Während die Industrie und die Bauwirtschaft in Deutschland in einer tiefen Krise stecken, Stellen abbauen und Umsätze verlieren, befindet sich die deutsche Touristikwirtschaft weiter auf Wachstumskurs. Nach Prognosen des Deutschen Reiseverbands (DRV) sowie des Deutschen Tourismusverbands (DTV) kann die Branche 2025 mit steigenden Buchungszahlen rechnen. „Trotz wirtschaftlicher und politischer Unsicherheiten zieht es die Deutschen weiterhin auf Reisen. Urlaub scheint ein Luxus zu sein, den sie sich nicht nehmen lassen wollen“, sagt Norbert Fiebig, Präsident des DRV, dem CEO.Table im Vorfeld der Internationalen Tourismusbörse (ITB).
2025 rechnet der DRV, der unter anderem Reisekonzerne wie Dertour, Alltours oder Schauinsland Reisen vertritt, mit einem Wachstum von ungefähr sechs Prozent. Bereits im Touristikjahr 2023/24 hatten die Reiseausgaben kräftig zugelegt und waren um 5,6 Prozent auf über 83 Milliarden Euro gestiegen. Das schlug sich auch bei der Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Reisebüros und bei Reiseveranstaltern nieder. So verzeichneten die Unternehmen 2024 einen Anstieg um 1,9 Prozent auf 54.106 Stellen gegenüber dem Vorjahr.
Auch der Deutschlandtourismus hatte bereits 2024 einen neuen Höchstwert erreicht. Gezählt wurden 496,1 Millionen Übernachtungen von Gästen aus dem In- und Ausland. Laut dem Statistischen Bundesamt waren das 0,1 Prozent mehr Übernachtungen als im Rekordjahr 2019. Der Anstieg ist insbesondere auf Gäste aus Deutschland zurückzuführen. „Das sind die höchsten Werte, die es jemals in der Republik gegeben hat. Wir erwarten, dass sich dieser Trend fortsetzt“, sagt DTV-Präsident Reinhard Meyer.
Wohin die Reise 2025 geht, zeigt ein Blick auf Zahlen von Branchenführer Tui. Europas größter Touristikkonzern erwirtschaftete im ersten Quartal 2025 ein Umsatzwachstum von 13 Prozent auf 4,9 Milliarden Euro. Damit legt das bereinigte EBIT im zehnten Quartal in Folge zu, was sich inzwischen auch an den Kapitalmärkten widerspiegelt. In dieser Woche wurde Tui von der Ratingagentur Moodys von B1 auf Ba3 hochgestuft. Mit stabilem Ausblick. „Wir haben unsere Strategie in den letzten Monaten verfeinert und schaffen dank unseres integrierten Geschäftsmodells Synergien zwischen unseren Reiseveranstaltern, Fluggesellschaften und dem Bereich Holiday Experiences mit unseren eigenen Hotels, Kreuzfahrten und TUI Musement“, sagt Tui-Vorstandschef Sebastian Ebel dem CEO.Table.
Bei dem Touristikkonzern Schauinsland Reisen sind die Zahlen sogar noch besser. Das Duisburger Unternehmen ist mit 2,6 Milliarden Umsatz in Deutschland die Nummer 3. Aktuell liegen die Buchungszahlen insgesamt mehr als 20 Prozent über dem Vorjahr. „Wir verzeichnen seit Jahren kontinuierlich steigende Buchungszahlen und die Nachfrage nach Urlaub ist auch in diesem Jahr weiter gestiegen“, sagt CEO Gerald Kassner. Der Schauinsland-Chef führt dies neben der ungebrochenen Reiselust der Deutschen auch auf die Übernahme von FTI-Kontingenten nach der Pleite des Münchner Reiseveranstalters sowie den starken Ausbau der 3- und 4-Sterne-Segemente sowie des höherpreisigen 5-Sterne-Luxus-Segments zurück.
„Früher haben wir gesagt, das Auto ist des Deutschen liebstes Kind. Inzwischen ist es die Reise“, sagt der Tourismusforscher Jürgen Schmude im Gespräch mit CEO.Table. Bevor aufs Reisen verzichtet wird, werde lieber in anderen Konsumbereichen gespart. Als Grund sieht Schmude die Flucht aus der Alltags- und Arbeitswelt. „Wenn man so will, kann man das als Eskapismus bezeichnen.“ Laut der deutschen Tourismusanalyse unternahmen im letzten Jahr etwa 63 Prozent der Deutschen eine Reise von wenigstens fünf Tagen.
Gerade Top-Verdienende sind bereit, hohe Summen für ihren Urlaub auszugeben. Dabei sind die Unterschiede zu geringer Verdienenden bei der Wahl des Zielorts laut Schmude jedoch nicht stark. Das zeigt auch eine aktuelle Erhebung der Reiseanalyse. Bei Haushalten mit einem Nettoeinkommen ab 8.000 Euro, wie auch bei preissensibleren Reisenden, ist der Mittelmeerraum sehr beliebt, wird aber getoppt durch Reisen innerhalb Deutschlands. Vor allem die Alpen erfahren hohe Beliebtheit bei zahlungskräftigen Haushalten.
Klassische Sommerurlaubs-Destinationen wie Spanien und Italien sind also bei allen sehr beliebt. Laut Schmude würden Top-Verdienende eher Wert auf teurere Hotels, hohe Qualität und guten Service legen. Und: „Im Fernreisesektor sind sie überproportional vertreten, weil Fernreisen einfach teurer sind“, sagt Schmude. So gaben 20 Prozent der Haushalte mit einem Nettoeinkommen ab 8.000 Euro an, Fernreisen – also einen Urlaub außerhalb Europas und des außereuropäischen Mittelmeerraumes – zu machen. Bei geringer verdienenden Haushalten waren es nur etwa sieben Prozent.
Die ITB Berlin ist die weltweit führende Leitmesse des Tourismus. In der deutschen Touristikbranche arbeiten bundesweit rund 2,9 Millionen Beschäftigte. Erwartet werden auf der ITB 5.600 Aussteller und 100.000 Besucher. Die Messe startet am Dienstag. Thilo Boss und Jeanne Vesper