Die Digitalisierung an Schulen schreitet voran. Das ist die gute Nachricht, die sich aus der aktuellen Umfrage zur Digitalisierung an Schulen ergibt. Neun von zehn Schulen haben mittlerweile zumindest für einen Teil ihrer Schüler Laptops, Tablets oder Smartphones. Das hat die Umfrage des Forsa-Instituts unter mehr als 1.300 Schulleitungen im Auftrag des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) ergeben. Doch diese Erfolge sind keineswegs gesichert. Da der Digitalpakt II auf sich warten lässt, hoffen die einen im besten Fall darauf, den aktuellen Stand “konservieren” zu können, andere befürchten gar einen “Rückwärtstrend”.
Zu Beginn der Corona-Pandemie 2020 hatten noch knapp zwei Drittel der Schulen keine Klassensätze an digitalen Endgeräten. Laut der Umfrage vom 15. September bis 20. Oktober 2023 war dies immerhin nur noch bei zehn Prozent der Schulen der Fall.
Der Digitalpakt I hat bei der technischen Ausstattung der Schulen eine entscheidende Rolle gespielt: Insgesamt gaben 90 Prozent der befragten Schulleitungen an, sie hätten einen Antrag zur Förderung ihrer Schule mit Mitteln aus dem Digitalpakt gestellt. 78 Prozent der Schulen haben der Umfrage zufolge bereits Geld erhalten.
Die Zahlen zeigen außerdem: Schulen, denen Mittel aus dem Digitalpakt zur Verfügung standen, sind besser ausgestattet als jene, die keine Extraförderung bekamen. Lediglich acht Prozent der Schulen mit Digitalpakt-Förderung haben keine Klassensätze an Laptops, Tablets und Smartphones für ihre Schülerinnen und Schüler. Bei den Schulen, die (noch) keine Mittel aus dem Digitalpakt erhalten haben, hat dagegen knapp ein Viertel keine Klassensätze an Geräten.
Das Ziel, mit dem Digitalpakt eine Infrastruktur zum digitalen Lernen herzustellen, ist allerdings in den Augen der Schulleitungen noch lange nicht erreicht. Nur ein Viertel der Schulleiter, die einen Förderantrag gestellt haben, gibt an, dass die erhaltenen Mittel für die digitale Infrastruktur und die Ausstattung an ihrer Schule ausreichend sind. Zwei Drittel der Befragten sagen dagegen, sie bräuchten noch mehr Geld.
Den VBE-Vorsitzenden Gerhard Brand verwundert das nicht. “Während die ersten Schulen ihre Geräte schon wieder austauschen müssen, fehlt bei anderen noch die komplette Ausstattung”, sagt er. Noch dazu müssten die Geräte laufend verwaltet und datenschutzsicher gemacht werden. “Wenn die Finanzierung jetzt ausbleibt, werden wir nicht nur den aktuellen Stand nicht halten können – wir werden eine Rückwärtstendenz erleben”, befürchtet Brand.
In der ungleichen Ausstattung der Schulen sieht Brand zudem eine Frage der Gerechtigkeit. Zwar haben auch drei Viertel der Schulen, die keinen Antrag auf Gelder des Digitalpakts gestellt haben, mindestens einzelne Klassensätze an Geräten. Aber: “Es ist davon auszugehen, dass dies eher in ökonomisch stabil aufgestellten Regionen gelingt, während es in Kommunen mit Haushaltssperre eben externer Mittel bedarf”, sagt Brand. “Die Chancen der Kinder dürfen nicht von den Mitteln der Kommune abhängen.”
Wie schnell die Schulen mit einer Anschlussfinanzierung rechnen können, ist allerdings immer noch unklar. Auf einer Klausurtagung in der vergangenen Woche haben sich Bund und Länder das Ziel gesetzt, den Digitalpakt II bis zum 16. Mai unter Dach und Fach zu bringen. So würde zumindest auf dem Papier keine Lücke zwischen dem 2019 gestarteten Digitalpakt Schule und seinem Nachfolger entstehen. Im Zuge der Vorstellung des Startchancen-Programms am vergangenen Freitag betonten die Länder einhellig, dass in den Gesprächen mit dem BMBF “substanzielle Fortschritte” erzielt worden seien. Die Frage nach Details wurde bislang mit Rücksicht auf die laufenden Verhandlungen allerdings zurückgewiesen.
Auch zum finanziellen Volumen möchte sich bislang niemand äußern. Klar ist, dass sowohl im Bund als auch in den Ländern für 2024 keine Haushaltsmittel für einen zweiten Digitalpakt zur Verfügung stehen. Frisches Geld gäbe es also in jedem Fall erst ab 2025 zu verteilen. Dabei ist jedoch strittig, wie Bund und Länder sich die Kosten untereinander aufteilen. Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger fordert, dass sich die Länder zu 50 Prozent am Digitalpakt II beteiligen sollen. Dazu verpflichtet sie auch ein Beschluss der Bundesregierung vom vergangenen Sommer, demzufolge sich “die Finanzierung von neuen Bund-Länder-Programmen auf eine ausgeglichene Kofinanzierung begrenzen” soll.
Das wollen die Länder allerdings nicht ohne Diskussionen hinnehmen. Sie denken vor allem an den ersten Digitalpakt, an dem sie sich lediglich mit rund zehn Prozent beteiligten. “Es werden sicher nicht alle Länder in der Lage sein, 50 Prozent frisches Geld reinzugeben – Niedersachsen jedenfalls nicht”, sagte Marco Hartrich, Staatssekretär im niedersächsischen Kultusministerium, Table.Media.
Der Digitalpakt I war für viele Schulen ein wichtiger erster Schritt hin zu digitaler Schulentwicklung, sagt Schulleiter Alexander Otto. Als der Digitalpakt kam, war seine Schule, die Grace-Hopper-Gesamtschule in Brandenburg, zwar bereits mit Tablets ausgestattet. Dennoch haben die Fördermittel der digitalen Transformation einen großen Schub gegeben, sagt Otto. Er kaufte mit den Geldern beispielsweise die Software “Kyub” – ein Programm, mit dem Schüler innerhalb einer Schulstunde Objekte digital entwickeln und manuell zusammenbauen können. “Das ist die Art technisches Hilfsmittel, die es schafft, die Verstehensprozesse zu erweitern“, sagt Otto.
Der Leiter der Gesamtschule setzt nun darauf, dass der Schulträger die Finanzierungslücke nach dem Digitalpakt I abfedert. “Ich hoffe, wir schaffen es, den aktuellen Stand zumindest zu konservieren”, sagt Otto. Er weiß, dass seine Schule vielen als eine Musterschule in Sachen Digitalisierung gilt. Gleichzeitig sieht er, dass viele der Kollegen an Schulen arbeiten, die nicht einmal einen stabilen Breitbandanschluss haben. “Wir alle brauchen weitere Unterstützung”, sagt Otto. “Ich lehne mich jetzt mal aus dem Fenster und behaupte, komplett angekommen in der ,Kultur der Digitalität’ ist bisher noch keine Schule.”
Die Bauern gehen seit Wochen auf die Straße und bekommen viel Aufmerksamkeit. Wieso gibt es keinen vergleichbaren Protest für bessere Bildung?
Weil die Interessen der unterschiedlichen Akteure auseinanderstreben: Die Lehrerinnen und Lehrer verfolgen je nach Schulart verschiedene Ziele. Wir haben die Interessen von Eltern, die sich auch nach bildungspolitischen Milieus unterscheiden können. Gerade bildungsbenachteiligte soziale Milieus sind politisch kaum organisiert. Wir haben Schulverwaltungen und Kommunen, die ohnehin nicht einfach mit auf die Straße gehen. Und wir haben große Unterschiede zwischen den Bundesländern. Es ist schwer, eine Idee zu finden, die so stark ist, all diese unterschiedlichen Interessen zu bündeln. Und es gibt noch weitere Probleme.
Welche?
Wenn es einen Aufruf zu einem Riesenstreik gäbe, könnten die Eltern nicht zur Arbeit gehen und, mindestens ebenso wichtig: Es würde Unterricht ausfallen. Dadurch droht die Gefahr, dass sich die Leistungen der Kinder weiter verschlechtern. Das will niemand. Aber klar ist: Es muss Druck aufgebaut werden.
Und wenn nicht?
Dann wird sich voraussichtlich nichts ändern. Oder es dauert viel zu lange, bis sich etwas ändert. Seit der ersten Pisa-Erhebung vor 20 Jahren sprechen wir über die gleichen Probleme. Die neuen Ergebnisse von 2023 waren schlechter denn je. Aber es gab kein Entsetzen, das das Land durchströmte. Auch auf politischer Seite gab es wenig Aufmerksamkeit.
Was müsste passieren?
Wenn uns 20 bis 30 Prozent der Jugendlichen verloren gehen, weil sie nicht so kompetent sind, um weiterlernen oder eine Ausbildung ergreifen zu können, müsste das die Unternehmen mobilisieren. Wir lassen doch zu viele Ressourcen liegen. Hier müsste es von allen Seiten ein klares Zeichen geben: So geht es nicht weiter, wir müssen jetzt etwas unternehmen. Stattdessen gibt es nur Larmoyanz über den Fachkräftemangel.
Wo sehen Sie das größte Problem?
Es geht ja nicht nur um die sieben Prozent, die keinen Schulabschluss machen. Das Problem liegt tiefer. Wir müssen Bildungsarmut abbauen: Das muss das gemeinsame Ziel sein, hinter dem sich alle Akteure versammeln müssten. Und dies tun sie nun auch ansatzweise im Startchancen-Programm. Jetzt ist es so, dass sich der Bildungsstand der Eltern auf die Kinder überträgt. Diesen Zusammenhang zwischen Elternhaus und dem Erwerb von Bildung müssen wir reduzieren. Davon würden alle profitieren.
Das ist aber nicht neu.
Das stimmt. Wir wissen, welche Kinder in welchen räumlichen und sozialen Lagen besonders gefährdet sind. Aber solange wir dagegen nichts tun, solange die Wirtschaft nicht stärker mit anpackt und solange Förderprogramme nur vereinzelt und nicht nachhaltig und dauerhaft etabliert werden, ändert sich nichts. Wir machen eine Reform nach der anderen, aber wir ändern nichts an den Grundbedingungen. Es muss eine konzertierte Aktion für mehr Bildungsgerechtigkeit geben. Eine bessere Bildungspolitik ist eine Willensfrage. Und sie darf nicht an Legislaturperioden gebunden sein.
Es gab schon viele Reformen im Bildungsbereich. Haben die nichts gebracht?
Natürlich haben einige Reformen etwas gebracht. Aber wir evaluieren Programme zu wenig. Daher können wir keine kausalen Zusammenhänge identifizieren und Erfolge oder Fehlschläge messbar machen. Stattdessen ergötzen wir uns an Projektitis – statt langfristig Programme aufzusetzen, die dann in die Fläche gebracht werden. Wir wissen doch, wie es besser geht.
Wie denn?
Auch hier setze ich auf das Startchancen-Programm, das immerhin auf zehn Jahre angelegt ist, das Problembewusstsein und Handlungswillen zeigt und im finanziellen und zeitlichen Rahmen über die “Projektchen” hinausgeht. Und ich setze darauf, dass das Konzept guter Schulen, etwa jener, die mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet werden, in die Fläche getragen wird. Das sind häufig Gesamtschulen in sozial benachteiligter Lage, die es schaffen, allen Kindern gute Lernmöglichkeiten zu geben.
Wird es mit dem geplanten Startchancen-Programm gelingen, nachhaltig für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen?
Das Programm ist sehr wichtig, aber ich sehe in ihm bestenfalls einen Anfang. Denn es erreicht, so wie es jetzt geplant ist, zu wenige Schulen und ist nicht konsequent bedarfsorientiert. Allein Säule 1, also das Investitionsprogramm für eine lernförderliche Ausstattung von Schulen, ist überhaupt sozialindiziert, verteilt aber zu wenig um. Wenn ich es richtig sehe, werden 60 Prozent der Mittel im Startchancen-Programm nicht bedarfsorientiert vergeben. Wir brauchen mehr Geld und eine stärkere Förderung jener Schulen und Kinder, die am meisten Unterstützung brauchen.
Wozu führt es, wenn so viele Jugendliche mehr oder minder “abgehängt” sind?
Auf der individuellen Ebene beginnt ein Kreislauf der Stigmatisierung. Bei den Jugendlichen führt das zu einem Verlust an Selbstvertrauen, sie können keine Selbstwirksamkeit aufbauen. Und es führt dazu, dass diese Jugendlichen bestimmte Diskussionen nicht verstehen und sich auch nicht in bestimmte Themenbereiche hineinbegeben. Das heißt, auch die Demokratie verliert damit. Denn diese Jugendlichen sind empfänglicher für einseitige Argumentationen. Es führt auch zu gesundheitlichen Problemen und dazu, dass sich Karrieren bei diesen Jugendlichen erst gar nicht entwickeln.
Das heißt?
Sie üben “einfache” Arbeiten aus, aus denen sie nicht herauskommen. Tätigkeiten, die subventioniert werden müssen und über die sie vielleicht auch in die Langzeitarbeitslosigkeit rutschen. Und das verfestigt sich dann über Generationen.
