Berlin.Table Talk of the town

Grüne vor dem Wahljahr: Anschluss finden – auch an die einfachen Leute

30. November 2025
Brantner und Banaszak mit dem Gast aus Israel: Ehud Olmert (picture alliance/dpa | Michael Matthey)

Acht Monate nach der Bundestagswahl und kurz vor Beginn eines Jahres mit fünf Landtagswahlen sind die Grünen um Image-Korrektur bemüht. Die Botschaft des Bundesparteitages von Hannover, die die Parteivorsitzenden Franziska Brantner und Felix Banaszak unermüdlich verbreiten, heißt: Wir haben verstanden, wir sind keine Partei der Bevormundung und kein Verein, der die soziale Wirklichkeit der Menschen nicht kennt. Cem Özdemir, dem Spitzenkandidat in Baden-Württemberg, müsste das eigentlich gefallen. Trotzdem hält er an seinem Bild von einer realitätsfremden Partei fest. Die Grünen, so Özdemir, machten es sich „unnötig schwer“, weil sie „nicht die Debatten führen, die die Menschen da draußen führen.“

Brantner und Banaszak wollen sich davon aber nicht beirren lassen. „Ich glaube an unser Land, an die Menschen, die darin leben“, betont Brantner. Und Banaszak singt gar eine Hymne auf sein erstes kleines Auto („Taxi Banaszak“) und die damit verbundene Freiheit. Es sei falsch, dem Kleinverdiener, der einmal im Jahr „nach Malle“ reise oder der „Nachbarin, die ihre Familie in der Türkei besuchen will“, die klimaschädliche Wirkung von Flugreisen vorzuwerfen. Diese Menschen hätten recht, wenn sie sagten: „Ich soll mich schämen? Ich glaube, es hackt!“ Respekt drücke sich nicht nur in Gendersprache aus, sondern auch in der Anerkennung eines Stolzes, der sich für viele Menschen mit dem Besitz eines Autos verbinden könne – als Zeichen „ihrer Hände Werk, ihrer Identität“.

Brantner möchte, dass in ihrer Partei „ein Klima herrscht, in dem wir die Dinge so sagen, wie sie sind“. Von der Basis gibt es für das Plädoyer, die Realität anzuerkennen, aber auch Kritik. Der Vorwurf: Der Bundesvorstand habe Angst vor kontroversen Debatten – Themen würden vermieden, Entscheidungen durch Formelkompromisse verwässert, heikles in die späten Abendstunden verschoben. Zugleich spielen aktuell zentrale Themen wie die Rente oder die Wirtschaftslage in Hannover kaum eine Rolle. Brantners Vorgängerin Ricarda Lang hält einen flammenden Appell für mehr Mut zur offenen Debatte. Das wird vielfach als kritischer Hinweis an die Parteiführung verstanden.

Lange Debatten hat es trotzdem gegeben: Zum Beispiel zur Nahost-Frage. Eine Abstimmung über den Begriff des Genozids als Beschreibung der israelischen Kriegsführung in Gaza wird am Ende vermieden. Ebenso eine Entscheidung über die Forderung nach einer sofortigen Anerkennung Palästinas. Diese sei „ein prioritärer Schritt“, heißt es im finalen Beschluss. Prioritär – das heißt: das Ziel steht ganz weit oben auf der Tagesordnung, aber nicht sofort und nicht bedingungslos. Ähnliches gelingt beim Thema Wehrdienst: Eine Grundsatzentscheidung wird vertagt, eine „gemeinsame Debatte“ von Partei, Fraktion und Grüner Jugend soll „organisiert“ werden. Der obligatorischen Musterung stimmt der Parteitag gegen den Widerstand der Grünen Jugend zu. Das schwarz-rote Gesetz will die Fraktion dennoch ablehnen.

Die Grünen haben ihren Parteitag hinter sich gebracht wie die Tour de France ihre „Transfer-Etappen“. Schwere Bergwertungen liegen hinter dem Peloton, herausfordernde Alpenpässe vor den Fahrern. Dazwischen gilt es, nicht auf die Nase zu fallen und nicht abreißen zu lassen. Die Banaszak-Doktrin von Hannover lautet: Grundsatzkonflikte und Flügelstreitigkeiten vermeiden. Raum lassen für verschiedene Positionen – und sei es der Raum, den Cem Özdemir für nötig hält, um sich von der Bundespartei abzugrenzen.

Özdemirs Rede klingt wie das Grußwort des Vorsitzenden der Schwesterpartei. Nach seiner Überzeugung sind gute Ergebnisse im Südwesten oder nur durch eine solche Abgrenzung zu erreichen. Die baden-württembergischen Grünen seien immer anders gewesen, hätten sich zum Teil gefühlt wie „Asterix und Obelix im gallischen Dorf“, so Özdemir, der seine politische Laufbahn selbst vor allem auf Bundesebene – also unter Römern – zustande gebracht hat. Seine Parteifreunde im Bund seien bei seinen Veranstaltungen oft so etwas wie ein „bundesgrüner Elefant“ im Raum. Ihm werde immer wieder gesagt, „es ist ja ganz in Ordnung, was Sie da so erzählen, aber die Partei! Warum sagt’s die Partei nicht so?“

Für den Wahlkämpfer ist klar: Die Grünen müssten sich an die Seite derer stellen, die sich gerade Sorgen um ihre Arbeitsplätze machen. „Wir müssen den Wettbewerb um das Auto der Zukunft gewinnen. Wir können Auto. Diese Partei kann Auto.“ Das hören viele nicht gerne – wohl auch deshalb hat er eine Verschiebung des Verbrenner-Aus gleich gar nicht thematisiert. Am Ende gibt es trotzdem Standing Ovations für den Kandidaten. So hatten es die Realos bei ihrem Treffen am Freitagabend auch verabredet.

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Letzte Aktualisierung: 30. November 2025