In keinem anderen Bereich wird Deutschland in den kommenden Jahren so viel Geld in die Hand nehmen. Und in keinem anderen Bereich wird es so entscheidend sein, dass dieses Geld sinnvoll eingesetzt wird – für unsere Sicherheit, aber auch für unsere Wirtschaft.
Dennoch geistern viele Missverständnisse über die Ökonomie der Verteidigung durchs Land. Je weiter man sich politisch nach links bewegt, desto lauter werden die Überzeugungen: Verteidigungsausgaben seien totes Geld – bestenfalls ein kurzes konjunkturelles Strohfeuer beim Schweißen von Stahl. Sobald die Panzer aber im Depot rosten und nicht gebraucht werden, sei klar, dass man mit dem Geld Besseres hätte anfangen können.
Doch es gibt eine andere Perspektive, die militärische Notwendigkeiten und ökonomische Chancen zusammendenkt. Die militärischen Erfordernisse sind klar: Wenn wir in Europa auch künftig in Sicherheit leben wollen, müssen wir technologisch mit den Besten mithalten können. Wir brauchen autonome Systeme wie KI-gestützte Drohnen, satellitengestützte Kommunikation und Aufklärung, intelligente Software zur präzisen Bedrohungsanalyse inmitten der Datenflut sowie moderne Raketentechnologien und Sensorik, um den Himmel über unseren Köpfen zu schützen.
Konkret: Wir brauchen große Fortschritte bei autonomen Flug- und Fahrzeugsystemen, in der künstlichen Intelligenz und bei unseren Fähigkeiten im Weltraum. Und wenn Sie sich fragen, in welchen Bereichen Europa in den letzten zwei Jahrzehnten gegenüber den USA und China besonders stark ins Hintertreffen geraten ist – genau in diesen Bereichen.
Aber: In der Verteidigung ist Abgehängtsein keine Option. Es geht um unsere Sicherheit.
Wir müssen also aufholen – und die Ressourcen, das Know-how und den Fleiß unserer Ingenieurinnen und Ingenieure in Technologien investieren, die diese Sicherheit bringen und zugleich den dringend benötigten Innovationsschub liefern können, um wieder ganz oben in der globalen Technologieliga mitzuspielen. Diese Chance müssen Deutschland und Europa jetzt nutzen.
Dazu braucht es moderne Beschaffungsprozesse und eine kluge Planung, die sicherheitspolitische und wirtschaftliche Ziele miteinander verbindet. Wir haben in Deutschland viel über Industriepolitik diskutiert – die Herausforderung der kommenden Jahre besteht darin, die sicherheitspolitisch notwendige Aufrüstung auch als industriepolitische Chance zu begreifen. Drei Prinzipien sind dabei zentral:
Wir müssen so schnell wie möglich Ressourcen bündeln und die notwendigen Fähigkeiten in Europa aufbauen. Wer weiter im amerikanischen Waffensupermarkt einkauft, verlängert nur die Abhängigkeit – und stärkt nicht die eigene Wirtschaft.
Der Schlüssel zu positiven ökonomischen Effekten – auch jenseits des Militärischen – liegt in einem massiven Ausbau des Forschungs- und Entwicklungsbudgets der Bundeswehr. Derzeit fließen weniger als fünf Prozent des Bundeswehrhaushalts in Forschung und Entwicklung. In den USA und Israel liegen die Anteile im zweistelligen Bereich. Hier braucht es ein Umdenken: Die Verteidigung der Zukunft ist Hightech, nicht Panzer-Testfahrt.
Europa muss endlich einen gemeinsamen Binnenmarkt für Verteidigung entwickeln. Nur dann lassen sich Stückzahlen erhöhen, Systeme integrieren und Skaleneffekte realisieren. Die heutige nationale Zersplitterung ist eines der größten Hindernisse für eine leistungsfähige Rüstungsindustrie.
Nach dem Gipfel in Den Haag ist klar: Am Geld wird es nicht scheitern. Europa hat die ökonomischen und finanziellen Möglichkeiten, sich aus eigener Kraft so stark zu machen, dass es potenzielle Angreifer abschrecken kann. Aber wenn wir es ernst meinen, müssen wir vor allem unsere technologische Rückständigkeit überwinden.
Das ist eine Einsicht, die Europa zu lange verdrängt hat: Nur wer technologisch ganz vorne mitspielt, lebt auch in Sicherheit.
Moritz Schularick ist Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW).