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Wahlen in der Ukraine? Warum das für Trump und Putin gut wäre – und für Selenskyj womöglich gar nicht schlecht

Selenskyj signalisiert Bereitschaft zu Präsidentschaftswahlen in der Ukraine – vor allem, um Trump zu besänftigen. Innenpolitisch kaum Thema, außenpolitisch ein Signal an die USA: Zeit gewinnen, Waffen und Unterstützung sichern.

DT
10. Dezember 2025
Wolodymyr Selenskyj (picture alliance / Sipa USA | SOPA Images)

Mehr als 180 Drohnen und Raketen jede Nacht, stundenlange Stromausfälle, eine überforderte Infrastruktur, eine erschöpfte Bevölkerung – und jetzt noch eine von Donald Trump angestoßene Debatte: Sollen Präsidentschaftswahlen in der Ukraine stattfinden?

Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich dazu bereit gezeigt. Er reagierte damit auf Trump, der an der Demokratie in der Ukraine gezweifelt und damit die Sicht der russischen Regierung übernommen hatte. Wieder einmal. Weil Trumps Unterhändler während der Verhandlungen über ein Kriegsende bei Russlands Präsidenten Wladimir Putin nichts erreichen können, erhöht Washington erneut den Druck auf Kyjiw.

In erster Linie dient Selenskyjs Antwort dazu, den US-Präsidenten zu besänftigen. Das nennt sich Trump-Appeasement. Der ukrainische Präsident gibt sich konstruktiv und zeigt dem selbsternannten Dealmaker in Washington, wer dem Frieden – und den Geschäften – in der Ukraine tatsächlich im Weg steht: Putin. Dieser schlägt selbst eine Pause der gegenseitigen Angriffe auf die Energieinfrastruktur beider Länder aus. Außerdem weiß Selenskyj, dass Wahlen aktuell äußerst unrealistisch sind.

Denn laut ukrainischer Verfassung sind keine Wahlen während eines Krieges vorgesehen. Die Amtszeit des Parlaments und des Präsidenten wird verlängert, solange der Kriegszustand besteht. „Dieser Kriegszustand wird wegen der fortdauernden russischen Angriffe durch das demokratisch freigewählte Parlament alle 90 Tage bestätigt“, sagt Robin Wagener. Der Grünen-Bundestagsabgeordneter ist Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe und hält mit seinem Büro enge Kontakte in die ukrainische Rada. „Vor dem Hintergrund der russischen Aggressionen gibt es aktuell keine Mehrheit in der Rada, das Kriegsrecht auszusetzen.“

Und sollte es trotz alledem Wahlen geben, hätte Selenskyj aktuell gar keine Probleme, mindestens die Stichwahl zu erreichen. Gut 58 bis 60 Prozent der Wählerschaft haben Vertrauen in ihn, zeigen Erhebungen des Kyjiwer Internationalen Soziologieinstitut (KIIS). Selbst der jüngste Korruptionsskandal um die sogenannte Operation „Midas“ scheint ihm weniger als erwartet geschadet zu haben. Die Entscheidung, sich vom umstrittenen Stabschefs Andrij Jermak zu trennen, wird positiv wahrgenommen.

Komplett konkurrenzlos wäre Selenskyj aber nicht. Zwei Gegenkandidaten hätten politisches Gewicht: Ex-Armeechef Walerij Saluschnyj, derzeit Botschafter in London, und der Chef des Militärgeheimdienstes HUR, Kyrylo Budanow. Sie könnten etwa die wachsende Gruppe der Veteranen ansprechen und genießen hohe Sympathiewerte. Aber es ist unrealistisch, dass sich zwei ranghohe Staatsbeamte noch vor einem Waffenstillstand politisch gegen den Oberbefehlshaber stellen. Beide würden sich zudem für eine politische Karriere nach Kriegsende verbrennen.

Auch aus innenpolitischer Sicht schadet Selenskyj seine Äußerung über Wahlen nicht. In den ukrainischen Medien war sie kaum Thema. Mehr Bedeutung hat sie außenpolitisch. „Selenskyj zeigt, dass er sich Wahlen nicht in den Weg stellt. Er spielt den Ball an die US-Regierung zurück und zwingt sie in die Verantwortung“, sagt Grünen-Politiker Wagener. Der ukrainische Präsident muss Zeit gewinnen. Am 18. Dezember wollen die EU-Staaten sich über die Nutzung der eingefrorenen russischen Staatsgelder verständigen. Außerdem braucht Selenskyj weiter US-Waffen und Geheimdienstinformationen aus den USA.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow kommentierte die „recht neue“ Botschaft von Selenskyj ziemlich zurückhaltend. Man werde weitere Entwicklungen zu möglichen Wahlen genau verfolgen. Eine Feuerpause wäre aber zweifellos im Sinne Moskaus: Nach Angaben des US-Think-Tanks Institute for the Study of War vom Dienstag hat die russische Armee in diesem Jahr lediglich 4.669 Quadratkilometer neu besetzt – 0,77 Prozent des gesamten Landesterritoriums. Der Preis dafür ist extrem hoch. Nach Angaben Kyjiws verliert Moskau für jeden eroberten Quadratkilometer 83 Männer (tot oder schwer verletzt). Neues Personal zu gewinnen, wird immer schwieriger, ebenso die Versorgung mit Drohnen und Artillerie an der Front. Eine Pause während der Wahlen böte dafür gute Möglichkeiten. Sollte dann ein nicht Moskau-genehmer Kandidat gewinnen, würde die russische Armee umso kräftiger zuschlagen können.

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Letzte Aktualisierung: 10. Dezember 2025