Talk of the town
Erscheinungsdatum: 10. August 2025

Der Kanzler und seine Entscheidungen: Warum Friedrich Merz nicht nur wegen Israel kämpfen muss

Immerhin, eine Art Sprachregelung wurde gefunden. Der Kanzler, so heißt es, habe eine Kanzlerentscheidung getroffen. Eine, die er zwar nicht alleine beschlossen habe, aber am Ende alleine verantworten müsse, weil er solche Beschlüsse ja nicht „zur demokratischen Abstimmung stellen“ könne. So sagt es Friedrich Merz am Sonntagabend in der ARD. Damit verteidigt er am Ende eines für die Union stürmischen Wochenendes seine Entscheidung, Israel vorläufig keine Waffen und Waffen-Bauteile mehr zu liefern, sofern diese im Gaza-Krieg zum Einsatz kommen könnten. Und er fügt hinzu, dass das an der grundsätzlichen Unterstützung für die Sicherheit Israels nichts ändern werde.  

Merz hofft, die Unruhe in der Union damit beenden zu können. Wahrscheinlich ist das nicht. In den eigenen Reihen ist das Entsetzen über den Beschluss groß. Viele sehen darin nach wie vor nicht nur einen kleinen Akt der Bestrafung, sondern einen fundamentalen Kurswechsel. Seit Freitagabend wird in internen Gesprächen immer wieder auf frühere Aussagen des Kanzlerkandidaten Merz verwiesen. So etwa auf die außenpolitische Grundsatzrede im Januar an der Körber-Stiftung. Damals hatte Merz unter anderem gesagt: „Der Begriff Staatsräson wird sich wieder an Taten und nicht nur an Worten messen.” Für alle war das ein klares Versprechen, dass er an dieser Stelle niemals wackeln werde.  

Eng damit verbunden ist der Ärger bei wichtigen Vertretern in Partei, Fraktion und Kabinett. Sie fühlen sich angesichts der Wichtigkeit der Entscheidung zu wenig eingebunden, teilweise sogar übergangen. Merz hatte in der vergangenen Woche zwar immer wieder mit seinem engeren Umfeld, darunter Innenminister Alexander Dobrindt, Kanzleramtschef Thorsten Frei und Außenminister Johann Wadephul, beraten. Allerdings soll dabei nach Informationen von Table.Briefings keine Entscheidung gefallen sein. Es hätten mehrere Optionen auf dem Tisch gelegen, wie Sanktionen gegen rechtsextreme Minister im Kabinett Netanjahu (was Frei favorisiert haben soll). Und eben auch das Eingrenzen von Waffenlieferungen. Deshalb wusste eine Reihe von Unions-Vertretern von den Überlegungen ihres Kanzlers. Die endgültige Entscheidung für den Waffenstopp sei aber überraschend gekommen, heißt es aus Regierungskreisen. Zumal Manche Merz intensiv davon abgeraten haben sollen. Ein Regierungsmitglied nennt den Beschluss denn auch „impulsiv und falsch”.

Der CSU-Außenpolitiker Stephan Mayer - einer der wenigen, die sich öffentlich äußerten – sagte im Podcast Table.Today: „Emotional kann man die Entscheidung verstehen, sachlich spricht viel dagegen.” Auch hätte der Kanzler im Vorfeld in der Union “Konsens” für eine so wegweisende Entscheidung finden müssen, so der CSU-Abgeordnete.  

Für Merz besonders heikel ist, dass viele intern erklären, sie hätten mit dieser Entscheidung nichts zu tun. Das ist eine Form der Distanzierung, die ein Kanzler auf Dauer gar nicht gebrauchen kann. Selbst CSU-Chef Markus Söder und Fraktionschef Jens Spahn lassen verlauten, dass sie von nichts wussten. Nur Vizekanzler Lars Klingbeil sei kurz zuvor eingebunden worden. Nun gehören Söder und Spahn nicht zur Regierung. Fürs politische Überleben des Kanzlers sind sie trotzdem mitentscheidend. Das am Freitag für Sonntag anberaumte Treffen der AG Außen verlief offenbar ruhiger als erwartet. Weniger offener Streit, mehr Einordnung durch Merz' außenpolitischen Berater Günter Sautter. Ärger gab es aber, weil Bild zu Beginn nahezu live aus der digitalen Runde berichtete. Das verärgerte vor allem CDU-Mitglieder in der Runde.  

In der Bevölkerung weiß der Kanzler eine Mehrheit hinter sich. Laut einer Umfrage von Infratest dimap vor wenigen Wochen wünschen sich 43 Prozent, dass die Waffenexporte nach Israel begrenzt werden, 30 Prozent wollen sogar einen vollständigen Stopp. Und es spricht wenig dafür, dass sich die Zahlen seither groß geändert haben. Merz soll sich der Zahlen sehr bewusst gewesen sein, heißt es aus seinem Umfeld. Hinzu kommt, dass Experten wie der Politikwissenschaftler Carlo Masala betonen, es handele sich hier um einen symbolischen Schritt. Für die Militärs im Gaza-Streifen werde er kaum spürbar sein. Aber: Masala sagt auch, dass es sich politisch um einen fundamentalen Einschnitt in die bisherige Israel-Politik der Bundesregierung handele. Und genau so empfinden es an diesem Wochenende auch erhebliche Teile der Union. Die JU schreibt auf den Sozialen Medien: „Staatsräson abgehakt? Ein Bruch mit Grundsätzen der Unionspolitik”. 

Die Folge: Zweifel an Merz wachsen – und die Sorge vor einem irreparablen Vertrauensverlust der Union. Nicht zum ersten Mal haben kritische Geister bis hoch ins Präsidium der CDU das Gefühl, dass der Kanzler Merz den Wahlkämpfer Merz aus seinem Gedächtnis gestrichen hat.  

Merz hat nicht nur hier eine Kehrtwende hingelegt, gefühlt ohne jede Vorbereitung. So erinnert in diesen Tagen mancher aus der Union an das Sondervermögen, mit dem Merz seine Partei kurz nach der Bundestagswahl schon einmal unerwartet überfallen hat. Auf das Vertrauen, genauer gesagt das schwindende Vertrauen in Merz verweisen deshalb an diesem Wochenende viele. Der Grund: die jüngste Infratest-Umfrage. Sie zeigt, wie heikel das Thema für Merz schon nach 100 Tagen im Amt geworden ist. Siehe folgende Grafik:

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Letzte Aktualisierung: 10. August 2025

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