Table.Briefing: Bildung

+++ Table.Alert: Startchancen-Showdown + Eckpunktepapier der Länder

Liebe Leserin, lieber Leser,

dass Deutschland mehr für Bildungsgerechtigkeit tun muss, unterstrichen kürzlich die IGLU-Daten. Ein Baustein könnte das Startchancen-Programm sein, das gezielt Brennpunktschulen adressiert. Das BMBF spricht von einem “Paradigmenwechsel”, die Länder eher von einem “Mosaiksteinchen”.

Die Zeit drängt. Im Sommer 2024 soll das Programm starten und der Showdown der Verhandlungen beginnt in diesen Wochen. Doch nach 17 Monaten zäher Gespräche drohen BMBF und Kultusminister sich im Hickhack um Geld und Verteilungsschlüssel zu verlieren. Dabei besteht über die Ausgestaltung des Programms schon erstaunlich viel Einigkeit, wie meine Kollegen Moritz Baumann und Holger Schleper analysieren.

Viel Spaß bei der Lektüre!

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Anna Parrisius
Bild von Anna  Parrisius

Analyse

Startchancen-Showdown im Juni

Der Streit ums Geld verdrängt die Inhalte. Bis zum Sommer will Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) eine Einigung mit den Ländern erreichen.

Vor einigen Wochen überrumpelte Bettina Stark-Watzinger ihre Länderkollegen. Just als das BMBF die eigenen Eckpunkte für das Startchancen-Programm finalisiert hatte, landete das Papier zuerst bei Medien wie der FAZ und Table.Media. Binnen weniger Stunden entbrannte ein Wettrennen um die Deutungshoheit, das in dieser Woche nochmal eine neue Dynamik angenommen hat. Am Dienstag verschickte das Bundesministerium ein ausführliches Finanztableau an die zuständige Länder-AG.

Damit beginnt die heiße Phase der Verhandlungen.

Seit Wochen kolportieren Ländervertreter eifrig, das BMBF hätte sich großzügig am Konzeptpapier der Länder bedient, das die federführende Arbeitsgruppe schon Ende Februar nach Berlin geschickt hatte. Im Detail ist das nicht überprüfbar, allerdings sind einige Passagen tatsächlich wortgleich. 

  • internes Eckpunktepapier des BMBF: Download
  • internes Eckpunktepapier der Länder: Download

Zwei Papiere, viele Gemeinsamkeiten

Bei genauerem Blick finden sich in beiden Konzepten überraschend viele Übereinstimmungen – was angesichts des andauernden Streits über Geld und Verteilschlüssel in der Debatte untergeht. 

Zielsetzung: Einigkeit besteht darüber, dass die Quote der Schüler, die die Mindeststandards nicht erreichen, binnen zehn Jahren an den Startchancen-Schulen halbiert werden soll. Und: Es soll nicht nur um Leistung, sondern auch Persönlichkeitsentwicklung gehen. Eine Nuance: Die Länder wollen, trotz übergreifender Ziele, die genauen Schritte mit jeder Schule individuell vereinbaren.

Auswahl der Schulen: BMBF und KMK wollen nicht zentral vorgeben, welche Schulen am Programm teilnehmen können. Jedes Land soll selbst entscheiden, wobei die Quote der Schüler mit Migrationshintergrund beziehungsweise im SGB-II-Bezug wesentliche Kriterien sein müssten. 

Ausstattung: Der Bund macht deutlich: Es gibt kein Geld für Fensterreparaturen und Schulklos. Das sei Aufgabe der Länder. Stattdessen wolle man in “Kreativlabore und ‘Multifunktionsräume’ investieren”. Klingt nach neuen kreativen Wegen im Schulbau, während die Länder eher von “Mobiliar”, “Lernflächen” und “Arbeitsplätzen” sprechen, aber auch digitale Infrastruktur erwähnen, die der Bund nicht erwähnt. Die Länder wollen komplexe Förderrichtlinien vermeiden, stattdessen sollen die Schulträger die Mittel pauschal beantragen können. 

