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Die Grünen in der Opposition: Warum sich die Partei immer noch in einer Zwischenphase befindet

Noch immer ringen die Grünen um ihre Identität in der Opposition. Die Parteiführung steht unter Druck, während interne Richtungsdebatten und anstehende Landtagswahlen die Zukunft der Partei bestimmen.

24. November 2025
Felix Banaszak und Franziska Brantner
Felix Banaszak und Franziska Brantner (picture alliance / Chris Emil Janßen | Chris Emil Janssen)

Ein Jahr nach dem Ende der Ampel, neun Monate nach der verlorenen Bundestagswahl befinden sich die Grünen noch immer in einer schlecht gelaunten Zwischenphase. Kritisch-konstruktiv wollten die Grünen in der Opposition sein. Aber sie sind mit sich selbst beschäftigt. „Wir harren aus“, „wir sind noch auf der Suche“, „wir blockieren uns gegenseitig“ – Stimmen aus Partei und Fraktion, die man vor dem Bundesparteitag Ende dieser Woche in Hannover hören kann.

Dabei drängt die Zeit: Im März wird in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gewählt. In Stuttgart will Cem Özdemir den einzigen grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann beerben, in Mainz will die Partei nach Möglichkeit in der Regierung bleiben. Geht beides schief, prognostizieren führende Grüne für den weiteren Jahresverlauf 2026 große Unruhe, Richtungsstreit und Personaldebatten.

Schon jetzt richtet sich die Unzufriedenheit auf die Parteiführung. Im Fokus steht vor allem auf Franziska Brantner, in weniger ausgeprägter Form aber auch auf Felix Banaszak. Der Druck, der auf Brantner lastet, ist groß – ebenso wie der Druck, den sie sich selbst macht. Der Parteivorsitz ist nicht das ideale Amt für sie: Sie ist keine große Rednerin, als ehemalige Realo-Koordinatorin sind ihre Möglichkeiten zur Vermittlung zwischen den Flügeln eher gering. Sie ist beeindruckend faktensicher, enorm ehrgeizig, aber kaum jemand kann sich an eine konkrete politische Initiative oder Forderung, an einen Redebeitrag oder eine Interviewäußerung erinnern.

Brantner versucht, keiner Seite weh zu tun. Das hat auch mit der Wahl in Baden-Württemberg zu tun, aus der sich für Brantner ein Loyalitätskonflikt ergibt. Özdemir führt einen Wahlkampf in Abgrenzung zu den Grünen im Bund. Beispiel: Er ist offen für eine Verschiebung des Verbrenner-Aus. Dann sei Özdemir auch schuld, wenn es schiefgehe, so ist von Grünen in Berlin zu hören – das Blame Game hat angesichts der schlechten Umfragen schon begonnen. Brantner steht zwischen den innerparteilichen Fronten: Sie ist zuständig für die ganze Partei, kann nicht so tun, als habe sie mit Baden-Württemberg nichts zu tun: Bei der Bundestagswahl war sie Spitzenkandidatin auf der Landesliste. Beim Verbrenner-Aus kann man keine klare Aussage mehr von ihr bekommen.

Banaszak war angetreten, mehr Nähe zur Parteibasis herzustellen. Aber seine zahlreichen Reisen und Townhalls brachten die Partei nicht aus ihrer Nach-Wahl-, Nach-Robert-Lethargie. Viele der Mitglieder, die erst im vergangenen Jahr – auch wegen Robert Habeck – eingetreten sind, haben ihre Motivation wieder verloren. Dass sich von über 150.000 Mitgliedern gerade mal 5.000 am Online-Ranking der sogenannten V-Anträge für den Parteitag in Hannover beteiligten, wird als Zeichen dafür interpretiert, dass es dem Parteivorstand nicht gelungen ist, die Partei wiederzubeleben. Es wird als Führungsschwäche angesehen, dass es das kontroverse Thema Wehr- oder Dienstpflicht nicht auf die Tagesordnung geschafft hat und stattdessen über Kassenleistungen für Homöopathie gestritten wird.

Mehr Mut!“, lautet eine Empfehlung, die man überall in der Partei zu hören bekommt. Aber wozu? In der Partei stellt sich – wieder einmal – die Richtungsfrage: Sind die Grünen eine Partei der Mitte, deren Vorsitzende Brantner für einen sozial-liberalen Kurs steht? Oder ist die Zukunft links, wie es die Partei Die Linke mit ihren erfolgreichen Kampagnen für Antifaschismus und Gaza-Solidarität vormacht – auch wenn sie es mit den Details manchmal nicht so genau nimmt?

Klimapolitik ist angesichts von Wirtschaftskrise, Kriegsangst und zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung in den Hintergrund gerutscht. Ist es richtig, jetzt mit der Banaszak-Kampagne „Klima! Who cares? We care“ darauf zu reagieren, weil Klimaschutz das Kernthema der Partei ist? Oder führt dieser Weg zurück ins Jahr 1990, als die Grünen im Wahlkampf zum ersten gesamtdeutschen Bundestag „Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter“ plakatierten – und im Westen an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten?

Die Einschätzungen, wie die gegenwärtige Stimmung den Hannoveraner Parteitag prägen wird, gehen auseinander. Es wird langweilig, sagen manche. Andere erwarten oder befürchten, dass die Konflikte an unerwarteter Stelle zu Tage treten. Der Vorstand steht – mit Ausnahme einer neuen Schatzmeisterin – nicht zur Wahl.

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Letzte Aktualisierung: 24. November 2025