CEO.Talk
Erscheinungsdatum: 31. Oktober 2025

Frau Virkkunen, bekommt Deutschland eine KI-Gigafactory?

Henna Virkkunen, Exekutiv-Vizepräsidentin der Europäischen Kommission für technologische Souveränität, Sicherheit und Demokratie. (Alessandro Rampazzo/European Union, 2025)

Deutschland wartet auf seine Gigafactory. EU-Kommissarin Henna Virkkunen betont im Interview: Es gibt Interesse von zehn Konsortien – Deutschland benötigt mehr Rechenkapazität.

Einige deutsche Medien berichteten, dass kein deutsches Unternehmen den Zuschlag für die EU-KI-Gigafactory erhalten habe. Später stellte sich heraus, dass es hierbei um sechs neue große KI-Fabriken geht. Fehlt uns immer noch die Klarheit darüber, welche Art von Infrastruktur in Europa tatsächlich gebaut wird?

Ich denke, die Ankündigung über die KI-Fabriken haben die Leute vielleicht missverstanden, da die Debatte parallel zur Gigafactory-Diskussion läuft. So gibt es zum Beispiel bereits zwei KI-Fabriken in Deutschland, und auch für die Gigafactories haben wir ein riesiges Interesse aus Deutschland erhalten – 10 verschiedene Konsortien haben ihre Bereitschaft bekundet, zu investieren.

Wir planen, in den kommenden Jahren gemeinsam mit privaten Investoren und Mitgliedstaaten in vier bis fünf Gigafactories zu investieren. Wir stehen jetzt in Kontakt mit allen interessierten Parteien und ermutigen sie, größere Konsortien zu bilden und einige Anträge zusammenzuführen, bevor die offizielle Ausschreibung in den kommenden Monaten beginnt.

Sind Sie noch auf dem richtigen Weg? Werden wir bis Anfang 2026 eine Entscheidung haben?

Ja, auch wenn es ein wenig von der Regulierung abhängt. Wir haben die EuroHPC-Regulierung, die Supercomputer abdeckt. Wir müssen es leicht ändern, weil die Gigafactories private Investoren einbeziehen werden, was ein neues Element ist. Der Rat der EU und das Europäische Parlament arbeiten an einer Aktualisierung der Verordnung, um private Investoren bei diesen Projekten einzubeziehen. Wir hoffen, dass die gesetzgebenden Organe diese Arbeit sehr bald abschließen werden, damit wir die offizielle Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen veröffentlichen können.

Was sind die wichtigsten Kriterien, um Gigafactory-Ausschreibungen zu gewinnen?

Wir arbeiten derzeit an den Kriterien. Bei KI-Fabriken geht es darum, nicht nur Rechenkapazitäten, sondern auch hochwertige Datensätze, talentierte KI-Entwickler und Endnutzer zusammenzubringen. Bei Gigafactories verschiebt sich der Fokus mehr in Richtung privater Investoren und der Industrie, da sich Unternehmen beteiligen und diese Anlagen nutzen werden, um ihre eigene KI zu trainieren und zu entwickeln.

Welche Rolle sollte Deutschland bei dieser KI-Wende spielen? Soll dort mindestens eine Gigafactory stehen, oder sprechen hohe Energiekosten und andere Faktoren dagegen?

Es ist sehr positiv zu sehen, dass so viele Mitgliedstaaten diese Gigafabriken unterbringen wollen. Wir hatten 16 verschiedene Mitgliedstaaten, die daran interessiert waren, sie bei sich anzusiedeln, und viele andere wollten sich beteiligen. Alle großen Länder bekundeten Interesse, aber auch viele kleinere. Deutschland ist ganz klar unser industrielles Kraftzentrum. Wir haben dort bereits zwei große KI-Fabriken, und die meisten europäischen Top-Industrien haben ihren Sitz in Deutschland. Fest steht, dass Deutschland mehr Rechenkapazität benötigt, um KI vor Ort zu entwickeln.