Inwiefern?
Die Statistik zeigt, dass sich Bildungsarme eher mit Bildungsarmen und Bildungsreiche mit Bildungsreichen zusammentun. So entstehen ganze Kohorten von Bildungsarmen. Das muss man mit in den Blick nehmen. Es geht also nicht nur um individuelle Auswirkungen, sondern um schlechte Startchancen, die wir für die nächsten Generationen insgesamt produzieren.
Wie kommen wir da heraus?
Halten wir zunächst fest: Wir haben es mit lernfähigen jungen Menschen zu tun. Das haben auch die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends im vergangenen Jahr gezeigt. Im Gegensatz zu den Kompetenzen in Deutsch haben sich die Kompetenzen im Englischen deutlich verbessert. Das liegt sicher auch am Gaming und an der allgemeinen Handynutzung, bei der vieles auf Englisch läuft. Wir brauchen einen guten individualbezogenen Unterricht von im Team arbeitenden, sich gegenseitig unterstützenden und motivierten Lehrerinnen und Lehrern. Wir brauchen bessere frühkindliche Bildung, Bildungsketten, kompensatorische Förderangebote, eine konsequente Sozialraumorientierung.
Was Allmendinger zu Ausbildung und lebenslangem Lernen sagt, können Sie hier im Berlin.Table lesen.
Wenn die Politik mit ihren Reformen alles aus Ihrer Sicht richtig machen würde: Wie lange dauert es, bis wir den Erfolg sehen?
Ich höre oft: Das dauert viel zu lang. Das ist doch nur eine Ausrede, nichts zu tun. Ich bin überzeugt, dass sich sehr schnell Fortschritte zeigen würden. Das könnte man in den Kompetenzmessungen wie “Vera” oder im IQB-Bildungstrend schnell sehen. Aber dazu müssen alle an einem Strang ziehen und partei- und ressortübergreifend zusammenarbeiten. Dazu gehört auch, dass Frau Paus, Frau Stark-Watzinger und Herr Heil nebeneinanderstehen und gemeinsam ein großes Bündnis für die Kinder und Jugendlichen in Deutschland ausrufen.
Jutta Allmendinger ist seit 2007 Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Außerdem ist sie Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zuvor war sie Direktorin des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Nürnberg.
Wenn NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) am heutigen Mittwoch die Inklusions-App Splint in Münster vorstellt, dann ist das so etwas wie der Westfälische Friede zwischen den EdTechs und der Kultusbürokratie. Lange haben sie sich kritisch beäugt, nicht selten bekämpft. Mancher Schulrat sieht Start-ups immer noch als Profiteure der Bildungskrise. Aber in Fellers ehemaligem Heimatbezirk soll das nun Geschichte sein. Münster plant die Zusammenarbeit von kritischen Freunden. Für die von 25.000 Lehrkräften in Deutschland genutzte Förderpädagogen-App ist das ein Update. Sachsen-Anhalt geht mit dem taufrischen KI-Start-up Fiete.ai den gleichen Weg.
“Wir hätten sagen können, wir machen die Tür zu – weil, das kostet ja Geld”, berichtet Claudia Zeißig, die im Referat für Sonderpädagogik bei der Bezirksregierung Münster arbeitet. “Oder wir machen die Tür auf und überlegen: Wie kriegt man das so hin, dass es den Pädagogen nutzt – und natürlich dem Kind?” Dass Splint den Sonder- genau wie den Inklusions-Schulen von Anfang an nutzen wird, daran besteht im Regierungsbezirk mit 350.000 Schülern kein Zweifel.
Splint gebe Lehrkräften sehr schnell Zugang zu sonderpädagogischem Fachwissen, berichten die Schulräte. Die Anwendung von Friedo Scharf und Sebastian Trapp mache das gemeinsame Bearbeiten von Förderplänen viel einfacher. “Mithilfe von Splint kann man alle Beteiligten vom Sonderpädagogen bis zum Schulhelfer viel einfacher als bisher zusammenbringen”, berichtet Hauptdezernent Uwe Eisenberg. “Mit der Webanwendung ist es zum Beispiel möglich, dass die Mitwirkenden zeitlich versetzt an einem leicht zugänglichen Förderplan arbeiten.” Eisenberg hat Splint über seine Tochter kennengelernt.
Allerdings ist die Kooperation kein Kuschelkurs. Schulräte und Lehrkräfte werden Splint nicht nur anwenden, sondern einer kritischen Revision unterziehen. Insgesamt sieben Arbeitsgruppen arbeiteten daran, die in der Anwendung hinterlegten Förderpläne mit den Handreichungen aus NRW zu vergleichen – und anzupassen. Das Start-up wisse, dass Münster manche Förderidee der App nicht übernehmen werde. Aber auch die Schulverwaltung selbst erhofft sich ein Update durch die “Splint Edition Münster”. Mithilfe des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz soll die Fortbildung von Lehrkräften besser werden. “Im Idealfall stellen wir uns vor, dass eine Lehrkraft, die zum Beispiel ein geistig behindertes Kind neu in die Klasse bekommt, sich im Dialog über ein Chat-Fenster in Splint über den Förderschwerpunkt informiert”, sagt Zeißig.
Künstliche Intelligenz, das ist es auch, was das Start-up Fiete.ai zur schnellsten Landeslizenz für digitale Tools gebracht hat. Vor sieben Monaten startete das Tool, das mit ChatGPT und vordefinierten Prompts Echtzeit-Rückmeldungen für alle Schüler einer Klasse möglich macht. Und nun bekommt Fiete.ai eine Landeslizenz, worauf andere EdTechs seit zehn Jahren warten. Das Projekt in Sachsen-Anhalt ist dabei ganz ähnlich wie in Münster darauf angelegt, die KI-basierte Anwendung nicht nur in die Schulen zu tragen, sondern sie dabei zugleich zu überarbeiten.
Was den Schulräten Sachsen-Anhalts nämlich besonders wichtig ist, gibt es in Fiete.ai bislang noch nicht: “die individualisierte Erfassung einer kriterienorientierten Kompetenzentwicklung”. Das bedeutet: Die vordefinierten Prompts in Fiete werden mit den Kompetenzkriterien Sachsen-Anhalts abgeglichen. Danach ist etwas möglich, was eine Revolution für Schulen bedeutet. Bei jeder Echtzeit-Rückmeldung durch die KI bekäme der jeweilige Lehrer gespiegelt, wo sich der Schüler im Lehrplan des Landes befindet. Wenn man so will, würde für die ganze Klasse jedes Feedback zu einer kleinen Vergleichsarbeit. Bisher müssen Lehrer und Länder ein Jahr warten, um einen Schülervergleich namens Vera 3 oder Vera 8 zu bekommen.
Was die beiden kooperativen EdTech-Einführungen in Münster und Sachsen-Anhalt bedeuten, versteht man am besten, wenn man mit anderen kleinen Start-ups redet: Selbst wenn ein kleiner Digitalunternehmer eine Landeslizenz erringen kann, gibt es noch keinen Run der Nutzer – sprich der Schulen – in die App.
Beispiel Deutschfuchs: Die Anwendung für Deutsch als Zweitsprache gehört inzwischen zu den Etablierten. Bei Caro und Simon Aschemeier aus Köln arbeiten heute 14 Leute. Das EdTech hat eine Landeslizenz – und ist ansonsten in vielen Schulen in ganz Deutschland vertreten. Eine Landeslizenz frischt zwar zunächst die Kasse auf – weil über die Vereinbarung meist schon erste Schullizenzen gekauft werden. Aber sie ist kein Selbstläufer. “Man muss als Anbieter dafür sorgen, dass die Software auch wirklich genutzt wird”, erzählt Caro Aschemeier. “Schulen oder Lehrkräfte, die uns selbst gefunden haben und mit Deutschfuchs arbeiten wollen, haben sich bewusst dafür entschieden – und kennen die Vorteile.”
Beispiel Knowbody: Mit der App können Schülerinnen und Schüler ihren Körper und ihre Sexualität anders kennenlernen als durch Online-Pornos oder TikTok-Clips. Knowbody füllt damit eine Lücke, mit der sich Schulen schwertun. Das zeigte die bittere Bilanz der sogenannten Rahmenvereinbarung sexualisierte Gewalt zwischen der KMK und der unabhängigen Beauftragten für sexuellen Kindesmissbrauch.
Knowbody hat seit dem vergangenen Jahr eine Landeslizenz in Bremen. Auch hier gilt: Nur wegen einer Lizenz greifen nicht sofort alle Lehrerinnen und Lehrer nach der App. “Wir waren viel in den Schulen in Bremen unterwegs, auch in den Klassenzimmern, um Knowbody zu erklären”, sagt Vanessa Meyer, eine der beiden Gründerinnen von Knowbody. Mit den EdTechs und der Kultusbürokratie ist es so, wie Meyer Grundlegendes für die sexuelle Bildung beschreibt: “Man braucht Vertrauen – und Zeit.”
Bildungsberater, KMK-Kenner, Reformer: In seiner Kolumne denkt Ex-Bildungsstaatssekretär Mark Rackles regelmäßig Bildungspolitik neu. Erfahren Sie hier mehr über die Vita unseres Kolumnisten.
Der amtierende “Bildungspolitiker” Dr. Markus Söder hat die Bildungsrepublik zu Beginn des Jahres mal wieder öffentlichkeitswirksam aufgescheucht. Das ist nur deshalb eine Notiz wert, weil die aktuelle Debatte um Brandmauern gegen einen erstarkenden Rechtspopulismus und Rechtsextremismus nicht im politischen Vakuum stattfindet. Die Stärke der AfD und anderer Extremisten speist sich immer auch aus dem Narrativ eines scheiternden Staates, der die Belange seiner Bürgerinnen und Bürger aus dem Blick verloren hat und die Probleme nicht löst. Eine gute Brandmauer der Demokratie gegen Rechtsextremisten ist somit immer auch die wahrnehmbare Fähigkeit der demokratischen Politikerinnen und Politiker, Probleme in den Griff zu bekommen und glaubwürdig zu lösen.
Hier kommt Dr. Söder ins Spiel. Der bayerische Ministerpräsident hat das Thema Schule seit ein paar Jahren für sich entdeckt und greift aktiver als manche Chefs anderer Staatskanzleien das drängende Thema Lehrkräftemangel offensiv auf. Vorzugsweise auf CSU-Klausurtagungen zu Jahresbeginn, manchmal auch direkt auf CSU-Parteitagen, kapert er (rhetorisch) das Kultusministerium für die Dauer einer Pressemeldung.
2020 forderte er die Abschaffung aller Zugangsbeschränkungen auf das Lehramtsstudium. 2021 sagte der die Faschingsferien ab, um mehr Unterricht zu ermöglichen. 2022 forderte er die Reduzierung der Teilzeit bei seinen Lehrkräften in Bayern, 2023 kündigte er eine aktive Abwerbung von Lehrkräften anderer Bundesländer an (die er zuvor jahrelang als zweitklassig geschmäht hatte). Und aktuell, zum Jahresbeginn 2024, erneuerte er die Drohung eingeschränkter Teilzeitmöglichkeiten für Lehrkräfte.
Im Ergebnis hat er nachweislich keines der in Rede stehenden Problem gelöst: Weder hat er die Studienplätze wirksam ausgebaut, noch hat er in anderen Ländern einen Exodus (oder auch nur ein Rinnsal) von Lehrkräften ausgelöst. Und schon gar nicht hat er das Teilzeitverhalten seiner Lehrkräfte verändert. Oder genauer: Er hat es gemeinsam mit seinem ehemaligen Kultusminister Michael Piazolo durchaus verändert, aber in die – aus seiner Sicht – falsche Richtung.
Das Ergebnis der Ankündigungspolitiken ist neben Frust in der Fläche und weiterhin ungelösten Problemen in den Schulen ein markanter Anstieg der Teilzeit seit 2020. In nur zwei Jahren (von 2020, als die Teilzeitdebatte losgetreten wurde, bis 2022) nahm die Zahl der Lehrkräfte in Teilzeit um acht Prozent zu, die in Teilzeit unterhalb einer halben Stelle sogar um knapp 17 Prozent.
Offenbar gilt: Je aggressiver die Einschränkung der Teilzeit gefordert wird, desto stärker drängen Lehrkräfte in Teilzeit. Das belegt drei Dinge: Erstens erzeugt Druck Gegendruck, und Menschen entwickeln Umgehungsstrategien. Zweitens scheint es Rechtsgrundlagen zu geben, die die Inanspruchnahme von Teilzeit weiterhin ermöglichen und die nicht einfach auf Zuruf entfallen. Drittens ist das bekannt, ändert aber die Strategie von Dr. Söder nicht.
Man darf daher getrost annehmen, dass sich die von ihm erneut betriebene Teilzeitdebatte nicht vorrangig an die Lehrkräfte richtet, sondern an das allgemeine Wahlvolk. Hier wird (zulasten Dritter) Lösungskompetenz und Handlungswille kraftvoll zelebriert, eine reale Lösung der realen Probleme erfolgt dagegen nicht. Dieses Agieren befördert den Vertrauensschwund in Bildungspolitik im Besonderen und in demokratische Prozesse und Strukturen im Allgemeinen. Das ist Öl in genau das Feuer, gegen das wir Brandmauern errichten.
