Talk of the town
Erscheinungsdatum: 02. Oktober 2025

Besuch in New York: Das neue Leben der Annalena Baerbock

Annalena Baerbock im Gespräch mit Table.Briefings-Redakteurin Sara Sievert

Als Präsidentin der UN-Vollversammlung muss Annalena Baerbock schweigen, wo sie früher klare Kante zeigte. Warum hat sie sich dennoch für diesen Job entschieden?

Annalena Baerbock war noch nicht fertig – auch wenn sie, als die Ampel auseinanderbrach, ziemlich erschöpft war. Dass sich die ehemalige Außenministerin dann für das Amt als Präsidentin der UN-Vollversammlung entscheiden würde, kam überraschend. Immerhin handelt es sich um einen Job, der jede Menge Zurückhaltung verlangt und sich aus vielen zeremoniellen Aufgaben zusammensetzt. Große Impulse setzen? Entschlossene Reden halten? Gar laute Kritik äußern? Alles, wofür Baerbock als Außenministerin bekannt wurde, fällt für Baerbock als Präsidentin der Vollversammlung weg. Sie organisiert und leitet die Sitzung der Generalversammlung. Sie achtet darauf, dass alle zu Wort kommen und dass bei Entscheidungen möglichst breite Mehrheiten organisiert werden. 

Dazu gehört auch diplomatisches Geschick. Vor allem aber verlangt es viel Lächeln, Schweigen und Hände schütteln. Die Grünen-Politikerin muss also einen wichtigen Teil von dem, was sie ausgemacht hat, hinter sich lassen: Konflikte nicht scheuen, die eigene Meinung sagen und im Zweifel anecken – das wird schwierig werden. Baerbock vertritt nicht mehr nur ihre eigene Meinung, die einer Partei oder eines einzelnen Landes, sie repräsentiert jetzt 193 Mitglieder der Vereinten Nationen. 

Und das ist noch nicht das Schwierigste. Sie muss vor allem alles aushalten. Wenn in ihrer neuen Rolle der US-Präsident auf offener Bühne über die Unfähigkeit der Vereinten Nationen herzieht und nebenbei noch Deutschland dafür lobt, seinen „kranken Weg“ verlassen zu haben (gemeint ist auch die Politik der Ampel), kann Baerbock nicht dagegenhalten. Die Aufgabe der Präsidentin ist dann, so sagt sie es selbst, „zu sitzen und zu schweigen“. 

Trotzdem ist der Job für sie der spannendste in diesen Zeiten. „Die Vereinten Nationen sind massiv unter Druck, finanziell und politisch“, sagt die Präsidentin im Gespräch mit Table.Briefings. Gleichzeitig sei die Rolle der UN so wichtig wie nie. Der Blick nach Gaza oder in die Ukraine zeige: „Die Welt ist in einer Krise.“ Und die Völkergemeinschaft UN habe in der Vergangenheit, etwa während der Corona-Pandemie, gezeigt, was sie erreichen könne, wenn sie sich zusammenraufe. Allein, genau dem sind die UN in den vergangenen Jahren nicht mehr gerecht geworden. Dass Donald Trump einen Friedensplan für Israel und Gaza an allen UN-Institutionen vorbei vorgelegt hat, zeigt die ganze Schwäche.  

Baerbock weiß darum – und will das ändern. „Eigentlich braucht es diesen Ort der Debatte, wo kontroverse Themen diskutiert werden – und die gibt es gerade.“ Allerdings müssten die UN daran arbeiten, dass am Ende aus diesen Debatten auch wieder etwas folgt. Eine Reform ist aus der Sicht Baerbocks zwingend. Nur weiß sie auch, dass ihr Einfluss begrenzt ist. Sie sagt selbst: „365 Tage sind kurz.“ Sie bezweifelt, dass es in diesem einen Jahr zu einer Reform des Sicherheitsrats kommen wird. Auch wenn sie das selbst begrüßen würde. Aber ihr Job sei es nicht, die große neue Idee zu haben. Sie sei dem Zusammenhalt der UN in schwierigen Zeiten verpflichtet. 

Was bleibt Baerbock also in ihrem neuen Amt? Sie will die UN sichtbarer machen. Aus der Überzeugung, dass die Vereinten Nationen viel relevanter sind als ihr Ruf. Das habe die UN-Woche gerade erst wieder gezeigt. „Wenn diese Organisation irrelevant wäre, dann wäre ja keiner gekommen.“ Bleibt die Frage nach dem „Wie“. Baerbock versucht es mit Social Media Posts, erntet dafür aber sofort auch wieder Kritik. Zu viel Selbstdarstellung, so der Vorwurf.

Wobei die internationalen Reaktionen positiver waren. Sie selbst sagt dazu: „Hier hat niemand die Aufregung verstanden. Denn rund um die High Level Week gab es 'zig ähnliche Posts und Videos, in denen Minister und auch Regierungschefs ganz selbstverständlich die Kulisse New Yorks nutzen.“ Social Media funktioniere nun mal über Bilder. „Aber ich kenne das ja schon, dass für manche bei uns in Deutschland einfach der Puls zu explodieren scheint, wenn eine jüngere Frau im politischen Amt Dinge nicht exakt so macht, wie sie meinen, dass eine Frau sich zu verhalten habe“, so Baerbock.

Es gibt noch eine zweite Idee, und für die will sie trommeln. In ihrer Amtszeit wird es auch um die Nachfolge des UN-Generalsekretärs gehen. António Guterres gibt am 1.1.2027 an einen Nachfolger ab. Und Baerbock findet, dass es dieses Mal eine Frau sein darf: „Wenn man für Menschenrechte steht und die Hälfte der Bevölkerung Frauen sind, dann fragt man sich schon, wie es sein kann, dass hier 80 Jahre lang bislang keine Frau Generalsekretärin war.“ War da nicht was? Feministische Außenpolitik? So ganz hat Baerbock ihr altes Ich dann doch nicht hinter sich gelassen. 

Wo Baerbock konkreten Reformbedarf sieht und welche Spielräume sie sich selbst zu schaffen versucht, hören Sie im Podcast-Gespräch am Samstag bei Table.Today

Table.Today mit Sara Sievert und Florian Fischer. "Was können Sie bei der UN erreichen, Frau Baerbock?" Interview mit Annalena Baerbock.

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Letzte Aktualisierung: 05. Oktober 2025

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