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Erscheinungsdatum: 26. Juli 2025

Die Sorge um De-Industrialisierung führt in die Irre

Eine der größten Sorgen sowohl der aktuellen als auch der vorhergehenden Regierung ist es, in Deutschland wichtige Industrieproduktion zu erhalten beziehungsweise neu anzusiedeln. Dabei geht es um eine breite Palette von Sektoren: Halbleiter, Batterien, Chemie, Stahl, Pharmazeutika oder E-Autos. Basierend auf diesem Ziel werden signifikante Subventionen gerechtfertigt, etwa Einzelsubventionen in Milliardenhöhe für individuelle Unternehmen (Intel, TSMC) oder generelle Vergünstigungen wie der Industriestrompreis. Deutschland ist mit dieser Sorge nicht allein; auch die USA, die EU, Indien, Indonesien und viele weitere Länder versuchen, Anreize für inländische Produktion zu schaffen.

Warum macht man sich solche Sorgen, dass bestimmte Produkte nicht mehr im eigenen Land, sondern woanders und möglicherweise günstiger produziert werden? Genau das ist die Logik der globalen Arbeitsteilung, die sich über Jahrzehnte entwickelt hat: Ein Produkt wird dort hergestellt, wo es relativ am besten und günstigsten produziert werden kann. Davon profitiert nicht nur das Produktionsland selbst, sondern auch alle anderen Länder, die das Gut kaufen, weiterverarbeiten oder konsumieren.

Es sind eine Reihe von Bedenken, die teilweise miteinander verbunden sind: Zum Beispiel die Angst, dass „gute“, produktivere Arbeitsplätze abwandern, Löhne sinken und das Produktivitätswachstum nachlässt. Die Befürchtung, dass Abhängigkeiten von anderen Ländern entstehen. Und die Sorge, dass die eigene Industrie aufgrund von Subventionen oder Zollmaßnahmen anderer Länder nicht mehr wettbewerbsfähig ist.

Auf ersten Blick wirken diese Befürchtungen berechtigt, bei näherer Betrachtung erweisen sie sich jedoch als unbegründet. „Gute“ Arbeitsplätze in Fabriken zu sichern, scheint insbesondere für Menschen ohne Hochschulabschluss ein wichtiges Ziel. Das Problem dabei: Industrieproduktion ist zunehmend hochautomatisiert und beschäftigt immer weniger, aber besser qualifizierte Mitarbeiter. Laut The Economist ist die Anzahl der Industriejobs seit 2013 um sechs Prozent zurückgegangen, die Produktion jedoch um fünf Prozent gestiegen. Offensichtlich kann nicht jeder Staat ein größeres Stück von einem schrumpfenden Kuchen erhalten.

Auch der Mythos, dass das Produktivitätswachstum in der Produktion höher sei als im Dienstleistungssektor, stimmt nicht. Das höchste Produktivitätswachstum aller Industrieländer verzeichneten in den letzten Jahrzehnten die USA – gleichzeitig mit dem niedrigsten Anteil der Produktion am BIP. Chinas Wachstum, trotz beeindruckender Dominanz bei vielen Industrieprodukten, liegt hinter dem Indiens zurück, wo der Industriesektor noch relativ klein ist. Das bedeutet, dass eine Rückverlagerung der Produktion das Produktivitätswachstum eher hemmen als fördern würde – auch weil sonst dringend benötigte Arbeitskräfte im Dienstleistungssektor fehlen würden. Gerade in Deutschland, wo der demografische Wandel den Arbeitskräftemangel verstärkt, wäre das besonders problematisch.

Es bleiben geostrategische Abhängigkeiten als Argument. Vollständige Lieferketten für Halbleiter, E-Autos oder andere Industrieprodukte innerhalb eines Landes würden jedoch enorme Kostensteigerungen verursachen. Lieferketten sind hochkomplex, und in den seltensten Fällen wird ein Produkt von Anfang bis Ende im gleichen Staat hergestellt. Zudem fehlen in gerade Deutschland viele Rohstoffe, seien es seltene Erden oder andere Mineralien, entweder ganz oder wären aufgrund von Umweltauflagen nicht rentabel abzubauen.

Mehr Produktion im eigenen Land steigert nicht zwangsläufig das Wachstum: Die Antwort auf Chinas Erfolg in der Industrieproduktion sind nicht Importzölle auf befreundete Länder oder Subventionen für einzelne Sektoren, sondern eine enge Zusammenarbeit zwischen der EU, den USA, Kanada, Japan, Südkorea und möglichst vielen anderen Staaten. Scheidet die USA aus dieser Gruppe aus, verstärkt das nur den Imperativ, mit allen anderen wichtigen Handelspartnern eng zusammenzuarbeiten.

Das Erfolgsrezept besteht in offenen Märkten: niedrige oder gar keine Zölle, minimale Subventionen und ein konsequenter Abbau von Regulierung und Bürokratie in allen beteiligten Ländern. Geostrategische Risiken sollten durch Diversifizierung der Lieferketten angegangen werden, nicht durch industriepolitische Maßnahmen. Die Vorstellung, zwanghaft Produktionskapazitäten ins eigene Land zurückholen zu müssen, führt zu einem ineffizienten Wettlauf um Subventionen und Zölle – mit dem Ergebnis, dass Produktivität, Wachstum und Löhne hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben.

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Letzte Aktualisierung: 26. Juli 2025

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