bei Seltenen Erden und chemischen Vorprodukten für Medikamente sind unsere Fehler und Risiken bei der Abhängigkeit von China bekannt. Weniger bekannt ist unsere Abhängigkeit von Cellulosenitrat. Dabei handelt es sich um einen unabdingbaren Bestandteil für die Herstellung von Munition, der aus Baumwolle gewonnen wird. Deshalb nennt man den Rohstoff auch Schießbaumwolle.
Die Abhängigkeit von diesem Rohstoff, der zu 70 Prozent aus China importiert wird, hat gleich mehrere besorgniserregende Dimensionen. Will die EU der Ukraine wie versprochen mehr Munition liefern, kann sie auf die Schießbaumwolle aus China nicht verzichten. Das ist heikel, da Peking bekanntlich ein enger Verbündeter Moskaus ist und die Lieferung für den Grundstoff jederzeit aus politischen Gründen stoppen könnte. Das andere Problem für die EU besteht darin, dass die Baumwolle vor allem aus Xinjiang stammt, wo sie aller Wahrscheinlichkeit nach in Zwangsarbeit hergestellt wird. Ein Dilemma, aus dem es nur unbefriedigende Auswege gibt, wie Michael Radunski berichtet.
Im Streit um die EU-Strafzölle auf E-Autos hat Peking unterdessen mit einer weiteren Drohgebärde regiert. Einen Tag nachdem die EU-Kommission die Zusatzzölle auf chinesische E-Fahrzeuge festgesetzt hat, hat das chinesische Handelsministerium eine Anti-Subventionsuntersuchung zu aus der EU importierten Milchprodukten wie Milch und Käse eingeleitet.
Größter Betroffener der möglichen Strafzölle auf die betreffenden Milchprodukte wäre Frankreich. Als Treiber der EU-Zölle auf die chinesischen E-Autos ist das Land wohl nicht zufällig ins Fadenkreuz Pekings geraten. Auf Platz zwei der Leidtragenden stünden derzeit Italien und Dänemark. Aber auch die deutschen Erzeuger sind besorgt, berichtet Amelie Richter.
Es gibt viele unterschiedliche Sichtweisen auf den Krieg in der Ukraine. In einem Punkt sind sich jedoch fast alle Experten einig: Die Ukraine braucht für ihre Verteidigung dringend mehr Munition. Während die Hilfe aus den USA wegen des Wahlkampfes aktuell unsicher ist, will Europa liefern – und baut dafür sogar neue Produktionsstätten.
Neben Munitionsfabriken fehlt es dazu allerdings auch am nötigen Rohstoff für Munition, der sogenannten Schießbaumwolle. Das Problem: Europa ist zu einem Großteil abhängig – ausgerechnet von dem mit Russland so eng verbündeten China.
Aus der Volksrepublik importieren die europäischen Hersteller einen unabdingbaren Bestandteil für Munition – Cellulosenitrat, umgangssprachlich auch Nitrocellulose oder Schießbaumwolle genannt – beziehungsweise dessen Vorprodukt Linter-Baumwolle.
Linters sind Baumwollfasern, die zu kurz sind zum Verspinnen. Auf der Internetseite des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall heißt es: “Für militärische Anforderungen wird eine gleichmäßig nitrierte Nitrocellulose aus gebleichter Linters-Baumwolle benutzt oder alternativ Mischungen aus zwei bis drei verschiedenen nitrierten Nitrocellulose Typen.”
Nun verfügt Europa aber nur über eine sehr kleine Baumwollindustrie – im Gegensatz zu den USA. Die EU muss also im Ausland einkaufen. Europa importiere rund 70 Prozent dieser Fasern aus China, räumte Rheinmetall-Chef Armin Papperger unlängst in der britischen Zeitung “Financial Times” ein. Seine Befürchtung: China könnte die Lieferung von Lintern jederzeit aus politischen Gründen stoppen.
Das ist kein völlig abwegiger Gedanke. Immer wieder setzt China gezielt seine Handelsmacht ein, um politische Ziele durchzusetzen. Mal werden bestimmte Produkte nicht mehr exportiert, mal schlicht nicht mehr importiert. Länder wie Südkorea, Japan, aber auch Litauen oder Frankreich können von solchen Vorgängen berichten.
Auch die Bundesregierung hat die Gefahr möglicher Beschränkungen erkannt und klar in ihrer China-Strategie benannt. Die Lösung: De-Risking. Doch nun droht eine Art mehrfacher Treppenwitz der Geschichte. Denn um das Munitionsproblem schnell zu lösen, muss der Westen gleich drei seiner Vorhaben gegenüber China aufgeben – zumindest vorübergehend.
Aber De-Risking ist ein Prozess, der Zeit braucht. Etwas, das Europa im Fall der fehlenden Munition nicht hat. Als “dramatisch” bezeichnete denn auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell die Lage. Der Ukraine gehe an der Front die Munition aus, vor allem Artilleriegeschosse, warnte Borrell. Und die EU könne nicht im Entferntesten die Mengen an Munition liefern, die sie eigentlich versprochen hatte.
Nun ist der Plan, die Produktion der wichtigsten Nato-Artilleriekaliber bis Ende 2024 auf 1,5 Millionen Stück pro Jahr zu erhöhen. Dafür sollen zügig Munitionsfabriken gebaut werden. Bundeskanzler Olaf Scholz übernahm eigens den Spatenstich einer Rheinmetall-Fabrik in Niedersachsen, Wirtschaftsminister Robert Habeck prüft kürzere Genehmigungsverfahren. Aber das alles kostet nicht nur Zeit. Sondern es braucht eben auch die nötigen Rohstoffe aus China.
Und da drohen laut Papperger eben Probleme, falls Peking entscheiden sollte, nicht mehr liefern zu wollen. “Das ist der Grund, dass wir derzeit so viel kaufen wie möglich, um unsere Lager zu füllen”, sagte der Rheinmetall-Chef der FT. Bislang würden die Lieferungen aus China zwar eintreffen. “Der Punkt ist aber, dass Europa langfristig unabhängig sein sollte”, warnt der Rheinmetall-Chef.
Anderorts werden schon jetzt Lieferprobleme beklagt. So berichtete unter anderem EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton von ersten Importproblemen. Die Lieferung von Baumwoll-Lintern aus China sei “vor ein paar Monaten wie zufällig” eingestellt worden, sagte Breton. Mitte August setzte Peking zudem das häufig in Munition und anderen militärischen Anwendungen verwendete Metall Antimon unter Exportkontrollen, ähnlich jenen für die Metalle Gallium und Germanium, für deren Ausfuhr chinesische Exporteure seither Lizenzen beantragen müssen.
Chinesische Experten räumen in der Hongkonger Zeitung South China Morning Post ein, dass China durchaus Spielraum habe, aus geopolitischen Gründen den Export von Nitrozellulose zu reduzieren – fügen aber sofort hinzu, dass die Führung in Peking dies jedoch nicht als Druckmittel einsetzen werde.
EU-Binnenmarktkommissar Breton bringt die aktuelle Lage ernüchtert auf den Punkt: “Um das Pulver herzustellen, benötigen wir einen speziellen Typ von Baumwolle, und das meiste davon kommt aus China.” Doch von wo in China? Hier liegt schon das nächste Problem. Nahezu 90 Prozent der chinesischen Baumwolle stammt aus der Provinz Xinjiang, wo die muslimische Minderheit der Uiguren unterdrückt wird.
Adrian Zenz ist durch seine Xinjiang-Forschung berühmt geworden. Einst deckte er das umfassende chinesische Lagersystem in der Region auf. Nun warnt der Wissenschaftler der Victims of Communism Memorial Foundation in Washington, dass Hunderttausende Uiguren zwangsweise in Xinjiangs Baumwollindustrie tätig sind.
