+++ Table.Alert: Britta Ernst zurückgetreten – Nachfolger steht fest +++
Table.Alert: Britta Ernst zurückgetreten – Nachfolger steht fest
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Nachricht überraschte die Bildungsrepublik heute Mittag: Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) ist zurückgetreten, nachdem sie über ihren eigenen Pragmatismus stolperte und es sich mit der SPD-Fraktion verscherzte. Ein Nachfolger für Ernst steht bereits fest.
Wir haben für Sie die Hintergründe des Rücktritts zusammengetragen. Es zeigt sich: In Zeiten gravierenden Lehrermangels herrscht in den sonst oft ruhigen Bildungsressorts starker Wellengang. Nun verabschiedet sich eine Ministerin, die pragmatisch-praktisch das Megaproblem lösen wollte.
Eine informative Lektüre wünscht
Ihr Niklas Prenzel
Analyse
Vollbremsung in voller Fahrt
Zu pragmatisch-praktisch für ihre Fraktion? Brandenburgs Bildungsministerin a.D. Britta Ernst.
Nachdem sie mit ihren Plänen in der eigenen Fraktion scheiterte, ist heute Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) zurückgetreten. Sie stolperte über einen Vorschlag, um Brandenburgs Lehrer fairer über das ganze Land zu verteilen. “Diese Pläne haben leider nicht die Unterstützung der SPD-Landtagsfraktion gefunden”, schreibt Ernst am Montag in einer Erklärung. Ihre Konsequenz: Rücktritt.
“Für mich ist ganz klar, dass wir den Unterricht in allen Regionen des Landes Brandenburgs sichern müssen”, betont Ernst. Alle! Das Wort hat sie unterstrichen – wohl mit Blick auf den politischen Kampf, den sie in den vergangenen Wochen ausgetragen hat.
Ernst sorgte sich um den ländlichen Raum
In Brandenburg spitzt sich der Lehrermangel besonders dramatisch zu, und die Statistiker in ihrem Haus warnten, dass das Land im nächsten Schuljahr Probleme haben wird, alle Stellen zu besetzen. Ernst reagierte. Ende Februar kündigte sie an, beim Förder- und Ganztagsunterricht sowie Angeboten zur Inklusion zu kürzen – also die Personalzuweisungen für die Schulen anzupassen, um auf dem Papier 200 Vollzeitlehrer einzusparen. Die freien Stellen wollte sie umwandeln, um Verwaltungskräfte und Schulsozialarbeiter einzustellen. “Wir kürzen keine Stelle”, sagte Ernst damals laut dem Tagesspiegel.
Die Personalrochade zielte darauf, Schulen in Mangelregionen stärker zu unterstützen. Denn je weiter man in Brandenburg aufs Land fährt, je weiter man sich von Berlin entfernt, desto schwieriger ist es, Lehrer zu finden. Ernst ließ keinen Zweifel, dass es ihr Ziel sei, den Unterricht im ganzen Land zu sichern – nicht nur im Berliner Umland. “Der Kuchen ist etwas knapper und wird etwas breiter verteilt”, beschrieb Ernst ihre Strategie.
Nur der Widerstand gegen ihre Reform war enorm: Gewerkschaften, Eltern und Schulleiter beschwerten sich, innerhalb der rot-schwarz-grünen Regierungskoalition brodelte es. Ihre eigenen Leute folgten ihr nicht. In der Fraktion, das berichtet der Tagesspiegel, soll sie bereits mit Rücktritt gedroht haben. “Die Fraktion wollte sie zwingen, diese Kürzungspläne zurückzunehmen”, sagt ein Parlamentarier im Gespräch mit Table.Media.
Staatssekretär Freiberg wird Nachfolger
Ein Schatten auf ihrer Bilanz ist die Reform des Kitagesetzes – eines der wichtigsten Reformvorhaben der Kenia-Koalition. Die chaotische Kita-Finanzierung sollte Ernst neu ordnen, im März stoppte sie das Projekt. Die Landkreise blockierten.
Zuvor war Ernst bei ihren Länderkollegen in der KMK angeeckt. Sie führte Anfang des Jahres sogenannte Bildungsamtsfrauen und -männer ein. So können in Brandenburg Bachelor-Absolventen egal welcher Disziplin Lehrer werden. Ein genialer, pragmatischer Zug: Denn diese Lehrer können andere Bundesländer nicht abwerben – weil sie nirgendwo anders anerkannt werden. Auch nicht von Berlin, das zuletzt durch die Wiedereinführung der Verbeamtung, an Attraktivität gewann. Das KMK-Sekretariat war wenig begeistert von ihrem Alleingang.