Welche Schulen werden zu Startchancen-Schulen? Nachdem Bund und Länder in der Vorwoche das Startchancen-Programm beschlossen haben, steht diese Frage ganz oben auf der Agenda der Kultusministerien der Länder. Table.Media hat nachgefragt, wie viele Schulen in den einzelnen Ländern vom zehnjährigen Bund-Länder-Programm (Gesamtvolumen 20 Milliarden Euro) profitieren sollen.
Mit Abstand die meisten Startchancen-Schulen wird es im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen geben. Mehr als 900 Schulen in herausfordernden Lagen sollen im Zuge des Programms gefördert werden. In Bayern sind es laut Kultusministerium “voraussichtlich zwischen 500 und 600 Schulen”, in Baden-Württemberg etwa 540. Es folgt Niedersachsen mit etwa 390 Schulen. Einzig Berlin konnte zur Anzahl der Schulen noch keine ungefähre Zahl nennen. “Intern”, so hieß es, “würden die Schulen zunächst auf mögliche Teilnahme nach den Kriterien des Programms geprüft”.
Der Anzahl der Schulen entsprechend fließen auch die meisten Bundesmittel nach NRW. Jährlich sind dies etwa 230 Millionen Euro. Auch hier folgen Bayern (etwa 143 Millionen Euro), Baden-Württemberg (etwa 134 Millionen Euro) und Niedersachsen (circa 98 Millionen Euro). Zu den Bundesmitteln kommen Landesmittel im selben Umfang. Dabei können die Länder bereits bestehende Maßnahmen, die auf die Ziele des Programms ausgerichtet sind, anrechnen lassen. Nachzulesen ist das in der Bund-Länder-Vereinbarung auf Seite 10.
Bundesweit soll es etwa 4.000 Startchancen-Schulen geben, wobei der Schwerpunkt auf den Grundschulen liegt. Bis zum 1. Juni 2024 müssen die Länder im ersten Schritt insgesamt 1.000 Schulen – ausgewählt nach einem Sozialindex – benannt haben. NRW kündigte an, “bis zum Frühjahr bis zu 400 Schulen für eine Förderung bereits ab dem Schuljahr 2024/25 auszuwählen”, in Hessen werden es zunächst 80 sein. Bis spätestens zum 1. Juni 2025 müssen alle Startchancen-Schulen ausgewählt sein. Holger Schleper
Der Bedarf an pädagogischen Fachkräften ist groß und wird noch weiter wachsen. Insbesondere durch die Schaffung von Kitaplätzen und den Ausbau der Ganztagsbetreuung an Grundschulen. Doch nicht nur die Nachwuchsgewinnung ist schwierig, es gibt auch zu wenige Lehrkräfte, die diese pädagogischen Fachkräfte ausbilden können. Das hat eine Studie des Beratungsunternehmens Kienbaum (zum Download) herausgearbeitet, die im Auftrag des Bundesfamilienministeriums entstanden ist. Beteiligt waren an der Studie auch die Leuphana Universität Lüneburg und die Technische Universität Dresden.
Die Zahl der Studierenden im Lehramtsstudium der beruflichen Fachrichtung Sozialpädagogik ist zwar in den vergangenen Jahren gestiegen, liegt aber deutlich unter dem tatsächlichen Bedarf. Problem: Es gibt kein ausreichendes und flächendeckendes Studienangebot, heißt es in der Studie. “Die Anzahl Interessierter übersteigt die aktuell zur Verfügung stehenden Bachelor-Studienplätze. Gleichzeitig zeigen sich hohe Abbruchquoten während des Bachelor-Studiums, was dazu führt, dass zum Teil Plätze für Master-Studiengänge nicht besetzt werden.”
Die Autorinnen der Kienbaum-Studie haben nun aufgrund verschiedener Szenarien Berechnungen angestellt, um den Bedarf an Lehrkräften bis 2030 zu ermitteln. Demnach liegt der je nach Berechnungsgrundlage zwischen 1.790 und 2.848 Personen. Personen, die es dringend braucht, um die zusätzlich benötigten sozialpädagogischen Fachkräfte auszubilden.
Das führt auch dazu, dass die Zahl der Quereinsteiger unter den Lehrenden in der Sozialpädagogik wächst. In einer Befragung für die Studie gaben 2022 nur 17 Prozent der Lehrkräfte an sozialpädagogischen Fachschulen an, ein Lehramtsstudium im Bereich Sozialpädagogik absolviert zu haben. 83 Prozent haben hingegen andere, fachfremde Qualifizierungen. Besonders groß ist der Anteil der Quereinsteiger an privaten Schulen. Hier liegt der Anteil an grundständig ausgebildeten Lehrkräften nur bei knapp fünf Prozent. An Schulen in öffentlicher Trägerschaft haben hingegen 29 Prozent der Lehrenden ein Lehramtsstudium für Sozialpädagogik absolviert.
Die Kienbaum-Studie geht davon aus, dass der Lehrkräftebedarf “längerfristig” bestehen wird. Die Autoren schreiben, dass zumindest für Westdeutschland die Bevölkerungsprognosen zu Kindern bis einschließlich drei Jahren zeigen, dass die Zahlen bis 2030 auf dem Niveau von 2022 bleiben. Die in der vergangenen Woche veröffentlichte Bedarfsprognose der Bertelsmann Stiftung zu Grundschullehrkräften hat hingegen sinkende Geburtenraten prognostiziert. Annette Kuhn
Eine hitzige Debatte lösen wohl nur die wenigstens jahrzehntelang verschickten Verwaltungsschreiben aus. Bei dem Schreiben der Kölner Bezirksregierung zu politischer Zurückhaltung von Lehrkräften passierte aber genau das, wie Table.Media berichtete. Das Schreiben erreichte die Schulen direkt nach der ersten großen Demonstration gegen Rechtsextremismus in Köln – weshalb einige einen Zusammenhang vermuteten. Nun hat das nordrhein-westfälische Schulministerium klargestellt: Demokratisches Engagement sei nicht verboten – sondern ausdrücklich erwünscht. Manche Fragen bleiben dennoch offen.
Jeweils drei bis fünf Monate vor Wahlen erhalten alle Beamten des Landes NRW ein Schreiben, das sie zu politischer Neutralität, Mäßigung und Zurückhaltung aufruft. “Die Hinweise wurden erstmals 1991 veröffentlicht und gelten seitdem unverändert fort”, teilte ein Sprecher aus dem nordrhein-westfälischen Innenministerium mit. Auch dieses Jahr habe man das Schreiben regulär in diesem Zeitraum verschickt – knapp fünf Monate vor der Europawahl. Das aktuelle politische Geschehen spielte dabei keine Rolle. Der Zeitpunkt war eher “Zufall”, heißt es aus dem Innenministerium.
Eine “gewisse Unsensibilität” zeige die Wahl des Zeitpunkts dennoch auf, findet Anne Deimel, Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). “In Zeiten, in denen Millionen Menschen gegen rechts auf die Straße gehen, ist so ein Schreiben mehr als ein einfacher Verwaltungsakt“, kritisiert auch Ayla Çelik. Die Vorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) NRW hätte sich gewünscht, dass die Landesregierung, ähnlich wie mit der Aktion “Nie wieder ist jetzt” im Nahost-Konflikt, klare Kante zeigt und die Lehrkräfte mit einem “klaren Bekenntnis zu Vielfalt” stärkt.
Das Schulministerium äußerte sich auf Medienanfrage zu der Kritik und machte deutlich: “Die Hinweise des Innenministeriums stehen in keinem Zusammenhang mit den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus.” Sie beziehen sich ausschließlich auf die Europawahl im Juni 2024. Schulministerin Dorothee Feller begrüße in den aktuellen Zeiten “gesellschaftliches und bürgerschaftliches Engagement“. Ein aufklärendes Schreiben an die Schulen plant das Schulministerium dennoch nicht. Dabei wäre es dienlich, wenn Lehrkräfte noch einmal versichert bekämen, dass die Beteiligung an Demonstrationen selbstverständlich erlaubt ist, sagt die GEW- Vorsitzende Çelik. vkr
67.951 Schüler hat das Bundesbildungsministerium 2022 im Rahmen seines Berufsorientierungsprogramms (BOP) gefördert. Das geht aus einer Antwort von Jens Brandenburg (FDP), dem Parlamentarischen Staatssekretär des BMBF, auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion hervor (zum Download mit Anlage). Das BOP fördert bisher vor allem Siebtklässler (mit einer Potenzialanalyse) und Achtklässler (mit Werkstatt- bzw. Berufsorientierungstagen).
Im Schuljahr 2022/23 gab es laut Statistischem Bundesamt rund 1,5 Millionen Siebt- und Achtklässler. Von ihnen erreichte das BOP umgerechnet knapp fünf Prozent, also jeden 20. Schüler. Geht man von der Gesamtzahl aller Schüler an allgemeinbildenden Schulen in diesem Schuljahr aus – 8,7 Millionen – erreichte das BOP sogar nur 0,8 Prozent aller Schüler. Thomas Jarzombek, bildungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, bemängelte gegenüber Table.Media, dass “jährlich nicht mal jeder hundertste Schüler erreicht wird.”
Rund 630.000 der 15- bis 24-Jährigen waren 2021 weder in einer Ausbildung noch in der Schule oder in Arbeit. Das ergab eine Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie. “Gerade Plattformunternehmen locken mit Jobs, für die kein Berufsabschluss notwendig ist; doch eine fehlende Ausbildung wird sich später rächen”, sagte Jarzombek. “Es muss deutlich mehr getan werden, um junge Menschen in Ausbildung zu bringen. Eine bessere Berufsorientierung ist der zentrale Schlüssel.”
Die Zahl der über das Berufsorientierungsprogramm geförderten Schüler war schon höher – 2018 erreichte es 94.593 Schüler. Ende 2022 trat eine neue Förderrichtlinie in Kraft, die das Programm stärker für Gymnasien öffnen soll und erstmals für Schüler der Sekundarstufe II. Welche Wirkung diese Öffnung bisher hatte, lässt sich an den Zahlen des BMBF jedoch noch nicht ablesen.
Den Wettbewerb für digitale Berufsorientierungsangebote “D-BOP“, den das BMBF 2023 als Teil seiner Exzellenzinitiative Berufliche Bildung ausgerichtet hat, soll es 2024 nicht nochmal geben. Das BMBF hatte zehn Tools mit dem D-BOP-Preis ausgezeichnet. 100 Wettbewerbsbeiträge waren Jens Brandenburg zufolge eingegangen. Thomas Jarzombek sagte Table.Media: “Dass Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger den erfolgreichen Wettbewerb für digitale Berufsorientierungsangebote in diesem Jahr direkt wieder einstellt, ist definitiv das falsche Signal.”Anna Parrisius
Viele wechseln nach ihrer Ausbildung den Handwerksbetrieb. Das ergibt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das Daten zur Ausbildung im bayerischen Handwerk ausgewertet hat (zum Download). Von den Azubis, die 2015 ihre Ausbildung beendeten, arbeitete nach einem Jahr nur noch etwas über die Hälfte bei ihrem Ausbildungsbetrieb (56 Prozent). Nach fünf Jahren war es nicht mal mehr jeder dritte Auszubildende (29 Prozent). Die Verbleibsquoten sind in den Jahrgängen nach 2015 zwar etwas angestiegen, der generelle Trend hält aber an.
Den Abschlussjahrgang 2015 haben die Autoren genauer untersucht. Hier zeigt sich, dass unter den Wechslern vergleichsweise viele Frauen sind, Azubis ohne Schulabschluss und solche, die den Berufsabschluss nur mit “ausreichend” geschafft haben. Am meisten Wechsel gibt es aus kleinen Betrieben (1 bis 19 Beschäftigte). Friseurbetriebe sind besonders betroffen, aber auch Betriebe der Lebensmittelherstellung und -verarbeitung oder Verkaufsberufe. Eine hohe Verbleibsquote gab es dahingegen im Baugewerbe, in technischen Berufen und bei (sehr) guten Ausbildungsabsolventen.
Die Analysen der Betriebswechsel zeigen jedoch, dass die Fachkräfte oft zu einem Betrieb gehen, der ähnlich groß ist wie der Ausbildungsbetrieb und demselben Wirtschaftszweig angehört. Zudem verlassen die Absolventen selten die Region.
Die Autoren empfehlen den Ausbildungsbetrieben, ihre Azubis frühzeitig zu binden, etwa durch Angebote zur Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf. Weniger attraktiv könne ein Wechsel zudem sein, wenn der Betrieb eine fachliche Weiterentwicklung ermöglicht und Karriere sowie ein höheres Einkommen in Aussicht stellt. Anna Parrisius
An Schulen in Thüringen sind nach Angaben des Bildungsministeriums im vergangenen Jahr 129 rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Vorfälle erfasst worden. Das war knapp ein Drittel mehr als ein Jahr zuvor, wie das Ministerium auf Anfrage mitteilte. 2022 hatte das Ministerium 98 solcher Vorfälle gezählt. “Die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre, die spürbare Polarisierung der Gesellschaft spiegeln sich natürlich auch in der Schule wider”, sagte Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke). Neben den Pädagogen sei die gesamte Zivilgesellschaft gefordert, wachsam zu sein, um jeder Form von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu begegnen.