Sollten wir bald mit weiteren großen Sprachmodellen rechnen, die in Europa entwickelt werden?

Ja, absolut. Dies ist ein wichtiger Schwerpunktbereich. Wir müssen KI innerhalb der Europäischen Union entwickeln – KI auf der Grundlage unserer europäischen Inhalte, unserer Sprachen, unserer Werte. Dies ist eine kritische Technologie, bei der wir unsere eigenen Kapazitäten haben müssen und nicht von KI abhängig sein dürfen, die in Asien oder den Vereinigten Staaten entwickelt wurde.

Wann erwarten Sie realistischerweise ein voll funktionsfähiges KI-Gigafactory-Ökosystem?

Ich möchte, dass sie so schnell wie möglich einsatzbereit sind. Parallel dazu bereiten wir bereits alles vor, um sicherzustellen, dass wir Zugang zu allen benötigten Materialien und Technologien haben. Wenn wir die Ausschreibung im Dezember oder Januar eröffnen können, werden wir sie vor dem Sommer schließen und in den kommenden Monaten Entscheidungen treffen. Ich gehe davon aus, dass die ersten bis 2027 einsatzbereit sein werden.

Glauben Sie, dass es ausreichen wird, um auf der globalen Bühne aufzuholen?

Das Positive ist, dass wir bereits 19 KI-Fabriken genehmigt haben. Innerhalb eines Jahres werden wir mehr als das Fünffache der Rechenkapazität haben, die wir heute haben. Wir werden in den kommenden Jahren noch mehr brauchen, daher ist es wichtig, dass wir mit den Gigafactories weitermachen. Aber die Schritte, die wir im vergangenen Jahr mit den KI-Fabriken unternommen haben, waren in Bezug auf die Rechenkapazität bereits enorm.

Haben Sie auf Ihren Reisen durch Europa eine gemeinsame Vision für einen digital souveränen KI-Kontinent entwickelt? Was muss sich ändern, um eine echte „Buy European“-Mentalität zu fördern?

Ich sehe, dass immer mehr Branchen und Regierungen wollen, dass die Europäer ihre Geschäftstätigkeit risikoärmer machen. Auch die öffentlichen Verwaltungen sollten mit gutem Beispiel vorangehen. Wir sollten das öffentliche Auftragswesen viel aktiver nutzen, um Investitionen in europäische Lösungen zu beschleunigen. Wir haben viele wettbewerbsfähige europäische Unternehmen und Technologien, aber sie sind oft zu klein, um auf dem Markt sichtbar zu sein. Wir müssen Wege für sie schaffen. Natürlich entscheiden Unternehmen selbst nach Nutzen und Risiken, aber wir können mehr tun, um sie zu unterstützen.

Wie verstehen Sie die digitale Souveränität Europas und haben Sie Anzeichen für „Sovereignty Washing“ gesehen, insbesondere im Fall der europäischen Cloud?

Ich denke, bei Souveränität geht es im Wesentlichen darum, dass wir selbst entscheiden können, mit wem und wie wir zusammenarbeiten – um sicherzustellen, dass wir nicht von einem einzigen Unternehmen oder Land abhängig sind. Das bedeutet, dass wir selbst bestimmte Kapazitäten brauchen. Wir brauchen auch mehrere Partner, um immer mehr Optionen und echte Unabhängigkeit zu haben.

Was die Cloud-Kapazität und die Sovereign Cloud im Speziellen betrifft, arbeiten wir derzeit im Rahmen der Vorbereitung des Cloud and AI Development Act erneut an der Definition. Was ich sehe, ist, dass Wettbewerb und Alternativen für Cloud-Dienste entscheidend sind. Wir brauchen einen echten Markt. So haben wir erst vor wenigen Wochen eine Ausschreibung für souveräne Cloud-Services im Wert von 180 Millionen Euro veröffentlicht.

Henna Virkkunen ist Exekutiv-Vizepräsidentin der Europäischen Kommission für technologische Souveränität, Sicherheit und Demokratie.

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Letzte Aktualisierung: 31. Oktober 2025

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