für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist der Deutsche Schulpreis “so etwas wie der Nobelpreis” für Schulen. Diesen Preis erhält in diesem Jahr zum ersten Mal eine Mittelschule – Bayerns Variante einer Hauptschule. Meine Kollegin Annette Kuhn analysiert für Sie, warum die Eichendorffschule in Erlangen, die wir im Sommer porträtiert haben, den Hauptpreis über 100.000 Euro verdient hat. Und sie nimmt die desolate Lage der Mittelschulen in den Blick – ein Freifahrtschein für Kultusminister Michael Piazolo, sich im Glanz dieses Preises zu sonnen, ist die Auszeichnung gewiss nicht.
Fünf weitere Schulen gewinnen einen Preis im Wert von 30.000 Euro. Darunter ist die Hamburger Berufsschule ITECH, die wir uns kürzlich angesehen haben. Sie setzt auf fächerintegriertes Lernen in Projekten. Lehrer unterrichten in Teams und je drei Klassen im Verbund.
Gleich drei Grundschulen räumen ab. Sie verbindet, dass sie jahrgangsübergreifend, inklusiv und individuell auf die Schüler zugeschnitten unterrichten. Die Rothenburg-Grundschule in Berlin hat eine Schuldatenbank entwickelt, in die regelmäßig Lernstandserhebungen und diagnostische Verfahren einfließen. Auf einen Blick sehen die Lehrer so bei jedem Kind, wo es steht – und können bei Bedarf schnell eingreifen.
Die Grundschule am Dichterviertel in Mülheim (NRW), von deren Schülern nur die Hälfte zu Hause Deutsch spricht, fördert mit regelmäßigen Lernreflexionen die intrinsische Motivation. Bereits 2021 wurde sie für ihr Unterrichtskonzept in der Pandemie ausgezeichnet und nutzt seither digitale Lernangebote und hybrides Lernen. Die Grundschule Op de Host in Horst (Schleswig-Holstein) lässt jeden Schüler entscheiden, wann er oder sie einen Leistungsnachweis erbringen möchte. Noten gibt es keine, stattdessen bescheinigen die Lehrkräfte erworbene Kompetenzen.
Ausgezeichnet wird auch die Nelson-Mandela-Gesamtschule in Bergisch Gladbach (NRW). 60 Prozent der Schüler haben hier einen Migrationshintergrund, zehn Prozent diagnostizierten Förderbedarf. Neben Fachunterricht gibt es Lernzeiten und Projektarbeit. Zu Beginn durchlaufen alle Kinder ein Diagnoseverfahren und erhalten auf dessen Basis individuelles Fördermaterial. Es gibt zudem regelmäßig Kompetenzchecks.
“Der Deutsche Schulpreis rückt Vorbilder ins Licht. Aber er soll Probleme natürlich auch nicht in den Schatten stellen”, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Eröffnungsrede. Er sprach von Lehrermangel und Chancenungleichheit. Gleichzeitig herrsche Fachkräftemangel. “Wir brauchen mehr gute Schulen, und wir brauchen sie überall in unserem Land. Wir können uns keine einzige schlecht funktionierende Schule leisten!” Steinmeiers Problemanalyse: Die Schuldebatte sei zu ritualisiert. “Eine Studie erscheint, der öffentliche Aufschrei ist groß, es werden Aufbrüche gefordert, Bildungsgipfel einberufen, Schuldzuweisungen gemacht und aus Sicht der Eltern tut sich danach regelmäßig zu wenig.” In kaum einem anderen Politikfeld sei “die Kluft zwischen Wissen und Handeln so groß”. An die Bildungsminister appellierte er, das Startchancen-Programm jetzt schnellstmöglich umzusetzen.
Angesichts der Krise im Bildungssystem gibt es auch Stimmen, die fragen, ob der Schulpreis in diesen Zeiten noch das Mittel der Wahl ist. Wir haben dazu Positionen gesammelt.
Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre!
Wer den Schulhof der Eichendorffschule in Erlangen betritt, würde nicht vermuten, was sich in diesem 70er-Jahre-Schulgebäude mit der verblichenen gelben Fassade verbirgt. Ein Schnipsel aus einem Dialog zweier Schüler, die gerade über den Schulhof schlendern, verrät es schon eher. “Jeder ist eben anders”, sagt der eine. Das könnte fast das Motto der Schule sein, wenn sie nicht schon ein passendes hätte: “Ich, Du, Wir, Gemeinsam”.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der bayerischen Mittelschule heute persönlich den Hauptpreis des Deutschen Schulpreises überreicht. Seit 2006 wird er von der Robert Bosch Stiftung und der Heidehof Stiftung verliehen. Mehr als 100 Schulen gehören inzwischen zum Preisträgernetzwerk.
Die Verleihung des Schulpreises ist immer ein besonderes Ereignis, es ist der höchstdotierte Schulpreis in Deutschland. Die Hauptpreisträgerschule bekommt 100.000 Euro. Besonders ist das Ereignis in diesem Jahr auch deshalb, weil zum ersten Mal eine Mittelschule den Deutschen Schulpreis bekommt. Mittelschule – so heißen seit mehr als zehn Jahren die Hauptschulen in Bayern.
