wir begrüßen Sie zum Berlin.Table, dem Late-Night-Memo für die Hauptstadt.
Sonntag ist Interview-Tag. Das gilt in der Hauptstadt schon lange. Trotzdem ist dieser Sonntag besonders. Und zwar, weil mit Christian Lindner und Boris Pistorius zwei zentrale Minister Dinge gesagt haben, die wir uns vom Kanzler selbst gewünscht hätten. Dem Finanzminister ging es um die Grenzen des Budgets, dem Verteidigungsminister um die neue Welt, die Deutschland eine Änderung seiner Prioritäten abverlangt. Noch dazu, wenn der nächste US-Präsident in Trump-Manier die Nato infrage stellen sollte. Kurz gesagt, es geht ums große Ganze – und es wäre an Olaf Scholz, das alles mal in sein großes Ganzes einzuordnen.
Wir haben mit dem FDP-Vize Johannes Vogel über die Rettung des Klimas und die Rolle seiner Partei gesprochen, schauen uns die am Wochenende verkündete Einigung bei den Heizungen an – und werfen einen Blick nach Österreich, wo die Arbeiterkammer seit Jahrzehnten viel zum sozialen Frieden beigetragen hat. Vielleicht eine Idee, die gerade in Großstreik-Zeiten auch für uns ihren Charme haben könnte.
Und weil es manchmal abends überraschend kommt, hier noch ein Blick nach Berlin: Die neue Koalition hat, wie der RBB berichtet, schon die Ressorts verteilt. Demnach bekommt die CDU Finanzen, Bildung, Justiz, Jugend und Familie, Kultur und Europa und dazu Umwelt, Mobilität und Klimaschutz. An die SPD geht, wenn die Parteien zustimmen, Innen, Wirtschaft, Stadtentwicklung/Bauen/Wohnen, Integration/Arbeit/ Soziales und dazu ein Großressort Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung.
Viel Vergnügen bei der Lektüre.
Heute haben Okan Bellikli, Stefan Braun, Annette Bruhns, Leonie Düngefeld, Franziska Klemenz, Malte Kreutzfeldt, Finn Mayer-Kuckuk und Daniel Schmidthäussler mitgewirkt. Wir freuen uns über Ihr Interesse.
FDP: Klimaschutz nicht mit Kapitalismuskritik verwechseln
FDP: Klimaschutz nicht mit Kapitalismuskritik verwechseln. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Johannes Vogel verteidigt das Ringen um den richtigen Weg beim Klimaschutz. “Politischer Streit ist kein Problem und auch keine Krise”, sagte Vogel dem Berlin.Table. Er stellt sich ausdrücklich hinter die Linie seiner Partei, dass der Staat nicht alle Instrumente vorher festlegen sollte, sondern nur den Rahmen. Das sei entscheidend, “um damit die Fantasie der Ingenieure und die Kraft der Unternehmen zu entfesseln”. Klimaschutz, so Vogel, müsse marktwirtschaftlicher gemacht werden. Er warnt davor, “Klimaschutz mit Kapitalismuskritik zu verwechseln”.
Der Liberale lobt das neue Tempo beim Ausbau der Infrastruktur und beim Klimaschutz. Der schnelle Ausbau von Schienen und Straßen sei “absolut notwendig für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes”. Zuletzt sei Deutschland an “seiner Langsamkeit bei großen Projekten quasi erstickt”. Umso wichtiger sei es, dass sich das ändert. Zumal, wenn man bedenke, dass Autokraten zuletzt immer wieder versucht hätten, diese Langsamkeit als Beleg für die Unfähigkeit von Demokratien zu verwenden. Insgesamt gibt sich Vogel auch beim Klimaschutz optimistisch: “Wir werden das zusammen hinbekommen.” Das ganze Interview lesen Sie hier.
Heizungsgesetz: Umwelthilfe befürchtet Aufweichung. Wer hat sich beim Streit um das Verbot neuer Öl- und Gasheizungen durchgesetzt? Bei dieser Frage gab es nach dem Koalitionsgipfel sehr unterschiedliche Einschätzungen. Nachdem Christian Lindner verkündet hatte, dass Gasheizungen, die “Wasserstoff-ready” sind, weiterhin eingebaut werden dürften, bejubelte die Bild-Zeitung einen “Sieg für Mieter und Hausbesitzer”. FDP-Fraktionschef Christian Dürr ließ sich zitieren mit: “Das Heizungsverbot ist vom Tisch.” Klimaschützer dagegen waren entsetzt. Neue Gasheizungen zu erlauben, die theoretisch mit Wasserstoff laufen können, es in der Praxis aber nicht tun werden, sei “Gas-Greenwashing in Reinform”, kritisierte die Deutsche Umwelthilfe.