Im Kampf gegen Zwangsarbeit versucht der Westen mittels entsprechender Lieferkettengesetze sicherzustellen, dass solche Waren nicht mehr in Europa oder den USA verkauft werden. Und so steht Europa vor einem politischen und einem wirtschaftlichen, auch noch vor einem moralischen Dilemma: Um schnell Munition für die Ukraine herstellen zu können, braucht man chinesische Linter-Baumwolle. Aber es ist fast unvermeidlich, dass in China produzierte Nitrozellulose letztendlich aus Xinjiang geliefert wird.
Einen Tag nachdem die EU-Kommission Zusatzzölle auf chinesische E-Fahrzeuge festgesetzt hat, reagiert Peking: China hat eine Antisubventions-Untersuchung zu aus der Europäischen Union importierten Milchprodukten eingeleitet. Das teilte das chinesische Handelsministerium am Mittwoch in einer Erklärung mit.
Die chinesischen Behörden zielen unter anderem auf:
Als Folge drohen Strafzölle auf die entsprechenden Waren aus der EU, teilte das Ministerium mit. Untersucht werden die Subventionen demnach im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik der EU-Staaten sowie nationale Programme in Irland, Österreich, Belgien, Italien, Kroatien, Finnland, Rumänien und Tschechien, die in der Mitteilung einzeln aufgezählt wurden.
Nach offiziellen Angaben geht das Vorgehen auf eine Beschwerde chinesischer Hersteller von Milchprodukten zurück. Vergangene Woche habe es auch Unterredungen zu dem Thema mit EU-Vertretern gegeben. Die Untersuchung soll innerhalb von zwölf Monaten abgeschlossen werden, könnte aber um weitere sechs Monate verlängert werden.
Der Schritt gilt als weitere Drohgebärde im Streit um EU-Strafzölle auf E-Autos. Die EU-Kommission hatte am Dienstag die Zollsätze für Fahrzeuge aus China festgesetzt. Sie betragen bis zu 36,3 Prozent und werden spätestens Ende Oktober für vorerst fünf Jahre in Kraft treten.
Größter Betroffener der möglichen Strafzölle auf die bestimmten Milchprodukte wäre Frankreich – das auch als Treiber der EU-Zölle auf die E-Autos aus China gilt. Frankreich ist innerhalb der EU im laufenden Jahr der größte Exporteur von Milchprodukten in die Volksrepublik, wie aus chinesischen Zolldaten hervorgeht. Auf Platz zwei folgen bisher in 2024 Italien und Dänemark. Im Jahr 2023 beliefen sich die französischen Milchprodukte-Exporte nach China auf 665 Millionen Euro, was rund acht Prozent des weltweiten Milchproduktabsatzes Frankreichs ausmacht. Die Säuglingsmilch rausgerechnet sinkt der Exportumsatz auf 386 Millionen Euro.
Auch für die deutsche Agrarbranche ist der Milchmarkt in China wichtig: Vergangenes Jahr wurden 294.000 Tonnen Milch und Milcherzeugnisse – ohne Käse und Butter – in die Volksrepublik exportiert. Mit 386 Millionen Euro Warenwert war das der höchste Posten innerhalb deutscher Agrar-Ausfuhren nach China. Fast die Hälfte davon machten laut Bundesregierung frische Konsum- und Verarbeitungsmilch aus.
Der deutsche Milchindustrie-Verband äußerte am Mittwoch Besorgnis: “China ist global weiter ein wichtiger Importeur von deutschen Milchprodukten und -zutaten, trotz einer wachsenden chinesischen Erzeugung”, teilte der Verband Table.Briefings mit.
Zwischen Deutschland und China hätten sich im Laufe der Jahre zuverlässige und vertrauensvolle Handelsbeziehungen entwickelt. “Es sollte daher für beide Seiten das Ziel sein, dass der Milch- und Lebensmittelsektor nicht in unangemessener Weise in den noch laufenden Industriestreit zwischen China und der EU über Elektrofahrzeuge und verwandte Technologien in Mitleidenschaft gezogen wird”, so der Verband, der rund 90 Milchverarbeitende Unternehmen in Deutschland vertritt. An die Politik gab es klare Forderungen: “Wir erwarten von der deutschen Bundesregierung und der Europäische Kommission, dass sie sich auf höchster Ebene für eine rasche Beilegung dieses Streits einsetzen.”
Von den Ländern, in welchen Peking die staatlichen Subventionsprogramme unter die Lupe nehmen will, hatten im Juli lediglich Italien und Belgien für die EU-Zusatzzölle auf E-Autos gestimmt. Irland, Österreich, Kroatien, Finnland, Rumänien und Tschechien hatten sich enthalten.
Nach Angaben aus EU-Kreisen sind noch Verhandlungen mit Peking möglich, um die Zölle auf E-Autos abzuwenden. Bislang hatten diese Gespräche kein Ergebnis gebracht. Der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange (SPD), sieht noch “Zeit für konstruktiven Dialog und eine gemeinsame Lösung“. Die höheren Zölle würden “noch nicht erhoben und werden auch nicht rückwirkend gelten”, erklärte er. Es werde nun weitere Gespräche mit den Unternehmen und Verhandlungen mit der chinesischen Seite “über den möglichen Abbau von illegalen Subventionstatbeständen” geben.
Die EU-Kommission hatte die Zusatzzölle im Juni angekündigt. Peking hatte damals bereits mit einer Antisubventions-Untersuchung auf Schweinefleisch aus der EU reagiert. Hier wären vor allem Spanien, die Niederlande und Dänemark betroffen. Und bereits seit Januar untersuchen die chinesischen Behörden außerdem mutmaßlich unzulässige Subventionen auf europäischen Weinbrand wie Cognac – was wie der Käse ebenfalls am härtesten Frankreich treffen würde.
Laut Daten der EU-Generaldirektion für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung der Europäischen Kommission exportierte die EU im Jahr 2023 Milchprodukte im Wert von 1,7 Milliarden Euro nach China. Das ist weniger als im Vorjahr, wo es noch rund zwei Milliarden Euro waren. Mit zwölf Prozent Anteil kommen Milchprodukte damit auf Platz drei der meist exportierten Agrar-Produkte aus der EU nach China. Schweinefleisch macht 17 Prozent aus, Getreide 19 Prozent.
China hatte 2023 insgesamt 2,6 Millionen Tonnen Milchprodukte importiert, gut zwölf Prozent weniger als im Vorjahr. Auch die Importe von Milchpulver sowie flüssiger Milch und Sahne sind im Vergleich zu den Vorjahren gefallen. Milchpulver, etwa solches für Babynahrung, fällt nicht in die nun angekündigte Antisubventions-Untersuchung.
Zwar hat China wegen etwaiger Lebensmittelskandale immer noch Bedarf an importiertem Milchpulver. Wegen der zunehmend sicheren heimischen Produktion und sinkender Nachfrage durch Geburtenrückgang, sinkt die Einfuhr – zuletzt um 38 Prozent. Indes steigen die Nachfrage nach ausländischen Joghurt- und Molkeprodukten. Den größten Marktanteil bei Milchprodukten in China hält Neuseeland, mit gut 48 Prozent 2023.
Die Kommission erklärte am Mittwoch, dass sie die Untersuchung zur Kenntnis nehme. Das Verfahren werde “sehr genau” analysiert. “Die Kommission wird die Interessen der EU-Milchindustrie entschieden verteidigen“, hieß es. Bei Bedarf werde auch ein Eingreifen nicht ausgeschlossen, um sicherzustellen, dass die Untersuchung den WTO-Regeln entspricht.
