Analyse
Erscheinungsdatum: 20. Januar 2025

„Dreiklang“ noch zeitgemäß? Diese Forderungen stellen Experten

Die China-Strategie der Bundesregierung fordert De-Risking, Unternehmen möchten dagegen weiterhin die Chancen des chinesischen Marktes nutzen. Ist das Ampel-Dokument, mittlerweile anderthalb Jahre alt, noch zeitgemäß? Wir haben bei Experten nachgefragt.

Deutsche Unternehmen in China wollen eine stärkere Betonung der Partnerschaft mit der Volksrepublik durch die Politik. Das zeigte die jüngste AHK-Geschäftsklima-Umfrage. Die Bundesregierung betont dagegen eher die Risiken. Was denken China-Experten? Und was schlagen sie für eine künftige China-Strategie vor? Mikko Huotari, Direktor des Mercator Institute for China Studies, Wolfgang Niedermark, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie und Robin Mallick, Leiter des Goethe-Instituts in Peking, antworten auf unsere Fragen.

Huotari: Wir brauchen eine China-Strategie, die an die neuen Realitäten der transatlantischen und US-chinesischen Beziehungen angepasst ist. Wir erwarten eine deutliche Verschärfung. Ich sehe drei Hauptfelder, in denen ein neuer Grad an Herausforderungen im Verhältnis zu China da ist. Wie gehen wir mit marktverzerrenden Handelspraktiken um? China ist zudem eine sicherheitspolitische Herausforderung. Und wir müssen uns auf einen heftigen Technologiewettbewerb einstellen. Das bedeutet auch, klarere Grenzen zu ziehen, wo wir mit unseren Technologien einen Beitrag leisten, um chinesische Ökosysteme zu stärken. An manchen Stellen müssen wir aber auch sehr gezielt auf eine engere Technologiepartnerschaft mit China setzen.

Niedermark: Die Grundlinie der China-Strategie für die Wirtschaft lautet: De-Risking, aber kein Decoupling. Was wir schmerzlich vermissen: De-Risking muss auf der eigenen Wettbewerbsfähigkeit aufbauen. Hier sehen wir den größten Nachholbedarf für die neue EU-Kommission und für eine neue Bundesregierung. Gegenüber China müssen Deutschland und Europa auf der einen Seite geopolitisch klare Kante zeigen. Gleichzeitig müssen wir effektiv mit China kooperieren.

Mallick: Die aktuelle China-Strategie der Bundesregierung ist ein solides theoretisches Fundament. Die Umsetzung dieser sehr ambitionierten Initiative bleibt jedoch unvollständig. So stehen der Hervorhebung von Austausch in zivilgesellschaftlichen und anderen Bereichen kaum wirkliche Initiativen gegenüber, die insbesondere in Zeiten angespannter politischer Beziehungen von großer Bedeutung wären.

Huotari: Es sollte uns nicht darum gehen, China in Schubladen zu stecken, sondern letztlich darum, wie wir handeln. Man kann kooperieren, und versuchen, Dinge zusammen zu erreichen. Für mich ist der Zustand Partner oder gar strategischer Partner aber nichts, was die Realität trifft.

Niedermark: China versucht, die bestehende, regelbasierte Ordnung entlang den Interessen seines autoritären Einparteienstaates umzubauen. Hier müssen wir unsere eigenen Interessen dagegensetzen. Der europäische Dreiklang in der Chinapolitik ist dafür nach wie vor geeignet. In der Wirtschaft ziehen sich die drei Dimensionen quer durch alle Themenfelder: Wir haben einen harten Wettbewerb zwischen Unternehmen, aber auch zwischen unterschiedlichen Wirtschaftsmodellen, und wir haben Sicherheitsrisiken bei Lieferketten- und Technologiefragen.

Mallick: Langfristig sollten die Beziehungen eine selbstbewusste, aufgeschlossene und gleichzeitig kritische Haltung Deutschlands zu China anstreben. Das setzt zunächst einen höheren Grad an China-Kompetenz voraus. So ließen sich die Gemeinsamkeiten bei Herausforderungen offen thematisieren – in erster Linie durch regelmäßigen Austausch auf allen Ebenen, auch in Kultur und Zivilgesellschaft. Dann werden auf längere Sicht Dreiklänge dieser Art überflüssig.

