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BND-Novelle: Was für die Reform des Nachrichtendienstes diskutiert wird

BND-Präsident Martin Jäger und Friedrich Merz (picture alliance / dts-Agentur)

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Sicherheit der Bundesrepublik niemals so gefährdet, wie sie es jetzt ist. Martin Jäger, seit September BND-Präsident, macht das bei seinen wenigen Auftritten seither immer wieder deutlich. Mit Blick auf Feinde der Demokratie und der Freiheit im Äußeren wie Inneren hat Bundeskanzler Friedrich Merz das klare Ziel ausgegeben, „dass der BND nachrichtendienstlich auf dem allerhöchsten Niveau mitspielt“. Seit langem belächeln andere Dienste den deutschen, der regelmäßig passen muss. Aus BND-Kreisen heißt es, Deutschland sei der „Vegetarier“ unter den Geheimdiensten.

Mit der Novelle des BND-Gesetzes soll sich das ändern. Sie soll Befugnisse, Aufgaben und Organisation des Auslandsnachrichtendienstes neu festlegen. Noch gibt es dazu nur lose Papiere und einen ersten Austausch; auch die Frühkoordinierung hat noch nicht wirklich begonnen. Aber Table.Briefings hat mit einer Reihe von Involvierten vertraulich gesprochen. Und sie benennen, worauf es jetzt ankommt. So ist parteiübergreifend eigentlich für alle klar, dass die Erweiterung seiner Befugnisse unabdingbar ist, um den Dienst auf europäisches Niveau zu heben und ihn zur Verteidigung gegen feindliche Akteure wie Russland zu wappnen.

Der vielleicht heikelste Punkt: Das Trennungsgebot für Nachrichtendienste und Polizei steht zur Diskussion. Es sollte über Jahrzehnte verhindern, dass eine politisch gesteuerte, übermächtige Polizei wie die Gestapo im Dritten Reich Nachrichtendienste missbrauchen kann – oder umgekehrt. Historisch habe es gute Gründe für diesen Rechtsgrundsatz gegeben, heißt es bei allen. Aber vor allem die Union fordert jetzt eine Aufweichung. Der Grund: Längst weiß man, dass beispielsweise Russland in der Lage ist, genau dieses Trennungsgebot so zu nutzen, dass eine effektive Verfolgung und schnelle Bekämpfung kaum gelingen kann. Zum Beispiel bei allen Formen von Attacken, die über Grenzen hinweg organisiert werden. Deshalb sollen BND, Verfassungsschutz und Polizei in solchen Fällen enger kooperieren dürfen. Auch ein intensiverer Datenaustausch mit Bundeswehr und MAD wird diskutiert; was mit Blick auf die Brigade Litauen relevant ist.

Außerdem soll der BND in der Cyberabwehr stärker werden. Angedacht ist eine „Reaktions-Toolbox“ im Umgang etwa mit Russland – seinen Spionageakten, seiner Bereitschaft zur Sabotage, seinen Versuchen zur Einflussnahme etwa im Vorfeld der Bundestagswahl. Strittig ist dabei noch immer ein sogenannter Hackback, also ein Gegenangriff, den der BND durchführen könnte, indem er sich nach einem Cyberanschlag in das Netz des Gegners hacken und dessen Netz oder Software attackieren könnte. Kritiker bei SPD und Grünen sprechen von digitaler Eskalation und befürchten Völkerrechtsverstöße, etwa wenn sich der durch den Gegenangriff ausgeschaltete Server in einem Krankenhaus befindet. Aus der SPD heißt es, dass sehr genau definiert werden müsse, in welchen Fällen welche Maßnahmen möglich sein sollen.

Befürworter bei der Union verteidigen die Notwendigkeit einer aktiveren Cyberabwehr. Sie argumentieren, dass auch Polizisten mit potenziell tödlichen Waffen ausgestattet seien, sie aber nur im seltensten Fall wirklich verwendeten. Allein die Befugnis im Ernstfall schrecke ab. Angedacht ist in diesem Zusammenhang etwa, ausländische Drohnen so zu manipulieren, dass sie im Kreis fliegen. Die Überlegungen gehen aber noch weiter. Angedacht und diskutiert wird auch, in den Informationsraum des Gegners selbst einzugreifen. So könnte Deutschland Unsicherheit schüren und Desinformationskampagnen wie in Moldau kontern, heißt es.

Vielen genügt zudem die technische Ausstattung des BND nicht mehr. In diesem Kontext könnte auch der Einsatz der Software von Palantir neu diskutiert werden. Während die SPD-Bundestagsfraktion die Daten-Analysesoftware relativ geschlossen ablehnt, spielen bei der Union einige mit der Idee. Zwar wolle niemand Peter Thiel als Anbieter, allerdings könne Palantir ungleich mehr als europäische Äquivalente. Mit dem Votum von Verfassungsschutz-Chef Sinan Selen, der sich in dieser Woche für eine europäische Alternative ausgesprochen hat, hat sich eine relevante Stimme gegen Palantir gewandt. Für die SPD ist die Diskussion um Palantir generell vom Tisch. Die Frage besserer Technik für den BND ist es damit aber nicht.

Einig ist man sich schließlich, dass auch die Kontrollmöglichkeiten durch das Parlament überdacht werden müssen. Die Opposition, aber auch die SPD pochen darauf, dass jede Erweiterung von Möglichkeiten und Befugnissen zusätzlicher Kontrollen bedarf. In der Union und in Sicherheitskreisen wird hingegen darauf verwiesen, dass es in der Vergangenheit ein unzuverlässiger Umgang mit Informationen aus diesen Kontrollrechten war, der dazu führte, dass die Dienste befreundeter Staaten immer wieder gedroht haben, den auch für Deutschland lebenswichtigen Austausch zu beschneiden. Deswegen dürfte es gerade an dieser Stelle noch harte Verhandlungen geben.

Mit einer finalen Novelle wird nicht vor März gerechnet. Derzeit werden einzelne Details zwischen Kanzleramt, BMI und BMJ diskutiert. Selbst die sogenannte Frühkoordinierung, einer klassischen Ressortabstimmung vorangestellt, hat noch nicht begonnen. Komplizierter ist der Weg zu einem Gesetzentwurf außerdem, weil die Unionsfraktion verhindern möchte, dass sie von der Regierung einen Kompromiss auf den Tisch bekommt, der dann in Gesprächen mit den Abgeordneten nochmal verwässert werden könnte. Eine schon gemachte Erfahrung, die sie dieses Mal unbedingt vermeiden möchte.

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Letzte Aktualisierung: 09. Dezember 2025