Talk of the town
Erscheinungsdatum: 15. Oktober 2025

Baustelle Wehrdienst: Wie alle Gutes wollten und doch einen Clash erzeugten – mit offenem Ausgang

Siemtje Möller, Boris Pistorius und Norbert Röttgen
Siemtje Möller, Boris Pistorius und Norbert Röttgen (picture alliance / dts-Agentur | dpa / Kay Nietfeld | HMB Media / Uwe Koch)

Die Rückkehr zur Wehrpflicht sorgt bereits vor der ersten Lesung für Spannungen in der Koalition. Unterschiedliche Auffassungen zwischen Abgeordneten und Ministerium führten zu einem überraschenden Stillstand. Am Donnerstag wird der Gesetzentwurf nun ins Parlament eingebracht – mit offenem Ausgang.

Wenigstens beim Ziel sind sich in der Koalition alle einig

Der Kanzler ist nicht begeistert und der Vizekanzler ist es erst recht nicht. Obwohl sich in der Regierung zuletzt alle gegenseitig mehr Vorsicht und Klugheit im Umgang miteinander versprochen haben, ist die Koalition im Ringen um den richtigen Weg bei der Rückkehr zur Wehrpflicht schon wieder an sich selbst gescheitert. Ein paar Abgeordnete wollten das Problem früh lösen; Boris Pistorius fand vieles gut, aber eine Sache heikel – und schon sieht es so aus, als habe sich die Koalition die nächste große Krise eingebrockt.

Noch hat sie das nicht, auch wenn sich alle Akteure sehr übereinander geärgert haben. Noch passiert jetzt, was ohnehin passiert wäre: Der vom Kabinett beschlossene Entwurf wird am Donnerstag in erster Lesung eingebracht – und im weiteren Verlauf verändert. So wie das mit den allermeisten Gesetzentwürfen geschieht. Das weiß seit Peter Strucks Diktum (dem Struck’schen Gesetz) eigentlich jeder. Der frühere SPD-Fraktionschef hatte diesen fast immer gleichen Prozessen einen Teil der Aufregung genommen mit seinem Satz: Kein Gesetz kommt aus dem Bundestag, wie es reingegangen ist. Ergo: Niemand solle sich darüber besonders aufregen. Wie also konnte es zu diesem Clash kommen?

Die Abgeordneten von SPD und Union hatten ein gutes Motiv. Sie wollten zeigen, dass sie bei einem wichtigen Thema gute Lösungen finden. Das ist am Mittwoch immer wieder zu hören. Sie wollten den Balanceakt zwischen Pflicht und Freiwilligkeit gestalten und dabei Verständnis für die Bedenken in der jeweils anderen Fraktion zeigen. Und sie verfolgten dabei das gemeinsame Ziel, den Personalstand der Bundeswehr in den nächsten Jahren so zu erhöhen, dass die Nato-Anforderungen bis 2034 erfüllt werden können. Man sei dabei im stetigen Austausch mit dem Ministerium gewesen, heißt es aus beiden Fraktionen.

Am Montag hatte der Minister nochmal um ein Gespräch gebeten. Auch Jan Stöß, sein Staatssekretär, war dabei. Dabei habe es vor allem wegen einer Sache Bedenken gegeben, die medial kaum thematisiert wurde: die Kategorisierung aller Wehrdienstleistenden als Soldaten auf Zeit (SaZ). Die Union hatte das hinterfragt, Pistorius wollte daran festhalten. Auch, weil damit Anreize verbunden sind, die den Dienst attraktiver machen. Außerdem wurde über seine Kritik an Losverfahren und Teilmusterung gesprochen, die von den Abgeordneten vorgeschlagen wurden. Allein: Als sich alle trennten, gingen die Abgeordneten mit dem Gefühl, Pistorius habe nicht dezidiert Nein gerufen. Und Pistorius nahm den Eindruck mit, dass man sich nahe sei, alle Details aber nach Einbringung seines Gesetzentwurfs im Parlament festgezurrt würden.

Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen führten zum Clash. Die Abgeordneten luden am Dienstag im guten Glauben zur Pressekonferenz, um ihre Lösung zu präsentieren – und das BMVg fiel aus allen Wolken. Dass die Fraktionen noch vor Beginn des parlamentarischen Verfahrens vor der Hauptstadtpresse nicht etwa einen Vorschlag, sondern eine vermeintlich geeinte Lösung präsentieren wollten, ärgerte den Minister. So kam es mit Pistorius’ Stopp zum Eklat in der SPD-Fraktion, gefolgt von der für alle Welt überraschenden Absage der Pressekonferenz.

Jetzt bemühen sich alle Beteiligten um leise Töne und eine Einbringung ohne Ärger. Die erste Lesung wird wie geplant am Donnerstag stattfinden, allerdings nicht mehr zur Kernzeit um 12:20 Uhr, sondern etwas versteckter ab 16:30. Und für die Debatte dazu sind nicht mehr 60 Minuten vorgesehen, sondern nur noch die Hälfte. Eine längere Debatte zum Thema wäre angemessen gewesen; ein ruhigerer Start ins parlamentarische Verfahren ist aus Sicht der Koalition plötzlich aber viel wichtiger geworden.

Die Wehrdienst-Debatte ist auch Thema im Podcast, den Sie ab 5 Uhr hier hören.

Table.Today mit Michael Bröcker und Helene Bubrowski. "Neuer Streit bei Schwarz-Rot"

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Letzte Aktualisierung: 15. Oktober 2025

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