Die EU-Handelskammer in China zeigte sich am Mittwoch wenig bewegt von dem Schritt: Pekings Vorgehen “sollte nicht als Überraschung betrachtet werden”. “Bedauerlicherweise wird der Einsatz handelspolitischer Schutzinstrumente durch eine Regierung zunehmend von der anderen Regierung mit gleicher Münze erwidert”, teilte die EU-Kammer mit und fügte hinzu, sie hoffe, die Untersuchung werde “fair und transparent durchgeführt”.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte in dieser Woche bei einer Veranstaltung in Spanien betont, dass die EU “nicht naiv sein” dürfe und ein Handelskrieg “vielleicht unvermeidlich” sei.
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC hat ihren größten börsennotierten Kunden in Festlandchina, die Bank of China, an den Konkurrenten EY verloren. Die staatseigene Bank hatte noch im März angekündigt, PwC bis 2024 erneut zum Abschlussprüfer zu ernennen – doch in einem am Montag eingereichten Bericht hieß es, sie wolle stattdessen EY beauftragen. Die Entscheidung werde den Aktionären zur Genehmigung vorgelegt, hieß es.
PwC war einst die führende Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in China. Mittlerweile kämpft sie mit einer zunehmenden Abwanderung von Kunden. Mindestens 50 chinesische Firmen, darunter viele Staatsunternehmen und Finanzinstitute, haben PwC in den letzten Monaten entweder als Wirtschaftsprüfer abgewählt oder ihre Pläne, die Firma zu beauftragen, storniert, wie eine Untersuchung der Nachrichtenagentur Reuters zeigt.
Nach Berechnungen des chinesischen Finanzdienstes Wind hat PwC zuletzt rund zwei Drittel seines Prüferumsatzes mit börsennotierten staatlichen Firmen auf dem chinesischen Festland verloren – das entspricht umgerechnet rund 80 Millionen US-Dollar. Bis zur Hälfte der rund 2000 Stellen im Bereich Finanzdienstleistungen könnten laut Reuters bei PwC in China gestrichen werden.
Hintergrund sind Vorwürfe, dass PwC schwerwiegende Fehler bei der Bilanzprüfung des chinesischen Immobilienunternehmens Evergrande unterlaufen seien. Der Kollaps von Evergrande hatte in China für eine eskalierende Immobilienkrise gesorgt. PwC war bis 2023 fast 14 Jahre lang Prüfer von Evergrande gewesen. Die chinesischen Behörden beschuldigen Evergrande, die Bilanzen in den Jahren 2019 und 2020 künstlich aufgebläht zu haben. In diesem Zusammenhang wird nun auch untersucht, inwiefern und warum PwC mögliche Bilanzmanipulationen übersehen und die Abschlüsse von Evergrande allzu bedenkenlos durchgewunken habe.
Mindestens seit April haben die Aufsichtsbehörden mehrere große staatliche Kunden von PwC aufgefordert, den Wirtschaftsprüfer fallen zu lassen, berichtet Reuters. Sie raten zudem, dass staatliche Firmen und börsennotierte Unternehmen “extrem vorsichtig” sein sollten, wenn es um die Einstellung von Wirtschaftsprüfern geht, die in den letzten drei Jahren Geldstrafen oder andere Sanktionen erhalten haben. . rtr/fpe
Wie das “Manager Magazin” unter Berufung auf Insider berichtet, will der E-Autobauer BYD die Zusammenarbeit mit dem schwedischen Importeur Hedin in Deutschland beenden. Demnach plant das Unternehmen den Vertrieb ab dem 1. Oktober selbst zu organisieren. BYD hatte den europäischen Vertrieb mit Hedin als Partner im Sommer 2022 begonnen. In Deutschland unterhielt Hedin Vereinbarungen mit sechs Händlergruppen, um den Vertrieb und Service für BYD zu gewährleisten. Außerdem hatte Hedin eigene Niederlassungen aufgebaut.
Ein Sprecher von BYD erklärte gegenüber dem Manager Magazin, es sei noch zu früh, “um solche Prozesse zu kommentieren”. Es gilt jedoch als gesichert, dass BYD – mittlerweile der führende E-Autobauer in China – mit den Verkaufszahlen unzufrieden ist. 2023 wurden in Deutschland gerade einmal 4.139 Autos zugelassen, was einem Marktanteil von 0,1 Prozent entspricht. Offiziell plant BYD, hier bis 2026 120.000 Autos zu verkaufen. Um die Zügel anzuziehen, wurde der bisherige Europa-Chef Michael Shu im Mai durch die Managerin Stella Li ausgetauscht, die als Nummer zwei hinter BYD-Gründer und Präsident Wang Chuanfu gilt.
Stella Li habe sich von Hedin ausgebremst gefühlt, meldet das Manager Magazin. Hedin habe zu wenig Erfahrung und Strahlkraft als Handelspartner für Elektroautos oder Premiummarken mitgebracht. Bislang war das Unternehmen vor allem in Schweden aktiv. Li plane deshalb, eine “National Sales Company” aufzubauen, die ab Oktober mit deutlich mehr Händlern als Hedin zusammenarbeiten soll. Auch der Direktvertrieb über das Internet, wie er auch in China üblich ist, solle eine größere Rolle spielen. Für Hedin habe sich die Zusammenarbeit wiederum nicht gerechnet, heißt es in dem Bericht des Manager Magazins weiter. Zudem beklage das schwedische Unternehmen, dass BYD monatelang Zahlungen zurückgehalten habe. fpe
Die Einreise in die Volksrepublik China wird für ausländische Diplomaten aus Hongkong künftig erschwert. Das chinesische Außenministerium hat die Konsulate in der Sonderverwaltungszone darüber informiert, dass es künftige Grenzübertritte zu Dienstzwecken nach Macau und Teile der Provinz Guangdong genehmigen will. Das berichtet das Onlineportal Hong Kong Free Press (HKFP), dem entsprechende Schreiben der chinesischen Behörden vorliegen.
In Zukunft sollen die Mitarbeitenden der Konsulate zehn Tage vor ihrer Dienstreise erläutern, was der Anlass für ihren Aufenthalt in der Great Bay Area (GBA) oder in Macau ist, um grünes Licht von den chinesischen Behörden zu erhalten. Detailliert sollen sie schildern, welche Orte sie zu welchem Zeitpunkt besuchen und wen sie dabei treffen wollen. Bislang reichte für solche Reisen der Antrag auf ein Arbeitsvisum, das für gewöhnlich innerhalb weniger Tage ausgestellt wird. Zur Einreise nach Macau genügte bereits ein Diplomatenpass.
Von HKFP zitierte Diplomaten fürchten, dass die detaillierten Informationen die Möglichkeiten für konsularische Aktivitäten verengen wird. Bei heiklen Anlässen könnten potenzielle Gesprächspartner in den besuchten Regionen auf den persönlichen Austausch verzichten. grz
China hat im ersten Halbjahr 2024 nur noch 14 neue Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von 10,3 Gigawatt genehmigt. Wie eine neue Erhebung von Greenpeace Ostasien zeigt, wurden somit 80 Prozent weniger neue Kohlekraftwerke genehmigt als im ersten Halbjahr 2023. Die beiden vergangenen Jahre hatte China zusammengerechnet fast 200 Gigawatt an neuer Kohlekraftwerkskapazität genehmigt. Gao Yuhe, der Projektleiter von Greenpeace Ostasien, hofft, dass der Einbruch bei den Genehmigungen “vielleicht einen Wendepunkt” darstellt.
2023 stieg der Kohleverbrauch in der Volksrepublik noch um sechs Prozent an. Die Internationale Energieagentur (IEA) geht dennoch davon aus, dass China in den kommenden Jahren einen Höchststand beim Kohleverbrauch erreichen und die Nachfrage dann absinken wird. Schon heute kann der schnelle Zubau erneuerbarer Energien einen Großteil der zusätzlichen Stromnachfrage decken. nib
Deutschland rühmt sich gerne, Weltmeister beim Thema Kreislaufwirtschaft zu sein. Vom Sortieren der Verpackungen in privaten Haushalten über das Glasflaschenpfandsystem bis hin zu beeindruckenden Recyclingraten bei Metallen und Papier. “Made in Germany” heißt auch: Abfälle von heute sind die Rohstoffe von morgen. China hingegen fällt in der öffentlichen Wahrnehmung mit Luftverschmutzung und Abfallbergen auf, auch mit Zugriff auf strategische Rohstoffe.