Das Ministerium erfasst rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Vorfälle als sogenannte besondere Vorkommnisse in drei Kategorien: als Beschimpfung von Religionsgemeinschaften, als Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen oder als Volksverhetzung. Da die Schulverwaltung allerdings keine Strafverfolgungsbehörde ist, seien die Einstufungen in diese Kategorien immer nur vorläufig, sagte eine Ministeriumssprecherin. “Alles Weitere wird – sofern erforderlich – der polizeilichen Ermittlungsarbeit übergeben.”
Im Schulalltag können solche Fälle unterschiedlich gelagert sein: von rassistischen Beschimpfungen auf dem Schulhof über antisemitische Bemerkungen im Unterricht bis hin zu Hakenkreuz-Schmierereien auf Schultoiletten. Wichtig und entscheidend sei, dass es nicht bei Meldungen bleibe, sondern dass es auch in jedem Einzelfall eine Reaktion der Schule auf solche Vorfälle erfolge.
Neben der auch global zugespitzten Lage hängt die höhere Zahl auch damit zusammen, dass es an den Schulen inzwischen eine noch höhere Sensibilität in Bezug auf rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Vorfälle als in der Vergangenheit gibt. Gemessen an der Zahl der Schulen und der Schultage könne noch nicht die Rede von einer großen Zahl an Vorfällen sein, sagte die Ministeriumssprecherin. In Thüringen gibt es nach Ministeriumsangaben etwa 970 allgemeinbildende und berufsbildende Schulen. Dort lernen ungefähr 250.000 Kinder und Jugendliche. dpa
Wie wertvoll und wichtig eine funktionierende Demokratie ist, weiß Marina Weisband nur zu gut. Die Jüdin mit ukrainischen Wurzeln erhält regelmäßig Morddrohungen und musste bereits den Staatsschutz einschalten. Der 7. Oktober war für sie – wie für die meisten jüdischen Menschen – ein Einschnitt. Antisemitismus hat zugenommen. Und neben der Ukraine ist nun auch Israel im Krieg und kein sicherer Hafen mehr.
Um die Demokratie in Deutschland zu schützen, gründete Weisband bereits vor zehn Jahren das Projekt aula, ein digitales Beteiligungskonzept, das Schülerinnen und Schüler in ihrer Selbstwirksamkeit stärken will und ihnen damit das bieten soll, was Schulen aktuell nicht leisten. Denn dort ist der Alltag der Jugendlichen größtenteils fremdbestimmt.
Weisband kam 1994 im Alter von sechs Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland, im Rahmen der Regelung für jüdische Kontingentflüchtlinge. Als Schülerin hatte Weisband das Gefühl, die Schule grenze ihren Wissensdurst eher ein, anstatt ihn zu fördern. Sie beginnt die Schule zu schwänzen, lernt über Wikipedia Dinge, die sie wirklich interessieren. Noch heute findet die Diplom-Psychologin, dass das Programm in den Schulen zu eng gestrickt ist. “Für persönliche Neugier und Fragen abseits des vorgegebenen prüfungsrelevanten Stoffs gibt es keinen Platz”, sagt sie.
Lange Zeit sei Demokratie für sie etwas gewesen, “das die Deutschen unter sich ausmachen” – und an dem sie als Immigrantin nicht teilnehmen kann. Erst als Jugendliche erhält sie den deutschen Pass. Als sie 2009 das erste Mal wählen kann, hat sie erstmals das Gefühl, Einfluss auf die Gesellschaft nehmen zu können. Sie merkt, dass ihre Stimme zählt.
Begeistert von ihren neuen Möglichkeiten – und ein paar Werbespots – tritt sie noch am selben Tag der Piratenpartei bei. “Ich dachte, das sind Nerds, ich bin ein Nerd – yeahy, das ist meine Partei.” 2011 wird Weisband politische Geschäftsführerin. Und merkt, wie wenig sie eigentlich über das politische System in der Schule gelernt hat. Auch heute, sagt sie, gehe es im Politikunterricht noch zu sehr um Institutionskunde und zu wenig um die Rolle des Einzelnen.
Die Piratenpartei nutzte damals eine Software, über die alle ihre Mitglieder das Parteiprogramm mitgestalten können. Sie stellten ihre Ideen ein und stimmten ab. Ein perfektes Tool für Demokratieanfänger und die Grundlage für das Projekt aula – das ab 2014 zunächst als Pilotprojekt von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wurde.
Weisband trat 2015 bei den Piraten aus – um sich für ihre Arbeit an Schulen von Parteien unabhängig zu machen und weil ihr die Piratenpartei zu konservativ geworden war. Seit 2018 ist sie wieder Mitglied einer Partei – den Grünen. Zum Beitritt sagt sie, sie könne der Politik in Deutschland nicht tatenlos zusehen, und bei den Grünen fände sie die meisten Gleichgesinnten.
An aula ist Weisband besonders wichtig, dass das Angebot niedrigschwellig ist. Denn Weisband bemängelt, dass viele Projekte im Bereich der politischen Bildung außerhalb der Schulen stattfinden und oft nur Jugendliche mit gut gebildeten Eltern ohne Migrationshintergrund erreichen. Aula soll sich daher an alle jungen Menschen richten.
Schüler ab der fünften Klasse können ihre Ideen auf der Plattform von aula sammeln und darüber abstimmen, was sie umsetzen möchten. Die Lehrkräfte begleiten diesen Prozess mithilfe eines Leitfadens. So entstand in einer Freiburger Schule ein Smartphone-Tag, an dem der Unterricht mit Smartphones gestaltet werden sollte. Im Sportunterricht nahmen die Lehrkräfte etwa Sprünge von Schülern auf und die Klassen konnte anschließend mögliche Fehler analysieren. Ziel war es, neue Einsatzmöglichkeiten für digitale Tools zu finden.
Damit die Vorschläge der Jugendlichen nicht im luftleeren Raum bleiben, gibt es einen Vertrag. Dieser wird von der Schulkonferenz – die auch über die Einführung von aula entscheidet – entwickelt. Mit ihm wird der Rahmen abgesteckt, in dem sie sich verpflichtet, die beschlossenen Ideen mitzutragen.
Ziel von aula ist es, Schülerinnen und Schüler an Entscheidungen in ihrer Schule zu beteiligen. Selbst wenn der eigene Vorschlag nicht angenommen wird, sehen sie nach der Abstimmung, dass andere etwas bewirken können. Weisband und das aula-Team arbeiten inzwischen auch an einer aula-Version für Grundschulen. Darüber hinaus wollen sie die Beteiligungsmöglichkeiten von Jugendlichen in den Kommunen stärken, etwa indem sie Jugendforen mit ihrer Online-Plattform und weitere Materialien unterstützen.
Dass junge Leute in der Politik bisher kaum repräsentiert werden, hält Weisband, für brandgefährlich. Dadurch würden sie das Vertrauen in die repräsentative Demokratie verlieren. “Es ist wichtig, dass wir anfangen, den Jugendlichen Gehör zu verschaffen.” Kira Münsterberg
Research.Table: Umgang mit antisemitischen Vorfällen in der Wissenschaft. Zwei mutmaßlich antisemitische Vorfälle an Wissenschaftseinrichtungen beschäftigen die Community. Während die Verantwortlichen der FU Berlin schnelle Konsequenzen ziehen wollen, ist der Fall am MPI für ethnologische Forschung in Halle gravierender. Mehr
Research.Table: Wirtschaft sponsert zunehmend staatliche Hochschulen – Auswirkungen auf die Forschung. In Deutschland gibt es einen regelrechten Boom der privaten Hochschulen. Auch staatliche Hochschulen werden zunehmend mit privaten Geldern unterstützt – ihre Unabhängigkeit sehen sie dadurch aber nicht gefährdet. Mehr
MINT | Thomas Sattelberger glaubt nicht daran, dass der Staat die Bildungskrise stoppen kann. Der Ex-FDP-Politiker ist Vorsitzender im Kuratorium von “make & mint”. Die Initiative, die Schulen mit Equipment ausstattet, um Experimentierwerkstätten und sogenannte “Makergaragen” aufzubauen, sucht aktuell Partner aus der Industrie. handelsblatt
Arbeitszeit | Die Debatte um eine formelle Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte nimmt Fahrt auf. Nachdem sie um die 200 Überstunden hatten, haben nun zwei Gymnasiallehrer aus Baden-Württemberg Klage vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht eingereicht. Das Gericht soll jetzt überprüfen, ob ihre Arbeitszeit die vorgeschriebene Wochenarbeitszeit überschreitet. Merkur
Bildungskrise | Der Bildungsrat von unten fordert ein zweiteiliges Modell für die Lehrkräfteausbildung. Der Mitinitiator und Bildungsexperte Mark Rackles spricht über das vergangenen Mittwoch veröffentlichte Bildungsmanifest sowie die 34-seitige Expertise zum Lehrkräftemangel. Spiegel
Pisa | Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft stellt nach Pisa konkrete Forderungen an die Schulen. Eine zentrale Forderung ist, den Fokus stärker auf Sprachförderung zu legen. Und Deutsch und Mathematik sollten in den Grundschulen mehr Raum bekommen – auf Kosten des Englischunterrichts. Augsburger Allgemeine
Lehrkräfte | Prüfungsaufgaben erstellen, Druck von Eltern und schlechte Behandlungen im Referendariat. Der Lehrer Josef Zellner schreibt über die Belastung für Lehrkräfte. Und kritisiert die zuständigen Ministerien. FAZ
Nachhilfe | Zahlreiche Studien, zeigen, dass Tutoring bei benachteiligten Kindern effektiv ist. In den USA und Großbritannien gibt es deshalb bereits große staatlich Tutoring-Programme. Doch damit die Unterstützung erfolgreich ist, müssen mehrere Punkte beachtet werden. Zeit
13. Februar 2024, 15:30 Uhr, digital
Input-Vortrag Geschlechtervergleich: Lesekompetenz, Motivation, Selbstkonzept
Das Institut für Schulentwicklung hat die Programmreihe Tuesdays for Education ins Leben gerufen. In der Reihe werden aktuelle Ergebisse aus IGLU 2021 vertieft und durch weitere Befunde ergänzt. In der aktuellen Veranstaltung wird Prof. Dr. Nele McElvany einen Input-Vortrag zu den Themen Lesekompetenz, Motivation und Selbstkonzept im Geschlechtervergleich halten. INFOS & ANMELDUNG
22. Februar 2024, 10:00 Uhr, Gauting
medienpädagogischer Jahresauftakt Kreativität neu denken
Das JFF – Institut für Medienpädagogik lädt zur 9. medienpädagogischen Jahresauftakttagung ein. KI verändert die Kreativität junger Menschen. Wie pädagogische Fachkräfte sie dabei unterstützen und für mögliche Risiken sensibilisieren können, wird in verschiedenen Vorträgen und Workshops diskutiert. Die Vorträge werden live gestreamt und in Gebärdensprache übersetzt. Die Anmeldung ist bis einschließlich 8. Februar möglich. INFOS & ANMELDUNG
23. Februar 2024, 10:00 bis ca. 12:00 Uhr, digital
Infoveranstaltung Infoveranstaltung zur Zukunftsmission Bildung
Dieses Jahr startet die Zukunftsmission Bildung des Stifterverbands. Um die aktuellen Herausforderungen anzugehen, sollen Ressourcen gebündelt und Best Practices aufgezeigt werden. Schwerpunkte werden dabei die Lehrkräfte, Schule plus, MINT-Fachkräfte und Future Skills sein. Zunächst geht es jedoch darum, die Zukunftsmission vorzustellen und über mögliche Kooperationen zu sprechen. Die Anmeldung ist bis zum 16. Februar möglich. INFOS & ANMELDUNG
26. und 27. Februar 2024, Köln
Jahrestagung Sprachliche Bildung als gesellschaftlicher Auftrag
Das Mercator-Institut lädt zu seiner elften Jahrestagung ein. “In einer heterogenen Gesellschaft legt sprachliche Bildung einen Grundstein für Chancengleichheit”, heißt es in dem Programm. Was das für die Praxis konkret bedeutet, wird in verschiedenen Vorträgen und Workshops diskutiert.
Eine Anmeldung ist bis zum 13. Februar möglich. INFOS & ANMELDUNG
29. Februar 2024, 14:00 bis 17:00 Uhr, Recklinghausen
Infoveranstaltung BNE trifft MINT: Klimawandel im Schulunterricht
Die Natur- und Umweltschutz-Akademie NRW lädt zu einer Veranstaltung über den Klimawandel ein. Wie können die komplexen Vorgänge des Klimawandels und dessen Auswirkungen didaktisch vermittelt werden? Um diese Frage zu beantworten, werden klimatologisches Faktenwissen mit Experimenten und Spielen zur Vermittlung verbunden.
