Schulschließungen: „Auf das schlechte Omicron-Szenario vorbereiten“

Man sieht Berit Lange, KMK-Forscherin zu Omicron: Sie hält Schulschließungen für möglich
Dr. Berit Lange, Leiterin der Klinischen Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum und Hauptautorin der Corona-Studie der KMK

Von Dr. Berit Lange

Insgesamt ist die Verbreitungsgeschwindigkeit von Omicron trotz der aktuellen Situation, in der die Kontakte noch deutlich reduziert sind, im Vergleich zum präpandemischen Level hoch. Wir sehen in anderen europäischen Ländern, auch solchen mit hohen Impfquoten, sehr hohe Verbreitungsgeschwindigkeiten. Die Daten, die wir jetzt aus anderen Ländern haben, zeigen uns zwischen 1,5 und vier Tagen als Verdopplungszeiten. Das sind Reaktionszeiten, die wir bisher nur ganz am Anfang im März 2020 hatten. Das bedeutet, dass das Geschehen ungemein schnell außer Kontrolle geraten kann, ohne dass man lange Reaktionszeiten hat, wie wir sie bisher meistens tatsächlich immer noch hatten. Zwei bis vier Wochen hatten wir als Reaktionszeit, die brauchte die Politik meistens auch, um Maßnahmen zu ergreifen. Diese Zeit wird mit Omicron mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr möglich sein. Das ist das eine: wir haben keine Reaktionszeit. 

Omicron könnte sogar zu Belastung kritischer Infrastrukturen führen

Das andere ist, dass wir innerhalb einer Omicron-Welle auf einmal wieder punktuell ungemein höhere Belastungen im Gesundheitssystem haben könnten. Das gilt womöglich auch für andere kritische Infrastrukturen, weil einfach zu viele Menschen gleichzeitig krank werden. Es ist bisher immer so gewesen, dass es zuerst die Gesundheitssysteme der Erwachsenen trifft. Das würden wir auch bei Omicron im Augenblick so annehmen. Die sind in bisherigen Wellen überlastet, bevor die Kindersysteme überhaupt erst in dieses Problem hinein geraten. Das ist so, weil das individuelle Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 bei Kindern sehr niedrig ist. Dies nehmen wir aktuell auch für Omicron an, außer, es gibt noch zusätzliche Belastungen wie RSV und Influenza.

Das heißt, eine Belastung der Gesundheitssysteme der Kinder wird auch bei Omicron vermutlich nur dann eintreten, wenn die Infektionsdynamik bei Kindern und Erwachsenen sehr weit auseinander geht (divergent ist). Wenn wir also bei den Kindern noch einmal deutlich höher Infektionszahlen hätten, als bei den Erwachsenen, dann wäre es möglich, dass wir – gerade wenn noch andere Atemwegsinfektionen dazu kämen -, grundsätzlich irgendwo in Bereiche kommen könnten, wo wir drei bis acht Prozent der Kinder pro Woche infiziert haben. Das wäre der Bereich, in dem es eben auch zu deutlichen Belastungen auch der Gesundheitssysteme der Kinder kommen könnte. Neben der Belastung der Gesundheitssysteme der Erwachsenen muss eben auch dies bedacht und beobachtet werden – auch wenn es unwahrscheinlich ist. Denn wir sind jetzt nur wenige Tage bis Wochen vor einer Omicron-Welle.

Volle oder teilweise Schulschließungen wegen Omicron?

Die schnelle Verbreitungsgeschwindigkeit bedeutet für die Omicron-Welle aber, dass wir uns auf eine Überlastung der Gesundheitssysteme sowie der Infrastrukturen vorbereiten müssen. Das heißt aus meiner Sicht, man muss sich darauf vorbereiten, dass es Kontaktbeschränkungen in allen Bereichen der Gesellschaft geben wird. Und damit auch, dass man möglicherweise im Januar – jetzt nur was die Schulen angeht – in deutlich anderer Form in den Schulbetrieb geht, als das aktuell noch geplant ist. Ob das jetzt volle Schulschließungen sind, ob das teilweise Schließungen sind – das hängt von der Infektionssituation ab, die dann durch Omicron da ist. Weiterhin gilt aber natürlich, dass zur Belastungsreduktion der Erwachsenensysteme die Schulen erst an allerletzter Stelle mithelfen sollten. Wegen der schweren negativen Effekte für Schüler

Klar ist, dass es epidemiologisch nie Sinn macht, als alleinige Kontaktbeschränkungsmaßnahme die Schulen zu schließen. Das hat meines Wissens nach auch keiner vor. Was aber wichtig ist, zu verstehen:  immer wenn man in diese Situation kommt, dass man die Reproduktionszahl richtig schnell unter eins drücken muss (weil die Belastung der Infrastrukturen so hoch ist), dann braucht man eben genug Kontaktbereiche, um das auch effektiv schaffen zu können – dazu gehören dann in letzter Konsequenz auch die Schulen, wenn die anderen nicht ausreichen.

Zuerst Kontaktbeschränkungen für Erwachsene

Man sollte es zuerst immer ohne die Schulen probieren, also mit strengen Kontaktbeschränkungen vor allem der Erwachsenen. Aber es kann die Situation geben, dass es nicht schaffbar ist ohne die Schulen. Und genau da könnten wir theoretisch im Januar sein. Mein Anliegen ist, dass auch die Schulbehörden sich darauf vorbereiten. Wir sollten auf ein gutes Szenario hoffen – und uns auf das schlechte Szenario vorbereiten. Und das kann heißen, dass es durch Omicron zu Schulschließungen oder teilweisen Schließungen kommen könnte, wenn strenge Kontaktbeschränkungen hauptsächlich für Erwachsene nicht ausreichen. Und gerade weil wir wissen, wie hoch die negativen gesundheitlichen Folgen solcher Schulschließungen für die Kinder sind, sollte man sich jetzt darauf vorbereiten, diese negativen Folgen möglichst mit passenden Maßnahmen abzufedern – und froh sein, wenn es nicht dazu kommen muss.

Dr. Berit Lange ist Leiterin der Klinischen Epidemiologie der Abteilung Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Sie ist Haupt-Autorin der Corona-Studie der KMK. Der Text ist ein – von Lange autorisiertes – Protokoll ihres Vortrags beim Pressehintergrund zur Vorstellung der Studie.

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