Berlin.Table Talk of the town

Multinationale Truppe für die Ukraine: Regierung will eine öffentliche Debatte vermeiden

Die Bundesregierung vermeidet Debatten über eine mögliche deutsche Beteiligung an multinationalen Truppen in der Ukraine. Friedrich Merz betont die Einigkeit Europas, konkrete Entscheidungen sollen erst nach erfolgreichem Verhandlungsabschluss folgen.

LB
Nahe der Front in Saporischschja: Einsatzgebiet einer Friedenstruppe? (picture alliance / abaca | Smoliyenko Dmytro/Ukrinform/ABACA)

Am Tag nach dem großen diplomatischen Aufschlag bemüht sich die Bundesregierung um Ruhe. 24 Stunden nach der Erklärung der wichtigsten europäischen Staaten zu möglichen Sicherheitsgarantien für die Ukraine möchte sie alles, nur keine Debatte über die Frage, inwieweit sich Deutschland an einer „multinationalen Truppe“ beteiligen werde. In Regierungskreisen heißt es, bevor man darüber reden könne, müssten drei Bedingungen erfüllt sein: eine tatsächliche Lösung unter Beteiligung Europas; die Garantie, dass auch die Amerikaner mit an Bord sind; und drittens, dass die nationalen Bedingungen für den Einsatz von Soldaten erfüllt werden. Was für Deutschland heißt, dass der Bundestag ein entsprechendes Mandat beschließt. Botschaft im Kern: Angesichts dieser drei Wenns seien alle anderen Debatten verfrüht.

Dahinter steckt das Bedürfnis, in der Koalition und in Deutschland keinen Streit über einen deutschen Einsatz auszulösen. Eine Sorge, die nicht unbegründet ist. Tatsächlich erfuhren die führenden Sozialdemokraten von dem europäischen Statement erst am Montagabend. Wie es heißt, seien Lars Klingbeil und Vertreter des BMVg von Günter Sautter „quasi zeitgleich“ zur Veröffentlichung des Papiers informiert worden. Boris Pistorius selbst wurde erst gebrieft, als das Papier schon in der Welt war.

Die Idee, eine solche Erklärung abzugeben, war erst im Laufe des Wochenendes entstanden und als zentrale Botschaft der Europäer an die USA gedacht. In der Regierung heißt es sogar, dass die Erklärung für „die Dynamik der Verhandlungen“ besonders wichtig gewesen sei. So gesehen könnte jedes Zögern der Regierung, dafür jetzt auch öffentlich zu werben, auf US-Seite Zweifel über die Verlässlichkeit Berlins auslösen. Nach dem Zwischenerfolg vom Wochenende ist eines noch wichtiger als sonst schon: dass Friedrich Merz (und seine Regierung) halten, was er zugesagt hat.

Offenen Streit in der Koalition muss der Kanzler immerhin – noch – nicht fürchten. In der SPD begrüßt man Merz’ Vorstoß. In Gesprächen finden die Sozialdemokraten nur lobende Worte für den Friedensgipfel und die anschließende Erklärung. Was genau „multinationale Truppe“ für Deutschland bedeuten könnte, darüber möchte auch in der SPD niemand spekulieren. Adis Ahmetovic, außenpolitischer Sprecher der SPD, sagte Table.Briefings: „Welche Rolle die deutsche Bundeswehr bei all dem spielen kann, ist noch nicht definiert“. Das stehe erst am Ende eines hoffentlich erfolgreichen Verhandlungsprozesses.

Unterdessen war der Vorstoß auch Thema in der SPD-Fraktionssitzung, wie Table.Briefings erfuhr. Die Aussagen des Kanzlers seien zunächst eine Diskussionsgrundlage, heißt es. Man wolle jetzt abwarten, wie das Papier in Europa und Russland aufgefasst werde. Wichtig sei, dass Deutschland jetzt nicht das infrage stellt, was gerade erst beschlossen wurde. Gleichzeitig glauben Teile der SPD auch nicht daran, dass es überhaupt zum Einsatz solcher Truppen kommen würde. Denn Russland würde ein Näherrücken europäischer Einheiten an russisches Territorium gewiss nicht zulassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Punkt bei den Verhandlungen abgeräumt würde, sei daher relativ hoch.

Auch die Unionsfraktion zeigt sich am Dienstag zufrieden mit ihrem Kanzler. Wenngleich das entscheidende Thema ausgespart wird. „Wir haben einen Kanzler, der Europa führt“, so Jens Spahn in einem Pressestatement am Dienstag. Auf Merz komme es in diesen Tagen an. In der Fraktionssitzung sagte Spahn, es sei der Verdienst des Kanzlers, dass ernsthafte Ukraine-Gespräche stattfinden, dass Deutschland und Europa mitgestalten, die Gespräche in Berlin stattfänden. Dafür gibt es in den Reihen der Abgeordneten viel Zustimmung. Nur, den entscheidenden Punkt, also den möglichen Einsatz „einer multinationalen Truppe“, erwähnte weder Spahn noch anschließend der Kanzler selbst. Merz betonte noch einmal, wie wichtig es sei, dass Europa zusammenhalte, dass man abgestimmt bleibe. Im Übrigen habe ihn selbst SPD-Kritiker Ralf Stegner für die diplomatischen Bemühungen gelobt. Von Sicherheitsgarantien und der Frage, was diese für Deutschland konkret bedeuten könnten, kein Wort.

In den Reihen der Fraktion zeigte man sich auf die Frage, wie weit die Zustimmung für das Papier der European Leaders geht, zurückhaltend. Die Frage stelle sich zu diesem Zeitpunkt nicht, heißt es auch dort immer wieder. Es gehe nun erst einmal darum, dass man den Amerikanern ein Angebot machen könne. Was daraus folgt und ob Deutschland am Ende tatsächlich Truppen in die Ukraine schicke, sei offen. Das hänge nicht zuletzt daran, welche Kapazitäten die Bundeswehr habe.

Briefings wie Berlin.Table per E-Mail erhalten

Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

Anmelden

Letzte Aktualisierung: 16. Dezember 2025