Chancenbudget: Völlige Freiheit wollen weder Bund noch Länder den Schulleitern gewähren und folgen damit wissenschaftlicher Expertise: Gerade Schulleiter in Brennpunktschulen, die oft seit Jahren am Limit arbeiten, können überfordert sein, Hunderttausende Euro pro Jahr auszugeben. “Dies setzt strategisches Wissen und kompetentes Steuerungshandeln voraus”, heißt es im Länderpapier. Beide Konzepte sehen daher eine Vereinbarung mit dem zuständigen Ministerium und einen Katalog von Beispielmaßnahmen vor – als Orientierungshilfe. Das BMBF tendiert dazu, den Schulleitern größere Freiheiten zu gewähren und spricht von einer “deutlichen Stärkung der Schulautonomie“. 

Synergien: Ein Streitpunkt ist weiter, wie das Startchancen-Projekt an Brennpunktprogramme anknüpft, die in einigen Ländern längst laufen – wie ‘Starke Schulen’ in Hamburg, Perspektivschulen in Schleswig-Holstein und Talentschulen in Nordrhein-Westfalen. Die Länder wollen diese stark miteinander verweben. Der Bund ist zurückhaltender und schreibt: “Bestehendes Engagement darf nicht durch das Startchancen-Programm substituiert werden.” Forscher sollen die vielen Programme möglichst bald auf “Schnittstellen, Verknüpfungen und Doppelungen” überprüfen. 

Rabe: “Wir sollten nicht versuchen, ein neues Schulsystem zu erfinden”

Insgesamt, so hört man, warnen die Länder davor, das Programm zu überfrachten: “Wir dürfen uns bei Startchancen nicht verheben”, sagt Hamburgs Schulsenator und A-Länder-Koordinator Ties Rabe gegenüber Table.Media. Der Bund will eine Milliarde Euro pro Jahr investieren. “Das ist kaum mehr als ein Prozent der bundesweiten Schulkosten. Wir sollten uns fokussieren und nicht versuchen, mit einem Budget von einem Prozent ein neues Schulsystem zu erfinden”, so Rabe. Hessens Kultusminister Alexander Lorz, der die CDU-Länder koordiniert, hat das BMBF-Papier gelesen und meint: “Das Programm ist ein Bürokratie-Monster und zu wenig flexibel.”

Beim Geld stehen gerade zwei Modelle zur Debatte: eines aus dem Haus von Bettina Stark-Watzinger und eines, auf das sich die KMK in einem nächtlichen Verhandlungsmarathon mühsam einigte (Rückblick). 

Die Schulminister wollen 95 Prozent der Bundesmilliarden nach Königsteiner Schlüssel verteilen. Nur fünf Prozent sollen vorab in einen Solidaritätsfonds fließen – für die Länder mit besonders vielen benachteiligten Schülern. Tabellen, wie sich das Modell finanziell konkret auswirkt, hält die KMK unter Verschluss; nur Bruchstücke werden kommuniziert: Demnach könnte Bremen mit einem Plus von rund 30 Prozent rechnen, verglichen mit dem Königsteiner Schlüssel. Dafür müssten Bayern, Thüringen und Sachsen auf etwa fünf Prozent der Mittel verzichten. “Der Vorschlag der Länder war schon kein einfaches Stück Arbeit”, sagt Lorz. “Es ist eine moderate Veränderung zu dem über viele Jahre etablierten Verteilungsschlüssel.”

BMBF-Berechnungen: Bremen bekommt 50 Prozent mehr Geld

Anfang Mai präsentierte das BMBF schließlich einen eigenen Schlüssel, den auch diese Redaktion in einer ersten Analyse als “kompletten Gegenentwurf” zur 95-5-Lösung der Länder bezeichnete. Hintergrund war, dass nach dem Plan von Stark-Watzinger nicht nur das Geld vom Bund, sondern auch die Landesmittel solidarisch verteilt werden sollen. Dies wirke wie ein Bildungsfinanzausgleich, hieß es damals aus Richtung des BMBF, ohne das mit konkreten Berechnungen zu unterlegen. 

