Talk of the town
Erscheinungsdatum: 15. Juli 2025

Streit um Verfassungsrichterin: SPD will Klärung noch im August

Das mühsam aufgebaute Vertrauensverhältnis in der Koalition hat nach der gescheiterten Richterwahl einen tiefen Riss. Und noch ist kein Ausweg in Sicht. Ein Telefonat zwischen SPD-Fraktionschef Matthias Miersch und seinem Amtskollegen Jens Spahn führte am Montag zu keiner Lösung des Konflikts. Miersch soll dem CDU-Mann klargemacht haben, dass die SPD an der Kandidatin festhält. Die Richterin und Vize-Chefin der SPD-Fraktion, Sonja Eichwede, sagte Table.Briefings, Frauke Brosius-Gersdorf sei eine herausragende Staatsrechtslehrerin mit ausgezeichnetem wissenschaftlichen Renommée. „Sie bleibt unsere Kandidatin.“

Die von der Union abgesetzte Richterwahl sei ein „beispielloser Vorgang“, so Eichwede. „Um vertrauensvoll weiterarbeiten zu können, werden wir grundsätzlich über die Prinzipien unserer Zusammenarbeit sprechen müssen. Das Vertrauen, dass Zusagen und Gemeinsam getroffene Entscheidungen eingehalten werden, muss nun erst wieder wachsen.“ 

Auch der Rest der SPD-Fraktion stellt sich hinter die Kandidatin. In einer Sondersitzung am Montag hatten Teilnehmern zufolge alle rund 20 Wortmeldungen nur eine Botschaft: Wir stehen. Die Union müsse das mit sich klären. In der SPD wird darauf hingewiesen, dass die Nominierung von Brosius-Gersdorf bereits vor eineinhalb Monaten mit der Spitze der Unionsfraktion geeint gewesen sei. Inhaltlich vertrete die Juristin keine radikalen Forderungen, in der Abtreibungsfrage habe sie verfassungsrechtliche Grenzen definiert. Miersch soll intern angemerkt haben, dass sich die Grundsatzfrage stelle, ob getroffene Vereinbarungen mit der Union auch bei Gegenwind in den sozialen Netzwerken noch Bestand haben. 

Die SPD will, dass der Bundestag die Richterfrage Ende August klärt. Ein Verweis auf den Bundesrat, der erst im Dezember einen neuen Richter für den freigewordenen Posten am Verfassungsgericht beschließen könnte, sei keine Option. „Es wäre ein Armutszeugnis, wenn wir das nicht hinkriegen“, sagt einer aus der SPD-Führung in Berlin. Als Szenario wird nun diskutiert, ob die Abstimmung im Bundestag erneut angesetzt wird, aber die Kritiker in der Union der Sitzung fernbleiben. „Wir brauchen zwei Drittel der abgegebenen Stimmen.“ 

Die Frage über alldem ist, wie handlungsfähig diese Koalition ist, wenn es darum geht, Mehrheiten in der Mitte des Parlaments zu organisieren. Denn die Richterwahl war nicht das erste Ereignis, bei dem gebangt werden musste. Und die großen inhaltlichen Brocken – Rentenreformen, Sozialstaatsumbau, Bürgergeld – kommen ja erst noch.  

In den Spitzen von CDU und CSU ist man sich des Problems bewusst. Man schiebt es aber bewusst in die Fraktionen. Sowohl Friedrich Merz als auch Markus Söder wollen die Richterwahl nicht zur Chefsache machen. Der Kanzler erklärte beim Besuch des bayerischen Landeskabinetts auf der Zugspitze: „Mein Wunsch wäre, dass wir im Bundestag zu einer Lösung kommen.“ Was übersetzt heißt: Die Verantwortung für das Problem liegt weiter bei Jens Spahn

Im CSU-Präsidium gibt es Hoffnungen, dass die Landesgruppe in Berlin eine Vermittlerrolle einnehmen könnte. Alexander Dobrindt hatte die bereits in den Koalitionsverhandlungen gespielt, nun scheint vor allem Alexander Hoffmann am Zug zu sein, der sich in den ersten Wochen seiner Amtszeit unter Sozialdemokraten bereits den Ruf eines integren Ansprechpartners erarbeitet hat. In den Reihen der CDU sind sie zwar skeptisch, dass Hoffmann als Vermittler am Ende tatsächlich Erfolg hat. Wenn Spahn in der SPD-Fraktion jedoch zum roten Tuch geworden ist und der Kanzler nicht bereit, sich einzumischen – wer bleibt dann noch? 

In den Reihen der CDU verweist man noch auf einen anderen Punkt. Die Social-Media-Kampagne einiger rechter bis rechtsradikaler Portale gegen Brosius-Gersdorf habe nur deshalb eine solche Wucht entfalten können, weil die Fraktionsführung sich im Vorfeld nicht ausreichend mit der inhaltlichen Debatte beschäftigt habe. Man habe nicht offen über das Für und Wider der Kandidatin debattiert – und damit auch Klischees und falsche Behauptungen im Raum gelassen, statt sie zu widerlegen. Die Führung sei, so heißt es, nur noch an taktischem Machterhalt interessiert. Dieser Fall zeige die Schwäche, die sich daraus ergibt. Man müsse die Abgeordneten durch Debatte und Inhalt zu gewinnen versuchen, nicht mit dem Argument, dass man Geschlossenheit brauche. 

Im SPD-Teil der Bundesregierung heißt es, das Vertrauen in der Koalition müsse jetzt durch Taten wachsen. Im August stehen mit dem Rentenpaket, dem Gesetz gegen Schwarzarbeit und dem GEAS einige relevante Vorhaben auf der Kabinettsliste. Wenn es dabei wieder zu öffentlichem Streit komme, dann so sagt es ein SPD-Mann, „ist diese Koalition doch nicht so stabil, wie wir es uns alle gewünscht haben“. 

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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