Talk of the town
Erscheinungsdatum: 13. Oktober 2025

Scharm El-Scheich, Gaza, Tel Aviv: Große Worte, Szenen des Glücks – und viele offene Fragen

Alon Ohel in Peah Tiqua
Alon Ohel mit seinen Eltern bei seiner Rückkehr nach Israel (picture alliance / ZUMAPRESS.com | Sharon Eilon)

In Israel werden die letzten Geiseln freigelassen, Donald Trump verkündet den „ewigen Frieden“ und auf den Straßen herrschen Jubel und Erleichterung. Doch ist dieser Tag wirklich der Beginn eines Friedens – oder nur eine Atempause im Nahostkonflikt?

Am Tag, an dem fürs Erste der Frieden besiegelt wird, kommt zweierlei zusammen: Auf großer Bühne gibt es wortgewaltige Reden; und die werden von tausend Bildern des Glücks begleitet. Während in Israel die Menschen die letzten Geiseln in Empfang nehmen, spricht US-Präsident Donald Trump erst in der Knesset, dann in Scharm El-Scheich vom ewigen Frieden und von „einem monumentalen Tag in der Geschichte dieser Welt“.

Erleichterung und Jubel, aber auch Schmerz und Entsetzen über den Zustand der Freigelassenen. Zu diesem 13. Oktober 2025 gehören mächtige Gefühle, denen sich niemand entziehen kann. Auch nicht die knapp 20 Staats- und Regierungschefs, die hier nur als Kulisse dienen. Zitat eines europäischen Diplomaten: „Der Kaiser ruft – und alle huldigen ihm.“ Und doch: Emmanuel Macron, Giorgia Meloni, Keir Starmer und Friedrich Merz müssen einem Donald Trump danken, der ihnen bislang so viel Kopfzerbrechen bereitet. Auch Merz spricht von einem „historischen Tag: Gott sei Dank, dass wir an diesen Punkt gekommen sind.“

Der Grund dafür: Trump appelliert auch an die Israelis. Er nutzt seinen Auftritt in der Knesset, um ihnen ins Gewissen zu reden. Es sei an der Zeit, „die Siege auf dem Schlachtfeld“ in „Frieden und Wohlstand im gesamten Nahen Osten“ umzuwandeln. „Es ist offensichtlich, dass die produktiven und verantwortungsvollen Nationen im Nahen Osten keine Feinde mehr sein sollten.“ Und den israelischen Premier Benjamin Netanjahu fordert Trump auf, auf seine innenpolitischen Gegner zuzugehen: „Du kannst etwas netter sein, Bibi, Du bist nicht mehr im Krieg.“

Ob das zu einem echten Frieden führt, weiß niemand. Deshalb sind Merz, Starmer und Co. auch mit erheblichen Zweifeln angereist. Zu viele Fragen sind ungelöst. Was wird aus der Hamas? Die Geiseln sind frei, aber ihren Machtanspruch haben die Terroristen ausweislich aller Bilder vom Tage nicht aufgegeben. Deshalb spricht der Kanzler intensiv mit den Kataris und wird Recep Tayyip Erdoğan noch im Oktober besuchen. Beide finanzieren bis heute die Lebensadern der Hamas; beide haben die Terrororganisation zum Waffenstillstand gezwungen; von beiden wird entscheidend abhängen, ob die Hamas wirklich aufgibt. Stand 13. Oktober: Nichts ist entschieden.

Weitere Fragen schließen sich an: Wie schnell erhalten die Palästinenser eine positive Perspektive – und wer könnte den Waffenstillstand absichern? Beim ersten will die Bundesregierung schnell aktiv werden; humanitäre Hilfe mit Zelten, Lebensmitteln, ärztlicher Versorgung hat sich der Kanzler auch selbst auf die Fahne geschrieben. Anders sieht es bei einer Absicherung aus. Hier drohen bald Konflikte, weil die arabischen Staaten nur unter einem UN-Mandat dazu bereit wären – und Netanjahus Regierung genau das ablehnt. Wie das gelöst wird? Völlig offen.

Berlin immerhin könnte neu in seine alte Rolle schlüpfen. Am Rande des Treffens heißt es, die Beziehungen nach Israel und in die arabische Welt seien ungebrochen gut. Deutschland bleibe fast das einzige Land, das mit beiden Seiten sprechen könne. In Ägypten redet Merz nicht nur mit Präsident Abdel Fattah al-Sisi, sondern auch mit dem saudischen Außenminister und dem jordanischen König. Außerdem führt er seit Neuestem wieder freundliche Telefonate mit Netanjahu. Für Merz der Beleg dafür, dass der Waffenlieferstopp vom 8. August richtig war. Netanjahu habe offenbar erkannt, dass der Schritt erst die Standhaftigkeit gegenüber weitergehenden Sanktionsforderungen ermöglicht habe. Und die arabischen Staaten hätten sehen können, dass Berlin eng an der Seite Israels bleibe, aber nicht alles, was die Regierung macht, mittrage.

Die Regierung will das nutzen, um Einfluss zu nehmen. Vor allem in dem Gremium, das den Waffenstillstand und möglicherweise auch den Wiederaufbau überwachen soll. Vom Kanzler abwärts gehen alle davon aus, dass viele nach Berlin schauen, wenn es darum geht, hier mitzuhelfen. Deshalb will man von Anfang an Einfluss nehmen. Hier nämlich könnte es schnell heikel werden, weil Deutschland eine noch viel größere Rolle bei der Unterstützung der Ukraine abverlangt wird. Aus diesem Grund ist man, vorsichtig ausgedrückt, sehr zurückhaltend mit größeren Ankündigungen, die über die humanitäre Hilfe hinausgehen.

Zumal es selbst Berlin-intern schon Gerangel gegeben hat. Kanzler Merz hatte das Thema Wiederaufbau zunächst in die Hände von Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan gelegt, um die SPD im Konflikt um Sanktionen zu befrieden. Darüber aber war CDU-Außenminister Johann Wadephul not amused. Deshalb sollen nun beide gemeinsam die Hilfen organisieren.

Zunächst einmal jedoch bleibt der deutsche Beitrag überschaubar. Konkrete Zahlen wollte am Montag noch niemand nennen. Von den letzten Zusagen aus dem Jahr 2023 seien noch Mittel verfügbar, hieß es im BMZ, das unmittelbar 50 modulare Unterkünfte für rund 350 Personen schicken will. Weitere 800 Unterkünfte sollen demnächst folgen. Alabali Radovan wird am Dienstag nach Washington zur Weltbank reisen, „die eine große Rolle spielen wird“, wie es heißt. Ganz anders die UN-Organisation WFP: 60.000 Tonnen an Lebensmitteln seien sofort lieferbar, wie ein Sprecher sagte. Voraussetzung auch da: Israel muss die Lieferungen passieren lassen.

Sharm El-Sheikh
Gruppenbild in Scharm el Scheich – und viele offene Fragen (picture alliance / Anadolu | TUR Presidency/ Mustafa Kamaci)

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Letzte Aktualisierung: 14. Oktober 2025

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