Unser Beitrag setzt einen Kontrapunkt: Deutschland kann beim Übergang zur Circular Economy eine Menge von China lernen! In den folgenden Bereichen liegt China vorn, was das Zusammenspiel von Politik und Unternehmen betrifft.
China konnte seit 1990 seine Ressourcenproduktivität mehr als verdoppeln. Heißt: mehr Wachstum mit weniger Rohstoffeinsatz. In Deutschland wie in der EU hingegen stagniert beides. Das angestrebte Ziel der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, ein Anstieg um 40 Prozent bis 2020, wurde deutlich verfehlt.
Warum? China hatte zum einen über Jahre hinweg zweistellige Wachstumsraten zu verzeichnen – mit Zunahme von Umweltverschmutzung und Dynamik bei Dienstleistungen. Dennoch hat China seine Wirtschaft vom Rohstoffverbrauch entkoppelt. Pro Wachstumsprozenten müssen immer weniger Rohstoffe eingesetzt werden. Steigende Trends gab es bei der Wiederverwertung von Abfallstoffen und dem Einsatz von Sekundärmaterialien.
Lernziel Deutschland: endlich Ernst machen mit der Erhöhung der Rohstoffproduktivität. Der aktuelle Entwurf der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie geht im Einklang mit EU-Zielen voran. Der Anteil der Sekundärrohstoffe an der Gesamtheit aller genutzten Rohstoffe soll sich bis zum Jahr 2030 verdoppeln. Gut so, Deutschland kann lernen und machen.
Weite Teile der chinesischen Produktion erfolgen in großen Netzwerken von Unternehmen, dort als “Industrieparks” bezeichnet. Hinzu kommen seit Jahren öko-industrielle Netzwerke. Dort werden nahtlose Übergänge von Innovationen zu Demonstrationsprojekten, von der Nischenproduktion hin zu Massenmärkten, kreiert. Experimente werden durchgeführt, vergleichend ausgewertet und hochskaliert.
Hochskalieren funktioniert in China besser als in Deutschland. Dazu gehören eine robuste Finanzierung und eine gesteuerte Marktentwicklung durch Quoten für das Inverkehrbringen und die Abnahme neuer Produkte. Der Siegeszug der Elektromobilität mag als Beispiel dienen. Neuere Ansätze entwickeln Roadmaps zur Transformation existierender Industrieparks.
Lernziel Deutschland: eine missionsorientierte Innovationspolitik mit ESG-Top-Performern für die klimaneutrale Kreislaufwirtschaft von morgen. Also im Einklang mit Mariana Mazzucato, dem Fraunhofer ISI und der Zukunftsstrategie der Bundesregierung ein sektor- und fachressortübergreifender Ansatz, um durch Generierung und Anwendung von Wissen und Innovation ambitionierte und klar formulierte Ziele zu erreichen, die drängende gesellschaftliche Herausforderungen betreffen.
In China gibt es für alle Produktionsbereiche messbare Indikatoren und technische Standards, die in Fünfjahresplänen und Politiken kontinuierlich erhöht werden. Diese dynamische Standardsetzung ist Deutschland nicht fremd. Nur: sie wird zu selten systematisch vorwärtsgetrieben. Lobbyinteressen auf der EU-Ebene spielen dabei leider eine unrühmliche Rolle.
Die Ökodesign-Richtlinie könnte den Weg weisen. Von China lernen hieße hier, aus ehrgeizigen Zielen für die Gesamtwirtschaft, Industriebereiche und Produktgruppen konkrete Indikatoren und dynamische Ziele für Unternehmen und Produktionsprozesse abzuleiten.
Lernziel Deutschland: Kreislaufführung bei Baustoffen, biogenen Rohstoffen wie Holz, bei Fahrzeugen und Batterien, erneuerbaren Energietechnologien, Kunststoffen, Bekleidung und Textilien, Informations- und Kommunikationstechnik und Elektrogeräten. Also eine Aufgabe für nahezu alle Unternehmen und für die Wertschöpfungsketten von morgen.
Damit ist nicht gesagt, dass die Circular Economy in China ein Selbstläufer ist. Zwischen den Provinzen bestehen erhebliche Unterschiede. Die Rolle des Konsums wird wenig adressiert. Eine Vergabe von Sozialpunkten für tugendhaftes Abfallverhalten wie in Shanghai sollte man als Reallabor für neue Lebensstile kritisch sehen. Erst recht im Einklang mit unseren Grundwerten von Demokratie, Vielfalt und Rechtsstaatlichkeit.
Zweifelsohne steht China selbst vor gewaltigen Herausforderungen. Über Jahrzehnte hinweg sind die CO₂-Emissionen nahezu unaufhaltsam angestiegen. Nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur und etlichen Insidern ist der Scheitelpunkt jedoch erreicht. Kein Land investiert weltweit mehr in erneuerbare Energien als China. Die Circular Economy wird weiterentwickelt zum Motor der Klimaneutralität. Die Chinastrategie der Bundesregierung benennt angesichts des Systemwettbewerbs den Klimaschutz als eines der wenigen Felder, in denen eine Kooperation angestrebt wird.
Eine aktuelle Studie für den China Council for International Cooperation on Environment and Development (CCICED) soll einen Dialog vorbereiten, durch den China die Vorteile der deutschen Kreislaufwirtschaftsstrategie nähergebracht werden sollen. Vieles spricht dafür, künftige Dialoge auf Augenhöhe zu sehen. Deutschland kann beim Übergang in eine Circular Economy von China lernen. Beide können auch bei kritischen Rohstoffen zusammenarbeiten, indem das Tracking dieser Stoffe im Produktkreislauf erleichtert und ihr Zurückholen ermöglicht wird. China spricht selbst von einer künftigen “ökologischen Zivilisation” – auch dies ist eine Einladung zum Nachdenken für uns.
Raimund Bleischwitz ist wissenschaftlicher Direktor am Leibniz Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) und Professor für Globale Nachhaltige Ressourcen an der Universität Bremen. Seit vielen Jahren arbeitet er zur Circular Economy mit der Shanghai Jiao Tong University sowie Kolleginnen und Kollegen in China und hat zum Thema unter anderem die Europäische Kommission und die britische Regierung beraten.
Stefan Pötzl ist seit August President Sales and Marketing bei Saic Volkswagen. Pötzl war zuvor für zwei Jahre bei Audi China im Retail Business Development und Marketing tätig. Für seinen neuen Posten wechselt er von Peking nach Shanghai.
Anke Schrader ist seit dem 1. Juli China Director des Economist Corporate Network in Peking. Sie lebt seit mehr als 14 Jahren in der Stadt. Dort war sie unter anderem drei Jahre beim Consultingunternehmen PwC tätig.
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Sieht so der Kinobesuch der Zukunft aus? Unter VR-Brillen sehen zwei Besucherinnen in Hangzhou den Zeichentrickfilm “Crayon Shin-chan: Me and the Professor on Summer Vacation” – der erste abendfüllende Anime-Blockbuster, der vollständig für die immersive Technologie der virtuellen Realität konzipiert wurde. Die Anfang der Neunziger erstmals gesendete japanische Manga-Reihe um den vorlauten fünfjährigen Shin-chan ist in China ein Dauerbrenner. Neben den VR-Vorstellungen startete am vergangenen Samstag ganz offiziell der 31. Teil der Reihe in den regulären chinesischen Kinos. Titel: “New Dimension! Flying Sushi.”
bei Seltenen Erden und chemischen Vorprodukten für Medikamente sind unsere Fehler und Risiken bei der Abhängigkeit von China bekannt. Weniger bekannt ist unsere Abhängigkeit von Cellulosenitrat. Dabei handelt es sich um einen unabdingbaren Bestandteil für die Herstellung von Munition, der aus Baumwolle gewonnen wird. Deshalb nennt man den Rohstoff auch Schießbaumwolle.