Eine Anmeldung ist bis zum 15. Februar möglich. INFOS & ANMELDUNG
Die Digitalisierung an Schulen schreitet voran. Das ist die gute Nachricht, die sich aus der aktuellen Umfrage zur Digitalisierung an Schulen ergibt. Neun von zehn Schulen haben mittlerweile zumindest für einen Teil ihrer Schüler Laptops, Tablets oder Smartphones. Das hat die Umfrage des Forsa-Instituts unter mehr als 1.300 Schulleitungen im Auftrag des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) ergeben. Doch diese Erfolge sind keineswegs gesichert. Da der Digitalpakt II auf sich warten lässt, hoffen die einen im besten Fall darauf, den aktuellen Stand “konservieren” zu können, andere befürchten gar einen “Rückwärtstrend”.
Zu Beginn der Corona-Pandemie 2020 hatten noch knapp zwei Drittel der Schulen keine Klassensätze an digitalen Endgeräten. Laut der Umfrage vom 15. September bis 20. Oktober 2023 war dies immerhin nur noch bei zehn Prozent der Schulen der Fall.
Der Digitalpakt I hat bei der technischen Ausstattung der Schulen eine entscheidende Rolle gespielt: Insgesamt gaben 90 Prozent der befragten Schulleitungen an, sie hätten einen Antrag zur Förderung ihrer Schule mit Mitteln aus dem Digitalpakt gestellt. 78 Prozent der Schulen haben der Umfrage zufolge bereits Geld erhalten.
Die Zahlen zeigen außerdem: Schulen, denen Mittel aus dem Digitalpakt zur Verfügung standen, sind besser ausgestattet als jene, die keine Extraförderung bekamen. Lediglich acht Prozent der Schulen mit Digitalpakt-Förderung haben keine Klassensätze an Laptops, Tablets und Smartphones für ihre Schülerinnen und Schüler. Bei den Schulen, die (noch) keine Mittel aus dem Digitalpakt erhalten haben, hat dagegen knapp ein Viertel keine Klassensätze an Geräten.
Das Ziel, mit dem Digitalpakt eine Infrastruktur zum digitalen Lernen herzustellen, ist allerdings in den Augen der Schulleitungen noch lange nicht erreicht. Nur ein Viertel der Schulleiter, die einen Förderantrag gestellt haben, gibt an, dass die erhaltenen Mittel für die digitale Infrastruktur und die Ausstattung an ihrer Schule ausreichend sind. Zwei Drittel der Befragten sagen dagegen, sie bräuchten noch mehr Geld.
Den VBE-Vorsitzenden Gerhard Brand verwundert das nicht. “Während die ersten Schulen ihre Geräte schon wieder austauschen müssen, fehlt bei anderen noch die komplette Ausstattung”, sagt er. Noch dazu müssten die Geräte laufend verwaltet und datenschutzsicher gemacht werden. “Wenn die Finanzierung jetzt ausbleibt, werden wir nicht nur den aktuellen Stand nicht halten können – wir werden eine Rückwärtstendenz erleben”, befürchtet Brand.
In der ungleichen Ausstattung der Schulen sieht Brand zudem eine Frage der Gerechtigkeit. Zwar haben auch drei Viertel der Schulen, die keinen Antrag auf Gelder des Digitalpakts gestellt haben, mindestens einzelne Klassensätze an Geräten. Aber: “Es ist davon auszugehen, dass dies eher in ökonomisch stabil aufgestellten Regionen gelingt, während es in Kommunen mit Haushaltssperre eben externer Mittel bedarf”, sagt Brand. “Die Chancen der Kinder dürfen nicht von den Mitteln der Kommune abhängen.”
Wie schnell die Schulen mit einer Anschlussfinanzierung rechnen können, ist allerdings immer noch unklar. Auf einer Klausurtagung in der vergangenen Woche haben sich Bund und Länder das Ziel gesetzt, den Digitalpakt II bis zum 16. Mai unter Dach und Fach zu bringen. So würde zumindest auf dem Papier keine Lücke zwischen dem 2019 gestarteten Digitalpakt Schule und seinem Nachfolger entstehen. Im Zuge der Vorstellung des Startchancen-Programms am vergangenen Freitag betonten die Länder einhellig, dass in den Gesprächen mit dem BMBF “substanzielle Fortschritte” erzielt worden seien. Die Frage nach Details wurde bislang mit Rücksicht auf die laufenden Verhandlungen allerdings zurückgewiesen.
Auch zum finanziellen Volumen möchte sich bislang niemand äußern. Klar ist, dass sowohl im Bund als auch in den Ländern für 2024 keine Haushaltsmittel für einen zweiten Digitalpakt zur Verfügung stehen. Frisches Geld gäbe es also in jedem Fall erst ab 2025 zu verteilen. Dabei ist jedoch strittig, wie Bund und Länder sich die Kosten untereinander aufteilen. Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger fordert, dass sich die Länder zu 50 Prozent am Digitalpakt II beteiligen sollen. Dazu verpflichtet sie auch ein Beschluss der Bundesregierung vom vergangenen Sommer, demzufolge sich “die Finanzierung von neuen Bund-Länder-Programmen auf eine ausgeglichene Kofinanzierung begrenzen” soll.
Das wollen die Länder allerdings nicht ohne Diskussionen hinnehmen. Sie denken vor allem an den ersten Digitalpakt, an dem sie sich lediglich mit rund zehn Prozent beteiligten. “Es werden sicher nicht alle Länder in der Lage sein, 50 Prozent frisches Geld reinzugeben – Niedersachsen jedenfalls nicht”, sagte Marco Hartrich, Staatssekretär im niedersächsischen Kultusministerium, Table.Media.
Der Digitalpakt I war für viele Schulen ein wichtiger erster Schritt hin zu digitaler Schulentwicklung, sagt Schulleiter Alexander Otto. Als der Digitalpakt kam, war seine Schule, die Grace-Hopper-Gesamtschule in Brandenburg, zwar bereits mit Tablets ausgestattet. Dennoch haben die Fördermittel der digitalen Transformation einen großen Schub gegeben, sagt Otto. Er kaufte mit den Geldern beispielsweise die Software “Kyub” – ein Programm, mit dem Schüler innerhalb einer Schulstunde Objekte digital entwickeln und manuell zusammenbauen können. “Das ist die Art technisches Hilfsmittel, die es schafft, die Verstehensprozesse zu erweitern“, sagt Otto.
Der Leiter der Gesamtschule setzt nun darauf, dass der Schulträger die Finanzierungslücke nach dem Digitalpakt I abfedert. “Ich hoffe, wir schaffen es, den aktuellen Stand zumindest zu konservieren”, sagt Otto. Er weiß, dass seine Schule vielen als eine Musterschule in Sachen Digitalisierung gilt. Gleichzeitig sieht er, dass viele der Kollegen an Schulen arbeiten, die nicht einmal einen stabilen Breitbandanschluss haben. “Wir alle brauchen weitere Unterstützung”, sagt Otto. “Ich lehne mich jetzt mal aus dem Fenster und behaupte, komplett angekommen in der ,Kultur der Digitalität’ ist bisher noch keine Schule.”
Die Bauern gehen seit Wochen auf die Straße und bekommen viel Aufmerksamkeit. Wieso gibt es keinen vergleichbaren Protest für bessere Bildung?
Weil die Interessen der unterschiedlichen Akteure auseinanderstreben: Die Lehrerinnen und Lehrer verfolgen je nach Schulart verschiedene Ziele. Wir haben die Interessen von Eltern, die sich auch nach bildungspolitischen Milieus unterscheiden können. Gerade bildungsbenachteiligte soziale Milieus sind politisch kaum organisiert. Wir haben Schulverwaltungen und Kommunen, die ohnehin nicht einfach mit auf die Straße gehen. Und wir haben große Unterschiede zwischen den Bundesländern. Es ist schwer, eine Idee zu finden, die so stark ist, all diese unterschiedlichen Interessen zu bündeln. Und es gibt noch weitere Probleme.
Welche?
Wenn es einen Aufruf zu einem Riesenstreik gäbe, könnten die Eltern nicht zur Arbeit gehen und, mindestens ebenso wichtig: Es würde Unterricht ausfallen. Dadurch droht die Gefahr, dass sich die Leistungen der Kinder weiter verschlechtern. Das will niemand. Aber klar ist: Es muss Druck aufgebaut werden.
Und wenn nicht?
Dann wird sich voraussichtlich nichts ändern. Oder es dauert viel zu lange, bis sich etwas ändert. Seit der ersten Pisa-Erhebung vor 20 Jahren sprechen wir über die gleichen Probleme. Die neuen Ergebnisse von 2023 waren schlechter denn je. Aber es gab kein Entsetzen, das das Land durchströmte. Auch auf politischer Seite gab es wenig Aufmerksamkeit.
Was müsste passieren?
Wenn uns 20 bis 30 Prozent der Jugendlichen verloren gehen, weil sie nicht so kompetent sind, um weiterlernen oder eine Ausbildung ergreifen zu können, müsste das die Unternehmen mobilisieren. Wir lassen doch zu viele Ressourcen liegen. Hier müsste es von allen Seiten ein klares Zeichen geben: So geht es nicht weiter, wir müssen jetzt etwas unternehmen. Stattdessen gibt es nur Larmoyanz über den Fachkräftemangel.
Wo sehen Sie das größte Problem?
Es geht ja nicht nur um die sieben Prozent, die keinen Schulabschluss machen. Das Problem liegt tiefer. Wir müssen Bildungsarmut abbauen: Das muss das gemeinsame Ziel sein, hinter dem sich alle Akteure versammeln müssten. Und dies tun sie nun auch ansatzweise im Startchancen-Programm. Jetzt ist es so, dass sich der Bildungsstand der Eltern auf die Kinder überträgt. Diesen Zusammenhang zwischen Elternhaus und dem Erwerb von Bildung müssen wir reduzieren. Davon würden alle profitieren.
Das ist aber nicht neu.
Das stimmt. Wir wissen, welche Kinder in welchen räumlichen und sozialen Lagen besonders gefährdet sind. Aber solange wir dagegen nichts tun, solange die Wirtschaft nicht stärker mit anpackt und solange Förderprogramme nur vereinzelt und nicht nachhaltig und dauerhaft etabliert werden, ändert sich nichts. Wir machen eine Reform nach der anderen, aber wir ändern nichts an den Grundbedingungen. Es muss eine konzertierte Aktion für mehr Bildungsgerechtigkeit geben. Eine bessere Bildungspolitik ist eine Willensfrage. Und sie darf nicht an Legislaturperioden gebunden sein.
Es gab schon viele Reformen im Bildungsbereich. Haben die nichts gebracht?
Natürlich haben einige Reformen etwas gebracht. Aber wir evaluieren Programme zu wenig. Daher können wir keine kausalen Zusammenhänge identifizieren und Erfolge oder Fehlschläge messbar machen. Stattdessen ergötzen wir uns an Projektitis – statt langfristig Programme aufzusetzen, die dann in die Fläche gebracht werden. Wir wissen doch, wie es besser geht.
Wie denn?
Auch hier setze ich auf das Startchancen-Programm, das immerhin auf zehn Jahre angelegt ist, das Problembewusstsein und Handlungswillen zeigt und im finanziellen und zeitlichen Rahmen über die “Projektchen” hinausgeht. Und ich setze darauf, dass das Konzept guter Schulen, etwa jener, die mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet werden, in die Fläche getragen wird. Das sind häufig Gesamtschulen in sozial benachteiligter Lage, die es schaffen, allen Kindern gute Lernmöglichkeiten zu geben.
Wird es mit dem geplanten Startchancen-Programm gelingen, nachhaltig für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen?
Das Programm ist sehr wichtig, aber ich sehe in ihm bestenfalls einen Anfang. Denn es erreicht, so wie es jetzt geplant ist, zu wenige Schulen und ist nicht konsequent bedarfsorientiert. Allein Säule 1, also das Investitionsprogramm für eine lernförderliche Ausstattung von Schulen, ist überhaupt sozialindiziert, verteilt aber zu wenig um. Wenn ich es richtig sehe, werden 60 Prozent der Mittel im Startchancen-Programm nicht bedarfsorientiert vergeben. Wir brauchen mehr Geld und eine stärkere Förderung jener Schulen und Kinder, die am meisten Unterstützung brauchen.
Wozu führt es, wenn so viele Jugendliche mehr oder minder “abgehängt” sind?
Auf der individuellen Ebene beginnt ein Kreislauf der Stigmatisierung. Bei den Jugendlichen führt das zu einem Verlust an Selbstvertrauen, sie können keine Selbstwirksamkeit aufbauen. Und es führt dazu, dass diese Jugendlichen bestimmte Diskussionen nicht verstehen und sich auch nicht in bestimmte Themenbereiche hineinbegeben. Das heißt, auch die Demokratie verliert damit. Denn diese Jugendlichen sind empfänglicher für einseitige Argumentationen. Es führt auch zu gesundheitlichen Problemen und dazu, dass sich Karrieren bei diesen Jugendlichen erst gar nicht entwickeln.
Das heißt?
Sie üben “einfache” Arbeiten aus, aus denen sie nicht herauskommen. Tätigkeiten, die subventioniert werden müssen und über die sie vielleicht auch in die Langzeitarbeitslosigkeit rutschen. Und das verfestigt sich dann über Generationen.