Huotari: Unternehmen müssen immer stärker in zwei Ökosystemen denken. Wirtschaftlicher Druck, Zwangsmaßnahmen, die Hebelwirkung von Ressourcenverfügbarkeit oder kritischen Rohstoffen, sind eine neue Realität. Entsprechend müssen wir unsere eigenen De-Risking-Bemühungen noch einmal dramatisch beschleunigen. Wir kommen dabei in eine ganz neue sektorale Wirtschaftspartnerschafts-Logik, die wir noch gar nicht richtig vorausdenken, obwohl das für die drittgrößte Volkswirtschaft angemessen wäre.

Niedermark: Die USA bleiben auch unter Trump unser wichtigster Partner. Gleichzeitig muss die EU ihre Beziehungen zu China auf der Basis ihrer eigenen Interessen und Werte gestalten. Mit den zunehmenden Spannungen zwischen USA und China wird die EU für den chinesischen Export und auch für chinesische Investitionen noch zentraler. Für Unternehmen besteht die Gefahr, in den sich verschärfenden Handelskonflikt zwischen USA und China immer stärker hineinzugeraten.

Huotari: De-Risking ist schwierig und verursacht Kosten. Letztlich braucht es eine handelspolitische Agenda, die deutlich offensiver ist. Im Kern heißt De-Risking aus meiner Perspektive, eine neu geschichtete Form von Globalisierung einzuführen. Es wird einen engeren Kreis von Partnern geben. Das ist der Like-Minded-Kreis, zum Beispiel OECD-Staaten, oder Staaten, in denen bestimmte Standards gelten. Das zu definieren und zu gestalten, ist eine riesige politische Aufgabe.

Niedermark: Diversifizierung bedeuteteine stärkere Lokalisierung in unterschiedlichen Leitmärkten. Viele Unternehmen müssen in China sein, um sich dann zum Beispiel auch auf Drittmärkten mit der Konkurrenz aus China messen zu können. Bei der Verringerung von Importabhängigkeiten in kritischen Bereichen, wie zum Beispiel bei Rohstoffen, warten enorme Kosten, weil Investitionen eben nicht nach reinen Wettbewerbskriterien, sondern auch nach Sicherheits- und Souveränitätskriterien entschieden werden. Die Kosten des De-riskings müssen von der Politik und der gesamten Gesellschaft mitgetragen werden.

Huotari: In Deutschland gibt es hoch qualifizierte Chinaforscherinnen und -forscher. Das Bundes-Forschungsministerium hat sich bemüht, neue Förderlinien aufzubauen. So schlecht wie wir uns manchmal reden, stehen wir nicht da. Jetzt fehlt es an der einen oder anderen Stelle an der Bündelung dieser Kapazitäten. Es fehlt am Ende an Mitteln, um Nachwuchstalente auszubilden und attraktiv mit Stellen zu versehen.

Niedermark: Mit Merics haben wir in Berlin einen der weltweit führenden China-Thinktanks. Eine Reihe weiterer Forschungsinstitutionen besitzen exzellente China-Expertise. Das Risikobewusstsein ist bei vielen Akteuren in Unternehmen, in Universitäten oder auch auf der lokalen politischen Ebene gewachsen. Ein großes Problem ist aber, dass Chinas autokratische Verhärtung dazu führt, dass das Interesse an China in Deutschland insgesamt eher sinkt. Das heutige China besitzt gerade für junge Leute keine große Anziehungskraft mehr. Umso wichtiger ist es, dass aktiv China-Kompetenz gefördert wird.

Mallick: Deutschland steht beim Aufbau einer unabhängigen und reflektierten China-Kompetenz erst am Anfang. Die Einführung eines großflächigen Lernangebots von Chinesisch als Fremdsprache an deutschen Schulen und Hochschulen, ein besser koordinierter Wissenstransfer und die internationale Vernetzung von Multiplikator*innen aus Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft wären hierbei essenziell. Wichtig sind auch individuelle landeskundliche Erfahrungen, die durch Stipendien und Residenzprogramme gefördert werden sollten. Mitarbeit: Manuel Liu

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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