Talk of the town
Erscheinungsdatum: 27. Juli 2025

Gaza und die Zweistaatenlösung: Wie Berlin um seine Linie ringt - und dabei ein Ziel verfolgt, das in Israel fast keiner mehr will.

Gaza in Trümmern (picture alliance / SIPA | Apaimages)

Am Montag wird Europa die Idee wieder hochhalten. Auf einer von Saudi-Arabien und Frankreich initiierten Konferenz in New York werden vor allem europäische und arabische Staaten für die Zweistaatenlösung werben. Auch Deutschland wird mit dabei sein. Außenminister Johann Wadephul und viele seiner Diplomaten gelten als starke Verteidiger dieser Zukunftsperspektive. Deutscher Vertreter vor Ort ist dann Staatsminister Florian Hahn, und er wird darüber berichten, wie Berlin im Windschatten des Gaza-Konflikts nicht aufgehört hat, moderate Kräfte unter den Palästinensern auf die Organisation eines eigenen Staates vorzubereiten. „Wir stehen in dieser Frage an der Seite der Palästinenser“, heißt es aus Regierungskreisen.   

Der Bundesregierung tut diese Entschlossenheit gut. Während sie ansonsten sehr mit sich ringt, wie sie auf das Geschehen in Gaza reagieren soll, kann sie wenigstens an einer Stelle darauf verweisen, dass sie viel tut, um den Palästinensern zu helfen. Das Problem daran ist nur: Auch wenn Europa und Deutschland diese Idee mit Verve am Leben erhalten wollen, findet sich in Israel kaum noch jemand, der sie unterstützt. Dort rückt auch die demokratische Opposition immer stärker von einer Zweistaatenlösung ab. So erhielt eine von der Regierung in die Knesset eingebrachte Resolution zur Annexion des Westjordanlands vorige Woche zehn Stimmen mehr als der Regierungskoalition von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und seinen rechtsextremen und religiösen Partnern angehören.   

Knapp zwei Jahre nach dem Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober 2023 steht für Israels politische Klasse nicht die Aussöhnung mit den Palästinensern auf der Tagesordnung. Zuallererst geht es allen um innenpolitische Profilierung. Sowohl der zentristische Oppositionsführer Jair Lapid wie der Chef der linken Demokraten, Yair Golan, betrachten den Vorstoß von Emmanuel Macron vom Wochenende als Fehler. Sie lesen darin nicht den Versuch, die Idee einer friedlichen Zukunft am Leben zu erhalten, sondern lehnen den Schritt ab, weil sie ihn beim jetzigen Stand der Krise und des Krieges als oberflächliche Belohnung für die Terror-Gruppe Hamas empfinden. Die Sorge um die Zukunft Israels mag riesig sein; trotzdem achtet auch Israels Opposition darauf, sich auf keinen Fall als vermeintlicher Verkäufer israelischer Interessen angreifbar zu machen.     

Ofer Waldman, Leiter des Israel-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv, erklärt das mit dem Rechtsruck, der Israel seit dem 7. Oktober erfasst hat. Ergebnis auch der erlittenen Traumatisierung sei es, dass Überlegungen für die Zeit nach Ende des Krieges in weite Ferne gerückt seien. „Eigentlich wäre es Aufgabe der Opposition, einen Horizont für den Tag danach anzubieten“, sagt Waldman Table.Briefings. Dazu sei die große Mehrheit der Bevölkerung aber nicht bereit; allenfalls kleinere zivilgesellschaftliche Gruppen propagierten noch offen eine diplomatische Lösung mit der palästinensischen Seite.  

Waldman sieht im Vorstoß Macrons trotzdem einen „Gegenentwurf“ zu den Plänen Netanjahus und seiner rechtsextremen Koalitionspartner: Zweistaatenlösung statt Annexion, diplomatischer Kompromiss statt gewaltsame Vertreibung und Wiederbesiedlung des Gazastreifens durch jüdische Nationalreligiöse. Und er ist überrascht über die Weigerung Deutschlands, sich der Erklärung Großbritanniens, Frankreichs und anderer westlicher Staaten zu einem sofortigen Ende des Krieges in Gaza anzuschließen. Waldman sieht darin eine „verpasste Chance“, weil man in Israel für Kritik aus Deutschland weiterhin empfänglich sei.  

Auf Einfluss hofft Berlin noch immer, obwohl es kaum Erfolge vorweisen kann. Auch am Sonntag telefonierte der Kanzler zehn Minuten mit Netanjahu. Dem israelischen Regierungschef sei inzwischen bewusst, wie sehr er Gefahr laufe, auch seine engsten Freunde zu verlieren, heißt es. Was das konkret bedeutet? Diese Frage könnte am Montagnachmittag bei einem so genannten Mehrministertreffen beantwortet werden, dem neben dem Kanzler unter anderem der Außen-, der Verteidigungs-, der Innenminister sowie der Vizekanzler angehören. Dabei wird es nur um eine Frage gehen: Ob und wenn ja wie Deutschland auf das brutale Vorgehen in Gaza reagieren wird. Beschlossen werden könnte vielleicht die Einschränkung bestimmter Lieferungen an Israel; nachgedacht wird aber auch über die Frage, ob sich Deutschland an einer Notversorgung Gazas aus der Luft beteiligt.    

Dabei geht es aber nicht nur um Druck auf Netanjahu und Hilfe für die Palästinenser. Tatsächlich soll das Treffen auch den Zusammenhalt in der Koalition und in Europa stärken. In beiden Fällen hatte er zuletzt gelitten; sowohl sozialdemokratische Politiker als auch europäische Partner hatten teilweise unverhohlen, teilweise diplomatisch verpackt kritisiert, dass sich Kanzler und Außenminister angesichts der verheerenden humanitären Lage in Gaza nicht eindeutig genug positioniert hätten.    

Letzte Aktualisierung: 28. Juli 2025
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