Table.Standpunkt | Gebäudesektor
Erscheinungsdatum: 09. September 2026

Standpunkt zur Wärmewende: Ohne Dämmung wird es nicht gehen

Jan Peter Hinrichs, Vorstand des Bundesverbands energieeffiziente Gebäudehülle (BuVEG), warnt im Standpunkt: Wärmepumpen allein, selbst mit grünem Strom betrieben, werden für die Wärmewende im Gebäudesektor nicht ausreichen.

Lars von Lackum, CEO des zweitgrößten deutschen Wohnungsunternehmens LEG, hatte im Interview mit Table.Briefings dafür geworben, zur Dekarbonisierung des Wohnungsbereichs vor allem in grüne Energie zu investieren und weniger Mittel in dämmende Maßnahmen zu stecken. Ihm antwortet Jan Peter Hinrichs.

Jeder kennt diesen Spruch: Deutschland hat 80 Millionen Bundestrainer. Soll heißen: Während einer Fußball-Europa- oder Weltmeisterschaft hält sich jeder Zuschauer für einen Experten und sieht sich in der Lage, selbstbewusste Analysen und Ratschläge zu äußern. Ähnlich verhält es sich spätestens seit dem Heizungsgesetz im Jahr 2023 mit Deutschlands Häusern: Nahezu jeder Bundesbürger hat eine Meinung zum Thema Gebäudeenergie – insbesondere zur Heizung. Deutschland hat nun 80 Millionen Energieberater.

Doch auch die Personen, die sich professionell mit dem deutschen Gebäudebestand auseinandersetzen, geraten seitdem häufig in Wallung. Man versucht, sich mit Studien und Gutachten gegenseitig zu übertrumpfen. Ziel ist es, die Deutungshoheit darüber zu erlangen, wie der deutsche Gebäudebestand energetisch zukunftsfähig gemacht wird.

Einigkeit herrscht (hoffentlich) noch darüber, was das grundsätzliche Problem ist: Die deutschen Gebäude sind hinsichtlich ihres Energieverbrauchs in einem katastrophalen Zustand. Die Etappenziele auf dem Weg zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 hat der Gebäudesektor schon mehrfach verfehlt. Rund 30 Prozent der Wohngebäude gehören zu den schlechtesten Effizienzklassen – sie verursachen rund 50 Prozent der gesamten CO₂-Emissionen des Gebäudesektors.

Bei der Lösung dieses Problems führen wir seit der Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes (Heizungsgesetz) viele undifferenzierte und teilweise auch unterkomplexe Debatten – ähnlich, wie man es beim Fußball macht. Beim Thema Gebäudeenergie heißt es: Einfach die Heizungen elektrifizieren – und schwupps ist die Energiewende gemeistert. Herr von Lackum sagt dazu: „Absolute Fokussierung auf grüne Energie.“

Erneuerbare Energien sind ein unverzichtbarer und elementarer Baustein für unsere Zukunft, selbstverständlich auch für den Gebäudebestand. Sie werden jedoch auch langfristig weder kostenfrei noch unerschöpflich oder kontinuierlich in der benötigten Menge verfügbar sein. Im Winter, wenn die Sonne nur wenig scheint, ist der Heizwärmeverbrauch bekanntermaßen am höchsten. Und es gibt noch andere energiehungrige Sektoren wie Industrie und Verkehr. Also müssen die Erneuerbaren dort eingesetzt werden, wo sie am dringendsten gebraucht werden und nicht anderweitig ersetzt oder eingespart werden können. Im Gebäudebereich gelingt dies durch Dämmung, moderne Fenster und andere Maßnahmen.

Was Lars von Lackum völlig ignoriert: das Problem des Transports zur Verbrauchsstelle. Denn weder die Energiekonzerne noch der Staat zeigen sich bislang bereit, den kostspieligen Netzausbau finanzierbar oder ohne saftige Kostenumlage für die Verbraucher zu realisieren. Fazit: Erneuerbare Energien sind eben nicht der Heilige Gral oder die eine und alleinige Lösung für das Problem. Für Fußballfans heißt das: Die Erneuerbaren sind zwar der Schlüsselspieler, aber ohne das Team sind sie nichts. Ohne eine stabile Abwehr, also ein energetisch saniertes Haus, funktioniert das System nur unzureichend.

