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Die AfD und der Verfassungsschutz: Gefährliche Ruhe im Kampf um die Deutungshoheit

Die AfD führt einen aggressiven Kampf gegen den Verfassungsschutz, während die Behörde auf Bundesebene zur Ruhe gezwungen ist. Die Landesämter durchleuchten die AfD teils mit ganz anderer Sicherheit, während beide Seiten auf ein langwieriges Gerichtsverfahren warten.

21. Dezember 2025
Verfassungsschutz-Präsident Sinan Selen und AfD-Chefin Alice Weidel (picture alliance / Sebastian Rau/photothek.de | Flashpic/Jens Krick)

Kein Beobachtungsfall hat den Verfassungsschutz 2025 mehr umgetrieben als die AfD, und die Rechtsaußen-Partei arbeitete sich an kaum einem Akteur so heftig ab wie am Verfassungsschutz. Die Beleidigungen von Alice Weidel gegen Thüringens Landesamtschef Stephan Kramer drifteten in die Beurteilung seines Äußeren und seines Bartes ab, die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes verunglimpfte sie kürzlich als „schmierige Stasi-Spitzel“. Aggressiver klangen die Beleidigungen der Parteispitze gegen Deutschlands Inlandsgeheimdienst nie.

Aussagen des Verfassungsschutzes dagegen versiegten. Im Mai 2025 hatte er sie nach jahrelanger Beobachtung als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. Ein MdB verließ Partei und Fraktion, kurz schreckten alle hoch, doch eine Klage der AfD brachte den Verfassungsschutz rasch zu einer Stillhaltezusage. Dieses juristische Mittel kommt der Gefahr einer einstweiligen Anordnung zuvor. Der Verfassungsschutz darf die AfD bis zur gerichtlichen Entscheidung über die Klage weiter wie einen Verdachtsfall behandeln und mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten. Die AfD feierte sich trotzdem als Sieger.

Der Verfassungsschutz ist in einer heiklen Lage, aber mit Potenzialen. Seit sich die Stillhaltezusage als Status quo manifestiert hat, ist die Behörde auf Bundesebene zur AfD verstummt. Manche lesen daraus Unsicherheit; gerade während die AfD so laut poltert. Die Behörde gewinnt möglicherweise dank dieser Zusage gerade Erkenntnisse, die in einem Verbotsverfahren relevant sein könnten. Fakt ist: Wenig beschäftigt Verfassungsschutzämter derzeit so intensiv wie der erstarkende Rechtsextremismus in Kombination mit ausländischer Manipulation und Einflussnahme, gerade aus Russland – beide Gefahrenlagen sind in Berührung mit der AfD. Die Auseinandersetzung des Inlandsgeheimdiensts mit der Partei dürfte sich eher noch intensiviert haben.

Die Landesämter unterliegen dem Stillhaltegebot nur bedingt. Teilweise sind die Verfassungsschützer wegen eigener Verfahren gegen die AfD dort zwar mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert, etwa in Hessen; gerade die vier Ämter mit Einstufungen der AfD als „gesichert rechtsextrem“ können die Partei gleichwohl ohne angezogene Handbremsen durchleuchten: Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Thüringen.

Material hat die AfD 2025 viel geboten. Der Einzug von 92 bisher nicht im Bundestag vertretenen MdB bei einer Fast-Verdopplung der Fraktion, die Intensivierung der Kontakte zu den US-Republikanern, die Auflösung der Jungen Alternative und die Neugründung der Generation Deutschland haben die Partei geprägt und viel Bewegung reingebracht. Weitere Korruptionsvorwürfe wurden laut, der frühere Mitarbeiter von Maximilian Krah wurde als Spion verurteilt. Weidel erhielt prominente Unterstützung, etwa durch Elon Musk oder Viktor Orbán, verschärfte ihren Ton sukzessive weiter. Mehrere Verbände, allen voran NRW und Bayern, stritten sich heftiger denn je.

Der Druck nach Antworten auf den Verfassungsschutz ist hoch. Alle Parteien debattieren heftig über ein mögliches Verbotsverfahren. Viele in der Zivilgesellschaft und einige Fraktionen fordern es; in Verfassungsschutzämtern machen sich nur manche Hoffnungen, andere halten das Ansinnen für kaum realistisch. Außerdem, so heißt es, müsse man die V-Leute aus der AfD abziehen, wenn man ein Verfahren anstößt, um dieses nicht zu gefährden. Dann sei man blind und taub. Das könne man sich, wenn überhaupt, nur leisten, wenn man eine hohe Gewissheit habe, dass das Verfahren schnell und erfolgreich sein würde. Die AfD agiert aus Sicht der Behörden immer professioneller, ohne Radikalität einzubüßen. Die Einbindung der neuen Jugendorganisation könne der Partei am Ende sogar schaden, meint mancher, sei sie doch nicht weniger radikal als ihre Vorgängerin, aber nun untrennbar mit der AfD verbunden.

Alle warten nun auf den Ausgang der AfD-Klage gegen den Verfassungsschutz. Das Verwaltungsgericht Köln wird erstinstanzlich über die Hochstufung als „gesichert rechtsextrem“ entscheiden. Damit ist frühestens Ende 2026 zu rechnen, eher ab 2027. Der Erfahrung nach dürfte es danach in die nächste Instanz gehen, das OVG Münster. Ein Urteil dürfte da frühestens im Superwahljahr 2029 fallen. Es könnte sogar noch vor die dritte Instanz gehen, das BVG Leipzig. So oder so wird es Jahre dauern, bis BfV und AfD Gewissheit über die Rechtsmäßigkeit der Einschätzung haben. Die Beobachter bleiben also unter Beobachtung. Und bis die Gerichte sprechen, bleibt ihr Verhältnis ein Machtkampf im Halbdunkel, eine tickende Akte; mit offenem Ausgang für die Demokratie.

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Letzte Aktualisierung: 22. Dezember 2025