Inwiefern?
Die Statistik zeigt, dass sich Bildungsarme eher mit Bildungsarmen und Bildungsreiche mit Bildungsreichen zusammentun. So entstehen ganze Kohorten von Bildungsarmen. Das muss man mit in den Blick nehmen. Es geht also nicht nur um individuelle Auswirkungen, sondern um schlechte Startchancen, die wir für die nächsten Generationen insgesamt produzieren.
Wie kommen wir da heraus?
Halten wir zunächst fest: Wir haben es mit lernfähigen jungen Menschen zu tun. Das haben auch die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends im vergangenen Jahr gezeigt. Im Gegensatz zu den Kompetenzen in Deutsch haben sich die Kompetenzen im Englischen deutlich verbessert. Das liegt sicher auch am Gaming und an der allgemeinen Handynutzung, bei der vieles auf Englisch läuft. Wir brauchen einen guten individualbezogenen Unterricht von im Team arbeitenden, sich gegenseitig unterstützenden und motivierten Lehrerinnen und Lehrern. Wir brauchen bessere frühkindliche Bildung, Bildungsketten, kompensatorische Förderangebote, eine konsequente Sozialraumorientierung.
Was Allmendinger zu Ausbildung und lebenslangem Lernen sagt, können Sie hier im Berlin.Table lesen.
Wenn die Politik mit ihren Reformen alles aus Ihrer Sicht richtig machen würde: Wie lange dauert es, bis wir den Erfolg sehen?
Ich höre oft: Das dauert viel zu lang. Das ist doch nur eine Ausrede, nichts zu tun. Ich bin überzeugt, dass sich sehr schnell Fortschritte zeigen würden. Das könnte man in den Kompetenzmessungen wie “Vera” oder im IQB-Bildungstrend schnell sehen. Aber dazu müssen alle an einem Strang ziehen und partei- und ressortübergreifend zusammenarbeiten. Dazu gehört auch, dass Frau Paus, Frau Stark-Watzinger und Herr Heil nebeneinanderstehen und gemeinsam ein großes Bündnis für die Kinder und Jugendlichen in Deutschland ausrufen.
Jutta Allmendinger ist seit 2007 Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Außerdem ist sie Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zuvor war sie Direktorin des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Nürnberg.
Wenn NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) am heutigen Mittwoch die Inklusions-App Splint in Münster vorstellt, dann ist das so etwas wie der Westfälische Friede zwischen den EdTechs und der Kultusbürokratie. Lange haben sie sich kritisch beäugt, nicht selten bekämpft. Mancher Schulrat sieht Start-ups immer noch als Profiteure der Bildungskrise. Aber in Fellers ehemaligem Heimatbezirk soll das nun Geschichte sein. Münster plant die Zusammenarbeit von kritischen Freunden. Für die von 25.000 Lehrkräften in Deutschland genutzte Förderpädagogen-App ist das ein Update. Sachsen-Anhalt geht mit dem taufrischen KI-Start-up Fiete.ai den gleichen Weg.
“Wir hätten sagen können, wir machen die Tür zu – weil, das kostet ja Geld”, berichtet Claudia Zeißig, die im Referat für Sonderpädagogik bei der Bezirksregierung Münster arbeitet. “Oder wir machen die Tür auf und überlegen: Wie kriegt man das so hin, dass es den Pädagogen nutzt – und natürlich dem Kind?” Dass Splint den Sonder- genau wie den Inklusions-Schulen von Anfang an nutzen wird, daran besteht im Regierungsbezirk mit 350.000 Schülern kein Zweifel.
Splint gebe Lehrkräften sehr schnell Zugang zu sonderpädagogischem Fachwissen, berichten die Schulräte. Die Anwendung von Friedo Scharf und Sebastian Trapp mache das gemeinsame Bearbeiten von Förderplänen viel einfacher. “Mithilfe von Splint kann man alle Beteiligten vom Sonderpädagogen bis zum Schulhelfer viel einfacher als bisher zusammenbringen”, berichtet Hauptdezernent Uwe Eisenberg. “Mit der Webanwendung ist es zum Beispiel möglich, dass die Mitwirkenden zeitlich versetzt an einem leicht zugänglichen Förderplan arbeiten.” Eisenberg hat Splint über seine Tochter kennengelernt.
Allerdings ist die Kooperation kein Kuschelkurs. Schulräte und Lehrkräfte werden Splint nicht nur anwenden, sondern einer kritischen Revision unterziehen. Insgesamt sieben Arbeitsgruppen arbeiteten daran, die in der Anwendung hinterlegten Förderpläne mit den Handreichungen aus NRW zu vergleichen – und anzupassen. Das Start-up wisse, dass Münster manche Förderidee der App nicht übernehmen werde. Aber auch die Schulverwaltung selbst erhofft sich ein Update durch die “Splint Edition Münster”. Mithilfe des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz soll die Fortbildung von Lehrkräften besser werden. “Im Idealfall stellen wir uns vor, dass eine Lehrkraft, die zum Beispiel ein geistig behindertes Kind neu in die Klasse bekommt, sich im Dialog über ein Chat-Fenster in Splint über den Förderschwerpunkt informiert”, sagt Zeißig.
Künstliche Intelligenz, das ist es auch, was das Start-up Fiete.ai zur schnellsten Landeslizenz für digitale Tools gebracht hat. Vor sieben Monaten startete das Tool, das mit ChatGPT und vordefinierten Prompts Echtzeit-Rückmeldungen für alle Schüler einer Klasse möglich macht. Und nun bekommt Fiete.ai eine Landeslizenz, worauf andere EdTechs seit zehn Jahren warten. Das Projekt in Sachsen-Anhalt ist dabei ganz ähnlich wie in Münster darauf angelegt, die KI-basierte Anwendung nicht nur in die Schulen zu tragen, sondern sie dabei zugleich zu überarbeiten.
Was den Schulräten Sachsen-Anhalts nämlich besonders wichtig ist, gibt es in Fiete.ai bislang noch nicht: “die individualisierte Erfassung einer kriterienorientierten Kompetenzentwicklung”. Das bedeutet: Die vordefinierten Prompts in Fiete werden mit den Kompetenzkriterien Sachsen-Anhalts abgeglichen. Danach ist etwas möglich, was eine Revolution für Schulen bedeutet. Bei jeder Echtzeit-Rückmeldung durch die KI bekäme der jeweilige Lehrer gespiegelt, wo sich der Schüler im Lehrplan des Landes befindet. Wenn man so will, würde für die ganze Klasse jedes Feedback zu einer kleinen Vergleichsarbeit. Bisher müssen Lehrer und Länder ein Jahr warten, um einen Schülervergleich namens Vera 3 oder Vera 8 zu bekommen.
Was die beiden kooperativen EdTech-Einführungen in Münster und Sachsen-Anhalt bedeuten, versteht man am besten, wenn man mit anderen kleinen Start-ups redet: Selbst wenn ein kleiner Digitalunternehmer eine Landeslizenz erringen kann, gibt es noch keinen Run der Nutzer – sprich der Schulen – in die App.
Beispiel Deutschfuchs: Die Anwendung für Deutsch als Zweitsprache gehört inzwischen zu den Etablierten. Bei Caro und Simon Aschemeier aus Köln arbeiten heute 14 Leute. Das EdTech hat eine Landeslizenz – und ist ansonsten in vielen Schulen in ganz Deutschland vertreten. Eine Landeslizenz frischt zwar zunächst die Kasse auf – weil über die Vereinbarung meist schon erste Schullizenzen gekauft werden. Aber sie ist kein Selbstläufer. “Man muss als Anbieter dafür sorgen, dass die Software auch wirklich genutzt wird”, erzählt Caro Aschemeier. “Schulen oder Lehrkräfte, die uns selbst gefunden haben und mit Deutschfuchs arbeiten wollen, haben sich bewusst dafür entschieden – und kennen die Vorteile.”
Beispiel Knowbody: Mit der App können Schülerinnen und Schüler ihren Körper und ihre Sexualität anders kennenlernen als durch Online-Pornos oder TikTok-Clips. Knowbody füllt damit eine Lücke, mit der sich Schulen schwertun. Das zeigte die bittere Bilanz der sogenannten Rahmenvereinbarung sexualisierte Gewalt zwischen der KMK und der unabhängigen Beauftragten für sexuellen Kindesmissbrauch.
Knowbody hat seit dem vergangenen Jahr eine Landeslizenz in Bremen. Auch hier gilt: Nur wegen einer Lizenz greifen nicht sofort alle Lehrerinnen und Lehrer nach der App. “Wir waren viel in den Schulen in Bremen unterwegs, auch in den Klassenzimmern, um Knowbody zu erklären”, sagt Vanessa Meyer, eine der beiden Gründerinnen von Knowbody. Mit den EdTechs und der Kultusbürokratie ist es so, wie Meyer Grundlegendes für die sexuelle Bildung beschreibt: “Man braucht Vertrauen – und Zeit.”
Bildungsberater, KMK-Kenner, Reformer: In seiner Kolumne denkt Ex-Bildungsstaatssekretär Mark Rackles regelmäßig Bildungspolitik neu. Erfahren Sie hier mehr über die Vita unseres Kolumnisten.
Der amtierende “Bildungspolitiker” Dr. Markus Söder hat die Bildungsrepublik zu Beginn des Jahres mal wieder öffentlichkeitswirksam aufgescheucht. Das ist nur deshalb eine Notiz wert, weil die aktuelle Debatte um Brandmauern gegen einen erstarkenden Rechtspopulismus und Rechtsextremismus nicht im politischen Vakuum stattfindet. Die Stärke der AfD und anderer Extremisten speist sich immer auch aus dem Narrativ eines scheiternden Staates, der die Belange seiner Bürgerinnen und Bürger aus dem Blick verloren hat und die Probleme nicht löst. Eine gute Brandmauer der Demokratie gegen Rechtsextremisten ist somit immer auch die wahrnehmbare Fähigkeit der demokratischen Politikerinnen und Politiker, Probleme in den Griff zu bekommen und glaubwürdig zu lösen.
Hier kommt Dr. Söder ins Spiel. Der bayerische Ministerpräsident hat das Thema Schule seit ein paar Jahren für sich entdeckt und greift aktiver als manche Chefs anderer Staatskanzleien das drängende Thema Lehrkräftemangel offensiv auf. Vorzugsweise auf CSU-Klausurtagungen zu Jahresbeginn, manchmal auch direkt auf CSU-Parteitagen, kapert er (rhetorisch) das Kultusministerium für die Dauer einer Pressemeldung.
2020 forderte er die Abschaffung aller Zugangsbeschränkungen auf das Lehramtsstudium. 2021 sagte der die Faschingsferien ab, um mehr Unterricht zu ermöglichen. 2022 forderte er die Reduzierung der Teilzeit bei seinen Lehrkräften in Bayern, 2023 kündigte er eine aktive Abwerbung von Lehrkräften anderer Bundesländer an (die er zuvor jahrelang als zweitklassig geschmäht hatte). Und aktuell, zum Jahresbeginn 2024, erneuerte er die Drohung eingeschränkter Teilzeitmöglichkeiten für Lehrkräfte.
Im Ergebnis hat er nachweislich keines der in Rede stehenden Problem gelöst: Weder hat er die Studienplätze wirksam ausgebaut, noch hat er in anderen Ländern einen Exodus (oder auch nur ein Rinnsal) von Lehrkräften ausgelöst. Und schon gar nicht hat er das Teilzeitverhalten seiner Lehrkräfte verändert. Oder genauer: Er hat es gemeinsam mit seinem ehemaligen Kultusminister Michael Piazolo durchaus verändert, aber in die – aus seiner Sicht – falsche Richtung.
Das Ergebnis der Ankündigungspolitiken ist neben Frust in der Fläche und weiterhin ungelösten Problemen in den Schulen ein markanter Anstieg der Teilzeit seit 2020. In nur zwei Jahren (von 2020, als die Teilzeitdebatte losgetreten wurde, bis 2022) nahm die Zahl der Lehrkräfte in Teilzeit um acht Prozent zu, die in Teilzeit unterhalb einer halben Stelle sogar um knapp 17 Prozent.
Offenbar gilt: Je aggressiver die Einschränkung der Teilzeit gefordert wird, desto stärker drängen Lehrkräfte in Teilzeit. Das belegt drei Dinge: Erstens erzeugt Druck Gegendruck, und Menschen entwickeln Umgehungsstrategien. Zweitens scheint es Rechtsgrundlagen zu geben, die die Inanspruchnahme von Teilzeit weiterhin ermöglichen und die nicht einfach auf Zuruf entfallen. Drittens ist das bekannt, ändert aber die Strategie von Dr. Söder nicht.
Man darf daher getrost annehmen, dass sich die von ihm erneut betriebene Teilzeitdebatte nicht vorrangig an die Lehrkräfte richtet, sondern an das allgemeine Wahlvolk. Hier wird (zulasten Dritter) Lösungskompetenz und Handlungswille kraftvoll zelebriert, eine reale Lösung der realen Probleme erfolgt dagegen nicht. Dieses Agieren befördert den Vertrauensschwund in Bildungspolitik im Besonderen und in demokratische Prozesse und Strukturen im Allgemeinen. Das ist Öl in genau das Feuer, gegen das wir Brandmauern errichten.