Die Abhängigkeit von diesem Rohstoff, der zu 70 Prozent aus China importiert wird, hat gleich mehrere besorgniserregende Dimensionen. Will die EU der Ukraine wie versprochen mehr Munition liefern, kann sie auf die Schießbaumwolle aus China nicht verzichten. Das ist heikel, da Peking bekanntlich ein enger Verbündeter Moskaus ist und die Lieferung für den Grundstoff jederzeit aus politischen Gründen stoppen könnte. Das andere Problem für die EU besteht darin, dass die Baumwolle vor allem aus Xinjiang stammt, wo sie aller Wahrscheinlichkeit nach in Zwangsarbeit hergestellt wird. Ein Dilemma, aus dem es nur unbefriedigende Auswege gibt, wie Michael Radunski berichtet.
Im Streit um die EU-Strafzölle auf E-Autos hat Peking unterdessen mit einer weiteren Drohgebärde regiert. Einen Tag nachdem die EU-Kommission die Zusatzzölle auf chinesische E-Fahrzeuge festgesetzt hat, hat das chinesische Handelsministerium eine Anti-Subventionsuntersuchung zu aus der EU importierten Milchprodukten wie Milch und Käse eingeleitet.
Größter Betroffener der möglichen Strafzölle auf die betreffenden Milchprodukte wäre Frankreich. Als Treiber der EU-Zölle auf die chinesischen E-Autos ist das Land wohl nicht zufällig ins Fadenkreuz Pekings geraten. Auf Platz zwei der Leidtragenden stünden derzeit Italien und Dänemark. Aber auch die deutschen Erzeuger sind besorgt, berichtet Amelie Richter.
Es gibt viele unterschiedliche Sichtweisen auf den Krieg in der Ukraine. In einem Punkt sind sich jedoch fast alle Experten einig: Die Ukraine braucht für ihre Verteidigung dringend mehr Munition. Während die Hilfe aus den USA wegen des Wahlkampfes aktuell unsicher ist, will Europa liefern – und baut dafür sogar neue Produktionsstätten.
Neben Munitionsfabriken fehlt es dazu allerdings auch am nötigen Rohstoff für Munition, der sogenannten Schießbaumwolle. Das Problem: Europa ist zu einem Großteil abhängig – ausgerechnet von dem mit Russland so eng verbündeten China.
Aus der Volksrepublik importieren die europäischen Hersteller einen unabdingbaren Bestandteil für Munition – Cellulosenitrat, umgangssprachlich auch Nitrocellulose oder Schießbaumwolle genannt – beziehungsweise dessen Vorprodukt Linter-Baumwolle.
Linters sind Baumwollfasern, die zu kurz sind zum Verspinnen. Auf der Internetseite des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall heißt es: “Für militärische Anforderungen wird eine gleichmäßig nitrierte Nitrocellulose aus gebleichter Linters-Baumwolle benutzt oder alternativ Mischungen aus zwei bis drei verschiedenen nitrierten Nitrocellulose Typen.”
Nun verfügt Europa aber nur über eine sehr kleine Baumwollindustrie – im Gegensatz zu den USA. Die EU muss also im Ausland einkaufen. Europa importiere rund 70 Prozent dieser Fasern aus China, räumte Rheinmetall-Chef Armin Papperger unlängst in der britischen Zeitung “Financial Times” ein. Seine Befürchtung: China könnte die Lieferung von Lintern jederzeit aus politischen Gründen stoppen.
Das ist kein völlig abwegiger Gedanke. Immer wieder setzt China gezielt seine Handelsmacht ein, um politische Ziele durchzusetzen. Mal werden bestimmte Produkte nicht mehr exportiert, mal schlicht nicht mehr importiert. Länder wie Südkorea, Japan, aber auch Litauen oder Frankreich können von solchen Vorgängen berichten.
Auch die Bundesregierung hat die Gefahr möglicher Beschränkungen erkannt und klar in ihrer China-Strategie benannt. Die Lösung: De-Risking. Doch nun droht eine Art mehrfacher Treppenwitz der Geschichte. Denn um das Munitionsproblem schnell zu lösen, muss der Westen gleich drei seiner Vorhaben gegenüber China aufgeben – zumindest vorübergehend.
Aber De-Risking ist ein Prozess, der Zeit braucht. Etwas, das Europa im Fall der fehlenden Munition nicht hat. Als “dramatisch” bezeichnete denn auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell die Lage. Der Ukraine gehe an der Front die Munition aus, vor allem Artilleriegeschosse, warnte Borrell. Und die EU könne nicht im Entferntesten die Mengen an Munition liefern, die sie eigentlich versprochen hatte.
Nun ist der Plan, die Produktion der wichtigsten Nato-Artilleriekaliber bis Ende 2024 auf 1,5 Millionen Stück pro Jahr zu erhöhen. Dafür sollen zügig Munitionsfabriken gebaut werden. Bundeskanzler Olaf Scholz übernahm eigens den Spatenstich einer Rheinmetall-Fabrik in Niedersachsen, Wirtschaftsminister Robert Habeck prüft kürzere Genehmigungsverfahren. Aber das alles kostet nicht nur Zeit. Sondern es braucht eben auch die nötigen Rohstoffe aus China.
Und da drohen laut Papperger eben Probleme, falls Peking entscheiden sollte, nicht mehr liefern zu wollen. “Das ist der Grund, dass wir derzeit so viel kaufen wie möglich, um unsere Lager zu füllen”, sagte der Rheinmetall-Chef der FT. Bislang würden die Lieferungen aus China zwar eintreffen. “Der Punkt ist aber, dass Europa langfristig unabhängig sein sollte”, warnt der Rheinmetall-Chef.
Anderorts werden schon jetzt Lieferprobleme beklagt. So berichtete unter anderem EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton von ersten Importproblemen. Die Lieferung von Baumwoll-Lintern aus China sei “vor ein paar Monaten wie zufällig” eingestellt worden, sagte Breton. Mitte August setzte Peking zudem das häufig in Munition und anderen militärischen Anwendungen verwendete Metall Antimon unter Exportkontrollen, ähnlich jenen für die Metalle Gallium und Germanium, für deren Ausfuhr chinesische Exporteure seither Lizenzen beantragen müssen.
Chinesische Experten räumen in der Hongkonger Zeitung South China Morning Post ein, dass China durchaus Spielraum habe, aus geopolitischen Gründen den Export von Nitrozellulose zu reduzieren – fügen aber sofort hinzu, dass die Führung in Peking dies jedoch nicht als Druckmittel einsetzen werde.
EU-Binnenmarktkommissar Breton bringt die aktuelle Lage ernüchtert auf den Punkt: “Um das Pulver herzustellen, benötigen wir einen speziellen Typ von Baumwolle, und das meiste davon kommt aus China.” Doch von wo in China? Hier liegt schon das nächste Problem. Nahezu 90 Prozent der chinesischen Baumwolle stammt aus der Provinz Xinjiang, wo die muslimische Minderheit der Uiguren unterdrückt wird.
Adrian Zenz ist durch seine Xinjiang-Forschung berühmt geworden. Einst deckte er das umfassende chinesische Lagersystem in der Region auf. Nun warnt der Wissenschaftler der Victims of Communism Memorial Foundation in Washington, dass Hunderttausende Uiguren zwangsweise in Xinjiangs Baumwollindustrie tätig sind.
