Die Ergebnisse der EZB-Strategieüberprüfung stoßen in der Branche auf Kritik. Es war nach 2003 und 2021 erst die dritte Überprüfung der eigenen geldpolitischen Strategie – und die Gelegenheit, sich kritisch mit vergangenen Entscheidungen auseinanderzusetzen, wurde weitgehend verpasst.
Die strategische Ausrichtung der EZB bleibt taubenhaft, also betont vorsichtig und auf niedrige Zinsen sowie lockere geldpolitische Bedingungen ausgerichtet. Es dürfte für Unternehmen künftig noch schwieriger werden, geldpolitische Signale zu interpretieren und verlässliche Investitionsentscheidungen zu treffen.
Marko Wagner, Senior Economist bei der Commerzbank, sagte dem CEO.Table:
„Für Kapitalmarktteilnehmer war die EZB-Strategierevision ein Non-Event. Ich hätte mir eine umfangreichere Überprüfung der Strategie gewünscht.“
Auch Carsten Brzeski, Chefvolkswirt für Deutschland und Österreich bei der ING, sieht wenig Substanz:
„Die EZB-Strategierevision brachte nicht viel Neues. Statt sich kritisch mit den geldpolitischen Versäumnissen der vergangenen Jahre auseinanderzusetzen, betont die EZB vor allem die Wirksamkeit ihrer bisherigen Maßnahmen.“
Die Ergebnisse im Detail:
Die EZB plant, ihre geldpolitischen Entscheidungen künftig nicht mehr ausschließlich auf das zentrale Basisszenario („baseline scenario“) zu stützen, sondern systematisch Risiko- und Szenarioanalysen einzubeziehen. Neu ist dieser Ansatz allerdings nicht: Bereits in der Vergangenheit hat die EZB auf Energiepreisschocks und geopolitische Risiken wie Kriege reagiert. Insofern bestätigt die Notenbank vor allem bestehende Praktiken und verankert sie nun formell in ihrem geldpolitischen Rahmen.
In der Branche hat man gelernt, mit dieser Volatilität umzugehen. Lars von Lackum, CEO der LEG Immobilien SE, sagte dem CEO.Table:
„Die EZB erkennt an, dass die Unsicherheit und damit auch die Volatilität zunimmt und sie darauf schnell und entschlossen reagieren wird. Umso wichtiger ist und bleibt es, auf der Finanzierungsseite sowohl breit diversifiziert nach Laufzeiten als auch nach Finanzierungsinstrumenten aufgestellt zu sein.“
Die EZB bekräftigt ihr symmetrisches Inflationsziel von zwei Prozent und betont nun deutlicher als noch 2021, dass sie bei Abweichungen nach oben und unten gleichermaßen entschlossen reagieren will. Experten bezweifeln jedoch, dass es im Ernstfall tatsächlich so kommt.
Wagner kommentiert zurückhaltend:
„Es bleibt zu hoffen, dass sie dieses Versprechen ernst meint und es nicht lediglich bei einem Lippenbekenntnis bleibt.“
Die EZB betont erneut die Bedeutung von Klimawandel und Umweltzerstörung für die Preisstabilität. Der Begriff „Naturzerstörung“ wurde sogar in die geldpolitische Strategie aufgenommen. Fachleute kritisieren jedoch das Fehlen konkreter Maßnahmen zur Förderung von Klima- und Naturschutz durch geldpolitische Instrumente.
„Die neue Strategie der Europäischen Zentralbank unterstreicht, wie wichtig es ist, den Klimawandel vollständig einzubeziehen, schlägt aber keine konkreten Maßnahmen vor, um ihre Operationen zu dekarbonisieren oder nachhaltige Aktivitäten zu unterstützen“, kritisierte Clarisse Murphy, Campaignerin bei Reclaim Finance. Mehr zum Thema Klimawandel lesen Sie in unserem ESG.Table.
Und die geldpolitische Strategie? Die nächste Strategieüberprüfung ist erst in fünf Jahren. Genug Zeit also, sich kritisch zu hinterfragen.