Welche Schulen werden zu Startchancen-Schulen? Nachdem Bund und Länder in der Vorwoche das Startchancen-Programm beschlossen haben, steht diese Frage ganz oben auf der Agenda der Kultusministerien der Länder. Table.Media hat nachgefragt, wie viele Schulen in den einzelnen Ländern vom zehnjährigen Bund-Länder-Programm (Gesamtvolumen 20 Milliarden Euro) profitieren sollen.
Mit Abstand die meisten Startchancen-Schulen wird es im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen geben. Mehr als 900 Schulen in herausfordernden Lagen sollen im Zuge des Programms gefördert werden. In Bayern sind es laut Kultusministerium “voraussichtlich zwischen 500 und 600 Schulen”, in Baden-Württemberg etwa 540. Es folgt Niedersachsen mit etwa 390 Schulen. Einzig Berlin konnte zur Anzahl der Schulen noch keine ungefähre Zahl nennen. “Intern”, so hieß es, “würden die Schulen zunächst auf mögliche Teilnahme nach den Kriterien des Programms geprüft”.
Der Anzahl der Schulen entsprechend fließen auch die meisten Bundesmittel nach NRW. Jährlich sind dies etwa 230 Millionen Euro. Auch hier folgen Bayern (etwa 143 Millionen Euro), Baden-Württemberg (etwa 134 Millionen Euro) und Niedersachsen (circa 98 Millionen Euro). Zu den Bundesmitteln kommen Landesmittel im selben Umfang. Dabei können die Länder bereits bestehende Maßnahmen, die auf die Ziele des Programms ausgerichtet sind, anrechnen lassen. Nachzulesen ist das in der Bund-Länder-Vereinbarung auf Seite 10.
Bundesweit soll es etwa 4.000 Startchancen-Schulen geben, wobei der Schwerpunkt auf den Grundschulen liegt. Bis zum 1. Juni 2024 müssen die Länder im ersten Schritt insgesamt 1.000 Schulen – ausgewählt nach einem Sozialindex – benannt haben. NRW kündigte an, “bis zum Frühjahr bis zu 400 Schulen für eine Förderung bereits ab dem Schuljahr 2024/25 auszuwählen”, in Hessen werden es zunächst 80 sein. Bis spätestens zum 1. Juni 2025 müssen alle Startchancen-Schulen ausgewählt sein. Holger Schleper
Der Bedarf an pädagogischen Fachkräften ist groß und wird noch weiter wachsen. Insbesondere durch die Schaffung von Kitaplätzen und den Ausbau der Ganztagsbetreuung an Grundschulen. Doch nicht nur die Nachwuchsgewinnung ist schwierig, es gibt auch zu wenige Lehrkräfte, die diese pädagogischen Fachkräfte ausbilden können. Das hat eine Studie des Beratungsunternehmens Kienbaum (zum Download) herausgearbeitet, die im Auftrag des Bundesfamilienministeriums entstanden ist. Beteiligt waren an der Studie auch die Leuphana Universität Lüneburg und die Technische Universität Dresden.
Die Zahl der Studierenden im Lehramtsstudium der beruflichen Fachrichtung Sozialpädagogik ist zwar in den vergangenen Jahren gestiegen, liegt aber deutlich unter dem tatsächlichen Bedarf. Problem: Es gibt kein ausreichendes und flächendeckendes Studienangebot, heißt es in der Studie. “Die Anzahl Interessierter übersteigt die aktuell zur Verfügung stehenden Bachelor-Studienplätze. Gleichzeitig zeigen sich hohe Abbruchquoten während des Bachelor-Studiums, was dazu führt, dass zum Teil Plätze für Master-Studiengänge nicht besetzt werden.”
Die Autorinnen der Kienbaum-Studie haben nun aufgrund verschiedener Szenarien Berechnungen angestellt, um den Bedarf an Lehrkräften bis 2030 zu ermitteln. Demnach liegt der je nach Berechnungsgrundlage zwischen 1.790 und 2.848 Personen. Personen, die es dringend braucht, um die zusätzlich benötigten sozialpädagogischen Fachkräfte auszubilden.
Das führt auch dazu, dass die Zahl der Quereinsteiger unter den Lehrenden in der Sozialpädagogik wächst. In einer Befragung für die Studie gaben 2022 nur 17 Prozent der Lehrkräfte an sozialpädagogischen Fachschulen an, ein Lehramtsstudium im Bereich Sozialpädagogik absolviert zu haben. 83 Prozent haben hingegen andere, fachfremde Qualifizierungen. Besonders groß ist der Anteil der Quereinsteiger an privaten Schulen. Hier liegt der Anteil an grundständig ausgebildeten Lehrkräften nur bei knapp fünf Prozent. An Schulen in öffentlicher Trägerschaft haben hingegen 29 Prozent der Lehrenden ein Lehramtsstudium für Sozialpädagogik absolviert.
Die Kienbaum-Studie geht davon aus, dass der Lehrkräftebedarf “längerfristig” bestehen wird. Die Autoren schreiben, dass zumindest für Westdeutschland die Bevölkerungsprognosen zu Kindern bis einschließlich drei Jahren zeigen, dass die Zahlen bis 2030 auf dem Niveau von 2022 bleiben. Die in der vergangenen Woche veröffentlichte Bedarfsprognose der Bertelsmann Stiftung zu Grundschullehrkräften hat hingegen sinkende Geburtenraten prognostiziert. Annette Kuhn
Eine hitzige Debatte lösen wohl nur die wenigstens jahrzehntelang verschickten Verwaltungsschreiben aus. Bei dem Schreiben der Kölner Bezirksregierung zu politischer Zurückhaltung von Lehrkräften passierte aber genau das, wie Table.Media berichtete. Das Schreiben erreichte die Schulen direkt nach der ersten großen Demonstration gegen Rechtsextremismus in Köln – weshalb einige einen Zusammenhang vermuteten. Nun hat das nordrhein-westfälische Schulministerium klargestellt: Demokratisches Engagement sei nicht verboten – sondern ausdrücklich erwünscht. Manche Fragen bleiben dennoch offen.
Jeweils drei bis fünf Monate vor Wahlen erhalten alle Beamten des Landes NRW ein Schreiben, das sie zu politischer Neutralität, Mäßigung und Zurückhaltung aufruft. “Die Hinweise wurden erstmals 1991 veröffentlicht und gelten seitdem unverändert fort”, teilte ein Sprecher aus dem nordrhein-westfälischen Innenministerium mit. Auch dieses Jahr habe man das Schreiben regulär in diesem Zeitraum verschickt – knapp fünf Monate vor der Europawahl. Das aktuelle politische Geschehen spielte dabei keine Rolle. Der Zeitpunkt war eher “Zufall”, heißt es aus dem Innenministerium.
Eine “gewisse Unsensibilität” zeige die Wahl des Zeitpunkts dennoch auf, findet Anne Deimel, Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). “In Zeiten, in denen Millionen Menschen gegen rechts auf die Straße gehen, ist so ein Schreiben mehr als ein einfacher Verwaltungsakt“, kritisiert auch Ayla Çelik. Die Vorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) NRW hätte sich gewünscht, dass die Landesregierung, ähnlich wie mit der Aktion “Nie wieder ist jetzt” im Nahost-Konflikt, klare Kante zeigt und die Lehrkräfte mit einem “klaren Bekenntnis zu Vielfalt” stärkt.
Das Schulministerium äußerte sich auf Medienanfrage zu der Kritik und machte deutlich: “Die Hinweise des Innenministeriums stehen in keinem Zusammenhang mit den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus.” Sie beziehen sich ausschließlich auf die Europawahl im Juni 2024. Schulministerin Dorothee Feller begrüße in den aktuellen Zeiten “gesellschaftliches und bürgerschaftliches Engagement“. Ein aufklärendes Schreiben an die Schulen plant das Schulministerium dennoch nicht. Dabei wäre es dienlich, wenn Lehrkräfte noch einmal versichert bekämen, dass die Beteiligung an Demonstrationen selbstverständlich erlaubt ist, sagt die GEW- Vorsitzende Çelik. vkr
67.951 Schüler hat das Bundesbildungsministerium 2022 im Rahmen seines Berufsorientierungsprogramms (BOP) gefördert. Das geht aus einer Antwort von Jens Brandenburg (FDP), dem Parlamentarischen Staatssekretär des BMBF, auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion hervor (zum Download mit Anlage). Das BOP fördert bisher vor allem Siebtklässler (mit einer Potenzialanalyse) und Achtklässler (mit Werkstatt- bzw. Berufsorientierungstagen).
Im Schuljahr 2022/23 gab es laut Statistischem Bundesamt rund 1,5 Millionen Siebt- und Achtklässler. Von ihnen erreichte das BOP umgerechnet knapp fünf Prozent, also jeden 20. Schüler. Geht man von der Gesamtzahl aller Schüler an allgemeinbildenden Schulen in diesem Schuljahr aus – 8,7 Millionen – erreichte das BOP sogar nur 0,8 Prozent aller Schüler. Thomas Jarzombek, bildungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, bemängelte gegenüber Table.Media, dass “jährlich nicht mal jeder hundertste Schüler erreicht wird.”
Rund 630.000 der 15- bis 24-Jährigen waren 2021 weder in einer Ausbildung noch in der Schule oder in Arbeit. Das ergab eine Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie. “Gerade Plattformunternehmen locken mit Jobs, für die kein Berufsabschluss notwendig ist; doch eine fehlende Ausbildung wird sich später rächen”, sagte Jarzombek. “Es muss deutlich mehr getan werden, um junge Menschen in Ausbildung zu bringen. Eine bessere Berufsorientierung ist der zentrale Schlüssel.”
Die Zahl der über das Berufsorientierungsprogramm geförderten Schüler war schon höher – 2018 erreichte es 94.593 Schüler. Ende 2022 trat eine neue Förderrichtlinie in Kraft, die das Programm stärker für Gymnasien öffnen soll und erstmals für Schüler der Sekundarstufe II. Welche Wirkung diese Öffnung bisher hatte, lässt sich an den Zahlen des BMBF jedoch noch nicht ablesen.
Den Wettbewerb für digitale Berufsorientierungsangebote “D-BOP“, den das BMBF 2023 als Teil seiner Exzellenzinitiative Berufliche Bildung ausgerichtet hat, soll es 2024 nicht nochmal geben. Das BMBF hatte zehn Tools mit dem D-BOP-Preis ausgezeichnet. 100 Wettbewerbsbeiträge waren Jens Brandenburg zufolge eingegangen. Thomas Jarzombek sagte Table.Media: “Dass Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger den erfolgreichen Wettbewerb für digitale Berufsorientierungsangebote in diesem Jahr direkt wieder einstellt, ist definitiv das falsche Signal.”Anna Parrisius
Viele wechseln nach ihrer Ausbildung den Handwerksbetrieb. Das ergibt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das Daten zur Ausbildung im bayerischen Handwerk ausgewertet hat (zum Download). Von den Azubis, die 2015 ihre Ausbildung beendeten, arbeitete nach einem Jahr nur noch etwas über die Hälfte bei ihrem Ausbildungsbetrieb (56 Prozent). Nach fünf Jahren war es nicht mal mehr jeder dritte Auszubildende (29 Prozent). Die Verbleibsquoten sind in den Jahrgängen nach 2015 zwar etwas angestiegen, der generelle Trend hält aber an.
Den Abschlussjahrgang 2015 haben die Autoren genauer untersucht. Hier zeigt sich, dass unter den Wechslern vergleichsweise viele Frauen sind, Azubis ohne Schulabschluss und solche, die den Berufsabschluss nur mit “ausreichend” geschafft haben. Am meisten Wechsel gibt es aus kleinen Betrieben (1 bis 19 Beschäftigte). Friseurbetriebe sind besonders betroffen, aber auch Betriebe der Lebensmittelherstellung und -verarbeitung oder Verkaufsberufe. Eine hohe Verbleibsquote gab es dahingegen im Baugewerbe, in technischen Berufen und bei (sehr) guten Ausbildungsabsolventen.
Die Analysen der Betriebswechsel zeigen jedoch, dass die Fachkräfte oft zu einem Betrieb gehen, der ähnlich groß ist wie der Ausbildungsbetrieb und demselben Wirtschaftszweig angehört. Zudem verlassen die Absolventen selten die Region.
Die Autoren empfehlen den Ausbildungsbetrieben, ihre Azubis frühzeitig zu binden, etwa durch Angebote zur Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf. Weniger attraktiv könne ein Wechsel zudem sein, wenn der Betrieb eine fachliche Weiterentwicklung ermöglicht und Karriere sowie ein höheres Einkommen in Aussicht stellt. Anna Parrisius
An Schulen in Thüringen sind nach Angaben des Bildungsministeriums im vergangenen Jahr 129 rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Vorfälle erfasst worden. Das war knapp ein Drittel mehr als ein Jahr zuvor, wie das Ministerium auf Anfrage mitteilte. 2022 hatte das Ministerium 98 solcher Vorfälle gezählt. “Die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre, die spürbare Polarisierung der Gesellschaft spiegeln sich natürlich auch in der Schule wider”, sagte Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke). Neben den Pädagogen sei die gesamte Zivilgesellschaft gefordert, wachsam zu sein, um jeder Form von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu begegnen.