Im Kampf gegen Zwangsarbeit versucht der Westen mittels entsprechender Lieferkettengesetze sicherzustellen, dass solche Waren nicht mehr in Europa oder den USA verkauft werden. Und so steht Europa vor einem politischen und einem wirtschaftlichen, auch noch vor einem moralischen Dilemma: Um schnell Munition für die Ukraine herstellen zu können, braucht man chinesische Linter-Baumwolle. Aber es ist fast unvermeidlich, dass in China produzierte Nitrozellulose letztendlich aus Xinjiang geliefert wird.
Einen Tag nachdem die EU-Kommission Zusatzzölle auf chinesische E-Fahrzeuge festgesetzt hat, reagiert Peking: China hat eine Antisubventions-Untersuchung zu aus der Europäischen Union importierten Milchprodukten eingeleitet. Das teilte das chinesische Handelsministerium am Mittwoch in einer Erklärung mit.
Die chinesischen Behörden zielen unter anderem auf:
Als Folge drohen Strafzölle auf die entsprechenden Waren aus der EU, teilte das Ministerium mit. Untersucht werden die Subventionen demnach im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik der EU-Staaten sowie nationale Programme in Irland, Österreich, Belgien, Italien, Kroatien, Finnland, Rumänien und Tschechien, die in der Mitteilung einzeln aufgezählt wurden.
Nach offiziellen Angaben geht das Vorgehen auf eine Beschwerde chinesischer Hersteller von Milchprodukten zurück. Vergangene Woche habe es auch Unterredungen zu dem Thema mit EU-Vertretern gegeben. Die Untersuchung soll innerhalb von zwölf Monaten abgeschlossen werden, könnte aber um weitere sechs Monate verlängert werden.
Der Schritt gilt als weitere Drohgebärde im Streit um EU-Strafzölle auf E-Autos. Die EU-Kommission hatte am Dienstag die Zollsätze für Fahrzeuge aus China festgesetzt. Sie betragen bis zu 36,3 Prozent und werden spätestens Ende Oktober für vorerst fünf Jahre in Kraft treten.
Größter Betroffener der möglichen Strafzölle auf die bestimmten Milchprodukte wäre Frankreich – das auch als Treiber der EU-Zölle auf die E-Autos aus China gilt. Frankreich ist innerhalb der EU im laufenden Jahr der größte Exporteur von Milchprodukten in die Volksrepublik, wie aus chinesischen Zolldaten hervorgeht. Auf Platz zwei folgen bisher in 2024 Italien und Dänemark. Im Jahr 2023 beliefen sich die französischen Milchprodukte-Exporte nach China auf 665 Millionen Euro, was rund acht Prozent des weltweiten Milchproduktabsatzes Frankreichs ausmacht. Die Säuglingsmilch rausgerechnet sinkt der Exportumsatz auf 386 Millionen Euro.
Auch für die deutsche Agrarbranche ist der Milchmarkt in China wichtig: Vergangenes Jahr wurden 294.000 Tonnen Milch und Milcherzeugnisse – ohne Käse und Butter – in die Volksrepublik exportiert. Mit 386 Millionen Euro Warenwert war das der höchste Posten innerhalb deutscher Agrar-Ausfuhren nach China. Fast die Hälfte davon machten laut Bundesregierung frische Konsum- und Verarbeitungsmilch aus.
Der deutsche Milchindustrie-Verband äußerte am Mittwoch Besorgnis: “China ist global weiter ein wichtiger Importeur von deutschen Milchprodukten und -zutaten, trotz einer wachsenden chinesischen Erzeugung”, teilte der Verband Table.Briefings mit.
Zwischen Deutschland und China hätten sich im Laufe der Jahre zuverlässige und vertrauensvolle Handelsbeziehungen entwickelt. “Es sollte daher für beide Seiten das Ziel sein, dass der Milch- und Lebensmittelsektor nicht in unangemessener Weise in den noch laufenden Industriestreit zwischen China und der EU über Elektrofahrzeuge und verwandte Technologien in Mitleidenschaft gezogen wird”, so der Verband, der rund 90 Milchverarbeitende Unternehmen in Deutschland vertritt. An die Politik gab es klare Forderungen: “Wir erwarten von der deutschen Bundesregierung und der Europäische Kommission, dass sie sich auf höchster Ebene für eine rasche Beilegung dieses Streits einsetzen.”
Von den Ländern, in welchen Peking die staatlichen Subventionsprogramme unter die Lupe nehmen will, hatten im Juli lediglich Italien und Belgien für die EU-Zusatzzölle auf E-Autos gestimmt. Irland, Österreich, Kroatien, Finnland, Rumänien und Tschechien hatten sich enthalten.
Nach Angaben aus EU-Kreisen sind noch Verhandlungen mit Peking möglich, um die Zölle auf E-Autos abzuwenden. Bislang hatten diese Gespräche kein Ergebnis gebracht. Der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange (SPD), sieht noch “Zeit für konstruktiven Dialog und eine gemeinsame Lösung“. Die höheren Zölle würden “noch nicht erhoben und werden auch nicht rückwirkend gelten”, erklärte er. Es werde nun weitere Gespräche mit den Unternehmen und Verhandlungen mit der chinesischen Seite “über den möglichen Abbau von illegalen Subventionstatbeständen” geben.
Die EU-Kommission hatte die Zusatzzölle im Juni angekündigt. Peking hatte damals bereits mit einer Antisubventions-Untersuchung auf Schweinefleisch aus der EU reagiert. Hier wären vor allem Spanien, die Niederlande und Dänemark betroffen. Und bereits seit Januar untersuchen die chinesischen Behörden außerdem mutmaßlich unzulässige Subventionen auf europäischen Weinbrand wie Cognac – was wie der Käse ebenfalls am härtesten Frankreich treffen würde.
Laut Daten der EU-Generaldirektion für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung der Europäischen Kommission exportierte die EU im Jahr 2023 Milchprodukte im Wert von 1,7 Milliarden Euro nach China. Das ist weniger als im Vorjahr, wo es noch rund zwei Milliarden Euro waren. Mit zwölf Prozent Anteil kommen Milchprodukte damit auf Platz drei der meist exportierten Agrar-Produkte aus der EU nach China. Schweinefleisch macht 17 Prozent aus, Getreide 19 Prozent.
China hatte 2023 insgesamt 2,6 Millionen Tonnen Milchprodukte importiert, gut zwölf Prozent weniger als im Vorjahr. Auch die Importe von Milchpulver sowie flüssiger Milch und Sahne sind im Vergleich zu den Vorjahren gefallen. Milchpulver, etwa solches für Babynahrung, fällt nicht in die nun angekündigte Antisubventions-Untersuchung.
Zwar hat China wegen etwaiger Lebensmittelskandale immer noch Bedarf an importiertem Milchpulver. Wegen der zunehmend sicheren heimischen Produktion und sinkender Nachfrage durch Geburtenrückgang, sinkt die Einfuhr – zuletzt um 38 Prozent. Indes steigen die Nachfrage nach ausländischen Joghurt- und Molkeprodukten. Den größten Marktanteil bei Milchprodukten in China hält Neuseeland, mit gut 48 Prozent 2023.
Die Kommission erklärte am Mittwoch, dass sie die Untersuchung zur Kenntnis nehme. Das Verfahren werde “sehr genau” analysiert. “Die Kommission wird die Interessen der EU-Milchindustrie entschieden verteidigen“, hieß es. Bei Bedarf werde auch ein Eingreifen nicht ausgeschlossen, um sicherzustellen, dass die Untersuchung den WTO-Regeln entspricht.