Es ist eine Schulform, die in vielen anderen Bundesländern längst abgeschafft ist. Und die selten im Fokus steht. Lange gingen die Schülerzahlen hier zurück. Erst jüngst steigen sie wieder leicht. Zuletzt sind 27,5 Prozent der Schüler in Bayern von der Grundschule auf eine Mittelschule gewechselt. Mehr als 40 Prozent schafften es aufs Gymnasium, knapp 30 Prozent auf die Realschule.
Auf einmal soll die Mittelschule wieder positiv besetzt werden. Das liegt vor allem am Fachkräftemangel. Man braucht jetzt jeden, nicht nur die Schülerinnen und Schüler vom Gymnasium, die dann studieren wollen. Aber ein jahrelang schlechtes Image ändert sich nicht so schnell. Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) und Jurymitglied des Deutschen Schulpreises sagt: “Jahrelang wurde die Mittelschule vernachlässigt, die Attraktivität der Mittelschule in der Gesellschaft ist runtergewirtschaftet.”
Sie hat selbst einige Jahre eine Mittelschule geleitet und weiß, wovon sie spricht. Und sie weiß auch, wie es sich für die Schüler anfühlt, auf einer Mittelschule zu landen. Viele haben das Gefühl, es nicht geschafft zu haben. Für die Realschule hat es nicht gereicht, fürs Gymnasium schon gar nicht. Viele haben ihre Grundschulzeit als einziges Scheitern erlebt.
Schulleiter Helmut Klemm erlebt es besonders krass, wenn das neue Schuljahr beginnt. “Die neuen Fünftklässler brauchen viel Zeit, um anzukommen.”
Die Schule leistet dann viel Aufbauarbeit, aber Klemm weiß wofür: “Jedes Kind hat Potenzial”, sagt er. Die Schule legt viel Wert darauf, allen Kindern ihrem Lernstand entsprechend Unterstützung beim Lernen zu geben. Und ganz besonders viel Wert legt die Schule auf die Förderung in Mathematik. Dafür gibt es für die fünften und sechsten Klassen extra den “Raum der Mathematik.”
Hier gibt es verschiedene Unterrichtsmaterialien und Aufgaben in drei verschiedenen Differenzierungsstufen. Und es ist immer ein Ansprechpartner da, der individuell Fragen beantwortet. Es gibt einen kurzen Input am Beginn der Stunde und dann lernen die Kinder eigenständig im eigenen Tempo. (Das Konzept hat Table.Media in diesem Porträt der Schule ausführlich vorgestellt.)
Der Raum zeigt, was eine solche Förderung bewirken kann. Kinder, die am Ende der Grundschulzeit über sich urteilen: “Mathe werde ich nie lernen”, wachsen im Raum der Mathematik über sich hinaus. Manche gehen sogar später von der Schule mit der Überzeugung: “Mathe – das macht mir jetzt richtig Spaß.” Solche Sätze zeigen auch den Lehrern an der Eichendorffschule, dass sich ihr Engagement gelohnt hat.
Der Raum der Mathematik ist nur ein Beispiel dafür, wie Chancengerechtigkeit an der Eichendorffschule Wirklichkeit wird. Es gibt auch keine Hausaufgaben an der Schule, weil die wenigsten zu Hause dabei unterstützt werden könnten. Und die Schule ist im Ganztag organisiert, um mehr Raum zu haben, den Schülern auch über die Stundentafel hinaus Angebote machen zu können, die ihren Neigungen entsprechen. Es gibt fünf “Schulen in der Schule”: zum Beispiel eine Filmschule und eine Kickfair-Schule, die soziales Lernen auf dem Spielfeld fördert. Um das zu realisieren, arbeitet die Mittelschule mit vielen außerschulischen Partnern.
All das führt zum Erfolg: Stolz verkündet Helmut Klemm, dass kein Schüler die Eichendorffschule ohne Abschluss verlässt. Fast drei Viertel haben zuletzt sogar den Mittleren Schulabschluss (MSA) gemacht. Das ist der Abschluss, der eigentlich am Ende der Realschule steht.
Damit es tatsächlich alle bis zum Abschluss schaffen, gibt es an der Schule eine flexible Ausgangsstufe. Das heißt das letzte Schuljahr kann über zwei Jahre gestreckt werden, also bis zur zehnten Klasse, und sie können dann auch gleich den nächsthöheren Abschluss erreichen. Es ist eine eigene Lesart des Wiederholungsjahrs, das eigentlich dem Sitzenbleiben entspricht, aber davon hält Helmut Klemm wenig, weil es die Schüler nicht weiterbringe.
Schaut man auf die Eichendorffschule in Erlangen, könnte man denken: “Geht doch.” Die Mittelschule muss nur kreativ und engagiert genug sein, dann ist sie auch gut. Aber Simone Fleischmann warnt vor dieser Schlussfolgerung. Um die Mittelschule sei es strukturell nicht gut bestellt. Darüber kann der Schulpreis nicht hinwegtäuschen.
