Table.Standpunkt
Erscheinungsdatum: 12. November 2025

Der Sachverständigenrat sollte die Umverteilungsdebatte nicht befeuern

Die Mehrheit im Sachverständigenrat riskiert, die Ungleichheitsdebatte zu Lasten des Standorts zu verstärken. Eine Einordnung des Kapitels zur Vermögensverteilung aus Sicht des abweichenden Ratsmitglieds.

Der Sachverständigenrat aktualisiert seinem gesetzlichen Auftrag entsprechend regelmäßig seine Analysen zur Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland – so auch im aktuellen Jahresgutachten mit dem Kapitel „Vermögensaufbau stärken, Erbschaften und Schenkungen gleichmäßiger besteuern“. Die Analyse der Vermögensverteilung richtet den Blick zunächst stark auf die hochvermögenden Haushalte (das oberste Prozent), die einen großen Teil ihres Vermögens als Betriebsvermögen halten. Die erste „Wichtigste Botschaft“ des Kapitels stellt fest, dass „die Vermögensungleichheit in Deutschland […] im europäischen Vergleich hoch“ ist. Bereits in Ziffer 2 des Textes wird zudem gewarnt, dass „eine sehr hohe Vermögensungleichheit zu einer Konzentration ökonomischer und politischer Macht führen [kann], die ökonomische und politische Instabilität erzeugt und politische Entscheidungen verzerren kann“ – woraufhin dann 40% des Kapitels der Diskussion von Vermögen-, Erbschaft- und Schenkungssteuern gewidmet sind.

Das Kapitel vernachlässigt bei der Einordnung der Daten wichtige Aspekte und setzt in großen Teilen die falschen Schwerpunkte. Die Ratsmehrheit riskiert damit, die Ungleichheitsdebatte zu Lasten des Standorts zu verstärken.

Eine Einordnung der Vermögensverteilung

Die Feststellung, dass die Vermögensungleichheit in Deutschland im europäischen Vergleich hoch ist (die erste „Wichtigste Botschaft“ des Verteilungskapitels) stützt sich auf die gängige Analyse der Vermögensverteilung. Erfasst werden hierbei Immobilien, Spareinlagen, Finanzvermögen (einschließlich Kapitallebensversicherungen und kapitalgedeckter Altersvorsorgeverträge) sowie Betriebsvermögen. Gezeigt wird, dass sich der Gini-Koeffizient – das übliche Maß für Ungleichheit – seit der Finanzkrise nur geringfügig verändert hat, während zugleich betont wird, dass Deutschland im europäischen Vergleich eine überdurchschnittliche Vermögensungleichheit aufweist.

Wesentliche Einflussfaktoren auf die Vermögensverteilung – insbesondere die institutionelle Ausgestaltung der sozialen Sicherung und deren Wirkung auf das Sparverhalten über den Lebenszyklus – werden zwar im Gutachten diskutiert, aber in der Bewertung und den Handlungsempfehlungen nicht hinreichend berücksichtigt. Dabei ist klar: Je großzügiger die erwarteten staatlichen Transfers, desto geringer ist der Anreiz und der Bedarf, zusätzlich eigenes Altersvermögen aufzubauen – insbesondere in den unteren Einkommensgruppen. Theoretische und empirische Analysen zeigen also, dass sowohl umlagefinanzierte als auch obligatorisch kapitalgedeckte Rentensysteme tendenziell private Vorsorgeaktivitäten verdrängen. Allerdings gilt: Ansprüche aus kapitalgedeckten Rentenversicherungen fließen in die Vermögensstatistik ein, solche aus umlagefinanzierten Systemen (wie in Deutschland) dagegen nicht.

