CEO.Talk
Erscheinungsdatum: 31. Oktober 2025

Herr Noga, was läuft beim Thema digitale Souveränität in Deutschland schief?

Markus Noga, Chief Technology Officer bei Ionos. (Ionos)

Markus Noga, CTO bei Ionos, erläutert im Interview mit Table.Briefings, ob sich KI-Gigafabriken rechnen und warum US-Hyperscaler-Sanktionen gegen Israel ein Weckruf für Deutschland sind.

Einige deutsche Medien berichteten, keine deutsche Firma habe den Zuschlag für die EU-AI-Gigafactory erhalten. Später stellte sich jedoch heraus, dass es sich um großangelegte KI-Fabriken handelt. Welche Infrastruktur würde mit einer solchen Gigafactory hierzulande entstehen?

Die EU hat schon im vergangenen Jahr im Rahmen ihres AI Innovation Packages KI-Fabriken als strategische Priorität definiert. Hier geht es vor allem um den Zugang für Start-ups oder kleine Unternehmen zu High Performance Computing. Bei den Gigafactories sprechen wir über deutlich größere Anlagen, die sich vor allem dem Training von KI-Modellen widmen.

KI-Gigafactories stehen ganz oben auf der Agenda der Europäischen Kommission. Die offizielle Ausschreibung soll bis Ende des Jahres veröffentlicht werden, die Vergabeentscheidung wird für 2026 erwartet. Stärken Gigafabriken Europas digitale Souveränität – und lohnen sie sich wirtschaftlich?

Heute werden LLMs oder Bildmodelle in großem Maßstab ausschließlich in den USA oder China trainiert. Die europäischen Gigafactories können hier eine Alternative sein und stehen damit ganz klar für mehr Souveränität. Deep Seek aus China hat ja deutlich gezeigt, welchen Einfluss die Politik auf ein Sprachmodell nehmen kann, wenn man dort nach dem Tianamen Square sucht.

Gleichzeitig sind die Gigafactories ein wirtschaftlicher Motor: Sie fördern die Ansiedlung von Hightech-Unternehmen, schaffen hoch qualifizierte Arbeitsplätze und stärken die Wettbewerbsfähigkeit Europas. Gerade in der Anfangsphase wird es aber wichtig sein, dass der Staat – also sowohl europäische als auch nationale Behörden – als Ankerkunde auftritt und auch selbst die souveränen Angebote nutzt.

Ionos hat zusammen mit der Hochtief AG Interesse an einem solchen Bauprojekt angekündigt. Wie bewerten Sie diese potenzielle Investition?

Wir haben intensiv an diesem Thema gearbeitet. Was ich sagen kann: Bei der Liefer- und Leistungsfähigkeit moderner Rechenzentren – vom Rack-Aufbau bis zum laufenden Betrieb – gibt es keine Engpässe. Entscheidend ist das Geschäftsmodell und die Geschwindigkeit, mit der eine Gigafactory auf Gigascale hochgefahren werden kann.

GPUs sind nur ein bis zwei Jahre auf dem neuesten Stand, bevor sie veralten. Das enge Monetarisierungsfenster zwingt uns dazu, Ausbau und rasches Hochfahren der Auslastung perfekt zu timen. Daran arbeiten derzeit alle Branchenakteure mit Hochdruck.

Im Koalitionsvertrag wird die AI-Gigafactory als Element digitaler Souveränität genannt. Viele DAX-Konzerne setzen jedoch weiterhin auf US-amerikanische Anbieter. Wäre es nicht ein positives Signal, wenn sie auf deutsche Lösungen umsteigen?

Als DAX-Unternehmen muss ich stets die Frage stellen, ob mein Betrieb autark weiterarbeiten kann, wenn Sanktionen greifen. Ein Beispiel: 2019 stoppten amerikanische Cloud-Anbieter ihre Dienste in Venezuela über Nacht – Warenwirtschaft, Lagerverwaltung, CRM, Kundensupport lagen brach. Dasselbe passiert aktuell, wenn Hyperscaler israelische Streitkräfte von Diensten ausschließen.

Deshalb geht es nicht nur um Technologie, sondern um Kontrolle über das digitale Nervensystem eines Unternehmens. Nur wer lokale Alternativen mit gesicherter Energie- und Dateninfrastruktur hat, bleibt handlungsfähig. Interessanterweise melden sich jetzt zahlreiche DAX-Konzerne, darunter auch Automobilhersteller, bei uns. In den letzten zwölf bis 18 Monaten hat sich hier ein massiver Sinneswandel vollzogen.

Halten Sie eine ähnliche Sanktion wie in Venezuela oder Israel auch gegenüber europäischen Unternehmen für möglich?

Es lässt sich nicht ausschließen. Der sogenannte US Cloud Act [18 U.S. Code § 2713] verpflichtet jedes Unternehmen mit Hauptsitz in den USA, amerikanischen Behörden Zugriff auf Daten zu gewähren – egal, wo die Daten gespeichert sind oder welches lokale Recht gilt. Dass ein CEO dann erklärt, er halte sich nicht daran, wäre höchst ungewöhnlich.

Wie kann Europa seine digitale Souveränität zurückgewinnen?

Das geht natürlich nicht auf Knopfdruck, sondern es ist eine schrittweise Reise. Jede Architekturentscheidung, jede Verlagerung von Datenkopien hilft – sei es in Behörden oder Unternehmen. Immer mehr Organisationen setzen auf Multicloud: Sie verteilen Workloads auf mehrere Anbieter und prüfen parallel europäische Alternativen. Wichtig ist zudem, Sovereignty Washing zu erkennen: Angebote, die sich nur souverän geben, ohne es wirklich zu sein.

Wo sehen Sie beim Thema digitale Souveränität in Deutschland die größten Missverständnisse?

Als Beispiel die Rüstungsindustrie: Moderne Kampfflugzeuge sind hochgradig vernetzt, laden Software-Updates herunter und erfordern PIN-Eingaben der Piloten. Sie sind damit fernabschaltbar. Daraus ergibt sich die Frage: Welche Systeme müssen wir selbst beherrschen, um nicht nur souverän, sondern wirklich sicher zu sein?

Markus Noga ist seit April 2023 Chief Technology Officer (CTO) bei Ionos.

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Letzte Aktualisierung: 31. Oktober 2025

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