Und genau das erleben schon heute viele Mieter oder selbstnutzende Eigentümer, die in einem alten, meist energetisch schlechten Gebäude wohnen und nun an eine Wärmepumpe angeschlossen sind. Sie sehen sich mit einem Vielfachen der Energiekosten konfrontiert. Das hat einen einfachen technischen Grund: In energetisch schlechten Gebäuden muss die Wärmepumpe aufgrund des hohen Heizbedarfs mit hohen Vorlauftemperaturen arbeiten.

Damit kann sie ihre beabsichtigte Betriebseffizienz gar nicht erreichen. Sie verbraucht also unverhältnismäßig große Mengen Energie, nur um den Wohnraum ausreichend zu beheizen. Richtig wäre es, erst den Energiebedarf der Gebäude durch Sanierungsmaßnahmen zu senken, also Efficiency first. Erst danach kann auch eine Wärmepumpe mit „grünem Strom“ kostengünstig und effizient eingesetzt werden. Das ist übrigens keine Meinungsäußerung, sondern die Wiedergabe bauphysikalischer Grundsätze.

Man könnte an dieser Stelle ausführlich Studien und Praxisgutachten vorlegen, die die positive Wirkung der energieeffizienten Gebäudehülle in punkto Rentabilität, Wertsteigerung der Immobilie, Netzdienlichkeit und Klimaschutz dokumentieren. Doch es sei hier darauf verzichtet – angesichts stammtischhafter und unsachlicher Parolen wie: Dämmung sei nur hervorragend für die, die sie verkaufen oder 400 Milliarden Euro Investitionen in Dämmung hätten den Kilowattstundenverbrauch pro Quadratmeter gar nicht verändert. Warum?

Seit der hitzigen Diskussion um das Heizungsgesetz nimmt die Dämmstoffindustrie – wie viele andere Akteure aus dem Gebäudekosmos – an unseriös geführten Debatten im politisch-medialen Raum bewusst nicht mehr teil. Denn niemand kann sich über technische und (bau-)physikalische Grundsätze hinwegsetzen. Das sage ich nicht nur als ausgebildeter Ingenieur mit langjähriger Tätigkeit in wissenschaftlichen Institutionen.

Wir beobachten mit großer Sorge, was Desinformation in unserer Gesellschaft anrichten kann: Im Jahr 2023 wurden mehr als eine Million Gasheizungen installiert – ein Rekordwert. Trotz sprunghaft gestiegener Gaspreise infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Entgegen jeder Vernunft und Logik, getrieben von Wut über eine (zugegebenermaßen ungeschickt agierende) Bundesregierung. Diese Anschaffung wird die betreffenden Immobilieneigentümer im Jahr 2027 endgültig vor ein Kostenfiasko stellen. Dann kommen noch die Ausgaben für CO₂-Zertifikate aus dem Europäischen Emissionshandelssystem II (EU-ETS II) hinzu.

Als Interessenvertreter der Dämmstoffindustrie und anderer Bauprodukte der Gebäudehülle gelten wir als befangen. Dennoch empfehlen wir einen Schritt, der für Industrielobbyisten ungewöhnlich sein mag: Jeder, der Zweifel am Sinn des Dämmens hat, möge einen unabhängigen und zertifizierten Energieberater konsultieren. Diese Experten sind in der Lage, sinnvolle und individuelle Wege aufzuzeigen, um Gebäude energetisch zukunftsfit zu machen.

Jan Peter Hinrichs ist Geschäftsführer des Bundesverbands energieeffiziente Gebäudehülle e.V. (BuVEG). Der Verband repräsentiert alle an der Gebäudehülle beteiligten Produkte. Dazu gehören Hersteller von Steinen, Fenstern, Türen, Fassaden, Putzsystemen und Dämmstoffen. Hinrichs ist studierter Holztechnik-Ingenieur und ausgebildeter Zimmerer. Von 2005 bis 2012 arbeitete er in verschiedenen Positionen beim Fraunhofer-Institut für Bauphysik, von 2013 bis 2016 leitete er die Geschäftsstelle der Fraunhofer-Allianz Bau.

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Letzte Aktualisierung: 09. September 2025

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