Diese Woche schickte nun das BMBF ein konkretes Finanztableau an die Länder-AG. In der Modellrechnung, die am stärksten vom Königsteiner Schlüssel abweicht, könnte Bremen nach Informationen von Table.Media mit einem Aufschlag von bis zu 50 Prozent rechnen, Berlin und NRW etwas weniger. Bundesländer in sozial günstiger Lage wie Bayern, Thüringen und Sachsen müssten auf 25 Prozent bis 30 Prozent der Mittel verzichten. 

Nach 17 Monaten diffuser Gespräche kann man jetzt beide Konzepte nebeneinanderlegen. “Das ist ein Gewinn, weil wir nun ganz konkret verhandeln können. So war das mit Frau Stark-Watzinger vereinbart”, sagt Rabe, bei dem eine gewisse Skepsis durchklingt, ob Länder wie Bayern und Sachsen den Weg, den sich Berlin ausgedacht hat, mit beschreiten. “Am Ende aber müssen alle Länder diesen Weg mitgehen und die Zeit drängt”, so der SPD-Senator.

Bund und Länder weit weg von einer “neuen Kultur der Zusammenarbeit”

Zunächst aber braucht es atmosphärische Aufbauarbeit. “Bei den persönlichen Zusammentreffen herrschte eigentlich immer eine gute Atmosphäre”, sagt Kultusminister Lorz gegenüber Table.Media. Doch der Frust in zahlreichen Ländern sitzt tief, während Stark-Watzinger selbst noch Anfang des Monats in einem Interview feststellte, dass es keinen Streit um die Finanzierung des Startchancen-Programms gebe.

Aus den Ländern vernimmt man andere Töne: Sie haben sich massiv geärgert, dass die BMBF-Eckpunkte zuerst bei der Presse landeten. Das BMBF benehme sich “wie ein Elefant im Porzellanladen“, hieß es aus Sachsen. “Die Zeiten, die die Ministerin bislang in der Kultusministerkonferenz war, waren einfach zu kurz, um wirklich mal ins Eingemachte zu gehen”, sagt Lorz, der zu einer vernünftigen Verhandlungsatmosphäre zurückkehren möchte. Eines ist klar: Die im Ampel-Koalitionsvertrag formulierte “neue Kultur in der Bildungszusammenarbeit” liegt derzeit in weiter Ferne.

Lorz: Startchancen-Programm ist “keine Zeitenwende”

Die Länder pochen darauf, Stark-Watzingers Bildungsmilliarde einzuordnen – vor allem finanziell. 2022 lagen die Bildungsausgaben der Länder bei mehr als 120 Milliarden Euro. Die Ausgaben der Kommunen erreichten fast 44 Milliarden, die des Bundes elf Milliarden. Nun will der Bund mit einer zusätzlichen Milliarde zehn Prozent aller Schulen Deutschlands, 4000 an der Zahl, fördern. Das sei eine “Ansage”, erklärte BMBF-Staatssekretärin Sabine Döring vergangene Woche. Lorz nennt es dagegen ein “Mosaiksteinchen”, aber “wahrlich keine Zeitenwende”.

In den Verhandlungen ist der nächste Monat entscheidend. Mitte Juni wollen sich die Staatssekretäre zu einer Klausur treffen. Rund um die KMK-Sitzung am 23. Juni soll dann der Durchbruch gelingen (Details zum “Kamingespräch”). “Ich plädiere dafür, sich nicht mit dem Grundsatzstreit aufzuhalten, wie die Gelder auf die Länder verteilt werden. Wir sollten uns vielmehr auf die Verteilung nach den richtigen Kriterien auf die Schulen konzentrieren”, betont Lorz.

Bis August wollen sowohl Bund als auch Länder eine Einigung erreichen. “Dann muss ein belastbares Ergebnis auf dem Tisch liegen, damit wir spätestens im August 2024 das Programm mit Vollausstattung starten können. Denn auch wir Länder brauchen genügend Zeit, um das Programm vorzubereiten”, erklärt Rabe. “Es wird noch sehr intensive vorbereitende Gespräche geben müssen, damit wir am 23. Juni den Knoten durchschlagen können. Ich glaube, dass wir zu einem Ergebnis kommen”, betont B-Koordinator Lorz. Doch versprechen will er nichts. “Dazu gehören immer mehrere.” Moritz Baumann, Holger Schleper

  • Alexander Lorz
  • Bildungsföderalismus
  • BMBF
  • Startchancen-Programm
  • Ties Rabe

BILDUNG.TABLE REDAKTION

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    dass Deutschland mehr für Bildungsgerechtigkeit tun muss, unterstrichen kürzlich die IGLU-Daten. Ein Baustein könnte das Startchancen-Programm sein, das gezielt Brennpunktschulen adressiert. Das BMBF spricht von einem “Paradigmenwechsel”, die Länder eher von einem “Mosaiksteinchen”.