Mittelschulen leiden besonders unter dem Lehrermangel. Der Unterrichtsausfall ist an keiner anderen weiterführenden Schule so groß wie an der Mittelschule. Nur an den beruflichen Schulen ist er noch größer. Das Kultusministerium in Bayern versichert zwar, dass alle Stellen in diesem Schuljahr besetzt werden konnten: “Alle staatlichen bayerischen Schulen sind zum Schuljahresbeginn vollumfänglich mit dem Lehrpersonal versorgt worden, das für die umfassende Unterrichtsversorgung aller Schülerinnen und Schüler benötigt wird”, heißt es auf Anfrage von Table.Media in bester Verwaltungsprosa.
Die bayerische Lehrerbedarfsprognose ist dann aber doch etwas weniger optimistisch. “An den Mittelschulen zeichnet sich aufgrund rückläufiger Studienanfängerzahlen ein dauerhafter Mangel an ausgebildeten Lehramtsabsolventen/-innen ab”, ist dort zu lesen. Die Einstellungsbedarfe seien hoch und nur über “Sondermaßnahmen” zu decken. Hinter diesem Begriff verbergen sich vor allem Quereinsteiger.
Die Personallücke kam mit Ansage, sagt Anna Schwamberger. Die schulpolitische Sprecherin der Grünen im Bayerischen Landtag spricht von einer “mangelhaften Personalplanung der Staatsregierung”. 2012 sei sie noch davon ausgegangen, dass es 2020 einen Personalüberhang an Mittelschulen gebe und begründete diese Prognose mit gestiegenen Studienanfängerzahlen. 2015 wurden dann aber so viele Lehrkräfte in den Ruhestand versetzt wie nie zuvor. Dennoch wurden nicht alle Bewerberinnen und Bewerber für das Lehramt Mittelschule eingestellt. Das hat eine schriftliche Anfrage im Bayerischen Landtag von Anna Schwamberger Anfang des Jahres ergeben.
Zu wenige junge Menschen beginnen ein Lehramtsstudium. Und wenn sie doch Lehrerin oder Lehrer werden wollen, dann nicht für die Mittelschule. Simone Fleischmann hat sich die Zahlen der Erstsemester angeschaut. Allein an der Universität Nürnberg-Erlangen ist der Rückgang erschreckend: Haben im vergangenen Jahr noch 167 junge Menschen ein Studium fürs Lehramt Mittelschule begonnen, sind es in diesem Semester nur noch 24. An den anderen Universitäten sehe es nicht anders aus. Anna Schwamberger wundert das nicht: “Den meisten Studierenden ist diese Schulart völlig fremd, denn sie haben in der Regel die Grundschule und das Gymnasium besucht.”
Dazu kommen die immer schlechteren Arbeitsbedingungen an der Mittelschule: immer weniger Lehrkräfte und eine immer heterogenere Schülerschaft. An Mittelschulen werden siebenmal häufiger als an Realschulen Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet. Mehr als 44 Prozent der Schülerinnen und Schüler haben einen Migrationshintergrund. Zum Vergleich: An Gymnasien sind es 15 Prozent. An der Eichendorffschule beträgt der Anteil sogar 69 Prozent, mehr als jedes dritte Elternhaus bezieht Sozialleistungen. In einer reichen Stadt wie Erlangen ein enorm hoher Anteil.
“Bayern muss sich gut überlegen, wie wir den Arbeitsplatz Schule insbesondere an Mittelschulen wieder attraktiv machen können”, sagt die BLLV-Präsidentin. Dafür reicht die im Sommer beschlossene Anpassung der Besoldung von A 12 auf A 13 wohl nicht. Und auch nicht, dass zu Beginn dieses Schuljahres das “amtliche Schriftwesen” für Mittelschulen abgeschafft wurde. Auch wieder so ein Bürokratenwort.
Bis dahin war es an Grund- und Mittelschulen Pflicht, Unterrichtsplanungen und Schülerbeobachtungen der Schulaufsicht vorzulegen. An anderen Schularten galt diese Pflicht schon nicht mehr. Offenbar war dort das Vertrauen größer, dass die Schulen auch ohne Aufsicht und Kontrolle sinnvoll arbeiten können. Als “längst überfällig” bezeichnet Anna Schwamberger diesen Schritt, weil er dringend notwendige Entlastung bringe und “endlich eine Gleichbehandlung der Lehrkräfte aller Schularten”.
Also ein Zeitfresser weniger. Aber das ist auch noch keine Problemlösungsstrategie, betont Simone Fleischmann. Was dafür wichtig wäre, zeigt das Beispiel Eichendorffschule: Mut und Kreativität fördern. Schulleitungen mehr Eigenverantwortung und Entscheidungsspielraum geben. Und sie nicht immer wieder in den Graubereich drängen, wenn sie Konzepte entwickeln, die der Entwicklung der Schüler dienen, aber nicht unbedingt den Vorgaben entsprechen. Dafür muss das System aber Mittel und personelle Ressourcen bedarfsgerecht zuweisen. Die Macher des Startchancen-Programms könnten an der Eichendorffschule einiges lernen.
Insgesamt haben sich bis heute 2.500 Schulen für den Deutschen Schulpreis beworben. Verglichen mit den Anfangsjahren sind die Bewerberzahlen inzwischen jedoch deutlich zurückgegangen. In diesem Jahr waren es nur noch 85. Das Bewerbungsverfahren ist aufwendig, es braucht Zeit und Kapazitäten. Aufgrund des enormen Lehrermangels fehlt Schulen heute oft beides. Und es fehlt ihnen der Raum für Schulentwicklungsprozesse. Ist ein Wettbewerb wie der Deutsche Schulpreis da noch zeitgemäß?