Das Ministerium erfasst rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Vorfälle als sogenannte besondere Vorkommnisse in drei Kategorien: als Beschimpfung von Religionsgemeinschaften, als Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen oder als Volksverhetzung. Da die Schulverwaltung allerdings keine Strafverfolgungsbehörde ist, seien die Einstufungen in diese Kategorien immer nur vorläufig, sagte eine Ministeriumssprecherin. “Alles Weitere wird – sofern erforderlich – der polizeilichen Ermittlungsarbeit übergeben.”
Im Schulalltag können solche Fälle unterschiedlich gelagert sein: von rassistischen Beschimpfungen auf dem Schulhof über antisemitische Bemerkungen im Unterricht bis hin zu Hakenkreuz-Schmierereien auf Schultoiletten. Wichtig und entscheidend sei, dass es nicht bei Meldungen bleibe, sondern dass es auch in jedem Einzelfall eine Reaktion der Schule auf solche Vorfälle erfolge.
Neben der auch global zugespitzten Lage hängt die höhere Zahl auch damit zusammen, dass es an den Schulen inzwischen eine noch höhere Sensibilität in Bezug auf rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Vorfälle als in der Vergangenheit gibt. Gemessen an der Zahl der Schulen und der Schultage könne noch nicht die Rede von einer großen Zahl an Vorfällen sein, sagte die Ministeriumssprecherin. In Thüringen gibt es nach Ministeriumsangaben etwa 970 allgemeinbildende und berufsbildende Schulen. Dort lernen ungefähr 250.000 Kinder und Jugendliche. dpa
Wie wertvoll und wichtig eine funktionierende Demokratie ist, weiß Marina Weisband nur zu gut. Die Jüdin mit ukrainischen Wurzeln erhält regelmäßig Morddrohungen und musste bereits den Staatsschutz einschalten. Der 7. Oktober war für sie – wie für die meisten jüdischen Menschen – ein Einschnitt. Antisemitismus hat zugenommen. Und neben der Ukraine ist nun auch Israel im Krieg und kein sicherer Hafen mehr.
Um die Demokratie in Deutschland zu schützen, gründete Weisband bereits vor zehn Jahren das Projekt aula, ein digitales Beteiligungskonzept, das Schülerinnen und Schüler in ihrer Selbstwirksamkeit stärken will und ihnen damit das bieten soll, was Schulen aktuell nicht leisten. Denn dort ist der Alltag der Jugendlichen größtenteils fremdbestimmt.
Weisband kam 1994 im Alter von sechs Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland, im Rahmen der Regelung für jüdische Kontingentflüchtlinge. Als Schülerin hatte Weisband das Gefühl, die Schule grenze ihren Wissensdurst eher ein, anstatt ihn zu fördern. Sie beginnt die Schule zu schwänzen, lernt über Wikipedia Dinge, die sie wirklich interessieren. Noch heute findet die Diplom-Psychologin, dass das Programm in den Schulen zu eng gestrickt ist. “Für persönliche Neugier und Fragen abseits des vorgegebenen prüfungsrelevanten Stoffs gibt es keinen Platz”, sagt sie.
Lange Zeit sei Demokratie für sie etwas gewesen, “das die Deutschen unter sich ausmachen” – und an dem sie als Immigrantin nicht teilnehmen kann. Erst als Jugendliche erhält sie den deutschen Pass. Als sie 2009 das erste Mal wählen kann, hat sie erstmals das Gefühl, Einfluss auf die Gesellschaft nehmen zu können. Sie merkt, dass ihre Stimme zählt.
Begeistert von ihren neuen Möglichkeiten – und ein paar Werbespots – tritt sie noch am selben Tag der Piratenpartei bei. “Ich dachte, das sind Nerds, ich bin ein Nerd – yeahy, das ist meine Partei.” 2011 wird Weisband politische Geschäftsführerin. Und merkt, wie wenig sie eigentlich über das politische System in der Schule gelernt hat. Auch heute, sagt sie, gehe es im Politikunterricht noch zu sehr um Institutionskunde und zu wenig um die Rolle des Einzelnen.
Die Piratenpartei nutzte damals eine Software, über die alle ihre Mitglieder das Parteiprogramm mitgestalten können. Sie stellten ihre Ideen ein und stimmten ab. Ein perfektes Tool für Demokratieanfänger und die Grundlage für das Projekt aula – das ab 2014 zunächst als Pilotprojekt von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wurde.
Weisband trat 2015 bei den Piraten aus – um sich für ihre Arbeit an Schulen von Parteien unabhängig zu machen und weil ihr die Piratenpartei zu konservativ geworden war. Seit 2018 ist sie wieder Mitglied einer Partei – den Grünen. Zum Beitritt sagt sie, sie könne der Politik in Deutschland nicht tatenlos zusehen, und bei den Grünen fände sie die meisten Gleichgesinnten.
An aula ist Weisband besonders wichtig, dass das Angebot niedrigschwellig ist. Denn Weisband bemängelt, dass viele Projekte im Bereich der politischen Bildung außerhalb der Schulen stattfinden und oft nur Jugendliche mit gut gebildeten Eltern ohne Migrationshintergrund erreichen. Aula soll sich daher an alle jungen Menschen richten.
Schüler ab der fünften Klasse können ihre Ideen auf der Plattform von aula sammeln und darüber abstimmen, was sie umsetzen möchten. Die Lehrkräfte begleiten diesen Prozess mithilfe eines Leitfadens. So entstand in einer Freiburger Schule ein Smartphone-Tag, an dem der Unterricht mit Smartphones gestaltet werden sollte. Im Sportunterricht nahmen die Lehrkräfte etwa Sprünge von Schülern auf und die Klassen konnte anschließend mögliche Fehler analysieren. Ziel war es, neue Einsatzmöglichkeiten für digitale Tools zu finden.
Damit die Vorschläge der Jugendlichen nicht im luftleeren Raum bleiben, gibt es einen Vertrag. Dieser wird von der Schulkonferenz – die auch über die Einführung von aula entscheidet – entwickelt. Mit ihm wird der Rahmen abgesteckt, in dem sie sich verpflichtet, die beschlossenen Ideen mitzutragen.
Ziel von aula ist es, Schülerinnen und Schüler an Entscheidungen in ihrer Schule zu beteiligen. Selbst wenn der eigene Vorschlag nicht angenommen wird, sehen sie nach der Abstimmung, dass andere etwas bewirken können. Weisband und das aula-Team arbeiten inzwischen auch an einer aula-Version für Grundschulen. Darüber hinaus wollen sie die Beteiligungsmöglichkeiten von Jugendlichen in den Kommunen stärken, etwa indem sie Jugendforen mit ihrer Online-Plattform und weitere Materialien unterstützen.
Dass junge Leute in der Politik bisher kaum repräsentiert werden, hält Weisband, für brandgefährlich. Dadurch würden sie das Vertrauen in die repräsentative Demokratie verlieren. “Es ist wichtig, dass wir anfangen, den Jugendlichen Gehör zu verschaffen.” Kira Münsterberg
Research.Table: Umgang mit antisemitischen Vorfällen in der Wissenschaft. Zwei mutmaßlich antisemitische Vorfälle an Wissenschaftseinrichtungen beschäftigen die Community. Während die Verantwortlichen der FU Berlin schnelle Konsequenzen ziehen wollen, ist der Fall am MPI für ethnologische Forschung in Halle gravierender. Mehr
Research.Table: Wirtschaft sponsert zunehmend staatliche Hochschulen – Auswirkungen auf die Forschung. In Deutschland gibt es einen regelrechten Boom der privaten Hochschulen. Auch staatliche Hochschulen werden zunehmend mit privaten Geldern unterstützt – ihre Unabhängigkeit sehen sie dadurch aber nicht gefährdet. Mehr
MINT | Thomas Sattelberger glaubt nicht daran, dass der Staat die Bildungskrise stoppen kann. Der Ex-FDP-Politiker ist Vorsitzender im Kuratorium von “make & mint”. Die Initiative, die Schulen mit Equipment ausstattet, um Experimentierwerkstätten und sogenannte “Makergaragen” aufzubauen, sucht aktuell Partner aus der Industrie. handelsblatt
Arbeitszeit | Die Debatte um eine formelle Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte nimmt Fahrt auf. Nachdem sie um die 200 Überstunden hatten, haben nun zwei Gymnasiallehrer aus Baden-Württemberg Klage vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht eingereicht. Das Gericht soll jetzt überprüfen, ob ihre Arbeitszeit die vorgeschriebene Wochenarbeitszeit überschreitet. Merkur
Bildungskrise | Der Bildungsrat von unten fordert ein zweiteiliges Modell für die Lehrkräfteausbildung. Der Mitinitiator und Bildungsexperte Mark Rackles spricht über das vergangenen Mittwoch veröffentlichte Bildungsmanifest sowie die 34-seitige Expertise zum Lehrkräftemangel. Spiegel
Pisa | Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft stellt nach Pisa konkrete Forderungen an die Schulen. Eine zentrale Forderung ist, den Fokus stärker auf Sprachförderung zu legen. Und Deutsch und Mathematik sollten in den Grundschulen mehr Raum bekommen – auf Kosten des Englischunterrichts. Augsburger Allgemeine
Lehrkräfte | Prüfungsaufgaben erstellen, Druck von Eltern und schlechte Behandlungen im Referendariat. Der Lehrer Josef Zellner schreibt über die Belastung für Lehrkräfte. Und kritisiert die zuständigen Ministerien. FAZ
Nachhilfe | Zahlreiche Studien, zeigen, dass Tutoring bei benachteiligten Kindern effektiv ist. In den USA und Großbritannien gibt es deshalb bereits große staatlich Tutoring-Programme. Doch damit die Unterstützung erfolgreich ist, müssen mehrere Punkte beachtet werden. Zeit
13. Februar 2024, 15:30 Uhr, digital
Input-Vortrag Geschlechtervergleich: Lesekompetenz, Motivation, Selbstkonzept
Das Institut für Schulentwicklung hat die Programmreihe Tuesdays for Education ins Leben gerufen. In der Reihe werden aktuelle Ergebisse aus IGLU 2021 vertieft und durch weitere Befunde ergänzt. In der aktuellen Veranstaltung wird Prof. Dr. Nele McElvany einen Input-Vortrag zu den Themen Lesekompetenz, Motivation und Selbstkonzept im Geschlechtervergleich halten. INFOS & ANMELDUNG
22. Februar 2024, 10:00 Uhr, Gauting
medienpädagogischer Jahresauftakt Kreativität neu denken
Das JFF – Institut für Medienpädagogik lädt zur 9. medienpädagogischen Jahresauftakttagung ein. KI verändert die Kreativität junger Menschen. Wie pädagogische Fachkräfte sie dabei unterstützen und für mögliche Risiken sensibilisieren können, wird in verschiedenen Vorträgen und Workshops diskutiert. Die Vorträge werden live gestreamt und in Gebärdensprache übersetzt. Die Anmeldung ist bis einschließlich 8. Februar möglich. INFOS & ANMELDUNG
23. Februar 2024, 10:00 bis ca. 12:00 Uhr, digital
Infoveranstaltung Infoveranstaltung zur Zukunftsmission Bildung
Dieses Jahr startet die Zukunftsmission Bildung des Stifterverbands. Um die aktuellen Herausforderungen anzugehen, sollen Ressourcen gebündelt und Best Practices aufgezeigt werden. Schwerpunkte werden dabei die Lehrkräfte, Schule plus, MINT-Fachkräfte und Future Skills sein. Zunächst geht es jedoch darum, die Zukunftsmission vorzustellen und über mögliche Kooperationen zu sprechen. Die Anmeldung ist bis zum 16. Februar möglich. INFOS & ANMELDUNG
26. und 27. Februar 2024, Köln
Jahrestagung Sprachliche Bildung als gesellschaftlicher Auftrag
Das Mercator-Institut lädt zu seiner elften Jahrestagung ein. “In einer heterogenen Gesellschaft legt sprachliche Bildung einen Grundstein für Chancengleichheit”, heißt es in dem Programm. Was das für die Praxis konkret bedeutet, wird in verschiedenen Vorträgen und Workshops diskutiert.
Eine Anmeldung ist bis zum 13. Februar möglich. INFOS & ANMELDUNG
29. Februar 2024, 14:00 bis 17:00 Uhr, Recklinghausen
Infoveranstaltung BNE trifft MINT: Klimawandel im Schulunterricht
Die Natur- und Umweltschutz-Akademie NRW lädt zu einer Veranstaltung über den Klimawandel ein. Wie können die komplexen Vorgänge des Klimawandels und dessen Auswirkungen didaktisch vermittelt werden? Um diese Frage zu beantworten, werden klimatologisches Faktenwissen mit Experimenten und Spielen zur Vermittlung verbunden.
Eine Anmeldung ist bis zum 15. Februar möglich. INFOS & ANMELDUNG