    Die Zeit drängt. Im Sommer 2024 soll das Programm starten und der Showdown der Verhandlungen beginnt in diesen Wochen. Doch nach 17 Monaten zäher Gespräche drohen BMBF und Kultusminister sich im Hickhack um Geld und Verteilungsschlüssel zu verlieren. Dabei besteht über die Ausgestaltung des Programms schon erstaunlich viel Einigkeit, wie meine Kollegen Moritz Baumann und Holger Schleper analysieren.

    Viel Spaß bei der Lektüre!

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    Analyse

    Startchancen-Showdown im Juni

    Der Streit ums Geld verdrängt die Inhalte. Bis zum Sommer will Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) eine Einigung mit den Ländern erreichen.

    Vor einigen Wochen überrumpelte Bettina Stark-Watzinger ihre Länderkollegen. Just als das BMBF die eigenen Eckpunkte für das Startchancen-Programm finalisiert hatte, landete das Papier zuerst bei Medien wie der FAZ und Table.Media. Binnen weniger Stunden entbrannte ein Wettrennen um die Deutungshoheit, das in dieser Woche nochmal eine neue Dynamik angenommen hat. Am Dienstag verschickte das Bundesministerium ein ausführliches Finanztableau an die zuständige Länder-AG.

    Damit beginnt die heiße Phase der Verhandlungen.

    Seit Wochen kolportieren Ländervertreter eifrig, das BMBF hätte sich großzügig am Konzeptpapier der Länder bedient, das die federführende Arbeitsgruppe schon Ende Februar nach Berlin geschickt hatte. Im Detail ist das nicht überprüfbar, allerdings sind einige Passagen tatsächlich wortgleich. 

    • internes Eckpunktepapier des BMBF: Download
    • internes Eckpunktepapier der Länder: Download

    Zwei Papiere, viele Gemeinsamkeiten

    Bei genauerem Blick finden sich in beiden Konzepten überraschend viele Übereinstimmungen – was angesichts des andauernden Streits über Geld und Verteilschlüssel in der Debatte untergeht. 

    Zielsetzung: Einigkeit besteht darüber, dass die Quote der Schüler, die die Mindeststandards nicht erreichen, binnen zehn Jahren an den Startchancen-Schulen halbiert werden soll. Und: Es soll nicht nur um Leistung, sondern auch Persönlichkeitsentwicklung gehen. Eine Nuance: Die Länder wollen, trotz übergreifender Ziele, die genauen Schritte mit jeder Schule individuell vereinbaren.

    Auswahl der Schulen: BMBF und KMK wollen nicht zentral vorgeben, welche Schulen am Programm teilnehmen können. Jedes Land soll selbst entscheiden, wobei die Quote der Schüler mit Migrationshintergrund beziehungsweise im SGB-II-Bezug wesentliche Kriterien sein müssten. 

    Ausstattung: Der Bund macht deutlich: Es gibt kein Geld für Fensterreparaturen und Schulklos. Das sei Aufgabe der Länder. Stattdessen wolle man in “Kreativlabore und ‘Multifunktionsräume’ investieren”. Klingt nach neuen kreativen Wegen im Schulbau, während die Länder eher von “Mobiliar”, “Lernflächen” und “Arbeitsplätzen” sprechen, aber auch digitale Infrastruktur erwähnen, die der Bund nicht erwähnt. Die Länder wollen komplexe Förderrichtlinien vermeiden, stattdessen sollen die Schulträger die Mittel pauschal beantragen können. 

