Passend zum Besuch der beiden Fraktionschefs Matthias Miersch und Jens Spahn in Kyjiw hat Table.Briefings Entscheider gefragt, wie sie zur Wehrpflicht und zu einer Beteiligung der Bundeswehr an einer möglichen Friedenssicherung in der Ukraine stehen. Die Ergebnisse sind frappierend: Beinahe drei Viertel der gut 1.000 Personen, die sich an der Umfrage beteiligten, unterstützen „voll und ganz“ (33,3 Prozent) oder „eher ja“ (40,3 Prozent) ein deutsches Engagement bei einem möglichen Einsatz zur Friedenssicherung. Und mehr als sechzig Prozent sprechen sich für eine Rückkehr zur Wehrpflicht aus, damit die Bundeswehr ausreichend Personal rekrutieren kann. (32 Prozent voll und ganz; 30 Prozent eher ja).
Diese Zahlen können der Koalition in der Debatte um eine Beteiligung etwas mehr Spielraum verschaffen. Miersch und Spahn unterstrichen in der Ukraine ihre grundsätzliche Solidarität, verzichteten aber auf präzise Zusagen. Spahn sagte: „Wir sind entschlossen, die Ukraine gerade in dieser schwierigen Phase zu unterstützen – politisch militärisch, finanziell.“ Es sei wichtig, dass er mit Miersch gekommen sei, das setze ein gemeinsames Zeichen. „Wir sind dankbar, dass die Ukrainer ihre Heimat und Europas Freiheit verteidigen.“
Die Zurückhaltung bei allen Details zu möglichen Sicherheitsgarantien dürfte Zeichen einer Restunsicherheit sein. Beide Fraktionschefs können sich einer vollen Unterstützung selbst in den eigenen Reihen bislang nicht sicher sein. So wurde in der Union zuletzt Kritik laut, als Vizekanzler Lars Klingbeil nach Kyjiw gereist war. Der Grund: Mancher sorgte sich, dass man damit Erwartungen wecke, die man am Ende womöglich nicht erfüllen könnte.
In der Ukraine selbst ist der Besuch keine Sensation mehr und auch keine ganz große Nachricht. Zumal erst vor kurzem der deutsche Finanzminister da gewesen ist und hochrangige Besuche aus Deutschland auch sonst keine Seltenheit mehr sind. Und doch ist die Visite aufmerksam beobachtet worden, weil man in der Ukraine auf politischer Ebene längst mitbekommen hat, dass es auch in der neuen deutschen Regierung schon wieder kriselt. Was für Kyjiw schnell zu einem größeren Problem werden könnte.
Umso deutlicher loben manche die Visite. So sprach Olena Kondratiuk, Vizepräsidentin des ukrainischen Parlaments, von einer „bahnbrechenden Reise“. Die „sehr gute Botschaft“ sei gewesen, dass Miersch und Spahn eine gut bewaffnete und ausgerüstete ukrainische Armee in der gegenwärtigen Situation als beste Sicherheitsgarantie für die Ukraine betrachteten. Für den prominenten Politologen Wolodymyr Fessenko war bereits Klingbeils Besuch ein „gutes Zeichen“, weil er aus ukrainischer Sicht einer schwierigeren Partei angehört. Das deute auf eine längerfristige Planung und Einigkeit der neuen Berliner Koalition hin.
Ein klares Signal Kyjiws an die Besucher aus Berlin ist es zudem, dass auch sie von den Spitzen der ukrainischen Politik empfangen wurden. Alle in Kyjiw wissen um die besondere Rolle des Bundestags für die Unterstützung der Ukraine; deshalb ist die Zugewandtheit keine Überraschung. Neben Präsident Wolodymyr Selenskyj trafen Miersch und Spahn eine Reihe von prominenten Parlamentsvertretern, außerdem den oppositionellen Ex-Präsidenten Petro Poroschenko und den mächtigen Chef der Regierungsfraktion, Dawid Arachamija.
Am späteren Montag stand noch eine besondere Visite auf dem Programm. Spahn und Miersch besuchten eine mobile Luftabwehreinheit. Wie sehr sich der Krieg zu einem Luftkrieg entwickelt hat, zeigt die untenstehende Grafik.
Russlands Luftangriffe gegen die Ukraine