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Ukraine-Verhandlungen: Wie die Europäer versuchen, Trumps Plan zu entschärfen

Unter Zeitdruck ringt Friedrich Merz mit den europäischen Partnern um einen Ausweg aus Trumps Plan, der für die Ukraine einer Kapitulationserklärung nahekäme. Die vorgesehenen Gebietsabtretungen würden Russlands Position schlagartig stärken – und das Machtgefüge in Europa fundamental verändern.

23. November 2025
Keir Starmer, Emmanuel Macron und Friedrich Merz beim G20-Gipfel (picture alliance/dpa/dpa-Pool | Michael Kappeler)

Als Friedrich Merz am Sonntagabend von Südafrika nach Angola fliegt, tut er das in dem Wissen, dass die Uhr tickt. Er hat eine Reihe von Gesprächen im Rahmen des G20-Gipfels in Johannesburg geführt, während sein sicherheitspolitischer Berater Günter Sautter in Genf mit europäischen Partnern sowie Vertretern der Ukraine und der USA zusammensaß, um über einen Friedensplan für das von Russland überfallene Land zu verhandeln. Und auch, wenn Donald Trump die Deadline für Donnerstag, die er dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zunächst setzte, etwas aufgeweicht hat, ist klar: Die Geduld des US-Präsidenten ist begrenzt. Im Gegenteil, Trump macht Druck. Auf seiner Plattform Truth Social schreibt er am Sonntag, dass die ukrainische Führung „null Dankbarkeit“ für seine Bemühungen zeige.

Grafik zeigt die östlichen Gebiete der Ukraine, die Russland dauerhaft für sich beansprucht.
Gebietsverlust würde künftiges Risiko für die Ukraine erhöhen (Britta Weppner / Table.Briefings)

Vergangene Woche hatten die US-Amerikaner im Alleingang ein 28-Punkte-Papier vorgelegt, das sich wie eine Kapitulationserklärung der Ukraine lesen lässt. So sollen etwa entscheidende Gebiete an Russland abgetreten werden. Ein Blick auf die Karte verdeutlicht das Problem. Würden die heute besetzten Territorien dauerhaft zu russischen, würde Moskau eine Zange um mehr als die Hälfte des Landes bilden: In Belarus sind russische Truppen stationiert, im Süden würde Russland seine Militärpräsenz ausbauen, die Schwarzmeerflotte wieder auf die Krim verlegen, in Saporischschja, Cherson und im Donbas die Truppen verstärken. So entstünde eine dauerhafte Bedrohung für die Ukraine entlang einer sehr langen Linie.

Hinzu kommt die nicht zu unterschätzende ökonomische Abhängigkeit der Ukraine von Russland und den USA, die der Plan vorsieht. So friedensfördernd wirtschaftliche Abhängigkeiten sein können, so riskant sind sie, wenn die Bedingungen einseitig oder zu Lasten Dritter diktiert werden. Die rohstoffreiche und mit äußerst fruchtbarem Boden gesegnete Ukraine wäre der Ausbeutung von zwei Großmächten ausgeliefert, ohne viel Mitsprachemöglichkeit.

Sowohl die Europäer als auch die Nato wurden zunächst übergangen. In dem Papier werden sie von Akteuren zu Spielbällen gemacht. Entsprechend groß war die Empörung. Die Europäer versuchten, Trump ans Telefon zu bekommen. Merz kam schließlich durch. Er habe in dem Telefonat noch einmal seine Position deutlich gemacht, sagt der Kanzler in Johannesburg: „Kriege können nicht durch Großmächte über die Köpfe der betroffenen Länder hinweg beendet werden.“ Dieser Krieg könne nur mit der Zustimmung der Ukrainer und der Europäer beendet werden: „Wenn die Ukraine diesen Krieg verlieren und möglicherweise kollabieren sollte, dann hat das Auswirkungen auf die gesamte europäische Politik, auf den gesamten europäischen Kontinent.“

Eine gemeinsame Antwort an die Amerikaner ließ deshalb nicht lange auf sich warten. Unter Führung der E3, also Deutschland, Frankreich und Großbritannien, verhandeln die europäischen Partner nun in Genf in Absprache mit der Ukraine über einen Kompromiss. Sie entscheiden sich bewusst dafür, das Trump-Papier als Basis zu behalten. Die Botschaft, die mit einem freundlichen Lächeln nach Washington gehen soll: Guter Impuls, aber lasst uns versuchen, einen Kompromiss zu finden, der möglichst wenig mit dem zu tun hat, was ihr formuliert habt.

Die große Herausforderung ist nun der Zeitdruck, etwas zu orchestrieren, was dem US-Präsidenten ausreicht und die Kapitulation der Ukraine vermeidet. Denn Trump will am Donnerstag nicht einfach nur eine große Friedensparty anlässlich des Feiertags Thanksgiving feiern. Hinter der Eile steckt ein anderes Kalkül: die Veröffentlichung der Epstein-Akten. Die Trump-Regierung weiß um die politische Sprengkraft des Themas. Die Ukraine-Frage könnte davon ablenken.

Auch Selenskyj steht zunehmend unter zeitlichem Druck. Er ist wegen des Korruptionsskandals angeschlagen, 70 Prozent der Stromerzeugungskapazitäten im Land sind zerstört. Immer mehr Geld muss für die Verteidigung ausgegeben werden, und der Arbeitsmarkt ist unter Druck – weil viele junge Männer entweder in den Krieg ziehen oder fliehen. Laut BMI stieg die Zahl der eingereisten Ukrainer zwischen 18 und 22 Jahren von 19 pro Woche Mitte August auf über 1.000 Mitte September an. Selenskyj weiß, dass er dem russischen Angriffskrieg nicht ewig standhalten kann.

Am Sonntagnachmittag lässt Merz durchblicken, wie er auf die Verhandlungen der nächsten Tage blickt. Er habe den Vorschlag gemacht, dass Russland und die Ukraine sich zunächst auf „EINEN Punkt“ verständigen, sagt der Kanzler. Dass man sich in 28 Punkten einig wird, ist unwahrscheinlich. Einer aber wäre schon ein Anfang, der allen Beteiligten mehr Zeit verschaffen würde. Am Ende müsse etwas stehen, „was Putin an den Verhandlungstisch bringt“, sagt Merz dem ZDF. Welche europäischen Vorschläge im Gespräch sind, lesen Sie im Security.Table und hören Sie im Podcast ab 5 Uhr hier.

Table.Today mit Michael Bröcker und Helene Bubrowski. "Diktatfrieden für die Ukraine?"

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Letzte Aktualisierung: 23. November 2025