Von Thilo Boss und Kristián Kudela
Das World Economic Forum (WEF) in Davos : Es steht für Freihandel, Multilateralismus und einen ökonomischen Diskurs, wie die Erde in eine bessere Zukunft geführt werden kann. Gestern ist das jährliche Treffen der globalen Politik- und Wirtschaftseliten mit rund 3.000 Teilnehmer in Graubünden zu Ende gegangen. Was diesmal bleibt, sind aber Zweifel, ob der Geist und die Werte überleben, die seit der Gründung des Forums 1971 durch Klaus Schwab von der Schweiz in die Welt hinausgetragen werden.
„Davos hat angefangen zu bröckeln“, konstatierte am Donnerstag Argentiniens Präsident Javier Milei. In seiner halbstündigen Rede rechnete er vor verblüfften CEOs mit der „Wokeness“ ab, die Werte wie Feminismus, Diversität, Toleranz und Meinungsfreiheit verkörperten. „Wir haben die moralische und historische Verantwortung, diese Wokeness abzuschaffen“, rief der Argentinier dem Auditorium zu.
Für die mit Spannung erwartete Rede von Donald J. Trump, der nur wenige Stunden später per Video aus Übersee zugeschaltet wurde, ließ das wenig Gutes erahnen. Milei und Trump verbindet einiges. Sie schätzen sich. Der 47. Präsident der USA, der wegen einer Amtseinführung zwei Tage zuvor nicht zum WEF gereist war, hat ähnliche Überzeugungen.
Und die untermauerte er auch in seiner etwa 20-minütigen Rede und der anschließenden kurzen Diskussion. Seine Kernbotschaften: Wer in den USA produziert, erhält Steuererleichterung. Wer nur exportiert, muss Einfuhrzölle zahlen. Die EU agiert ungerecht zum Nachteil der USA und muss sich für US-Produkte öffnen, um das Handelsdefizit abzubauen. Zudem werden die Öl- und Gasproduktion in den Staaten drastisch ausgeweitet und der Verteidigungsbeitrag für die Nato auf fünf Prozent des BIP der Mitgliedstaaten anvisiert.
Als Diskussionsbeiträge im Geiste vergangener WEF-Foren waren Trumps Auslassungen nicht zu verstehen. Vielmehr als Leitplanken, wohin die Reise mit ihm als US-Präsidenten in den kommenden vier Jahren gehen wird. „Um zu erfahren, was die Welt bewegt, muss man jetzt nicht mehr nach Davos fahren, sondern man muss vor Ort in Washington sein. Die Weichen werden jetzt woanders gestellt“, analysiert der Chefvolkswirt der Hamburger Berenberg Bank, Holger Schmieding, den Auftritt Trumps. Und dem müsse sich nicht nur die globale Wirtschaftselite beugen, sondern auch die aufstrebenden BRICS-Staaten China und Indien. „Trump macht Vorgaben. Die müssen reagieren“, sagt Schmieding.
Doch Chinas starker Mann Xi Jinping, Indiens Regierungschef Narenda Modi oder auch der Präsident von Indonesien, dem größten islamischen Staat der Welt, Prabowo Subianto, waren ohnehin nicht in Davos erschienen. Der im Westen geächtete russische Präsident Wladimir Putin sowieso nicht. Und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Großbritanniens Premierminister Keir Starmer sowie Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, allesamt Mitglieder der G7, fehlten zudem, was Henrik Müller in einer Manager-Magazin-Kolumne zu der Frage veranlasste, ob das WEF mit seinem Spirit und seinen Lösungsansätzen wohl noch zum heutigen Zustand der Welt passt.
Doch zugleich könnte man genauso gut aufzählen, wer alles wieder in den mondänen Skiort gekommen war. Laut dem WEF sind das immerhin 60 Staats- und Regierungschefs und über 350 Regierungsmitglieder gewesen, die den Diskurs zwischen Wirtschaft und Politik garantieren. Darunter EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzler Olaf Scholz. „Wenn es Davos nicht gäbe, dann müsste es erfunden werden. Hier treffen sich noch immer die wichtigsten Wirtschaftsentscheider aus der ganzen Welt. Und zwar hier in Europa, das in den vergangenen Jahren zwischen Peking und Washington immer mehr an Gewicht verloren hat“, sagt Wirtschaftspsychologe Timo Meynhardt, Professor an der HHL Leipzig Graduate School of Management und Managing Director des Center for Leadership and Values in Society an der Universität St. Gallen.
Jedenfalls waren diesmal wieder einflussreiche deutsche CEOs zahlreich in Davos vertreten. Sei es Allianz-Chef Oliver Bäte, SAP-CEO Christian Klein, Siemensvorstandsvorsitzender Roland Busch, DHL-Boss Tobias Meyer oder Robert-Bosch-Manager Stefan Hartung. Und wenn ein CEO wie Bayer-Chef Bill Anderson verhindert war, vertraten ihn Vorstandskollegen. Denn auf keiner anderen Veranstaltung, sagten Vertraute von SAP-Chef Klein und Siemens-Lenker Busch, seien die Wege so kurz, um mit Politik, Kunden und Partnern schnell und intensiv ins Gespräch zu kommen. Das sei ein überzeugendes Argument für das WEF.
Wer weiß, vielleicht wird im kommenden Jahr auch wieder US-Präsident Donald Trump in die Alpen reisen und das Forum damit aufwerten. Eingeladen hat ihn WEF-CEO Borge Brende während seines Online-Auftritts schon. Und abgesagt hat Trump noch nicht.