Talk of the town
Erscheinungsdatum: 14. September 2025

Sinan Selen: Der neue Verfassungsschutzpräsident ist ein Anti-Terror-Spezialist aus Istanbul

In Zukunft oberster Verfassungsschützer: Sinan Selen (picture alliance / SZ Photo | Jürgen Heinrich)

Monatelang war das Amt des obersten Verfassungsschützers in Deutschland unbesetzt. Nun hat sich Koalition auf Sinan Selen geeinigt. Ein erfahrener Sicherheitsexperte mit türkischen Wurzeln - ein Kandidat, der bereits viel Hass und Hetze ernten musste.

Die Bedrohung durch Extremisten aller Art wächst. Aber die Behörde, die für die Sicherung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zuständig ist, hat seit zehn Monaten keinen Präsidenten. Das soll sich nun ändern. Nach Informationen von Table.Briefings hat sich die schwarz-rote Koalition auf Sinan Selen geeinigt, der seit Januar 2019 Vizepräsident des Bundesamts für Verfassungsschutzes ist. An diesem Montag will Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) die Spitze des Bundesamts über die neue Besetzung informieren, das Bundeskabinett könnte schon am Mittwoch formal entscheiden.  

Selen wird der erste Chef des Verfassungsschutzamtes, der nicht in Deutschland geboren wurde, sondern 1972 in Istanbul. Er kam mit vier Jahren als Sohn türkischer Einwanderer nach Deutschland, wuchs in Köln auf. Nach dem Jurastudium war er in verschiedenen Stationen im Sicherheitsbereich tätig. Er begann in der Staatsschutz-Abteilung des Bundeskriminalamts, wurde dort 2006 mit der Fahndung nach den zwei Kofferbombern in Regionalzügen bei Köln und Koblenz betraut. Anschließend wurde er Leiter des Referats „Ausländerterrorismus und Ausländerextremismus“ im Bundesinnenministerium. 2009 wechselte er zur Bundespolizei und zurück ins BMI, wo er für die Terrorismusbekämpfung zuständig war und sich um die Zusammenarbeit mit der Türkei kümmerte.  

Selen erntete in der Vergangenheit immer wieder Hass und Hetze von rechts wie links. So unterstellten ihm Verschwörungstheoretiker etwa, verdeckt für die Türkei zu arbeiten. Er gab schließlich die türkische Staatsangehörigkeit ab. Bis zu seiner Ernennung zum BfV-Vizepräsidenten war er bei der TUI tätig, baute dort die konzernweite Sicherheitsstruktur auf.  

Der künftige Präsident wird in Koalitionskreisen für seine Erfahrung und sein Fachwissen geschätzt. Zu hören ist auch, dass Dobrindt mit dieser Personalentscheidung die Erwartung verbindet, dass Selen im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern einen weniger ausgeprägten Drang in die Öffentlichkeit habe. Diese Hoffnung hatte es bei Thomas Haldenwang in der Nachfolge von Hans-Georg Maaßen auch schon gegeben, doch Haldenwang überraschte nach Amtsantritt mit seiner Vorliebe für den öffentlichen Auftritt und das markige Wort. Sein Amt legte er am 13. November 2024 nieder, weil er ein Bundestagsmandat für die CDU anstrebte, aber scheiterte.  

Eine ganz große Veränderung wird sein Amtsantritt nicht bringen. Faktisch leitet Selen seit Monaten die Behörde, Vizepräsidentin Silke Willems wirkt eher nach innen. Schon während der Koalitionsverhandlungen gab es erste Abstimmungen zwischen Union und SPD über Selen. Die Überlegungen aus Ampelzeiten, erstmals eine Frau an die Spitze der Behörde zu setzen, wurden nicht weiterverfolgt. Doch die Personalfrage war wieder offen, als der Verfassungsschutz wenige Tage vor der Kanzlerwahl und der Vereidigung des neuen Innenministers Alexander Dobrindt die Hochstufung der AfD als gesichert extremistische Bestrebung bekannt gab und damit Irritationen bei der Union auslöste. Andere Namen waren nun im Spiel, die Suche zog sich hin, die Presseanfragen nahmen zu. Letztlich gelangte Dobrindt zur Überzeugung, dass das AfD-Gutachten auf das Konto seiner Vorgängerin Nancy Faeser gehe, nicht auf Selens. Und so war der Weg frei, den Vize vom Namensschild zu streichen.  

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Letzte Aktualisierung: 14. September 2025

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