Talk of the town
Erscheinungsdatum: 19. August 2025

Sicherheitsgarantien für die Ukraine: Berlin, deutsche Soldaten und ein großes Dilemma

Als Friedrich Merz am Montag früh nach Washington flog, herrschte in seinem Tross große Unsicherheit, was ihn, die Europäer und Wolodymyr Selenskyj dort erwarten würde. Der Kanzler fürchtete Schlimmstes und hoffte leise auf das Gute; er war innerlich auf alles vorbereitet – und musste zugleich an keiner Stelle konkret werden, welche Aufgaben Deutschland übernehmen könnte. Als er am Dienstagvormittag zurückkehrte, war es besser gelaufen als befürchtet. Aber auf seinem Tisch liegt ab jetzt ein Thema, dem er nicht mehr ausweichen kann.  

Die Frage lautet: Muss und kann sich Deutschland auch mit eigenem Militär an Sicherheitsgarantien für die Ukraine beteiligen? Die Frage stößt ins Zentrum aller Solidaritätsbekundungen vor, die Merz, die Union und die Regierung in den letzten Monaten abgegeben haben. Und sie ist die heikelste Frage, die sich stellen kann. Bis heute sind Bundesregierungen (auch die von Angela Merkel und Olaf Scholz) ihr stets ausgewichen; und bis heute gibt es nur eine Umfrage vom Februar dieses Jahres, in der sich knapp die Hälfte der Deutschen dafür ausspricht. Trotzdem würde sich Berlin dramatisch unglaubwürdig machen, sollte es an der Stelle brüsk Nein rufen, nachdem es sich in den letzten Monaten die Rolle als Führungsmacht in Europa und als besonders enge Stütze der Ukraine zu eigen gemacht hat.   

Knapp die Hälfte der Deutschen für Beteiligung an Friedenstruppen

Alle Formen von Sicherheitsgarantien werden geprüft und gewogen. Ab sofort sei das die zentrale Aufgabe der Führungsstäbe der Staats- und Regierungschefs in der Koalition der Willigen, heißt es aus der Bundesregierung. Dabei stellen sich für alle die gleichen vier Fragen: Wie ist die Lage in der Ukraine? Welche Art und welchen Umfang an Hilfe bräuchte sie? Wie sehen die Rahmenbedingungen aus? (Anders ausgedrückt: Welche Rolle würden die USA übernehmen, wenn sie keine Bodentruppen schicken, wie Donald Trump am Dienstag erklärte?) Wie könnte der eigene nationale Anteil aussehen? In dieser Abschichtung wird analysiert und verhandelt.  

Schaut man konkreter auf die nötigen militärischen Fähigkeiten, dann sprechen Beteiligte inzwischen von „vier Säulen“: einem Monitoring der Lage; einer militärischen Präsenz von Kampfeinheiten; einer absichernden Luftverteidigung und einer ausreichenden Waffenausstattung der Ukrainer. In der Theorie könnte Deutschland bei allen vier Elementen helfen; von konkreten Beschlüssen aber sei man noch weit entfernt. „Jede Übereilung und jede Verengung müssen wir vermeiden“, heißt es aus der Regierung.  

Die Regierung steckt in einem doppelten Dilemma. Sie weiß, dass der Widerstand in der Bevölkerung groß werden könnte, insbesondere in Ostdeutschland, wo 2026 wichtige Landtagswahlen stattfinden. Und sie weiß, dass die faktischen Möglichkeiten der Bundeswehr begrenzt sind. Darauf hat Außenminister Johann Wadephul hingewiesen, als er im Podcast Table.Today unmittelbar vor dem Washington-Gipfel erklärte, die Nato-Partner hätten sich bislang auf Nato-Territorium konzentriert. „Wir sind der einzige Truppensteller, der eine kampfstarke Brigade in Litauen stationiert. Das tun und zusätzlich noch Truppen in der Ukraine stationieren, würde uns voraussichtlich überfordern“, hatte Wadephul erklärt. Das war kein generelles Nein, wohl aber die erkennbare Sorge, womöglich gar nicht so viel beitragen zu können.  

Noch heikler dürfte das Ringen mit der Öffentlichkeit werden. Auch deshalb hat Merz am Dienstag einen Marathon an Gesprächen und Videoschalten hinter sich gebracht. Erst sprach er mit den Mitgliedern der Koalition der Willigen, dann mit den EU-Staats- und Regierungschefs, anschließend mit seinem Kabinett und abschließend mit den Fraktionschefs im Bundestag. Sein Reden diente zum einen dem, was man neudeutsch De-Briefing nennt. Hinzu kam aber die Bitte und Mahnung, sich angesichts der riesigen Verantwortung nicht in Debatten und Streitereien zu verstricken.  

Ob das erhört wird, ist nicht sicher. Aber erste Statements aus der SPD könnten Fingerzeige dafür sein, dass zumindest die Koalition in dieser Frage an einem Strang zieht. So äußerte sich Fraktionschef Matthias Miersch betont vorsichtig und erklärte, man müsse alle Fragen im konkreten Kontext diskutieren und entscheiden. „Auszuschließen ist nichts, noch aber sind viele Fragen ungeklärt.“ Ähnlich klingt seine Stellvertreterin Siemtje Möller, bis vor kurzem Staatssekretärin im BMVg. Sie erklärte, bei der Gewährung der Sicherheitsgarantien und beim Wiederaufbau kämen große Aufgaben auf alle zu. Und fügte hinzu: „Es steht außer Frage, dass auch Deutschland seinen Beitrag leisten wird.“ Das ist keine fixe Zusage für Konkretes, aber lässt doch vieles möglich erscheinen. Dem Kanzler dürfte das sehr recht sein.

Die Sicherheitsgarantien für die Ukraine sind auch Thema im Podcast Table.Today. Die Analysen hören Sie ab 5 Uhr hier

Table.Today. "Müssen unsere Soldaten die Freiheit im Donbass verteidigen?"

Briefings wie Berlin.Table per E-Mail erhalten

Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

Anmelden

Letzte Aktualisierung: 20. August 2025

Teilen
Kopiert!