Talk of the town
Erscheinungsdatum: 27. Oktober 2025

Der Kanzler und die Türkei: Was Friedrich Merz in Ankara erwartet – und was er gerne mitbringen würde

Friedrich Merz und Recep Tayyip Erdoğan beim Gaza-Gipfel im ägyptischen Scharm el Scheich Mitte Oktober (picture alliance/dpa/dpa Pool | Michael Kappeler)

Friedrich Merz muss in Ankara einen Balanceakt meistern: Erdoğan als unverzichtbaren Partner einbinden, ohne Werte und Prinzipien aufzugeben. Die Türkei könnte einen entscheidenden Beitrag für Frieden und Stabilität im Gazastreifen leisten – doch dafür wird Erdoğan Gegenleistungen verlangen.

Wenn der Kanzler am Mittwoch in die Türkei fliegt, steht eine hochkomplexe Aufgabe vor ihm. Friedrich Merz trifft auf einen türkischen Präsidenten, der als Partner in der Region und in der Nato eigentlich dringend gebraucht wird – und der als Machtpolitiker gerade erst wieder gezeigt hat, dass bei ihm das eigene politische Überleben über jeder Verteidigung rechtsstaatlicher und demokratischer Prinzipien steht. Der Kanzler muss im Umgang mit Recep Tayyip Erdoğan also eine Balance finden, in der er den Kampf um die Werte, die EU und Nato verteidigen, nicht aufgibt. Gleichzeitig muss und wird er aber um Erdoğan als Mitstreiter werben, um ihn in zentralen Fragen nicht an Russland und China zu verlieren.

Thema Nummer eins wird die Friedenssicherung im Gazastreifen sein. Und zwar aus zwei Gründen. Die Türkei wäre bereit, Truppen zu entsenden, um mit arabischen Staaten wie Katar und den VAE für Sicherheit und Stabilität zu sorgen. Voraussetzung dafür wäre für die Genannten aber ein Mandat der Uno. Genau das lehnt Israels Regierung bislang ab. Helfen könnte nun, wenn die Türkei endgültig ihre schützende Hand über der Hamas wegzieht und sie klipp und klar zur Entwaffnung auffordert. Erdoğan hat die Mittel dazu; bis heute laufen die finanziellen Lebensadern der Hamas auch durch die Türkei. Im Gegenzug könnte Merz der Türkei Unterstützung zusagen für ihr Interesse, mit der eigenen Bauindustrie am Aufbau des Gaza-Streifens beteiligt zu werden.

Bislang sieht es danach aber nicht aus. Im Gegenteil. „Die türkische Regierung plädiert dafür, die Hamas, die von der Türkei nicht als Terrororganisation eingestuft wird, anzuerkennen – ähnlich wie man es mit der HTS in Syrien getan hat – und sie pragmatisch einzubinden “, sagt Ellinor Zeino, Leiterin des Türkei-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung. Eine Chance sieht sie allerdings in der Tatsache, dass Berlin und Ankara für ein Ende des Nahost-Konflikts das gleiche Ziel verfolgen: Beide wollen, dass eine Zwei-Staaten-Lösung herauskommt. In diesem Grundsatz seien sich Deutschland und die Türkei einig, sagt Zeino. Dass Merz schon Konkretes zu Gaza mit nach Hause nimmt, hält sie trotzdem für unwahrscheinlich.

Ankaras Hauptziel ist das gleiche wie seit Jahrzehnten: Es will als gleichwertiger Partner akzeptiert werden. Als möglicher Schritt dorthin gilt die von Erdoğan geforderte Lieferung von Kampfjets. Deutschland hatte sich als einziges Land im Eurofighter-Konsortium lange geweigert; Olaf Scholz vollzog 2024 aber eine Kehrtwende und sagte eine Lieferung zu. Doch seither ist nichts passiert. Und schuld daran könnte auch die Inhaftierung des Oppositionsführers Ekrem İmamoğlu sein. Sie hat in Deutschland viele entsetzt. Trotzdem könnte Bewegung in die Sache kommen. Am Montag war der britische Premier Keir Starmer in Ankara, am Dienstag folgt der Emir von Katar. Ihre Idee: Die Türkei soll zwölf gebrauchte Eurofighter aus Katar erhalten, später 28 neue. Eine Unterschrift von Merz könnte das besiegeln.

Die türkische Zivilbevölkerung hofft auf eine Visa-Liberalisierung. Aufgrund der enormen Nachfrage und nur wenig erleichterten Schengen-Bestimmungen ist es für türkische Staatsbürger mittlerweile sehr schwierig, ein Visum für Deutschland zu erhalten. Die Wartezeiten sind enorm. „Selbst hochrangige Geschäftsleute können nicht zu Business-Messen reisen“, berichtet Zeino. Das deutsche Generalkonsulat in Istanbul erhält bis zu 7.000 Visa-Anträge pro Tag. Teils werden sie in Lastwagen angeliefert. Allerdings könnte es sein, dass Erdoğan das Thema gar nicht anspricht. Laut Zeino könne seine Regierung derzeit ausgewählten Personen grüne Pässe für Reisen ausstellen, behalte so die Kontrolle über ihre Fachkräfte und könne mit dem Finger trotzdem auf Berlin zeigen.

Wie unterschiedlich der Blick auf die Reise ausfällt, zeigen Böll-Stiftung und türkisch-deutsche Handelskammer. Der Leiter der Stiftung in Istanbul, Dawid Bartelt, verweist auf die Wirtschaftskraft der EU; Merz müsse diese auch in Ankara einsetzen. Er kritisiert, dass es keine einheitliche Strategie für den Umgang mit der von einem „kompetitiven Autoritarismus“ immer weiter in einen reinen Autoritarismus abrutschenden Türkei gebe. Die Vorständin der Handelskammer, Ayse Mese, warnt Merz hingegen davor, mit dem „moralischen Zeigefinger“ aufzutreten. Die Opposition wünsche sich zwar mehr Unterstützung, aber die Türkei sei unter Erdoğan zu wichtig geworden, um sie zu brüskieren.

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Letzte Aktualisierung: 27. Oktober 2025

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