Die EU-Handelskammer in China zeigte sich am Mittwoch wenig bewegt von dem Schritt: Pekings Vorgehen “sollte nicht als Überraschung betrachtet werden”. “Bedauerlicherweise wird der Einsatz handelspolitischer Schutzinstrumente durch eine Regierung zunehmend von der anderen Regierung mit gleicher Münze erwidert”, teilte die EU-Kammer mit und fügte hinzu, sie hoffe, die Untersuchung werde “fair und transparent durchgeführt”.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte in dieser Woche bei einer Veranstaltung in Spanien betont, dass die EU “nicht naiv sein” dürfe und ein Handelskrieg “vielleicht unvermeidlich” sei.
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC hat ihren größten börsennotierten Kunden in Festlandchina, die Bank of China, an den Konkurrenten EY verloren. Die staatseigene Bank hatte noch im März angekündigt, PwC bis 2024 erneut zum Abschlussprüfer zu ernennen – doch in einem am Montag eingereichten Bericht hieß es, sie wolle stattdessen EY beauftragen. Die Entscheidung werde den Aktionären zur Genehmigung vorgelegt, hieß es.
PwC war einst die führende Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in China. Mittlerweile kämpft sie mit einer zunehmenden Abwanderung von Kunden. Mindestens 50 chinesische Firmen, darunter viele Staatsunternehmen und Finanzinstitute, haben PwC in den letzten Monaten entweder als Wirtschaftsprüfer abgewählt oder ihre Pläne, die Firma zu beauftragen, storniert, wie eine Untersuchung der Nachrichtenagentur Reuters zeigt.
Nach Berechnungen des chinesischen Finanzdienstes Wind hat PwC zuletzt rund zwei Drittel seines Prüferumsatzes mit börsennotierten staatlichen Firmen auf dem chinesischen Festland verloren – das entspricht umgerechnet rund 80 Millionen US-Dollar. Bis zur Hälfte der rund 2000 Stellen im Bereich Finanzdienstleistungen könnten laut Reuters bei PwC in China gestrichen werden.
Hintergrund sind Vorwürfe, dass PwC schwerwiegende Fehler bei der Bilanzprüfung des chinesischen Immobilienunternehmens Evergrande unterlaufen seien. Der Kollaps von Evergrande hatte in China für eine eskalierende Immobilienkrise gesorgt. PwC war bis 2023 fast 14 Jahre lang Prüfer von Evergrande gewesen. Die chinesischen Behörden beschuldigen Evergrande, die Bilanzen in den Jahren 2019 und 2020 künstlich aufgebläht zu haben. In diesem Zusammenhang wird nun auch untersucht, inwiefern und warum PwC mögliche Bilanzmanipulationen übersehen und die Abschlüsse von Evergrande allzu bedenkenlos durchgewunken habe.
Mindestens seit April haben die Aufsichtsbehörden mehrere große staatliche Kunden von PwC aufgefordert, den Wirtschaftsprüfer fallen zu lassen, berichtet Reuters. Sie raten zudem, dass staatliche Firmen und börsennotierte Unternehmen “extrem vorsichtig” sein sollten, wenn es um die Einstellung von Wirtschaftsprüfern geht, die in den letzten drei Jahren Geldstrafen oder andere Sanktionen erhalten haben. . rtr/fpe
Wie das “Manager Magazin” unter Berufung auf Insider berichtet, will der E-Autobauer BYD die Zusammenarbeit mit dem schwedischen Importeur Hedin in Deutschland beenden. Demnach plant das Unternehmen den Vertrieb ab dem 1. Oktober selbst zu organisieren. BYD hatte den europäischen Vertrieb mit Hedin als Partner im Sommer 2022 begonnen. In Deutschland unterhielt Hedin Vereinbarungen mit sechs Händlergruppen, um den Vertrieb und Service für BYD zu gewährleisten. Außerdem hatte Hedin eigene Niederlassungen aufgebaut.
Ein Sprecher von BYD erklärte gegenüber dem Manager Magazin, es sei noch zu früh, “um solche Prozesse zu kommentieren”. Es gilt jedoch als gesichert, dass BYD – mittlerweile der führende E-Autobauer in China – mit den Verkaufszahlen unzufrieden ist. 2023 wurden in Deutschland gerade einmal 4.139 Autos zugelassen, was einem Marktanteil von 0,1 Prozent entspricht. Offiziell plant BYD, hier bis 2026 120.000 Autos zu verkaufen. Um die Zügel anzuziehen, wurde der bisherige Europa-Chef Michael Shu im Mai durch die Managerin Stella Li ausgetauscht, die als Nummer zwei hinter BYD-Gründer und Präsident Wang Chuanfu gilt.
Stella Li habe sich von Hedin ausgebremst gefühlt, meldet das Manager Magazin. Hedin habe zu wenig Erfahrung und Strahlkraft als Handelspartner für Elektroautos oder Premiummarken mitgebracht. Bislang war das Unternehmen vor allem in Schweden aktiv. Li plane deshalb, eine “National Sales Company” aufzubauen, die ab Oktober mit deutlich mehr Händlern als Hedin zusammenarbeiten soll. Auch der Direktvertrieb über das Internet, wie er auch in China üblich ist, solle eine größere Rolle spielen. Für Hedin habe sich die Zusammenarbeit wiederum nicht gerechnet, heißt es in dem Bericht des Manager Magazins weiter. Zudem beklage das schwedische Unternehmen, dass BYD monatelang Zahlungen zurückgehalten habe. fpe
Die Einreise in die Volksrepublik China wird für ausländische Diplomaten aus Hongkong künftig erschwert. Das chinesische Außenministerium hat die Konsulate in der Sonderverwaltungszone darüber informiert, dass es künftige Grenzübertritte zu Dienstzwecken nach Macau und Teile der Provinz Guangdong genehmigen will. Das berichtet das Onlineportal Hong Kong Free Press (HKFP), dem entsprechende Schreiben der chinesischen Behörden vorliegen.
In Zukunft sollen die Mitarbeitenden der Konsulate zehn Tage vor ihrer Dienstreise erläutern, was der Anlass für ihren Aufenthalt in der Great Bay Area (GBA) oder in Macau ist, um grünes Licht von den chinesischen Behörden zu erhalten. Detailliert sollen sie schildern, welche Orte sie zu welchem Zeitpunkt besuchen und wen sie dabei treffen wollen. Bislang reichte für solche Reisen der Antrag auf ein Arbeitsvisum, das für gewöhnlich innerhalb weniger Tage ausgestellt wird. Zur Einreise nach Macau genügte bereits ein Diplomatenpass.
Von HKFP zitierte Diplomaten fürchten, dass die detaillierten Informationen die Möglichkeiten für konsularische Aktivitäten verengen wird. Bei heiklen Anlässen könnten potenzielle Gesprächspartner in den besuchten Regionen auf den persönlichen Austausch verzichten. grz
China hat im ersten Halbjahr 2024 nur noch 14 neue Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von 10,3 Gigawatt genehmigt. Wie eine neue Erhebung von Greenpeace Ostasien zeigt, wurden somit 80 Prozent weniger neue Kohlekraftwerke genehmigt als im ersten Halbjahr 2023. Die beiden vergangenen Jahre hatte China zusammengerechnet fast 200 Gigawatt an neuer Kohlekraftwerkskapazität genehmigt. Gao Yuhe, der Projektleiter von Greenpeace Ostasien, hofft, dass der Einbruch bei den Genehmigungen “vielleicht einen Wendepunkt” darstellt.
2023 stieg der Kohleverbrauch in der Volksrepublik noch um sechs Prozent an. Die Internationale Energieagentur (IEA) geht dennoch davon aus, dass China in den kommenden Jahren einen Höchststand beim Kohleverbrauch erreichen und die Nachfrage dann absinken wird. Schon heute kann der schnelle Zubau erneuerbarer Energien einen Großteil der zusätzlichen Stromnachfrage decken. nib
Deutschland rühmt sich gerne, Weltmeister beim Thema Kreislaufwirtschaft zu sein. Vom Sortieren der Verpackungen in privaten Haushalten über das Glasflaschenpfandsystem bis hin zu beeindruckenden Recyclingraten bei Metallen und Papier. “Made in Germany” heißt auch: Abfälle von heute sind die Rohstoffe von morgen. China hingegen fällt in der öffentlichen Wahrnehmung mit Luftverschmutzung und Abfallbergen auf, auch mit Zugriff auf strategische Rohstoffe.