Thorsten Bohl, Bildungsforscher an der School of Education der Universität Tübingen und Vorsitzender der Jury für den Deutschen Schulpreis, betont trotz dieser Ausgangslage die große Strahlkraft des Schulpreises. Bei einer Diskussionsveranstaltung von Table.Media zum Deutschen Schulpreis und zu den Gelingensbedingungen von Schulentwicklung, sagte er: “Ich sehe im Deutschen Schulpreis ein Lob und Goutieren der guten Arbeit, die die Schulen leisten.”
Bohl stellt beim Deutschen Schulpreis darüber hinaus weniger den Wettbewerb und die Preisverleihung in den Fokus, sondern das Netzwerk, das sich darüber entwickelt hat. Es bringt Schulen in den Austausch und gibt ihnen Entwicklungsraum.
Zum Netzwerk der Preisträgerschulen gehören nach dieser Preisverleihung mehr als 100 Schulen. Sie könnten, so Thorsten Bohl, für andere Schulen “Impulsgeber” sein. Lehrerverbandspräsident Düll sieht das ähnlich: “Ausgezeichnete Projekte und Schulen können als hervorragende Praxisbeispiele Anregungen und Ideen für andere Lehrkräfte und Schulen bieten, die sich an einem anderen Punkt der Entwicklung befinden.”
Die GEW-Vorsitzende Maike Finnern kritisiert allerdings, “dass nur ein exklusiver Kreis Schulen direkt von der Vernetzung der Preisträgerschulen profitiert.” Viel wichtiger sei jedoch, Lösungen für den dramatischen Lehr- und Fachkräftemangel sowie die Unterfinanzierung des Schulsystems zu finden. Denn durch fehlendes Personal drohe letztlich auch die Schulentwicklung an der einzelnen Schule zu scheitern.
Natürlich, meint Juryvorsitzender Bohl, seien die Preisträgerschulen genauso wie andere Schulen mit den derzeit großen Herausforderungen wie Lehrkräftemangel, den Nachwirkungen von Corona oder Digitalisierung konfrontiert. Aber sie würden anders damit umgehen: “Sie haben Prozesse und Strukturen entwickelt, mit diesen Herausforderungen umzugehen. Und sie bleiben an Problemen dran, bis sie gelöst sind.”
Das sieht auch Maike Finnern: “Für die einzelnen Schulen, die zu den Preisträgern gehören, ist das eine große Wertschätzung ihrer Arbeit”, sagte sie Table.Media. Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, hob außerdem im Vorfeld der Preisverleihung hervor, dass Schulen über den Wettbewerb “eine Möglichkeit der Selbstreflexion” bekommen würden. Und zu Table.Media sagte er weiter: “Wettbewerbe können dabei auch einen Antrieb geben und eine Zielvision stärken.”
Dennoch stellt sich die Frage, ob in diesen Zeiten ein Wettbewerb zwischen Schulen, ob die Auszeichnung von Schulen und ihrer Unterrichtskonzepte nicht von den strukturellen Problemen im Bildungssystem ablenkt. Bernhard Straub, Geschäftsführer der Robert Bosch Stiftung, sieht es eher umgekehrt: “Zwar können Mut, Tatendrang und Kreativität allein die strukturellen Herausforderungen, vor denen unser Bildungssystem steht, nicht lösen. Sie sind aber Ansporn, wenn nicht gar Verpflichtung, für eine gemeinsame Kraftanstrengung aller Beteiligten in Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Praxis und Zivilgesellschaft”.
Finnern hält es für begrüßenswert, wenn der Deutsche Schulpreis noch stärker Schulen berücksichtigen würde, die weniger gute Startbedingungen haben und die erst am Anfang ihres Schulentwicklungsprozesses stehen: “Der Preis unterstützt nicht die Schulen, die sich gerade erst auf den Weg zu einer besseren Unterrichts- und Schulentwicklung machen.”
Ein Wunsch, dem sich Micha Pallesche anschließen kann. Der Schulleiter der Ernst-Reuter-Gemeinschaftschule in Karlsruhe, spricht von einer Ausschreibung für die “nächstbeste Schule” – eine Schule, die sich auf den Weg gemacht hat, aber noch nicht am Ziel ist. Seine Schule wurde im vergangenen Jahr für den Deutschen Schulpreis vorgeschlagen. Aber eine Bewerbung wollte er damals nicht einreichen, weil er die Kriterien für überholt hielt, wie er in einem Post auf LinkedIn schrieb.