Die Aussagekraft des internationalen Vergleichs der Ratsmehrheit ist somit begrenzt, da die Rentensysteme in den Vergleichsländern institutionell stark variieren. In Ländern mit stärker kapitalgedeckten Systemen werden höhere private Vermögensbestände gemessen, während Rentenansprüche aus Umlagesystemen gänzlich unberücksichtigt bleiben. Zugleich führen großzügigere Umlagesysteme zu geringerer individueller Vermögensbildung – was sich etwa in niedrigeren Eigentumsquoten an Wohnimmobilien niederschlägt. In Ländern mit geringerer öffentlicher Absicherung – etwa Italien oder Spanien – ist die Eigentumsquote daher tendenziell höher. Ein isolierter Vergleich der Nettovermögen ohne Berücksichtigung dieser Unterschiede greift also zu kurz und bietet keine belastbare Grundlage für wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen.

Für einen aussagekräftigen internationalen Vergleich der Vermögensungleichheit ist es erforderlich, die Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung einzubeziehen. Eine jüngere Studie zeigt für 19 europäische Länder, dass die Berücksichtigung dieser Ansprüche die gemessene Ungleichheit unter Rentnerinnen und Rentnern im europäischen Durchschnitt um rund 30 % verringert – in Deutschland sogar um 36 %. Damit liegt Deutschland in einem europäischen Vergleich der bereinigten Vermögens-Gini-Koeffizienten im Mittelfeld. Dies verdeutlicht beispielhaft, dass eine Bewertung der Vermögensverteilung ohne das implizite Rentenvermögen die ökonomische Realität unvollständig abbildet.

Auch Zuwanderung hat – angesichts der starken Nettozuwanderung der letzten zehn Jahre –Einfluss auf die gemessene Vermögensungleichheit. Empirische Untersuchungen zeigen, dass eingewanderte Haushalte im Durchschnitt deutlich geringere Nettovermögen halten als der Rest der Bevölkerung und zudem häufig erhebliche Teile ihres Einkommens in ihre Herkunftsländer überweisen. Das wird im Gutachten auch diskutiert.

Warum der nicht belastbare europäische Vergleich der Vermögensungleichheit im Kapitel so stark herausgestellt wird, obwohl im Gutachten sowohl die Rolle von Rentenansprüchen als auch das Thema Zuwanderung für Deutschland diskutiert werden, bleibt unklar. Selbst ohne eine umfassende vergleichende Analyse hätte die Ratsmehrheit diese Faktoren bei der Interpretation der Ergebnisse deutlich stärker berücksichtigen müssen. So ist es doch durchaus bemerkenswert, dass sich die Vermögensverteilung in Deutschland – trotz hoher Zuwanderung, schwacher Sparanreize infolge des stark ausgebauten Sozialstaats und mehrerer Krisenjahre – als vergleichsweise stabil erweist, wie auch der jüngste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung bestätigt.

Handlungsbedarf gibt es durchaus!

Ist also alles gut? Nein, keineswegs. Die Aufstiegschancen und die Kapitalmarktbeteiligung der unteren und mittleren Einkommensgruppen sind in Deutschland weiterhin vergleichsweise schwach – wie auch der Sachverständigenrat in seinem Gutachten sehr schön herausarbeitet.

Die Ratsmehrheit greift daher zu Recht die Idee einer verpflichtenden kapitalgedeckten Alterssicherung auf – allerdings (leider) mit der Möglichkeit eines Opt-Out. Ein solches System könnte die Ersparnisse der Haushalte erhöhen und langfristig zum Vermögensaufbau beitragen. Bei ähnlichen Zulagezahlungen und steuerlichen Entlastungen wie bei der Riester-Förderung wäre jedoch, wie im Gutachten ausgeführt wird, mit erheblichen Mehrausgaben des Staates zu rechnen. Für Haushalte im unteren Einkommensbereich bleibt der Spielraum für zusätzliches kapitalmarktbasiertes Sparen zudem begrenzt, wenn die Beitragszahlungen zur gesetzlichen Rentenversicherung weiter ansteigen. Das diskutierte staatlich geförderte Vorsorgedepot sollte daher dringend im Zusammenspiel mit ausgabedämpfenden Reformen der gesetzlichen Rentenversicherung umgesetzt werden. Denn ohne eine Dämpfung des Anstiegs der Beiträge dürfte eine „stärkere Kapitalmarktteilhabe“ – eine zentrale Forderung des Sachverständigenrats – für untere Einkommensgruppen kaum realisierbar sein. Angesichts der angespannten Haushaltslage ist auch nicht zu erwarten, dass eine großzügige Förderung ohne Dämpfung des Anstiegs des Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung finanzierbar wäre. Ein Hinweis auf diese notwendigen Reformen fehlt leider im Jahresgutachten.