Unser Beitrag setzt einen Kontrapunkt: Deutschland kann beim Übergang zur Circular Economy eine Menge von China lernen! In den folgenden Bereichen liegt China vorn, was das Zusammenspiel von Politik und Unternehmen betrifft.
China konnte seit 1990 seine Ressourcenproduktivität mehr als verdoppeln. Heißt: mehr Wachstum mit weniger Rohstoffeinsatz. In Deutschland wie in der EU hingegen stagniert beides. Das angestrebte Ziel der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, ein Anstieg um 40 Prozent bis 2020, wurde deutlich verfehlt.
Warum? China hatte zum einen über Jahre hinweg zweistellige Wachstumsraten zu verzeichnen – mit Zunahme von Umweltverschmutzung und Dynamik bei Dienstleistungen. Dennoch hat China seine Wirtschaft vom Rohstoffverbrauch entkoppelt. Pro Wachstumsprozenten müssen immer weniger Rohstoffe eingesetzt werden. Steigende Trends gab es bei der Wiederverwertung von Abfallstoffen und dem Einsatz von Sekundärmaterialien.
Lernziel Deutschland: endlich Ernst machen mit der Erhöhung der Rohstoffproduktivität. Der aktuelle Entwurf der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie geht im Einklang mit EU-Zielen voran. Der Anteil der Sekundärrohstoffe an der Gesamtheit aller genutzten Rohstoffe soll sich bis zum Jahr 2030 verdoppeln. Gut so, Deutschland kann lernen und machen.
Weite Teile der chinesischen Produktion erfolgen in großen Netzwerken von Unternehmen, dort als “Industrieparks” bezeichnet. Hinzu kommen seit Jahren öko-industrielle Netzwerke. Dort werden nahtlose Übergänge von Innovationen zu Demonstrationsprojekten, von der Nischenproduktion hin zu Massenmärkten, kreiert. Experimente werden durchgeführt, vergleichend ausgewertet und hochskaliert.
Hochskalieren funktioniert in China besser als in Deutschland. Dazu gehören eine robuste Finanzierung und eine gesteuerte Marktentwicklung durch Quoten für das Inverkehrbringen und die Abnahme neuer Produkte. Der Siegeszug der Elektromobilität mag als Beispiel dienen. Neuere Ansätze entwickeln Roadmaps zur Transformation existierender Industrieparks.
Lernziel Deutschland: eine missionsorientierte Innovationspolitik mit ESG-Top-Performern für die klimaneutrale Kreislaufwirtschaft von morgen. Also im Einklang mit Mariana Mazzucato, dem Fraunhofer ISI und der Zukunftsstrategie der Bundesregierung ein sektor- und fachressortübergreifender Ansatz, um durch Generierung und Anwendung von Wissen und Innovation ambitionierte und klar formulierte Ziele zu erreichen, die drängende gesellschaftliche Herausforderungen betreffen.
In China gibt es für alle Produktionsbereiche messbare Indikatoren und technische Standards, die in Fünfjahresplänen und Politiken kontinuierlich erhöht werden. Diese dynamische Standardsetzung ist Deutschland nicht fremd. Nur: sie wird zu selten systematisch vorwärtsgetrieben. Lobbyinteressen auf der EU-Ebene spielen dabei leider eine unrühmliche Rolle.
Die Ökodesign-Richtlinie könnte den Weg weisen. Von China lernen hieße hier, aus ehrgeizigen Zielen für die Gesamtwirtschaft, Industriebereiche und Produktgruppen konkrete Indikatoren und dynamische Ziele für Unternehmen und Produktionsprozesse abzuleiten.
Lernziel Deutschland: Kreislaufführung bei Baustoffen, biogenen Rohstoffen wie Holz, bei Fahrzeugen und Batterien, erneuerbaren Energietechnologien, Kunststoffen, Bekleidung und Textilien, Informations- und Kommunikationstechnik und Elektrogeräten. Also eine Aufgabe für nahezu alle Unternehmen und für die Wertschöpfungsketten von morgen.
Damit ist nicht gesagt, dass die Circular Economy in China ein Selbstläufer ist. Zwischen den Provinzen bestehen erhebliche Unterschiede. Die Rolle des Konsums wird wenig adressiert. Eine Vergabe von Sozialpunkten für tugendhaftes Abfallverhalten wie in Shanghai sollte man als Reallabor für neue Lebensstile kritisch sehen. Erst recht im Einklang mit unseren Grundwerten von Demokratie, Vielfalt und Rechtsstaatlichkeit.
Zweifelsohne steht China selbst vor gewaltigen Herausforderungen. Über Jahrzehnte hinweg sind die CO₂-Emissionen nahezu unaufhaltsam angestiegen. Nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur und etlichen Insidern ist der Scheitelpunkt jedoch erreicht. Kein Land investiert weltweit mehr in erneuerbare Energien als China. Die Circular Economy wird weiterentwickelt zum Motor der Klimaneutralität. Die Chinastrategie der Bundesregierung benennt angesichts des Systemwettbewerbs den Klimaschutz als eines der wenigen Felder, in denen eine Kooperation angestrebt wird.
Eine aktuelle Studie für den China Council for International Cooperation on Environment and Development (CCICED) soll einen Dialog vorbereiten, durch den China die Vorteile der deutschen Kreislaufwirtschaftsstrategie nähergebracht werden sollen. Vieles spricht dafür, künftige Dialoge auf Augenhöhe zu sehen. Deutschland kann beim Übergang in eine Circular Economy von China lernen. Beide können auch bei kritischen Rohstoffen zusammenarbeiten, indem das Tracking dieser Stoffe im Produktkreislauf erleichtert und ihr Zurückholen ermöglicht wird. China spricht selbst von einer künftigen “ökologischen Zivilisation” – auch dies ist eine Einladung zum Nachdenken für uns.
Raimund Bleischwitz ist wissenschaftlicher Direktor am Leibniz Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) und Professor für Globale Nachhaltige Ressourcen an der Universität Bremen. Seit vielen Jahren arbeitet er zur Circular Economy mit der Shanghai Jiao Tong University sowie Kolleginnen und Kollegen in China und hat zum Thema unter anderem die Europäische Kommission und die britische Regierung beraten.
Stefan Pötzl ist seit August President Sales and Marketing bei Saic Volkswagen. Pötzl war zuvor für zwei Jahre bei Audi China im Retail Business Development und Marketing tätig. Für seinen neuen Posten wechselt er von Peking nach Shanghai.
Anke Schrader ist seit dem 1. Juli China Director des Economist Corporate Network in Peking. Sie lebt seit mehr als 14 Jahren in der Stadt. Dort war sie unter anderem drei Jahre beim Consultingunternehmen PwC tätig.
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Sieht so der Kinobesuch der Zukunft aus? Unter VR-Brillen sehen zwei Besucherinnen in Hangzhou den Zeichentrickfilm “Crayon Shin-chan: Me and the Professor on Summer Vacation” – der erste abendfüllende Anime-Blockbuster, der vollständig für die immersive Technologie der virtuellen Realität konzipiert wurde. Die Anfang der Neunziger erstmals gesendete japanische Manga-Reihe um den vorlauten fünfjährigen Shin-chan ist in China ein Dauerbrenner. Neben den VR-Vorstellungen startete am vergangenen Samstag ganz offiziell der 31. Teil der Reihe in den regulären chinesischen Kinos. Titel: “New Dimension! Flying Sushi.”