Talk of the town
Erscheinungsdatum: 12. November 2025

Trübe Wirtschaftslage: Schafft die Koalition die Wende?

Übergabe des Jahresgutachtens der Wirtschaftsweisen (picture alliance / Flashpic | Jens Krick)

Die Wirtschaftsweisen erwarten nur 0,9 % Wachstum – ein schlechtes Zeugnis für die Regierung. Experten kritisieren fehlende Strukturreformen, hohe Unsicherheit und falsche Prioritäten. Merz warnt: Ohne Kurswechsel und Reformen ist die Koalition gescheitert.

Friedrich Merz hat schon geahnt, dass der Jahresbericht der Wirtschaftsweisen kein gutes Bild auf die Arbeit seiner Koalition werfen würde. Nur 0,9 Prozent Wachstum sagen die Experten für das bevorstehende Jahr voraus. Das ist weniger, als Merz sich erhofft hat – und viel niedriger als der Wert, von dem sie noch im Frühjahr ausgingen. Der Kanzler und sein Umfeld haben deshalb bereits in den vergangenen Wochen immer wieder betont, wie wichtig es sei, dass der Fokus endlich auf einer Wende in der Wirtschaft liege.

„Die Lage ist nicht gut“, sagt Andreas Peichl, Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik Table.Briefings. In den Unternehmensbefragungen sei die Stimmung mies, die Unsicherheit hoch, die Werte für Existenzbedrohung stiegen und mehr als ein Drittel der Firmen sage, dass ihre Wettbewerbsfähigkeit stark abnehme. Bei den Branchenverbänden wird man sogar noch deutlicher. VDMA-Präsident Bertram Kawlath fordert: „Diese Bundesregierung muss endlich liefern.“ Angekündigte Reformen ließen weiter auf sich warten, während Arbeitsplätze abgebaut würden.

Der fehlende Erfolg trifft den Kanzler und seine Koalition hart. Ein Aufschwung gehört seit seiner Kandidatur zu Merz’ ganz großen Versprechen. Motto: „Wir retten die Wirtschaft“. Gefolgt von der Zusicherung „Das kann Friedrich Merz“. Nun stellt sich die Frage: Kann seine Regierung es wirklich? Die bisherige Bilanz zeigt das noch nicht. Die Experten finden sogar: Schwarz-Rot habe teilweise falsche Entscheidungen getroffen. So heißt es im Jahresbericht der Wirtschaftsweisen, die Umsetzung des Finanzpakets sei „stark verbesserungsbedürftig“. Würde das Sondervermögen gezielter eingesetzt, hätte es „deutlich stärkere Auswirkungen auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum“.

In der Union zeigt sich mancher einsichtig. Fraktionsvize Mathias Middelberg sagt zwar, die Mittel im Sondervermögen würden den öffentlichen Investitionsstau lösen; außerdem stoße der Investitionsbooster private Investitionen an. „Aber hier werden wir, da haben die Sachverständigen Recht, noch nachlegen müssen.“ Die Spielräume dafür müsse sich die Koalition durch „dringend nötige, grundlegende Strukturreformen bei Rente, Gesundheit und Pflege erarbeiten“, so Middelberg zu Table.Briefings. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sepp Müller ergänzt, das Gutachten biete „wichtige Anregungen für unsere künftige Wirtschaftspolitik“. Die Koalition müsse ihre Anstrengungen verstärken, um den Standort zukunftsfähig zu machen. Auch Müller sieht dafür ein Mittel als zwingend an: Strukturreformen in der Renten- und Krankenversicherung.

In der SPD teilen viele die Überzeugung, dass mehr gemacht werden muss. Die Sozialdemokraten pochen weiter auf die Senkung der Energiepreise. Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher Sebastian Roloff sagte Table.Briefings: „Der Industriestrompreis muss spürbar und planbar ab dem 1.1.2026 kommen.“ Roloff unterstützt den Koalitionspartner bei der Senkung der Körperschaftsteuer. Allerdings könne die Reduzierung erst beschlossen werden, wenn „es die finanzielle Lage im Haushalt zulässt“. Genau an der Stelle gibt es indes Ärger, der sich nicht verziehen will. Nach wie vor halten viele in der SPD „die Wahlgeschenke der CSU“ für falsch, weil sich diese nicht mit der angespannten Lage des Haushalts vertragen würden. Der Vorwurf: die Union setze falsche Prioritäten; dadurch fehle das Geld für die Entlastung der Unternehmen.

Der Kanzler weiß, wie gefährlich es wird, wenn sich die Lage nicht bessert. In der Fraktionssitzung vor einer Woche hatte er nicht nur eine Grafik in die Luft gehalten, auf der der Staatskonsum massiv steigt, während die privaten Investitionen sinken. Er hatte das Ganze laut Teilnehmern auch mit einer zentralen Botschaft unterfüttert. Gelinge es nicht, diese Kurven wieder zu ändern, schaffe es die Koalition also nicht, die nötigen Strukturreformen umzusetzen, „dann ist diese Koalition gescheitert“. Dem hat in der Unionsfraktion niemand widersprochen.

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Letzte Aktualisierung: 12. November 2025

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