Die Robert Bosch Stiftung kam danach auf ihn zu und habe den Austausch gesucht, erzählt er nun ein Jahr später Table.Media. Und er nimmt wahr, dass sich der Preis weiterentwickelt habe – weg von einzelnen Qualitätskriterien, hin zu einem ganzheitlichen Verständnis von Schule im Sinne des “Whole School Approach”. Die diesjährigen Preisträgerschulen zeigen, dass dieser ganzheitliche Ansatz beim Deutschen Schulpreis eine große Rolle spielt.
für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist der Deutsche Schulpreis “so etwas wie der Nobelpreis” für Schulen. Diesen Preis erhält in diesem Jahr zum ersten Mal eine Mittelschule – Bayerns Variante einer Hauptschule. Meine Kollegin Annette Kuhn analysiert für Sie, warum die Eichendorffschule in Erlangen, die wir im Sommer porträtiert haben, den Hauptpreis über 100.000 Euro verdient hat. Und sie nimmt die desolate Lage der Mittelschulen in den Blick – ein Freifahrtschein für Kultusminister Michael Piazolo, sich im Glanz dieses Preises zu sonnen, ist die Auszeichnung gewiss nicht.
Fünf weitere Schulen gewinnen einen Preis im Wert von 30.000 Euro. Darunter ist die Hamburger Berufsschule ITECH, die wir uns kürzlich angesehen haben. Sie setzt auf fächerintegriertes Lernen in Projekten. Lehrer unterrichten in Teams und je drei Klassen im Verbund.
Gleich drei Grundschulen räumen ab. Sie verbindet, dass sie jahrgangsübergreifend, inklusiv und individuell auf die Schüler zugeschnitten unterrichten. Die Rothenburg-Grundschule in Berlin hat eine Schuldatenbank entwickelt, in die regelmäßig Lernstandserhebungen und diagnostische Verfahren einfließen. Auf einen Blick sehen die Lehrer so bei jedem Kind, wo es steht – und können bei Bedarf schnell eingreifen.
Die Grundschule am Dichterviertel in Mülheim (NRW), von deren Schülern nur die Hälfte zu Hause Deutsch spricht, fördert mit regelmäßigen Lernreflexionen die intrinsische Motivation. Bereits 2021 wurde sie für ihr Unterrichtskonzept in der Pandemie ausgezeichnet und nutzt seither digitale Lernangebote und hybrides Lernen. Die Grundschule Op de Host in Horst (Schleswig-Holstein) lässt jeden Schüler entscheiden, wann er oder sie einen Leistungsnachweis erbringen möchte. Noten gibt es keine, stattdessen bescheinigen die Lehrkräfte erworbene Kompetenzen.
Ausgezeichnet wird auch die Nelson-Mandela-Gesamtschule in Bergisch Gladbach (NRW). 60 Prozent der Schüler haben hier einen Migrationshintergrund, zehn Prozent diagnostizierten Förderbedarf. Neben Fachunterricht gibt es Lernzeiten und Projektarbeit. Zu Beginn durchlaufen alle Kinder ein Diagnoseverfahren und erhalten auf dessen Basis individuelles Fördermaterial. Es gibt zudem regelmäßig Kompetenzchecks.
“Der Deutsche Schulpreis rückt Vorbilder ins Licht. Aber er soll Probleme natürlich auch nicht in den Schatten stellen”, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Eröffnungsrede. Er sprach von Lehrermangel und Chancenungleichheit. Gleichzeitig herrsche Fachkräftemangel. “Wir brauchen mehr gute Schulen, und wir brauchen sie überall in unserem Land. Wir können uns keine einzige schlecht funktionierende Schule leisten!” Steinmeiers Problemanalyse: Die Schuldebatte sei zu ritualisiert. “Eine Studie erscheint, der öffentliche Aufschrei ist groß, es werden Aufbrüche gefordert, Bildungsgipfel einberufen, Schuldzuweisungen gemacht und aus Sicht der Eltern tut sich danach regelmäßig zu wenig.” In kaum einem anderen Politikfeld sei “die Kluft zwischen Wissen und Handeln so groß”. An die Bildungsminister appellierte er, das Startchancen-Programm jetzt schnellstmöglich umzusetzen.
Angesichts der Krise im Bildungssystem gibt es auch Stimmen, die fragen, ob der Schulpreis in diesen Zeiten noch das Mittel der Wahl ist. Wir haben dazu Positionen gesammelt.
Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre!
Wer den Schulhof der Eichendorffschule in Erlangen betritt, würde nicht vermuten, was sich in diesem 70er-Jahre-Schulgebäude mit der verblichenen gelben Fassade verbirgt. Ein Schnipsel aus einem Dialog zweier Schüler, die gerade über den Schulhof schlendern, verrät es schon eher. “Jeder ist eben anders”, sagt der eine. Das könnte fast das Motto der Schule sein, wenn sie nicht schon ein passendes hätte: “Ich, Du, Wir, Gemeinsam”.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der bayerischen Mittelschule heute persönlich den Hauptpreis des Deutschen Schulpreises überreicht. Seit 2006 wird er von der Robert Bosch Stiftung und der Heidehof Stiftung verliehen. Mehr als 100 Schulen gehören inzwischen zum Preisträgernetzwerk.
Die Verleihung des Schulpreises ist immer ein besonderes Ereignis, es ist der höchstdotierte Schulpreis in Deutschland. Die Hauptpreisträgerschule bekommt 100.000 Euro. Besonders ist das Ereignis in diesem Jahr auch deshalb, weil zum ersten Mal eine Mittelschule den Deutschen Schulpreis bekommt. Mittelschule – so heißen seit mehr als zehn Jahren die Hauptschulen in Bayern.