Mit den schlechten Ergebnissen des IQB-Bildungstrends oder einer stockenden Kitareform muss sich nun ihr Nachfolger beschäftigen. Ministerpräsident Dietmar Woidke setzt im Jahr vor der Landtagswahl auf Kontinuität. Bildungsstaatssekretär Steffen Freiberg soll übernehmen und dürfte sich schnell einarbeiten. Er arbeitet zwar erst seit Januar 2022 im Bildungsministerium, aber gilt als eines der fachlichen und politischen Schwergewichte der Schulpolitik in Deutschland. Zuvor übte er den Posten sechs Jahre lang in Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerium aus. Der gebürtige Rostocker leitet die KMK-Kommission “Bildung in der digitalen Welt“.
CDU: SPD muss sich zusammenreißen
Klopft man bei der CDU-Fraktion an, klingt durch: Die SPD müsse sich jetzt zusammenreißen. Freiberg werde vor den gleichen Problemen stehen, sagt der bildungspolitische Sprecher Gordon Hoffmann Table.Media. “Es stehen unangenehme Entscheidungen ins Haus und wir hoffen, dass Herr Freiberg den Rückhalt seiner Fraktion genießt. Wir können es uns nicht leisten, einen weiteren Minister im Regen stehenzulassen.”
Woidke würdigte trotz der vielen Baustellen seine Parteikollegin zum Abschied. “Sie hat das Amt in schweren Zeiten – ich denke hier nur an die Corona-Pandemie – mit Weitblick und ruhiger Hand ausgeführt“, teilte Woidke mit. “Ich bin mir sicher, dass ihre Amtszeit in der Rückschau mit wichtigen Meilensteinen wie der kontinuierlichen Verbesserung des Kita-Personalschlüssels und des Einstiegs in die Beitragsfreiheit verbunden werden wird.”
Von Hamburg über Kiel nach Potsdam
2017 war Ernst aus Kiel nach Potsdam gewechselt, nachdem sie das Kieler Ministerium nach nur drei Jahren an Karin Prien (CDU) abtreten musste. Nach Schleswig-Holstein war sie gewechselt – mit Zwischenstopp in der SPD-Bundespolitik – nachdem ihr Ehemann, Olaf Scholz, Hamburgs erster Bürgermeister wurde, wo sie ihre politische Karriere begann.
Drastische Karriereentscheidungen sind Britta Ernst also nicht fremd. Fremd war sie aber scheinbar der Brandenburger SPD-Fraktion geblieben. Sie ist eine Ministerin mit politischer Erfahrung und hanseatischem Pragmatismus, aber ohne Mitgliedschaft im Landtag. Ihre Maßnahmen im Kampf gegen den Lehrermangel wollten die eigenen Leute nicht mehr mittragen. Was folgte: eine Vollbremsung in voller Fahrt.
Table.Alert: Britta Ernst zurückgetreten – Nachfolger steht fest
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Nachricht überraschte die Bildungsrepublik heute Mittag: Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) ist zurückgetreten, nachdem sie über ihren eigenen Pragmatismus stolperte und es sich mit der SPD-Fraktion verscherzte. Ein Nachfolger für Ernst steht bereits fest.
Wir haben für Sie die Hintergründe des Rücktritts zusammengetragen. Es zeigt sich: In Zeiten gravierenden Lehrermangels herrscht in den sonst oft ruhigen Bildungsressorts starker Wellengang. Nun verabschiedet sich eine Ministerin, die pragmatisch-praktisch das Megaproblem lösen wollte.
Eine informative Lektüre wünscht
Ihr Niklas Prenzel
Analyse
Vollbremsung in voller Fahrt
Zu pragmatisch-praktisch für ihre Fraktion? Brandenburgs Bildungsministerin a.D. Britta Ernst.
Nachdem sie mit ihren Plänen in der eigenen Fraktion scheiterte, ist heute Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) zurückgetreten. Sie stolperte über einen Vorschlag, um Brandenburgs Lehrer fairer über das ganze Land zu verteilen. “Diese Pläne haben leider nicht die Unterstützung der SPD-Landtagsfraktion gefunden”, schreibt Ernst am Montag in einer Erklärung. Ihre Konsequenz: Rücktritt.
“Für mich ist ganz klar, dass wir den Unterricht in allen Regionen des Landes Brandenburgs sichern müssen”, betont Ernst. Alle! Das Wort hat sie unterstrichen – wohl mit Blick auf den politischen Kampf, den sie in den vergangenen Wochen ausgetragen hat.
Ernst sorgte sich um den ländlichen Raum
In Brandenburg spitzt sich der Lehrermangel besonders dramatisch zu, und die Statistiker in ihrem Haus warnten, dass das Land im nächsten Schuljahr Probleme haben wird, alle Stellen zu besetzen. Ernst reagierte. Ende Februar kündigte sie an, beim Förder- und Ganztagsunterricht sowie Angeboten zur Inklusion zu kürzen – also die Personalzuweisungen für die Schulen anzupassen, um auf dem Papier 200 Vollzeitlehrer einzusparen. Die freien Stellen wollte sie umwandeln, um Verwaltungskräfte und Schulsozialarbeiter einzustellen. “Wir kürzen keine Stelle”, sagte Ernst damals laut dem Tagesspiegel.
