Talk of the town
Erscheinungsdatum: 06. Juli 2025

Pflegereform: Was die Bund-Länder-AG leisten soll – und welche Vorschläge bereits auf dem Tisch liegen

Ärztinnen und Pfleger versorgen Patientinnen im Aufwachraum vom Diako-Klinikum im Stadtteil Gröpelingen.

Die Bund-Länder-AG zur Erarbeitung einer Pflegereform nimmt unter dem Titel „Zukunftspakt Pflege“ am Montag ihre Arbeit auf. Union und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag auf die Einrichtung der Arbeitsgruppe verständigt, die schon bis Ende des Jahres Eckpunkte vorlegen soll. Vorsitzende der Kommission ist Bundesgesundheitsministerin Nina Warken. Die Länder werden durch die jeweils für die Pflegeversicherung zuständigen Minister oder Staatssekretäre vertreten. Weitere Mitglieder sind: Familienministerin Karin Prien, die Pflegebevollmächtigte Katrin Staffler, die Präsidenten der drei kommunalen Spitzenverbände, sowie Vertreter des BMAS, des BMBFSFJ, des BMWE, des BMF und des Kanzleramts. Hinzu kommen die pflegepolitischen Sprecher und Fraktionsvizes der Regierungsfraktionen.  

Zwei Facharbeitsgruppen auf Abteilungsleiterebene bereiten die inhaltlichen Entscheidungen vor. Die AG Finanzen soll sich laut Beschlussvorlage unter anderem mit Anreizen für eine eigenverantwortliche Vorsorge, der Einführung einer Karenzzeit, dem Umgang mit versicherungsfremden Leistungen wie den Rentenversicherungsbeiträgen für pflegende Angehörige sowie der Begrenzung der Eigenanteile befassen. Als mögliche Reformansätze zur Weiterentwicklung des Umlagesystems werden ein kapitalgedeckter Pflegevorsorgefonds und eine „verpflichtende individuelle Absicherung der privaten Eigenvorsorge“ genannt.  

Die zweite Fach-AG befasst sich mit der Versorgung. Sie soll laut Vorlage „Fragen des Leistungszugangs und -umfangs angesichts von Über-, Unter- und Fehlversorgung im System ergebnisoffen“ prüfen. Das BMG hat vorab bereits klare Arbeitsaufträge für die Fach-AGs verschickt, in denen die brisante Finanzsituation deutlich wird. Ziel sei es, „Stellschrauben zur Entlastung der Ausgabenseite und zur Stärkung der Einnahmenseite“ zur identifizieren. Zu jeder Maßnahme sollen die konkreten finanziellen Auswirkungen angegeben werden. Es dürfen keine Vorschläge gemacht werden, „die zu Mehrausgaben führen, die nicht ausschließlich auf demografische Entwicklungen zurückzuführen sind“.  

Kritik an der Kommission kommt bereits vor Beginn der Arbeit von Praxisverbänden, die in den Sitzungen außen vor bleiben. „Das ist kein gutes Signal“, sagte Thomas Knieling, Vorsitzender des Verbands Deutscher Alten- und Behindertenhilfe (VDAB), Table.Briefings. Er befürchtet, dass durch den Fokus auf die Finanzierung die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung zu kurz kommen könnte. Diese stehe und falle mit der professionellen Pflege vor Ort. „Pflegeeinrichtungen müssen daher als aktiver Teil der Lösung verstanden werden – nicht lediglich als Gegenstand von Regulierung, Planung und Steuerung“, so Knieling. Immerhin: Die Facharbeitsgruppen können für ihre Arbeit externe Experten hinzuziehen und sollen schon während des Erarbeitungsprozesses Verbändeanhörungen durchführen. 

Der vom Verband der Privaten Krankenversicherung eingerichtete Expertenrat Pflegefinanzen hat derweil eigene Reformvorschläge vorgelegt. In einer Stellungnahme, die Table.Briefings exklusiv vorab vorliegt, stellt das Gremium den Pflegegrad 1 grundsätzlich infrage. „Die Finanzlage der Pflegeversicherung ist dramatisch. Sie muss sich auf das Notwendige beschränken“, erklärt der Vorsitzende des Expertenrats, Jürgen Wasem. Aus Sicht des Professors für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen liege in Pflegegrad 1 „keine echte Pflegebedürftigkeit vor“, sondern eher eine „geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit“. Der Expertenrat schlägt daher eine Aussetzung der Stufe unter Wahrung des Bestandsschutzes vor.  

Auch die im Wahlkampf von der SPD gefordete Deckelung der Eigenanteile auf 1.000 Euro pro Monat sieht Wasem kritisch. Eine solche Regelung sei „sozial ungerecht“, da im umlagefinanzierten System Niedrigverdiener mit ihren Beiträgen relativ wohlhabende Haushalte und deren Erben subventionieren würden. Der Expertenrat hat das Konzept einer Pflege-Plus-Versicherung erarbeitet – eine verpflichtende Zusatzversicherung, mit der der Eigenanteil an den Pflegekosten sozial- und generationengerecht abgefedert werden soll. Wasems Appell: „Will die Politik die Eigenanteile in der stationären Pflege weiter begrenzen, muss das mittels einer kapitalgedeckten, sozial flankierten, obligatorischen Zusatzversicherung geschehen.“ 

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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