Es ist eine Schulform, die in vielen anderen Bundesländern längst abgeschafft ist. Und die selten im Fokus steht. Lange gingen die Schülerzahlen hier zurück. Erst jüngst steigen sie wieder leicht. Zuletzt sind 27,5 Prozent der Schüler in Bayern von der Grundschule auf eine Mittelschule gewechselt. Mehr als 40 Prozent schafften es aufs Gymnasium, knapp 30 Prozent auf die Realschule.
Auf einmal soll die Mittelschule wieder positiv besetzt werden. Das liegt vor allem am Fachkräftemangel. Man braucht jetzt jeden, nicht nur die Schülerinnen und Schüler vom Gymnasium, die dann studieren wollen. Aber ein jahrelang schlechtes Image ändert sich nicht so schnell. Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) und Jurymitglied des Deutschen Schulpreises sagt: “Jahrelang wurde die Mittelschule vernachlässigt, die Attraktivität der Mittelschule in der Gesellschaft ist runtergewirtschaftet.”
Sie hat selbst einige Jahre eine Mittelschule geleitet und weiß, wovon sie spricht. Und sie weiß auch, wie es sich für die Schüler anfühlt, auf einer Mittelschule zu landen. Viele haben das Gefühl, es nicht geschafft zu haben. Für die Realschule hat es nicht gereicht, fürs Gymnasium schon gar nicht. Viele haben ihre Grundschulzeit als einziges Scheitern erlebt.
Schulleiter Helmut Klemm erlebt es besonders krass, wenn das neue Schuljahr beginnt. “Die neuen Fünftklässler brauchen viel Zeit, um anzukommen.”
Die Schule leistet dann viel Aufbauarbeit, aber Klemm weiß wofür: “Jedes Kind hat Potenzial”, sagt er. Die Schule legt viel Wert darauf, allen Kindern ihrem Lernstand entsprechend Unterstützung beim Lernen zu geben. Und ganz besonders viel Wert legt die Schule auf die Förderung in Mathematik. Dafür gibt es für die fünften und sechsten Klassen extra den “Raum der Mathematik.”
Hier gibt es verschiedene Unterrichtsmaterialien und Aufgaben in drei verschiedenen Differenzierungsstufen. Und es ist immer ein Ansprechpartner da, der individuell Fragen beantwortet. Es gibt einen kurzen Input am Beginn der Stunde und dann lernen die Kinder eigenständig im eigenen Tempo. (Das Konzept hat Table.Media in diesem Porträt der Schule ausführlich vorgestellt.)
Der Raum zeigt, was eine solche Förderung bewirken kann. Kinder, die am Ende der Grundschulzeit über sich urteilen: “Mathe werde ich nie lernen”, wachsen im Raum der Mathematik über sich hinaus. Manche gehen sogar später von der Schule mit der Überzeugung: “Mathe – das macht mir jetzt richtig Spaß.” Solche Sätze zeigen auch den Lehrern an der Eichendorffschule, dass sich ihr Engagement gelohnt hat.
Der Raum der Mathematik ist nur ein Beispiel dafür, wie Chancengerechtigkeit an der Eichendorffschule Wirklichkeit wird. Es gibt auch keine Hausaufgaben an der Schule, weil die wenigsten zu Hause dabei unterstützt werden könnten. Und die Schule ist im Ganztag organisiert, um mehr Raum zu haben, den Schülern auch über die Stundentafel hinaus Angebote machen zu können, die ihren Neigungen entsprechen. Es gibt fünf “Schulen in der Schule”: zum Beispiel eine Filmschule und eine Kickfair-Schule, die soziales Lernen auf dem Spielfeld fördert. Um das zu realisieren, arbeitet die Mittelschule mit vielen außerschulischen Partnern.
All das führt zum Erfolg: Stolz verkündet Helmut Klemm, dass kein Schüler die Eichendorffschule ohne Abschluss verlässt. Fast drei Viertel haben zuletzt sogar den Mittleren Schulabschluss (MSA) gemacht. Das ist der Abschluss, der eigentlich am Ende der Realschule steht.
Damit es tatsächlich alle bis zum Abschluss schaffen, gibt es an der Schule eine flexible Ausgangsstufe. Das heißt das letzte Schuljahr kann über zwei Jahre gestreckt werden, also bis zur zehnten Klasse, und sie können dann auch gleich den nächsthöheren Abschluss erreichen. Es ist eine eigene Lesart des Wiederholungsjahrs, das eigentlich dem Sitzenbleiben entspricht, aber davon hält Helmut Klemm wenig, weil es die Schüler nicht weiterbringe.
Schaut man auf die Eichendorffschule in Erlangen, könnte man denken: “Geht doch.” Die Mittelschule muss nur kreativ und engagiert genug sein, dann ist sie auch gut. Aber Simone Fleischmann warnt vor dieser Schlussfolgerung. Um die Mittelschule sei es strukturell nicht gut bestellt. Darüber kann der Schulpreis nicht hinwegtäuschen.
