen und dem Ausmaß der Brutalität war dies jedoch ein vergleichsweise kleiner Vorfall. In jeder der zahllosen politischen Kampagnen, die bis vor der Gründung des Neuen China zurückreichen, wurden Tausende bis Millionen von Menschen misshandelt, verfolgt oder hingerichtet.

    Strikte Überwachung der offiziellen Archive

    Einige wichtige historische Dokumente des kommunistischen Chinas wurden von der Regierung oder von Politikern und ihren Verwandten, wie von der Ehefrau des verstorbenen Ministerpräsidenten Zhou Enlai, absichtlich und systematisch vernichtet. Zhou selbst ließ auch einen Bericht über die Zahl der Hungertoten in den Jahren 1958 bis 1961 vernichten, wie Yang Jisheng, ein regimekritischer Journalist der Nachrichtenagentur Xinhua und Autor eines Buches über die Hungersnot, berichtet. Das Buch ist natürlich in China verboten.

    Chinas Kommunisten wussten schon immer um die Macht der Narrative und wie wichtig es ist, die Kontrolle über Informationen zu haben. Zwar gelingt es Forschern und Journalisten auf verschiedenen Wegen, Zugang zu den offiziellen Archiven zu erhalten. Diese sind jedoch in der Regel streng überwacht und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.

    Die “korrekte Erinnerung” an die Geschichte

    Gegen Ende der Corona-Lockdowns erkannten die Regierungsvertreter bereits, dass die Maßnahmen ein Misserfolg und äußerst unbeliebt waren. Während sie die offiziellen Propagandamaschinen klammheimlich anwiesen, nicht mehr über die Corona-Zeit zu sprechen, arbeitete die Regierung eine selbst beweihräuchernde Zusammenfassung ihres “Erfolgs” bei der Bekämpfung der Pandemie aus. Dies solle der Öffentlichkeit helfen, “das korrekte kollektive Gedächtnis” über diese Zeit zu bilden, sagte die Sprecherin des Außenministeriums Hua Chunying.

    Die “korrekte Erinnerung” soll verdeutlichen, wie großartig die Partei und ihre Führer waren und sind. Und tatsächlich haben die Kontrolle der Informationen durch die Partei und ihre Zwangsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Chinesen nichts über die wahren Taten der kommunistischen Partei aus der Vergangenheit und der Gegenwart wissen oder sie nicht kennen wollen. Auch das Wirtschaftswunder des Landes half der Partei, ihr eigenes Narrativ zu verbreiten. Doch die wahre Geschichte darf niemals in Vergessenheit geraten.

    • Geschichte
    • Gesellschaft
    • Tiananmen-Massaker
    • Xi Jinping
    • Xinhua

    Personalien

    Volker Krupa ist seit September Manager in der Transportlogistik bei Mercedes-Benz China. Krupa war zwischen September 2019 und Januar 2023 schon einmal für Daimler in China. Zuletzt war der Diplom-Ingenieur jedoch für den deutschen Autobauer im Qualitätsmanagement in Mexiko tätig.

    Evian Gu ist seit August General Manager im Shanghaier Büro von Messe Düsseldorf. Gu ist seit mehr als neun Jahren für den Veranstalter tätig, zuletzt als Division Director, ebenfalls in Shanghai.

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    Dessert

    Etwas überreif ist dieser Käse, der in einem bronzezeitlichen Grab im nordwestchinesischen Xiaohe gefunden wurde. Die gut 3.500 Jahre alten Käsenuggets waren schon vor zwei Jahrzehnten an den Hälsen dreier Mumien entdeckt worden. Doch erst jetzt konnten Forscher von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften mit neuesten wissenschaftlichen Methoden Fakten schaffen. Sie fanden in den Proben Hinweise auf Ziegen- und Kuhmilch und identifizierten das Endprodukt als eine Art frühzeitlicher Kefir. Das verwundert, den das Volk der Xiaohe war genetisch bedingt laktoseintolerant. Durch gezielte Fermentation konnten sie Milch und Käse aber offenbar bekömmlich genug machen, um sie in die Ernährungsgewohnheiten zu integrieren.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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