Talk of the town
Erscheinungsdatum: 16. September 2025

Heikler Besuch aus Polen: Karol Nawrockis Kurzvisite wirft ein Schlaglicht auf das besondere deutsche Dilemma im Umgang mit Warschau

Friedrich Merz empfängt Karol Nawrocki (picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka)

Karol Nawrockis Kurzvisite in Berlin geriet für Friedrich Merz und Frank-Walter Steinmeier zum Balanceakt. Deutschland lehnt Polens Reparationsforderungen ab – doch ein Zwist käme zur Unzeit.

Bilder ja, Fragen nein – so war das beim Kurzbesuch des polnischen Präsidenten in Berlin. Und vieles spricht dafür, dass diese Beschränkung zwar auf einen Wunsch von Karol Nawrocki zurückgeht, aber auch seinen beiden Gastgebern Frank-Walter Steinmeier und Friedrich Merz nicht ganz ungelegen kam. Der Grund: Berlin will äußerste Vorsicht im Umgang mit Polen walten lassen, seit klar ist, dass das Thema Reparationen das Potenzial hat, alle sonstigen und meist engen Kooperationen zu gefährden. Auch missglückte Pressekonferenzen können da zur Gefahr werden.

Über die Größe dieses Problems kann auch der freundlich-professionelle Auftritt des Gastes aus Warschau nicht hinwegtäuschen. So jedenfalls beschreiben Personen, die an diesem Dienstag mit dabei waren, wie sie Nawrocki erlebt haben. Das neue polnische Staatsoberhaupt sei „tough und professionell“ gewesen, erzählt einer. „Hart und herzlich“ sei der Umgang gewesen, heißt es von anderer Stelle. Und das, obwohl der Pole ebenso wie seine deutschen Gastgeber von ihren Positionen keinen Deut abgewichen sind. Nawrocki wiederholte die Forderung nach 1,3 Billionen Euro; Steinmeier wie Merz hielten daran fest, dass dieses Kapitel juristisch seit 1953 geklärt sei. Ziemlich unversöhnlich klingt das.  

Genau deshalb will Berlin alles tun, um die gegenteilige Botschaft nach Warschau zu schicken. Aus dem Schloss Bellevue heißt es nach dem Treffen, man sei sich in den meisten Fragen einig gewesen; nur in wenigen Fällen vertrete man unterschiedliche Auffassungen. Niemand habe ein Interesse daran gehabt, alles vom Thema Reparationen überlagern zu lassen. Aus dem Kanzleramt ist ganz Ähnliches zu hören. Auch hier sei das Gespräch alles andere als konfrontativ verlaufen. Im Übrigen habe sich der Gast sehr für die schnelle gemeinsame Reaktion auf den jüngsten Drohnen-Vorfall bedankt. Merz seinerseits habe Nawrocki und Polen der deutschen Solidarität versichert. Steinmeier und Merz wissen, wie sehr Polen in der EU, in der Nato und zur Abwehr russischer Aggressionen gebraucht wird.  

Knut Abraham, Polen-Beauftragter der Bundesregierung, beschreibt, was das Berlin abverlangt. Zumal in einer Situation, die man als polnische Kohabitation beschreiben könnte – mit einem Europa-freundlichen Premier Donald Tusk und einem Europa-kritischen und Trump-freundlichen Nawrocki. In dieser Konstellation wäre es laut Abraham sehr unklug, würde Berlin – ob absichtlich oder nicht – auch nur den Eindruck erwecken, dass es sich in die Innenpolitik Polens einmische. „An der Stelle müssen wir extrem sensibel sein. Schon ein halber missglückter Satz kann enorme Verwerfungen auslösen“, sagte Abraham Table.Briefings.  

Zugleich dürfe das klare juristische Nein zu Reparationen nicht die einzige Antwort auf die Gefühle in Polen sein. Berlin müsse immer wieder daran erinnern (und unter Beweis stellen), was Deutschland zu tun bereit sei, um im Hier und Heute seine Empathie zu zeigen. Dazu gehöre nicht nur der im Zentrum Berlins geplante Ort des Gedenkens an die polnischen Opfer im Zweiten Weltkrieg. Genauso wichtig sei es, deutlich zu machen, „dass die Sicherheit Polens auch unsere Sicherheit ist“ und „Investitionen in die Sicherheit Polens deshalb Investitionen in unser beider Zukunft sind“. Investitionen, zu denen Deutschland bereit sei.  

Eines will der Christdemokrat unbedingt verhindern: dass ein deutsch-polnischer Zwist Wladimir Putin in die Hände spielt. „Wir könnten Putin keinen größeren Gefallen tun“, so Abraham. Ausgerechnet jetzt eine Schwächung des deutsch-polnischen Verhältnisses zu riskieren – das dürfe nicht passieren. Denn „das wäre ein großes Glück für Putin“. Dass der Austausch zwischen Berlin und Warschau alsbald fortgesetzt wird, wurde am Dienstag sichergestellt, und zwar von beiden Seiten. Nawrocki lud Steinmeier nach Warschau ein – der nahm die Einladung sofort an. Was Kai-Olaf Lang, Osteuropa-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, der Bundesregierung mit Blick auf Polen empfiehlt, lesen Sie im Security.Table.        

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Letzte Aktualisierung: 16. September 2025

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