Anders als bei der FDP fiel die Interpretation der Einigung im BMWK aus. Staatssekretär Patrick Graichen stellte klar, dass es nicht genüge, eine Heizung als “Wasserstoff-ready” zu vermarkten. Neben einem Brenner, der mit reinem Wasserstoff laufen kann, müsse ein “rechtsverbindlicher Investitions- und Transformationsplan für Wasserstoffnetze” vorliegen. Wasserstoff werde daher “nur in Einzelfällen die Lösung sein”, so Graichen.
Mit dieser Sicht scheint sich Robert Habecks Haus zunächst durchgesetzt zu haben. Nach weiteren Verhandlungen innerhalb der Regierung verlautete am Freitag aus dem BMWK eine Einigung der Koalition: Wasserstoff-fähige Gasheizungen sollen nur zugelassen werden sollen, wenn schon jetzt verbindlich sichergestellt sei, dass sie ab 2030 mit mindestens 50 Prozent Biomethan und ab 2036 mit 65 Prozent Wasserstoff betrieben werden können. Weil dafür ein neues Leitungsnetz erforderlich ist, dürfte das nur sehr vereinzelt vorkommen. Auch die weiteren Ausnahmen, auf die sich die Regierung geeinigt hat – etwa für Hausbesitzer, die älter als 80 Jahre alt sind – dürften in der Praxis geringe Auswirkungen haben.
Klimaschützer beruhigt das nicht. Der Leiter des Energiebereichs bei der Deutschen Umwelthilfe, Constantin Zerger, fürchtet, dass die derzeit harten Bedingungen für Wasserstoff-Heizungen im weiteren Verfahren abgeschwächt werden können. Es werde “extrem darauf ankommen, wie das im Gesetz ausgestaltet wird, damit es kein Blankoscheck für den Weiterbetrieb für Gasheizungen wird”, meint Zerger. Tatsächlich scheint die FDP die Einigung der Koalition nicht als final zu betrachten. “Bin gespannt, was sich im weiteren Verlauf noch ändern wird”, schrieb Fraktionsvize Martin Hagen auf Twitter.
Presse-Briefing von morgen
Seltene Erden: Berlin hofft auf Australien
Seltene Erden: Berlin hofft auf Australien. Die Bundesregierung sucht verlässliche Lieferanten für kritische Rohstoffe. Besonders im Fokus: befreundete Demokratien. Aus diesem Grund ist die Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, Franziska Brantner, am Sonntag mit einer Wirtschaftsdelegation nach Australien gereist. Der Kontinent bietet sich als enger strategischer Partner bei seltenen Erden und kritischen Rohstoffen an. Bislang gehören auf dem Weltmarkt vor allem China und die Mongolei zu den Lieferanten; die Bundesregierung will unbedingt neue Quellen erschließen, um die Abhängigkeit von China zu verringern.
Ein weiterer wichtiger Baustein ist Wasserstoff. Brantner will in Sydney auch prüfen, wie groß die Möglichkeiten sind, mit dem fünften Kontinent bei der wichtigen Energiequelle Wasserstoff zusammenzuarbeiten. Ziel ist es, auch auf diesem Feld eine stärkere Vernetzung von Unternehmen aus beiden Ländern zu erreichen. Mehr dazu lesen sie im Europe.Table.
Ex-US-Botschafter: China-Politik von Scholz zu nachgiebig
Ex-US-Botschafter: China-Politik von Scholz zu nachgiebig.James Cunningham, ehemaliger US-Botschafter in Israel und Afghanistan und zuvor Generalkonsul in Hongkong, kritisiert im Interview mit Table.Media die China-Politik von Olaf Scholz. Ihm zufolge sind die USA deutlich schneller darin, auf die Gefahren zu reagieren, die von einer erstarkten und aggressiveren Volksrepublik ausgehen. Scholz werde in seiner Politik von Interessen der deutschen Wirtschaft zurückgehalten. Konsequente Aufrüstung im Pazifik hält Cunningham für einen Garant für Frieden. Das ganze Gespräch lesen Sie im China.Table.
