Talk of the town
Erscheinungsdatum: 12. Oktober 2025

Gewalt gegen Politiker: Was einen Betroffenen besonders ärgert – und was ihn heute stark macht

Matthias Ecke Berlin Juni 2024
Matthias Ecke bei einer Demonstration gegen rechte Gewalt (picture alliance / IPON | Stefan Boness)

Gewalt gegen Politiker nimmt weiter zu. Matthias Ecke, der 2024 brutal attackiert wurde, erklärt im Gespräch mit Table.Briefings, wie der Angriff sein Leben und seinen Blick auf die Demokratie verändert hat.

Politikerinnen und Politiker erleben immer häufiger Gewalt. Das Innenministerium verzeichnete 2024 einen Anstieg von rund 20 Prozent (4.923 erfasste Fälle) im Vergleich zu 2023. Die meisten Delikte richteten sich gegen Grüne, gefolgt von AfD und SPD. Die Fallzahlen des BMI für 2025 liegen zwar erst im Frühjahr 2026 vor, eines ist aber schon jetzt klar: Auch im Vorfeld der diesjährigen Wahlen kam es zu Übergriffen. In München attackierte ein Unbekannter vor der Bundestagswahl Grüne und zerstörte ihren Wahlkampfstand. In Leipzig bewarf ein Fahrradfahrer den CDU-Kandidaten beim Plakatieren, traf ihn am Kopf. In Berlin schleuderte ein Vermummter einen Pflasterstein auf einen AfD-Wahlkampfhelfer.  

Den Dresdner SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke traf es vor der Europawahl besonders heftig. Er sprach mit Table.Briefing exklusiv über seine Erlebnisse. Drei Jugendliche brachen ihm im Mai 2024 Jochbein und Augenhöhle. Auf den Prozess wartet er bis heute, erst vor wenigen Tagen wurden erneut Justizpannen bekannt. „Der Überfall auf mich hat eine große Welle der Anteilnahme ausgelöst – und eine Debatte über Gewalt in der Demokratie. Umso enttäuschender ist es, dass es bis heute nicht zu einem Prozess gegen die damals jugendlichen Tatverdächtigen gekommen ist“, sagt er. „Diese lange Verzögerung wundert und befremdet mich.“  

Der Fokus des Politikers hat sich durch den Angriff verändert. „Die Wunden sind gut verheilt, das belastet mich heute kaum noch. Allerdings hat der Überfall die Aufmerksamkeit von meiner eigentlichen Arbeit in der Industrie- und Wirtschaftspolitik auf grundsätzliche Fragen nach der Zukunft unserer Demokratie gelenkt.“ Ecke ist in der sächsischen Kleinstadt Meerane aufgewachsen. Rechte Drohungen und Gewalt hätten schon vorher zu seinem Alltag gehört; heute sorge ihn ungleich stärker, dass die Gewalt von einem Engagement in der Politik abschrecken könnte.  

Ecke rät anderen, sich Verbündete und Rückzugsräume zu suchen. „Was mir geholfen hat, resilient zu sein, war der große Zuspruch und die Unterstützung, die ich in den Wochen nach dem Angriff erfahren habe“, sagt er. „Es tut gut zu wissen, dass man in Situationen wie diesen nicht allein ist.“ Schnelle Verfahren seien relevant, gesellschaftlicher Widerstand noch mehr. „Wer sich selbst nicht einbringen will oder kann, soll wenigstens jene unterstützen, die es tun – und sich bei Angriffen schützend vor sie stellen, im übertragenen wie im wörtlichen Sinn“, so Ecke. „Wir dürfen uns von Feinden der Demokratie nicht einschüchtern lassen.“  

Auch NRW hat dieses Jahr vor den dortigen Wahlen erneut einen heftigen Gewaltanstieg verzeichnet. Eine Auswertung des Innenministeriums ergab 2.128 statistisch erfasste Straftaten gegen eine Partei im unmittelbaren Zusammenhang mit einer Wahl, worunter 17 Gewaltdelikte waren. Während es Ende 2024 teils gar keine erfassten Delikte gab und auch im Dezember nur acht, schoss die Zahl im Vorfeld der Bundestagswahl auf 630 im Januar und 722 im Februar. Die meisten Delikte (1.232) konnten politisch nicht zugeordnet werden, 662 identifizierten die Behörden als links und 318 als rechts. Fünf sollen ausländischer Ideologie entsprungen und eines religiös motiviert sein. 

Sachsen pocht weiter auf Verschärfung. Ende September brachte der Freistaat erneut einen Gesetzentwurf im Bundesrat ein, der Amts- und Mandatsträgerinnen besser vor politischem Stalking schützen soll. Zusammen mit NRW und Schleswig-Holstein hatte Sachsen 2024 bereits dafür gekämpft. Eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen mit 1.500 befragten Politikerinnen und Politikern von der kommunalen bis zur Bundesebene ergab kürzlich, dass mehr als 60 Prozent Gewalt erlebt haben. „Es steht viel auf dem Spiel“, sagt der Dresdner MdEP Ecke. Ohne politisches Engagement „geht das Licht aus.“ 

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Letzte Aktualisierung: 12. Oktober 2025

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