    Chancenbudget: Völlige Freiheit wollen weder Bund noch Länder den Schulleitern gewähren und folgen damit wissenschaftlicher Expertise: Gerade Schulleiter in Brennpunktschulen, die oft seit Jahren am Limit arbeiten, können überfordert sein, Hunderttausende Euro pro Jahr auszugeben. “Dies setzt strategisches Wissen und kompetentes Steuerungshandeln voraus”, heißt es im Länderpapier. Beide Konzepte sehen daher eine Vereinbarung mit dem zuständigen Ministerium und einen Katalog von Beispielmaßnahmen vor – als Orientierungshilfe. Das BMBF tendiert dazu, den Schulleitern größere Freiheiten zu gewähren und spricht von einer “deutlichen Stärkung der Schulautonomie“. 

    Synergien: Ein Streitpunkt ist weiter, wie das Startchancen-Projekt an Brennpunktprogramme anknüpft, die in einigen Ländern längst laufen – wie ‘Starke Schulen’ in Hamburg, Perspektivschulen in Schleswig-Holstein und Talentschulen in Nordrhein-Westfalen. Die Länder wollen diese stark miteinander verweben. Der Bund ist zurückhaltender und schreibt: “Bestehendes Engagement darf nicht durch das Startchancen-Programm substituiert werden.” Forscher sollen die vielen Programme möglichst bald auf “Schnittstellen, Verknüpfungen und Doppelungen” überprüfen. 

    Rabe: “Wir sollten nicht versuchen, ein neues Schulsystem zu erfinden”

    Insgesamt, so hört man, warnen die Länder davor, das Programm zu überfrachten: “Wir dürfen uns bei Startchancen nicht verheben”, sagt Hamburgs Schulsenator und A-Länder-Koordinator Ties Rabe gegenüber Table.Media. Der Bund will eine Milliarde Euro pro Jahr investieren. “Das ist kaum mehr als ein Prozent der bundesweiten Schulkosten. Wir sollten uns fokussieren und nicht versuchen, mit einem Budget von einem Prozent ein neues Schulsystem zu erfinden”, so Rabe. Hessens Kultusminister Alexander Lorz, der die CDU-Länder koordiniert, hat das BMBF-Papier gelesen und meint: “Das Programm ist ein Bürokratie-Monster und zu wenig flexibel.”

    Beim Geld stehen gerade zwei Modelle zur Debatte: eines aus dem Haus von Bettina Stark-Watzinger und eines, auf das sich die KMK in einem nächtlichen Verhandlungsmarathon mühsam einigte (Rückblick). 

    Die Schulminister wollen 95 Prozent der Bundesmilliarden nach Königsteiner Schlüssel verteilen. Nur fünf Prozent sollen vorab in einen Solidaritätsfonds fließen – für die Länder mit besonders vielen benachteiligten Schülern. Tabellen, wie sich das Modell finanziell konkret auswirkt, hält die KMK unter Verschluss; nur Bruchstücke werden kommuniziert: Demnach könnte Bremen mit einem Plus von rund 30 Prozent rechnen, verglichen mit dem Königsteiner Schlüssel. Dafür müssten Bayern, Thüringen und Sachsen auf etwa fünf Prozent der Mittel verzichten. “Der Vorschlag der Länder war schon kein einfaches Stück Arbeit”, sagt Lorz. “Es ist eine moderate Veränderung zu dem über viele Jahre etablierten Verteilungsschlüssel.”

    BMBF-Berechnungen: Bremen bekommt 50 Prozent mehr Geld

    Anfang Mai präsentierte das BMBF schließlich einen eigenen Schlüssel, den auch diese Redaktion in einer ersten Analyse als “kompletten Gegenentwurf” zur 95-5-Lösung der Länder bezeichnete. Hintergrund war, dass nach dem Plan von Stark-Watzinger nicht nur das Geld vom Bund, sondern auch die Landesmittel solidarisch verteilt werden sollen. Dies wirke wie ein Bildungsfinanzausgleich, hieß es damals aus Richtung des BMBF, ohne das mit konkreten Berechnungen zu unterlegen. 