Außenpolitik
China
Olaf Scholz
China Strategie 2023. 3 Stunden, 3 Sessions, 30 Köpfe aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Table.Media beleuchtet am 25. April China als Wettbewerber, Rivale und Partner. Die Digital-Konferenz schafft mitten in der aktuellen Debatte Orientierung für Entscheiderinnen und Entscheider. Jetzt kostenlos registrieren.
Arbeiterkammer: Die unbekannte Interessenvertretung
Arbeiterkammer: Die unbekannte Interessenvertretung. In Österreich kennt sie jeder, in Deutschland ist das Konzept fast unbekannt: Die Kammer für Arbeiter und Angestellte, kurz Arbeiterkammer (AK), ist im Nachbarland die gesetzliche Interessensvertretung von fast vier Millionen Arbeitnehmern. Und das in einem Land, in dem insgesamt nur rund neun Millionen leben. Jedes Bundesland hat eine autonome AK, die Bundesarbeitskammer steht unter der Aufsicht des österreichischen Arbeitsministeriums. Anders als bei den Teilgewerkschaften des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB) ist die Mitgliedschaft verpflichtend.
In Deutschland gibt es Ähnliches nur in zwei Ländern. Bei der Arbeitnehmerkammer in Bremen sind alle abhängig Beschäftigten mit Ausnahme der Beamten automatisch Mitglied – das gilt auch für Arbeitslose, die an der Weser ihren letzten Arbeitsplatz hatten. Der Beitragssatz beträgt 0,14 Prozent des Bruttomonatslohns (ab 520 Euro), das Geld überweist der Arbeitgeber direkt an das Finanzamt. Ähnlich ist es bei der Arbeitskammer des Saarlands. Dort müssen beispielsweise auch Grenzgänger aus Frankreich Mitglied sein, Arbeitssuchende dagegen nichts zahlen.
Die Arbeiterkammer hat drei Schwerpunkte. Sie berät nicht nur Mitglieder, sondern auch Abgeordnete und Ministerien und veröffentlicht jedes Jahr einen Bericht an die Regierung des Saarlandes. Daneben bietet sie Bildungsangebote und fördert Forschungsprojekte. Pläne für ähnliche Institutionen, die ein Gegengewicht zu den Industrie- und Handelskammern (IHK) darstellen könnten, gab es bereits in mehreren Bundesländern. Die Hans-Böckler-Stiftung veröffentlichte 2018 beispielsweise ein Arbeitspapier über Chancen und Hemmnisse in NRW. Dass weitere Initiativen bislang erfolglos blieben, dürfte nicht zuletzt an den Gewerkschaften liegen. Schon 1973 titelte die Zeit: “Konkurrenz ist nicht erwünscht”.
Hühner-Wohl: Rückendeckung für Özdemir
Hühner-Wohl: Rückendeckung für Özdemir. Nach massiven Protesten von Geflügelzüchtern gegen den Plan von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, das Gesetz zum Schutz von Küken zu ändern, erhält dieser Rückendeckung. Es geht um die Frage, wie lange Züchter das Geschlecht des Embryos im Ei bestimmen dürfen, um bei Männchen den Brutvorgang zu beenden. Susanne Mittag, agrarpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, sagte dem Berlin.Table: “Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse grenzen den Zeitraum für das Schmerzempfinden deutlich stärker ein als es bisher der Fall war.” Dies sei eine neue Grundlage für eine rechtliche Anpassung.
Renate Künast, grüne MdB im Agrarausschuss, wundert der Protest. “Das BMEL hatte schon aus Zeiten der Ministerin Klöckner den Auftrag, eine Studie zum Schmerzempfinden des Kükenembryos durchzuführen. Das Ergebnis ist jetzt handlungsleitend. Wissenschaftswidriges dürfen wir mit Blick auf den Tierschutz definitiv nicht verabschieden.” Für Künast, Landwirtschaftsministerin a.D., bleiben aber die Bruderhähne und Zweinutzungshühner die “viel besseren Varianten” als die Embryonen-Vernichtung.
Den weltgrößten Bruderhahn-Mäster überzeugt das eigene Produkt nicht. Und Deutschlands größte Legehennen-Brüterei warnt sogar vor Engpässen bei Eiern. Auch die Öko-Verbände sind besorgt. “Wir laufen in eine Knappheit hinein”, sagte Hubert Heigl, Vorstand Landwirtschaft beim Bio-Dachverband BÖLW, dem Berlin.Table. Eine Analyse der komplexen Lage auf dem vorösterlichen Eier-Markt lesen Sie hier.
