Lars Feld ist Leiter des Walter-Eucken-Instituts in Freiburg und war in der Ampel-Koalition persönlicher Berater von Finanzminister Christian Lindner. Im Interview spricht er über die ersten Wochen der Bundesregierung, mangelnde Strukturreformen, die Rolle von Kommissionen – und warum für tiefgreifende Veränderungen eigentlich längst die Zeit drängt.
Herr Feld, die neue Bundesregierung ist jetzt rund elf Wochen im Amt. Wie fällt Ihr erstes Fazit aus?
Lars Feld: Es ist gemischt. In der außenpolitischen Dimension, einschließlich der sicherheitspolitischen Aspekte, macht die Bundesregierung ein ganz gutes Bild. Besonders der Bundeskanzler hat bei den Partnerstaaten in der EU, allen voran Frankreich, durch seine Besuche und Gespräche deutlich gemacht, wie wichtig es ist, enger zusammenzurücken. Auch im Hinblick auf Russland und die Ukraine hat er eine klare Haltung gezeigt und viel erreicht. Selbst mit Donald Trump im Oval Office hat er ein gutes Bild abgegeben – das gelingt nicht jedem.
International hat sich das Bild Deutschlands also recht schnell gewandelt.
Ja, auch Wirtschaftsmedien wie die Financial Times, der Economist oder die New York Times zeichnen ein positives Bild, etwa von Friedrich Merz. Außenpolitik ist eben auch Wirtschaftspolitik.
Was jedoch negativ auffällt, sind die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung. Es fehlt an notwendigen Strukturreformen. Das Einzige, was bisher passiert ist, ist die Erhöhung der Verschuldung – ohne die gewünschten Effekte, wenn nicht gleichzeitig Reformen erfolgen.
Aber es wurden doch bereits das Investitions-Sofortprogramm und erste Gesetze auf den Weg gebracht. Sehen Sie das zu negativ?
Beim Investitions-Sofortprogramm sticht vor allem die Steuerpolitik hervor – insbesondere der sogenannte Investitionsbooster: drei Jahre degressive Abschreibung von jeweils 30 Prozent sowie ab dem vierten Jahr eine allmähliche Steuersenkung beim Körperschaftsteuersatz. Das ist grundsätzlich eine Maßnahme in die richtige Richtung.
Allerdings atmet diese Abschreibung die typische Konjunkturpolitik – sie funktioniert nur, wenn Unternehmen Gewinne machen. Und da es keine Veränderung bei der Verlustverrechnung gibt, hilft das vielen wenig.
Was hätten Sie sich stattdessen gewünscht?
Dass man sofort mit der Steuersatzsenkung beginnt. Denn es geht um Standortpolitik und Abschreibungserleichterungen verändern die Standortwahl eines Unternehmens nicht. Wir haben gesehen, dass deutsche Unternehmen lieber im Ausland investieren oder ausländische Investoren gar nicht erst nach Deutschland kommen. Daran ändern Abschreibungen nichts. Es ist schlicht zu wenig.
Die Initiative „Made for Germany“ hat Investitionszusagen von 631 Milliarden Euro gesammelt. Ist das nicht ein starkes Bekenntnis zum Standort Deutschland?
Über die Jahre verteilt – ja. Aber viele dieser Investitionen waren längst in der Pipeline. Viele Vorhaben basieren auf Subventionen, etwa in der Halbleiterbranche – denken Sie an TSMC oder Infineon.
Neu hinzugekommen sind vielleicht 100 Milliarden Euro. Und: Der Mittelstand war kaum vertreten. Gerade dort aber sind die Belastungen derzeit besonders hoch.
Was müsste man konkret für den Mittelstand tun?
Man müsste Unternehmen auf der Kostenseite entlasten. Wir sind in der Angebotspolitik zu wenig vorangekommen. Subventionen, etwa in der Energiepolitik, können nur vorübergehende Erleichterungen bieten – siehe Industriestrompreis.
Es braucht strukturelle Maßnahmen: Arbeitskosten senken, Energiekosten senken, Regulierung abbauen und die Steuerlast verringern. Bisher ist hier zu wenig passiert – oder es steht zwar im Koalitionsvertrag, ist aber widersprüchlich. In der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik läuft vieles in die falsche Richtung – etwa beim Rentenpaket.
Arbeitgeber fordern, die Lohnnebenkosten zu deckeln. Wäre das sinnvoll?
Man kann das nicht gesetzlich festlegen. Man müsste Reformen umsetzen, die Beitragssätze dauerhaft bei 40 Prozent halten. Ansonsten drohen Haushaltszuschüsse oder Steuererhöhungen. Das ist linke Tasche, rechte Tasche.
Es braucht Leistungsreduktionen in den Sozialversicherungen, aber dazu gibt es bislang keine Pläne. Und ein Konsens zwischen den Koalitionspartnern ist nicht in Sicht.
Die Bundesregierung plant eine Kommission für Rente und Sozialstaat. Ein sinnvoller Schritt?
Wir Wissenschaftler freuen uns natürlich, wenn Expertise gefragt ist. Aber ehrlich: Das wirkt wie „Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis“.
Seit Jahren warnen Gutachten vor der Finanzlücke in der Rentenversicherung ab 2025. Die letzte Kommission unter Merkel brachte kaum Ergebnisse. Die Politik sollte endlich ihre Entscheidungsschwäche überwinden und handeln.
Aber auch die Hartz-IV-Reformen entstanden aus einer solchen Kommission und die hatte einen großen Effekt.
Richtig – aber damals war auch der politische Wille da. 2005 lag die Arbeitslosenquote bei 13 Prozent. Der Reformdruck war enorm. Heute fehlt dieser Druck noch – politisch wie gesellschaftlich. Daher hält sich die Politik zurück, obwohl Reformen notwendig wären. Eine weitere Kommission wird das kaum ändern.
Sie glauben also nicht an soziale Strukturreformen in dieser Legislaturperiode?
Es geht nicht um Glauben – sondern um politische Realitäten. Reformen bedeuten, dass man Privilegien antastet. Das ist vor Wahlen kaum möglich. Deshalb müssten substanzielle Reformen gleich zu Beginn einer Amtszeit kommen. Doch die Regierung hat bereits jetzt zu viel Zeit verstreichen lassen.
Haben Sie zum Abschluss noch einen optimistischen Ausblick für uns?
Ich bin ein bisschen zurückhaltend mit Optismus – Realismus ist angesagt. Wenn es aber gelingt, in den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten zu einem guten Ergebnis zu kommen, dann werden die Investoren weltweit, also nicht nur bei uns in Deutschland, auch etwas mehr Zuversicht schöpfen und bereit sein, Investitionen zu unternehmen.