    Diese Woche schickte nun das BMBF ein konkretes Finanztableau an die Länder-AG. In der Modellrechnung, die am stärksten vom Königsteiner Schlüssel abweicht, könnte Bremen nach Informationen von Table.Media mit einem Aufschlag von bis zu 50 Prozent rechnen, Berlin und NRW etwas weniger. Bundesländer in sozial günstiger Lage wie Bayern, Thüringen und Sachsen müssten auf 25 Prozent bis 30 Prozent der Mittel verzichten. 

    Nach 17 Monaten diffuser Gespräche kann man jetzt beide Konzepte nebeneinanderlegen. “Das ist ein Gewinn, weil wir nun ganz konkret verhandeln können. So war das mit Frau Stark-Watzinger vereinbart”, sagt Rabe, bei dem eine gewisse Skepsis durchklingt, ob Länder wie Bayern und Sachsen den Weg, den sich Berlin ausgedacht hat, mit beschreiten. “Am Ende aber müssen alle Länder diesen Weg mitgehen und die Zeit drängt”, so der SPD-Senator.

    Bund und Länder weit weg von einer “neuen Kultur der Zusammenarbeit”

    Zunächst aber braucht es atmosphärische Aufbauarbeit. “Bei den persönlichen Zusammentreffen herrschte eigentlich immer eine gute Atmosphäre”, sagt Kultusminister Lorz gegenüber Table.Media. Doch der Frust in zahlreichen Ländern sitzt tief, während Stark-Watzinger selbst noch Anfang des Monats in einem Interview feststellte, dass es keinen Streit um die Finanzierung des Startchancen-Programms gebe.

    Aus den Ländern vernimmt man andere Töne: Sie haben sich massiv geärgert, dass die BMBF-Eckpunkte zuerst bei der Presse landeten. Das BMBF benehme sich “wie ein Elefant im Porzellanladen“, hieß es aus Sachsen. “Die Zeiten, die die Ministerin bislang in der Kultusministerkonferenz war, waren einfach zu kurz, um wirklich mal ins Eingemachte zu gehen”, sagt Lorz, der zu einer vernünftigen Verhandlungsatmosphäre zurückkehren möchte. Eines ist klar: Die im Ampel-Koalitionsvertrag formulierte “neue Kultur in der Bildungszusammenarbeit” liegt derzeit in weiter Ferne.

    Lorz: Startchancen-Programm ist “keine Zeitenwende”

    Die Länder pochen darauf, Stark-Watzingers Bildungsmilliarde einzuordnen – vor allem finanziell. 2022 lagen die Bildungsausgaben der Länder bei mehr als 120 Milliarden Euro. Die Ausgaben der Kommunen erreichten fast 44 Milliarden, die des Bundes elf Milliarden. Nun will der Bund mit einer zusätzlichen Milliarde zehn Prozent aller Schulen Deutschlands, 4000 an der Zahl, fördern. Das sei eine “Ansage”, erklärte BMBF-Staatssekretärin Sabine Döring vergangene Woche. Lorz nennt es dagegen ein “Mosaiksteinchen”, aber “wahrlich keine Zeitenwende”.

    In den Verhandlungen ist der nächste Monat entscheidend. Mitte Juni wollen sich die Staatssekretäre zu einer Klausur treffen. Rund um die KMK-Sitzung am 23. Juni soll dann der Durchbruch gelingen (Details zum “Kamingespräch”). “Ich plädiere dafür, sich nicht mit dem Grundsatzstreit aufzuhalten, wie die Gelder auf die Länder verteilt werden. Wir sollten uns vielmehr auf die Verteilung nach den richtigen Kriterien auf die Schulen konzentrieren”, betont Lorz.

    Bis August wollen sowohl Bund als auch Länder eine Einigung erreichen. “Dann muss ein belastbares Ergebnis auf dem Tisch liegen, damit wir spätestens im August 2024 das Programm mit Vollausstattung starten können. Denn auch wir Länder brauchen genügend Zeit, um das Programm vorzubereiten”, erklärt Rabe. “Es wird noch sehr intensive vorbereitende Gespräche geben müssen, damit wir am 23. Juni den Knoten durchschlagen können. Ich glaube, dass wir zu einem Ergebnis kommen”, betont B-Koordinator Lorz. Doch versprechen will er nichts. “Dazu gehören immer mehrere.” Moritz Baumann, Holger Schleper

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