Aus den Professional Briefings
2. April Professionals
Europe.Table: EU plant mehr Cybersicherheit. Mit dem Cyber Resilience Act will die EU eine Regelung für vernetzte Produkte etwa im Smart-Home-Bereich schaffen, die nicht bereits unter andere Rechtsvorgaben fallen. Der zuständige Berichterstatter im EU-Parlament, Nicola Danti aus Italien, hat nun einen ersten Berichtsentwurf vorgelegt. Mehr
China.Table: Japan schließt sich Chip-Sanktionen der USA an. Nach den Niederlanden beschränkt nun auch Japan den Export von Maschinen zur Herstellung von Halbleitern nach China. Sie folgen damit den Sanktionen der USA, die den technischen Aufstieg Chinas bremsen sollen. Das hat Folgen für die japanisch-chinesischen Beziehungen. Mehr
Morgeninterviews am 3. April
2. April Morgeninterviews am 3. April
Informationen am Morgen (Deutschlandfunk)
ca. 6:50 Uhr: Andreas Audretsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen: Ampel weiter uneins über Haushalt
ca. 7:14 Uhr: Michael Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses: Nato-Erweiterung
ca. 8:10 Uhr: Walter E. Feichtinger, österreichischer Militärexperte: Militärische Erfolge der Ukraine?
Termine
2. April Termine
Montag, 3. April
Verkehr: Offizieller Verkaufsstart des Deutschlandtickets
Außenpolitik:Olaf Scholz reist nach Rumänien und trifft dort Präsident Klaus Ioannis, Premierminister Nicolae Ciucă und Maia Sandu, die Präsidentin der Republik Moldau. Ganztägig, Bukarest
Landespolitik: CDU und SPD stellen ihren Koalitionsvertrag für Berlin vor. 11 Uhr, Rahel-Hirsch-Center für Translationale Medizin
Dienstag, 4. April
Gesundheit: Gemeinsames Mittagessen von Olaf Scholz und dem Corona-ExpertInnenrat der Bundesregierung, 12:30 Uhr, Berlin
Mittwoch, 5. April
Wirtschaft: Vorstellung der “Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute Frühjahr 2023”. 10 Uhr, Bundespressekonferenz
Heads
2. April Heads
Welt am Sonntag:Markus Söder, der Nicht-Erscheiner. Der CSU-Chef hat alle 14 Bundesrat-Vorbereitungsrunden der Unionsministerpräsidenten seit Friedrich Merz‘‘‘ Antritt als Fraktionschef geschwänzt, schreibt Robin Alexander. Sogar die sogenannte “Merz-Runde”, die in der bayerischen Landesvertretung stattfand. Er zitiert einen CDU-Ministerpräsidenten, wonach Söder Berlin halt hasse. Kanzler will er aber weiterhin werden, seien sich alle sicher.
Geburtstage
2. April Geburtstage
Montag, 3. April
Peter Sauer, Deutscher Botschafter in Haiti, 62 / Marlon Bröhr, MdB (CDU), 49
Dienstag, 4. April
Jochen Flasbarth, Staatsekretär im Entwicklungsministerium, 61 / Viktor Elbling, Deutscher Botschafter in Italien, 64 / Ingmar Jung, MdB (CDU), 45 / Maria-Lena Weiss, MdB (CDU), 42 / Daniel Caspary, Mitglied im CDU-Präsidium und Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, 47
Nachttisch
2. April Nachttisch
Wolfgang M. Schmitt, Stefan Schulz: Die Neuen Zwanziger
Unser Tipp führt Sie heute in die Zwanzigerjahre. Aber nicht in die des 20. Jahrhunderts, sondern die der Gegenwart. Der Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt und der Soziologe Stefan Schulz schauen in ihrem Podcast jeden Monat zurück auf die Ereignisse, “die die Zeitläufte bestimmen, wichtig waren oder wichtig werden”. Neben der aktuellen Folge, in der sie etwa über die Münchner Sicherheitskonferenz sprachen, gibt es auch den “Salon”, also eine zweite Folge, in der sie zu den Themen passende Bücher vorstellen und besprechen. Beide Podcaster sind auch selbst Autoren: Schmitt hat zusammen mit Ole Nymoen 2021 “Influencer. Die Ideologie der Werbekörper” veröffentlicht, Schulz 2022 “Die Altenrepublik. Wie der demographische Wandel unsere Zukunft gefährdet”. Hörenswert, das Ganze.
Das war’s für heute. Das nächste Late-Night-Memo erhalten Sie am Dienstagabend.
Good night and good luck!
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