Die Personalrochade zielte darauf, Schulen in Mangelregionen stärker zu unterstützen. Denn je weiter man in Brandenburg aufs Land fährt, je weiter man sich von Berlin entfernt, desto schwieriger ist es, Lehrer zu finden. Ernst ließ keinen Zweifel, dass es ihr Ziel sei, den Unterricht im ganzen Land zu sichern – nicht nur im Berliner Umland. “Der Kuchen ist etwas knapper und wird etwas breiter verteilt”, beschrieb Ernst ihre Strategie.
Nur der Widerstand gegen ihre Reform war enorm: Gewerkschaften, Eltern und Schulleiter beschwerten sich, innerhalb der rot-schwarz-grünen Regierungskoalition brodelte es. Ihre eigenen Leute folgten ihr nicht. In der Fraktion, das berichtet der Tagesspiegel, soll sie bereits mit Rücktritt gedroht haben. “Die Fraktion wollte sie zwingen, diese Kürzungspläne zurückzunehmen”, sagt ein Parlamentarier im Gespräch mit Table.Media.
Staatssekretär Freiberg wird Nachfolger
Ein Schatten auf ihrer Bilanz ist die Reform des Kitagesetzes – eines der wichtigsten Reformvorhaben der Kenia-Koalition. Die chaotische Kita-Finanzierung sollte Ernst neu ordnen, im März stoppte sie das Projekt. Die Landkreise blockierten.
Zuvor war Ernst bei ihren Länderkollegen in der KMK angeeckt. Sie führte Anfang des Jahres sogenannte Bildungsamtsfrauen und -männer ein. So können in Brandenburg Bachelor-Absolventen egal welcher Disziplin Lehrer werden. Ein genialer, pragmatischer Zug: Denn diese Lehrer können andere Bundesländer nicht abwerben – weil sie nirgendwo anders anerkannt werden. Auch nicht von Berlin, das zuletzt durch die Wiedereinführung der Verbeamtung, an Attraktivität gewann. Das KMK-Sekretariat war wenig begeistert von ihrem Alleingang.
Mit den schlechten Ergebnissen des IQB-Bildungstrends oder einer stockenden Kitareform muss sich nun ihr Nachfolger beschäftigen. Ministerpräsident Dietmar Woidke setzt im Jahr vor der Landtagswahl auf Kontinuität. Bildungsstaatssekretär Steffen Freiberg soll übernehmen und dürfte sich schnell einarbeiten. Er arbeitet zwar erst seit Januar 2022 im Bildungsministerium, aber gilt als eines der fachlichen und politischen Schwergewichte der Schulpolitik in Deutschland. Zuvor übte er den Posten sechs Jahre lang in Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerium aus. Der gebürtige Rostocker leitet die KMK-Kommission “Bildung in der digitalen Welt“.
CDU: SPD muss sich zusammenreißen
Klopft man bei der CDU-Fraktion an, klingt durch: Die SPD müsse sich jetzt zusammenreißen. Freiberg werde vor den gleichen Problemen stehen, sagt der bildungspolitische Sprecher Gordon Hoffmann Table.Media. “Es stehen unangenehme Entscheidungen ins Haus und wir hoffen, dass Herr Freiberg den Rückhalt seiner Fraktion genießt. Wir können es uns nicht leisten, einen weiteren Minister im Regen stehenzulassen.”
Woidke würdigte trotz der vielen Baustellen seine Parteikollegin zum Abschied. “Sie hat das Amt in schweren Zeiten – ich denke hier nur an die Corona-Pandemie – mit Weitblick und ruhiger Hand ausgeführt“, teilte Woidke mit. “Ich bin mir sicher, dass ihre Amtszeit in der Rückschau mit wichtigen Meilensteinen wie der kontinuierlichen Verbesserung des Kita-Personalschlüssels und des Einstiegs in die Beitragsfreiheit verbunden werden wird.”
Von Hamburg über Kiel nach Potsdam
2017 war Ernst aus Kiel nach Potsdam gewechselt, nachdem sie das Kieler Ministerium nach nur drei Jahren an Karin Prien (CDU) abtreten musste. Nach Schleswig-Holstein war sie gewechselt – mit Zwischenstopp in der SPD-Bundespolitik – nachdem ihr Ehemann, Olaf Scholz, Hamburgs erster Bürgermeister wurde, wo sie ihre politische Karriere begann.
Drastische Karriereentscheidungen sind Britta Ernst also nicht fremd. Fremd war sie aber scheinbar der Brandenburger SPD-Fraktion geblieben. Sie ist eine Ministerin mit politischer Erfahrung und hanseatischem Pragmatismus, aber ohne Mitgliedschaft im Landtag. Ihre Maßnahmen im Kampf gegen den Lehrermangel wollten die eigenen Leute nicht mehr mittragen. Was folgte: eine Vollbremsung in voller Fahrt.