Mittelschulen leiden besonders unter dem Lehrermangel. Der Unterrichtsausfall ist an keiner anderen weiterführenden Schule so groß wie an der Mittelschule. Nur an den beruflichen Schulen ist er noch größer. Das Kultusministerium in Bayern versichert zwar, dass alle Stellen in diesem Schuljahr besetzt werden konnten: “Alle staatlichen bayerischen Schulen sind zum Schuljahresbeginn vollumfänglich mit dem Lehrpersonal versorgt worden, das für die umfassende Unterrichtsversorgung aller Schülerinnen und Schüler benötigt wird”, heißt es auf Anfrage von Table.Media in bester Verwaltungsprosa.
Die bayerische Lehrerbedarfsprognose ist dann aber doch etwas weniger optimistisch. “An den Mittelschulen zeichnet sich aufgrund rückläufiger Studienanfängerzahlen ein dauerhafter Mangel an ausgebildeten Lehramtsabsolventen/-innen ab”, ist dort zu lesen. Die Einstellungsbedarfe seien hoch und nur über “Sondermaßnahmen” zu decken. Hinter diesem Begriff verbergen sich vor allem Quereinsteiger.
Die Personallücke kam mit Ansage, sagt Anna Schwamberger. Die schulpolitische Sprecherin der Grünen im Bayerischen Landtag spricht von einer “mangelhaften Personalplanung der Staatsregierung”. 2012 sei sie noch davon ausgegangen, dass es 2020 einen Personalüberhang an Mittelschulen gebe und begründete diese Prognose mit gestiegenen Studienanfängerzahlen. 2015 wurden dann aber so viele Lehrkräfte in den Ruhestand versetzt wie nie zuvor. Dennoch wurden nicht alle Bewerberinnen und Bewerber für das Lehramt Mittelschule eingestellt. Das hat eine schriftliche Anfrage im Bayerischen Landtag von Anna Schwamberger Anfang des Jahres ergeben.
Zu wenige junge Menschen beginnen ein Lehramtsstudium. Und wenn sie doch Lehrerin oder Lehrer werden wollen, dann nicht für die Mittelschule. Simone Fleischmann hat sich die Zahlen der Erstsemester angeschaut. Allein an der Universität Nürnberg-Erlangen ist der Rückgang erschreckend: Haben im vergangenen Jahr noch 167 junge Menschen ein Studium fürs Lehramt Mittelschule begonnen, sind es in diesem Semester nur noch 24. An den anderen Universitäten sehe es nicht anders aus. Anna Schwamberger wundert das nicht: “Den meisten Studierenden ist diese Schulart völlig fremd, denn sie haben in der Regel die Grundschule und das Gymnasium besucht.”
Dazu kommen die immer schlechteren Arbeitsbedingungen an der Mittelschule: immer weniger Lehrkräfte und eine immer heterogenere Schülerschaft. An Mittelschulen werden siebenmal häufiger als an Realschulen Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet. Mehr als 44 Prozent der Schülerinnen und Schüler haben einen Migrationshintergrund. Zum Vergleich: An Gymnasien sind es 15 Prozent. An der Eichendorffschule beträgt der Anteil sogar 69 Prozent, mehr als jedes dritte Elternhaus bezieht Sozialleistungen. In einer reichen Stadt wie Erlangen ein enorm hoher Anteil.
“Bayern muss sich gut überlegen, wie wir den Arbeitsplatz Schule insbesondere an Mittelschulen wieder attraktiv machen können”, sagt die BLLV-Präsidentin. Dafür reicht die im Sommer beschlossene Anpassung der Besoldung von A 12 auf A 13 wohl nicht. Und auch nicht, dass zu Beginn dieses Schuljahres das “amtliche Schriftwesen” für Mittelschulen abgeschafft wurde. Auch wieder so ein Bürokratenwort.
Bis dahin war es an Grund- und Mittelschulen Pflicht, Unterrichtsplanungen und Schülerbeobachtungen der Schulaufsicht vorzulegen. An anderen Schularten galt diese Pflicht schon nicht mehr. Offenbar war dort das Vertrauen größer, dass die Schulen auch ohne Aufsicht und Kontrolle sinnvoll arbeiten können. Als “längst überfällig” bezeichnet Anna Schwamberger diesen Schritt, weil er dringend notwendige Entlastung bringe und “endlich eine Gleichbehandlung der Lehrkräfte aller Schularten”.
Also ein Zeitfresser weniger. Aber das ist auch noch keine Problemlösungsstrategie, betont Simone Fleischmann. Was dafür wichtig wäre, zeigt das Beispiel Eichendorffschule: Mut und Kreativität fördern. Schulleitungen mehr Eigenverantwortung und Entscheidungsspielraum geben. Und sie nicht immer wieder in den Graubereich drängen, wenn sie Konzepte entwickeln, die der Entwicklung der Schüler dienen, aber nicht unbedingt den Vorgaben entsprechen. Dafür muss das System aber Mittel und personelle Ressourcen bedarfsgerecht zuweisen. Die Macher des Startchancen-Programms könnten an der Eichendorffschule einiges lernen.
Insgesamt haben sich bis heute 2.500 Schulen für den Deutschen Schulpreis beworben. Verglichen mit den Anfangsjahren sind die Bewerberzahlen inzwischen jedoch deutlich zurückgegangen. In diesem Jahr waren es nur noch 85. Das Bewerbungsverfahren ist aufwendig, es braucht Zeit und Kapazitäten. Aufgrund des enormen Lehrermangels fehlt Schulen heute oft beides. Und es fehlt ihnen der Raum für Schulentwicklungsprozesse. Ist ein Wettbewerb wie der Deutsche Schulpreis da noch zeitgemäß?
