In einem aktuellen Gutachten spricht sich der Wissenschaftliche Beirat beim Finanzministerium für eine Rückkehr zur Schuldenbremse in der Fassung vor der Grundgesetzänderung vom März 2025 aus. Die Ausnahmen für ein 500-Milliarden-Sondervermögen, zusätzliche Verteidigungsausgaben und neue Länder-Kreditspielräume wertet der Beirat als strukturelle Aufweichung der Schuldenregel.
Das 35-köpfige Gremium unter dem Vorsitz von Jörg Rocholl, Präsident der ESMT Berlin, fordert eine regelgebundene Fiskalpolitik ohne weitere Ausnahmen und warnt vor einer Erosion haushaltspolitischer Disziplin. Die neuen Regelungen stellten „einen tiefen Eingriff in die Architektur der Schuldenbremse“ dar und führten zu einer „Flucht aus dem Haushalt“, die die Transparenz und Steuerungsfähigkeit des Haushalts gefährde.
Die Kernargumente im Überblick:
Nachweisbare Wirkung: Seit Einführung der Schuldenbremse 2010 ist die Staatsverschuldungsquote in Deutschland erstmals seit den 1970er-Jahren gesunken. Der Effekt sei empirisch belegt und nicht allein auf Konjunktur oder Zinsen zurückzuführen.
Politökonomische Risiken ohne Begrenzung: Ohne feste Regeln drohe eine systematische Tendenz zur Überverschuldung – etwa durch Wahlzyklen, Koalitionsdynamiken oder strategische Lastverschiebungen.
Fiskalische Solidität hat europäische Dimension:
Deutschland habe eine besondere Verantwortung als Stabilitätsanker der Eurozone. Eine weitere Aufweichung der Schuldenregel könne Fehlanreize verstärken.
Sondervermögen unterlaufen Steuerungswirkung:
Auslagerungen wie Sondervermögen entziehen sich der Haushaltskontrolle und schwächen die Transparenz. Der Beirat spricht von einem Verlust an Haushaltswahrheit.
Staatsquote auf Höchststand: Der Anteil staatlicher Ausgaben am BIP liegt heute bei rund 50 Prozent – deutlich über dem Vorkrisenniveau. Die Schuldenbremse begrenze nicht das Ausgabenniveau, sondern verlange Priorisierung.
Investitionsausnahmen rechtlich problematisch: Eine saubere Abgrenzung zwischen konsumtiven und investiven Ausgaben hält der Beirat für ökonomisch wie rechtlich kaum durchführbar.
Investitionen nicht systematisch behindert: Der Rückgang öffentlicher Investitionen ist laut Gutachten nicht auf die Schuldenbremse zurückzuführen. Besonders betroffen waren Kommunen, die nicht unter die Regel fallen.
Internationale Beispiele zeigen Alternativen: Länder wie die Schweiz, Dänemark oder die Niederlande verbinden höhere Investitionsniveaus und bessere Infrastruktur mit geringerer Staatsverschuldung.
Die Bundesregierung hat im Frühjahr eine Kommission zur Reform der Schuldenbremse eingesetzt. Sie soll noch in diesem Jahr Ergebnisse vorlegen. Das klare Plädoyer des Beirats für eine Rückkehr zur alten Regelung – ohne Investitionsausnahmen, Sondervermögen oder flexiblere Kreditspielräume – steht im Kontrast zu vielen Vorschlägen, die derzeit im politischen Raum diskutiert werden. Während in der Reformdebatte häufig mehr haushaltspolitische Flexibilität gefordert wird, betont der Beirat die Notwendigkeit klarer Regeln, verbindlicher Grenzen und transparenter Haushaltsführung. Alexander Wiedmann