In Deutschland verhindert das umfassende Sozialsystem, das Bafög und der kostenfreie Bildungszugang zwar, dass geringes Vermögen den Zugang zu Bildung direkt beschränkt. Dennoch gewährleistet das Bildungssystem keine gleichen Chancen für Kinder mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen. Dringend notwendig ist daher eine Stärkung der frühkindlichen Bildung, denn zahlreiche Studien zeigen, dass Investitionen in frühkindliche Bildung das Lebenseinkommen und damit langfristig auch die Möglichkeit zur Vermögensbildung erhöhen. Auch der flächendeckende Ausbau des Ganztagsunterrichts – wie er etwa in Hamburg erfolgreich umgesetzt wird – kann dazu beitragen, Bildungsunterschiede zu verringern. Wenn Hausaufgaben und Freizeitangebote effektiv in den Schulalltag integriert sind, werden insbesondere Kinder unterstützt, deren Eltern beruflich stark eingebunden sind oder mit Sprache und Bildungsgewohnheiten noch nicht vertraut sind.

Ein weiterer Hebel liegt in der Wohnungspolitik. Im Mittelpunkt sollte stehen, die Angebotsbedingungen zu verbessern und den Zugang zu Wohneigentum zu erleichtern. Die Reduktion regulatorischer Hemmnisse im Bauwesen, die Vereinfachung planungsrechtlicher Verfahren sowie eine Überprüfung kostenintensiver baulicher Standards könnten Bau- und Erwerbskosten spürbar senken. Ergänzend würde eine Absenkung der Grunderwerbsteuer für Selbstnutzer oder eine Entlastung bei Transaktionskosten insbesondere mittleren Einkommensgruppen den Eigentumserwerb erleichtern. Eine weniger restriktive Mietenregulierung könnte zudem Investitionsanreize für den Neubau stärken und so das Wohnungsangebot erweitern. Damit würde auch die Attraktivität von Wohneigentum als Altersvorsorge steigen – ein zentraler Beitrag zu einer breiteren Vermögensbildung.

Was sollte man nicht tun?

Die Mehrheit des Sachverständigenrates schlägt vor, die steuerliche Begünstigung von Betriebsvermögen zu verringern, ohne die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer zu mindern. Angesichts der aktuell schwachen privaten Investitionstätigkeit und des damit verbundenen geringen Potenzialwachstums erscheint es jedoch geradezu fahrlässig, eine höhere Besteuerung von Betriebsvermögen in der sich dadurch ergebenden Größenordnung zu erwägen. Dies gilt umso mehr, wenn sich ein solcher Vorschlag aus der vorgelegten empirischen Analyse nur unzureichend ableiten lässt. Die Ratsmehrheit räumt selbst ein, dass „unklar [ist], wie gravierend das Problem des Liquiditätsentzugs und damit verbundener Risiken für Investitionen und Beschäftigung der übertragenen Unternehmen ist“.

Vor diesem Hintergrund bleibt unverständlich, weshalb die Ratsmehrheit in ihrem Verteilungskapitel ausgerechnet diese Schwerpunktsetzungen wählt, anstatt die Leistungsfähigkeit des bestehenden Systems stärker zu betonen. Deutschland verfügt im internationalen Vergleich über ein weitreichendes Steuer- und Transfersystem, das Einkommens- und Lebensrisiken wirksam abfedert. Die zentrale Herausforderung liegt daher weniger in einer unzureichenden Absicherung, sondern in fehlenden Spielräumen für private Initiative und Investitionen, die den individuellen Vermögensaufbau fördern könnten. Diese Perspektive hätte angesichts der gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Lage deutlich stärker in den Vordergrund treten sollen.

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Letzte Aktualisierung: 12. November 2025

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