Thorsten Bohl, Bildungsforscher an der School of Education der Universität Tübingen und Vorsitzender der Jury für den Deutschen Schulpreis, betont trotz dieser Ausgangslage die große Strahlkraft des Schulpreises. Bei einer Diskussionsveranstaltung von Table.Media zum Deutschen Schulpreis und zu den Gelingensbedingungen von Schulentwicklung, sagte er: “Ich sehe im Deutschen Schulpreis ein Lob und Goutieren der guten Arbeit, die die Schulen leisten.”
Bohl stellt beim Deutschen Schulpreis darüber hinaus weniger den Wettbewerb und die Preisverleihung in den Fokus, sondern das Netzwerk, das sich darüber entwickelt hat. Es bringt Schulen in den Austausch und gibt ihnen Entwicklungsraum.
Zum Netzwerk der Preisträgerschulen gehören nach dieser Preisverleihung mehr als 100 Schulen. Sie könnten, so Thorsten Bohl, für andere Schulen “Impulsgeber” sein. Lehrerverbandspräsident Düll sieht das ähnlich: “Ausgezeichnete Projekte und Schulen können als hervorragende Praxisbeispiele Anregungen und Ideen für andere Lehrkräfte und Schulen bieten, die sich an einem anderen Punkt der Entwicklung befinden.”
Die GEW-Vorsitzende Maike Finnern kritisiert allerdings, “dass nur ein exklusiver Kreis Schulen direkt von der Vernetzung der Preisträgerschulen profitiert.” Viel wichtiger sei jedoch, Lösungen für den dramatischen Lehr- und Fachkräftemangel sowie die Unterfinanzierung des Schulsystems zu finden. Denn durch fehlendes Personal drohe letztlich auch die Schulentwicklung an der einzelnen Schule zu scheitern.
Natürlich, meint Juryvorsitzender Bohl, seien die Preisträgerschulen genauso wie andere Schulen mit den derzeit großen Herausforderungen wie Lehrkräftemangel, den Nachwirkungen von Corona oder Digitalisierung konfrontiert. Aber sie würden anders damit umgehen: “Sie haben Prozesse und Strukturen entwickelt, mit diesen Herausforderungen umzugehen. Und sie bleiben an Problemen dran, bis sie gelöst sind.”
Das sieht auch Maike Finnern: “Für die einzelnen Schulen, die zu den Preisträgern gehören, ist das eine große Wertschätzung ihrer Arbeit”, sagte sie Table.Media. Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, hob außerdem im Vorfeld der Preisverleihung hervor, dass Schulen über den Wettbewerb “eine Möglichkeit der Selbstreflexion” bekommen würden. Und zu Table.Media sagte er weiter: “Wettbewerbe können dabei auch einen Antrieb geben und eine Zielvision stärken.”
Dennoch stellt sich die Frage, ob in diesen Zeiten ein Wettbewerb zwischen Schulen, ob die Auszeichnung von Schulen und ihrer Unterrichtskonzepte nicht von den strukturellen Problemen im Bildungssystem ablenkt. Bernhard Straub, Geschäftsführer der Robert Bosch Stiftung, sieht es eher umgekehrt: “Zwar können Mut, Tatendrang und Kreativität allein die strukturellen Herausforderungen, vor denen unser Bildungssystem steht, nicht lösen. Sie sind aber Ansporn, wenn nicht gar Verpflichtung, für eine gemeinsame Kraftanstrengung aller Beteiligten in Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Praxis und Zivilgesellschaft”.
Finnern hält es für begrüßenswert, wenn der Deutsche Schulpreis noch stärker Schulen berücksichtigen würde, die weniger gute Startbedingungen haben und die erst am Anfang ihres Schulentwicklungsprozesses stehen: “Der Preis unterstützt nicht die Schulen, die sich gerade erst auf den Weg zu einer besseren Unterrichts- und Schulentwicklung machen.”
Ein Wunsch, dem sich Micha Pallesche anschließen kann. Der Schulleiter der Ernst-Reuter-Gemeinschaftschule in Karlsruhe, spricht von einer Ausschreibung für die “nächstbeste Schule” – eine Schule, die sich auf den Weg gemacht hat, aber noch nicht am Ziel ist. Seine Schule wurde im vergangenen Jahr für den Deutschen Schulpreis vorgeschlagen. Aber eine Bewerbung wollte er damals nicht einreichen, weil er die Kriterien für überholt hielt, wie er in einem Post auf LinkedIn schrieb.
Die Robert Bosch Stiftung kam danach auf ihn zu und habe den Austausch gesucht, erzählt er nun ein Jahr später Table.Media. Und er nimmt wahr, dass sich der Preis weiterentwickelt habe – weg von einzelnen Qualitätskriterien, hin zu einem ganzheitlichen Verständnis von Schule im Sinne des “Whole School Approach”. Die diesjährigen Preisträgerschulen zeigen, dass dieser ganzheitliche Ansatz beim Deutschen Schulpreis eine große Rolle spielt.